Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Nordwest e. V. hat in seinem Engagement für Pflegeberufekammern die Bedeutung der Gewerkschaften im Dreiklang der Interessenvertretung immer wieder betont. Allerdings negieren Verdi und ihr Dachverband DGB die Existenzberechtigung der Kammern – und implizit auch den Vertretungsanspruch der Berufsverbände. Die Auseinandersetzung gründet auf dem Professionsverständnis.
Der DBfK hat sich als weltlicher Verband aus der Mutterhausbewegung heraus gebildet. Mit seinen Vorgängerorganisationen hat der Verband zwar durchaus auf seine christlichen Wurzeln verwiesen, steht aber gerade auch für die Verweltlichung der Pflegeberufe. Schließlich steht die Gründung des Verbands in einem kausalen Zusammenhang mit der Lebenssituation Agnes Karlls, die aus familiären Gründen als Krankenschwester ihren Mutterhausverband verlassen musste und fortan als freie Schwester erlebte, wie wenig Anerkennung dieser Beruf genoss [1]. Karll hat die Gründung der Berufsorganisationen der Krankenpflegerinnen Deutschlands mit dem Ziel initiiert, den freien Schwestern Sicherheit zu gewährleisten und mehr Anerkennung für sie zu erwirken – das Instrument dafür war immer auch Bildung und ein Verständnis davon, dass Pflege eine Profession ist.
1970er-Jahre: erste Differenzen zwischen Verband und Gewerkschaft
Der Dissens zwischen der heutigen Dienstleistungsgewerkschaft und dem Berufsverband hinsichtlich der Professionalisierung hat bereits in den 1970er-Jahren seinen Anfang genommen. So waren Berufsverband und Gewerkschaft bis 1971 gemeinsam Mitgliedsverbände der deutschen Schwesterngemeinschaft. Der 1973 gegründete Deutsche Berufsverband für Krankenpflege e. V. (DBfK) ging aus dem Agnes-Karll-Verband und vier weiteren Pflegeverbänden der Deutschen Schwesterngemeinschaft hervor. Die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV), der Vorgänger der heutigen vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, hat sich aber offenkundig am unterschiedlichen Professionsverständnis gestört und trat aus der deutschen Schwesterngemeinschaft aus. Damit setzte unter den Pflegeverbänden eine Homogenisierung der Auffassung über das berufliche Selbstverständnis und die verbandspolitischen Ziele in der Schwesterngemeinschaft ein [1].
Im Kern stand hinter dem Austritt der Gewerkschaft aus der Schwesterngemeinschaft also eine unterschiedliche Bewertung notwendiger Professionalisierungsbemühungen in der beruflichen Pflege. Das setzte sich fort, als es Ende der 1970er-Jahre um die Anpassung der Krankenpflegeausbildung im europäischen Kontext ging. Im Streit um eine neue Ausbildungs- und Prüfungsordnung zeigten die beruflichen Interessenvertretungen in der Krankenpflege ihre traditionelle Gegensätzlichkeit. Befürwortete der DBfK die Einrichtung von Berufsfachschulen mit einer Öffnung hin zum tertiären Bildungsbereich, so vertraten Gewerkschaften und Arbeiterwohlfahrt die Eingliederung der Pflege in das duale Bildungssystem [1].
1980er-Jahre: Forderungen der Pflegenden bleiben unerfüllt
Innerhalb des DBfK gab es immer auch schon Überlegungen, sich stärker als bisher in die Gestaltung der Arbeitsbedingungen einzumischen. Anfang der 1980er-Jahre stand der Anschluss des Berufsverbands innerhalb seiner Gremien an eine Gewerkschaft zur Diskussion. Die Gewerkschaft der Wahl war damals die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG). Zwar kam es damals trotz intensiver Gespräche nicht zu einem Anschluss. Nachhaltig beeinträchtigt durch die Gespräche mit der DAG war allerdings die Beziehung zur ÖTV [1]. So trug der Vorstand der Gewerkschaft ÖTV dem DBfK öffentlich nach, dass dieser die Nähe zur DAG suchte, und drohte an, die Konkurrenzsituation zum DBfK neu zu beurteilen, wenn dieser sich mit tarifpolitischen Fragestellungen befassen würde (offener Brief der ÖTV an den DBfK [2]).
Ende der 1980er-Jahre waren die Arbeitsbedingungen geprägt von Abhängigkeiten, Hierarchien und unzureichender Personalbesetzung. Die Pflegenden wollten mehr Autonomie, Aufstiegsmöglichkeiten und mehr Anerkennung in der Gesellschaft. Pflegende wollten keine pflegefremden Tätigkeiten mehr ausführen müssen. Der Diskurs über Professionalität und Professionalisierung wurde erneut geführt. Am Ende hat die Gewerkschaft ÖTV mehr Geld erwirkt. Das war ein schaler Erfolg, weil die zentralen Forderungen nach mehr Anerkennung pflegerischer Arbeit und Professionalisierung am Ende nicht erhört wurden.
Der DBfK hat das Verhandlungsergebnis in der Folge auch kritisiert und der Gewerkschaft vorgeworfen, dass das Verhandlungsergebnis z. B. eine tarifliche Gleichbewertung von unausgebildeten Pflegehelferinnen und qualifizierten Krankenschwestern vorsehen würde [3]. Die Kritik hat die Gewerkschaft ÖTV empfindlich getroffen. Das geht aus einem offenen Brief von Ulrike Peretzki-Leid (damals Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes der ÖTV) an den DBfK hervor. Sie warf dem Berufsverband vor, zur Demotivation und Spaltung der Berufsgruppe beizutragen, wenn der Verband das Verhandlungsergebnis der Gewerkschaft mit den Arbeitgebern nicht würdigte.
Peretzki-Leid rechtfertigte das Verhandlungsergebnis und beklagte, dass auch Außenstehende (Nichtmitglieder) von den Verhandlungsergebnissen profitieren würden und dass der niedrige Organisationsgrad die Gewerkschaft eher schwächen würde. Deutlich wurde aber auch, dass die Gewerkschaft den Streik als Mittel des Arbeitskampfs in der Auseinandersetzung des Pflegepersonals nie vorgesehen hatte [3]: „Denn klar war für uns aus ethischen, aber auch politischen Gründen: Einen Streik, der die Gefährdung von Leib und Leben kranker Menschen zur Waffe im Arbeitskampf macht, wird es mit der Gewerkschaft ÖTV nicht geben.“
An dieser Stelle offenbarte die Gewerkschaft nicht nur die mangelnde Streikbereitschaft. Hier wurde einmal mehr das dienende Element der Pflege manifestiert, mithin eine Fortsetzung des christlichen Ideals, unter dem die Emanzipationsbestrebungen der beruflich Pflegenden so gelitten haben. Gestreikt wird nur, wenn es niemandem wehtut. Die Gewerkschaft versuchte eher durch Öffentlichkeitsarbeit und Appelle an das Gewissen der Öffentlichkeit, die eigenen Forderungen durchzudrücken [4]. So blieb die gewerkschaftliche Interessenvertretung in Teilen hinter den Forderungen der Berufsgruppe zurück und genau das warf der DBfK der Gewerkschaft vor: Professionalisierung gehörte einfach nicht auf die Agenda der tarifpolitischen Auseinandersetzung.
1990er-Jahre bis heute: Abbau von Pflegepersonal
Das Gesetz zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz) wurde im Frühjahr 1977 beschlossen und bildete die Grundlage für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (KAiG). Als der Gesetzgeber den Gewerkschaften eine Beteiligung an der KAiG zugestand – den Berufsverbänden aber nicht –, fehlte dieser Blick auf die Profession bedauerlicherweise völlig. Denn der Auftrag an die Konzertierte Aktion war es, Kosten in der Gesundheitsversorgung zu reduzieren.
Irgendwann in diesem Prozess ist dann Anfang der 1990er-Jahre die Pflege-Personalbedarfserhebung PPR (Pflegepersonal-Regelung) zunächst eingeführt und dann wieder kassiert worden, um im weiteren Verlauf den Paradigmenwechsel hin zu den DRG einzuläuten. Damit löste das „Leistungsprinzip“ das bis dahin gültige „Kostendeckungsprinzip“ ab. Der Marburger Bund warf Verdi im September 2005 vor, ihr sei es bei der Ablösung des Bundesangestelltentarifs (BAT) durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) „leider nicht um dringend nötige Einkommenszuwächse der Beschäftigten“ gegangen, sondern um einen „aufkommensneutralen Systemwechsel“, der zu massiven Einkommenseinbußen geführt habe. Schließlich war das Anlass für die angestellten Ärzte, ihre eigene Gewerkschaft zu gründen, mit dem Ziel, deutlichere Einkommensverbesserungen erfolgreich durchzusetzen.
Professionalisierung im Widerspruch zu gewerkschaft- lichen Zielen
Mithin ist der Eindruck zurückgeblieben, dass die fehlende Orientierung an Professionalität in der Pflege dazu beigetragen hat, dass wir heute da sind, wo wir sind. Mit den gewerkschaftlichen Strukturen, die die Pflegeberufe vertreten, gab und gibt es keinen Fürsprecher für einen Professionsansatz neben den Berufsverbänden und den Pflegeberufekammern. Die skizzierten Entwicklungen führten zu einem Abbau von Pflegepersonal in deutschen Kliniken. Zudem gilt es hier, einen über Jahrzehnte aufgelaufenen Rückstand im Professionsverständnis aufzuholen, eine schwere Hypothek für die Pflegeberufekammern.
Die Rolle der Gewerkschaften in der Entwicklung im Gesundheitswesen ist nicht gut beleuchtet. Das verklärt den Einfluss der Gewerkschaften auf die Situation der beruflich Pflegenden, wie wir sie heute vorfinden. Professionalisierung gehört offenbar nicht nur nicht zum Ziel gewerkschaftlicher Anstrengungen – es scheint vielmehr mittlerweile zu einem Abgrenzungsmerkmal zu gehören: Aus einer gewerkschaftlichen Perspektive sind Professionsanstrengungen nachrangig, wenn nicht gar entbehrlich.
[1] Schmidbauer M. Vom „Lazaruskreuz“ zu „Pflege aktuell“. Königstein/Taunus: Ulrike Hellmer Verlag; 2002
[2] Krankenpflege 1983; 37 (11): 361
[3] Krankenpflege 1990: 44 (3): 159–160
[4] Kreutzer S. Vom „Liebesdienst“ zum modernen Frauenberuf. Die Reform der Krankenpflege nach 1945. In: Geschichte und Geschlechter. Bd. 45. Frankfurt/Main: Campus; 2005