• 19.09.2018
  • Management
Situation von Stationsleitungen

"Viel zu wenig gewürdigt"

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 3/2018

Seite 16

Hohe Anforderungen, aber geringer Lohn und wenig Wertschätzung – die Stationsleitung ist im Moment weit von einer attraktiven Karriereposition entfernt. Was muss sich ändern? Wir sprachen mit der ehemaligen Pflegedirektorin des Universitätsklinikums Essen, Frau Irene Maier.
 

Frau Maier, Stationsleitungen nehmen eine ganz wichtige Schlüsselposition im Krankenhaus ein. Warum wird diese Position so schlecht honoriert?

Das ist eine berechtigte Frage und ein Mitgrund dafür, dass diese Position nicht besonders attraktiv ist. Viele Stationsleitungen verdienen nicht viel mehr als vorher, unter Umständen durch den Wegfall der Schicht- oder anderer Zulagen sogar weniger. Dass diese Führungspositionen derzeit nicht angemessen vergütet werden, ist ein klares Versäumnis der Tarifpolitik. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Welche Spielräume haben die Kli-niken selbst, um Stationsleitungen besser zu vergüten?

Es gibt zwar einige Möglichkeiten, aber diese sind begrenzt. Arbeitgeber können versuchen, über Zulagen eine höhere Vergütung zu erreichen, zum Beispiel über eine Bindungszulage, eine Zulage für besondere Aufgabenstellungen oder Überstundenpauschalen. Dieses Procedere ist aber nicht ganz einfach. Es muss gegenüber der Personalabteilung begründet werden, mit dem Finanzvorstand geklärt werden, und letztendlich muss der Personalrat noch zustimmen. Öffentliche Kliniken müssen dabei immer tarifkonform bleiben, sie können also nur im Rahmen der tariflichen Möglichkeiten agieren.

Das klingt nach viel Aufwand. Wo liegt die Lösung?

Es ist dringende Aufgabe der Tarifpolitik, dass die Entgeltgruppen für Führungskräfte im Krankenhaus überarbeitet und modernisiert werden. Im Moment orientieren sie sich ausschließlich an das Unterstellungsverhältnis, das heißt, wie viele Mitarbeiter sind einer Führungsperson zugeordnet. Das ist zwar ein wichtiger Faktor, aber nicht der entscheidende. Aktuelle und zukünftige Aufgabenstellungen, die bei der Stationsleitung liegen, zum Beispiel die Prozesssteuerung und Qualitätssicherung, müssen in der Aufgabenbeschreibung der Entgeltgruppen viel stärker berücksichtigt werden.

Wie ist die Wahrnehmung der Stationsleitung in den Kliniken? Wird sie hier als wichtige Schaltzentrale wahrgenommen?

Nicht immer. Die Bedeutsamkeit der Position wird intern oftmals viel zu wenig gewürdigt. Häufig gilt die Stationsleitung immer noch als der Hausmeister und Seelentröster für alle. Bei jeder ausgefallenen Glühbirne wird sie angerufen und gefragt: „Aber Sie sind doch die Stationsleitung! Warum haben Sie sich nicht darum gekümmert?“ Dabei hat die Stationsleitung eine ganz entscheidende Position im Krankenhaus: Sie ist die Steuerin der Kernprozesse der Patientenversorgung. Sie muss die Mitarbeiter richtig einsetzen, die Abläufe effizient planen, die pflegerische Qualität vorantreiben, die Ausbildung des Nachwuchses sichern. Sie ist Ansprechpartnerin für Patienten und Angehörige, aber auch für andere Berufsgruppen. Das alles macht sie natürlich nicht allein, sondern wird unterstützt von ihrer Vertretung, von Praxisanleitern und Qualitätsbeauftragten. Aber sie ist diejenige, die alle Fäden in der Hand hält.

Die Aufgaben reichen mittlerweile von der Budgetplanung über die Koordination der Pflege bis zur Qualitätssicherung. Gleichzeitig sind Teams mit bis zu 50 oder 60 Mitarbeitern zu führen. Ist es da überhaupt noch möglich, die Pflegequalität voranzubringen oder neue Konzepte umzusetzen?

Doch, das denke ich schon. Stationsleitungen benötigen aber bei der Teamgröße, die Sie ansprechen, eine Vertretung, die ihnen das Alltagsgeschäft abnimmt. Das kann eine Teamleitung oder stellvertretende Stationsleitung sein. Diese Vertretung ist Ansprechpartner für die Mitarbeiter vor Ort und bereitet den Dienstplan vor. Stationsleitungen brauchen Zeit, um konzeptionell arbeiten zu können, Qualitätsanforderungen und Prozesse zu überprüfen, sich um die Personalentwicklung zu kümmern oder Einzelgespräche mit Mitarbeitern in besonderen Situationen zu führen. Dass eine Stationsleitung jeden Tag mit allen 60 Mitarbeitern spricht, ist utopisch.

Viele Stationsleitungen sagen: „Ich würde ja gerne stärker konzeptionell arbeiten, aber im Alltag bin ich überwiegend damit beschäftigt, Personalausfälle zu kompensieren.“ Senkt das nicht auch die Attraktivität der Position?

Natürlich. Es bedeutet auch, immer in einer Bittsteller-Position zu sein und Streicheleinheiten verteilen zu müssen, damit Mitarbeiter einspringen oder Dienste tauschen. Es heißt auch, den Frust aufzufangen, den die Mitarbeiter in solchen Situationen haben. Das kann sehr zermürbend sein. Und es macht chronisch unzufrieden, wenn man täglich das Gefühl hat, nicht die strategischen Aufgaben erledigen zu können, die die eigentliche Arbeit einer Stationsleitung ausmachen. Deshalb ist es so wichtig, dass es eine Ebene unterhalb der Stationsleitung gibt, die sich um Dinge wie Personalausfälle oder Mitarbeiterwünsche bezüglich des Dienstplans kümmert.

Hinzu kommt eine klassische Sandwichposition – mit klaren Forderungen des höheren Managements und steigenden Ansprüchen der Mitarbeiter. Welche Unterstützung brauchen Stationsleitungen, um diesen Spagat hinzubekommen?

Stationsleitungen brauchen ein begleitendes Coaching, um diesen hohen Anforderungen gerecht zu werden. Das sollte zum einen durch ihre direkten Vorgesetzten erfolgen, aber auch durch Externe.

Was können Vorgesetzte, was können Externe leisten?

Vorgesetzte können Hilfestellung in beruflichen Fragestellungen geben, zum Beispiel: Wie kann ich den Dienstplan verbessern? Welche Fortbildungen brauchen die Mitarbeiter? Wie können Teilzeitkräfte besser eingebunden werden? Ein externes Coaching begleitet vor allem bei der Personalführung und fördert eine notwendige Reflexion: Wie erreiche ich eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit? Wie kann ich mein Team besser mitnehmen? Wie gehe ich mit schwierigen Mitarbeitern um? Welche Stärken und Schwächen habe ich als Person? Woran kann ich arbeiten? Sinnvoll sind auch Patenschaften in Form einer kollegialen Beratung. Hier können erfahrene Stationsleitungen junge Leitungskräfte über einen längeren Zeitraum begleiten. Hinter all diesen Maßnahmen sollte ein klares Konzept stehen, um die Führungsqualitäten von Stationsleitungen langfristig zu entwickeln und zu erhalten.

Wird so etwas in Kliniken denn gelebt? Wie war das bei Ihnen am Universitätsklinikum Essen?

Nein, das ist noch nicht Standard in deutschen Kliniken. Es wird aber zunehmend erkannt, wie wichtig eine gute Begleitung dieser Position ist. Bei uns im Uniklinikum Essen haben wir den Stationsleitungen ein externes Coaching angeboten – dieses wurde gerne in Anspruch genommen und als sehr unterstützend erlebt. Auch haben wir einigen Leitungskräften eine Ausbildung zum Supervisor ermöglicht. Das ist hilfreich, da es zum einen die Selbstreflexion verstärkt, aber auch Wissen vermittelt, wie man andere Menschen bestmöglich beraten kann.

Der klassische Weg zur Stationsleitung führt immer noch über eine berufsbegleitende Weiterbildung. Wäre ein Management-Studium nicht der bessere Weg, um den hohen Anforderungen gerecht zu werden?

Auf jeden Fall. Ich würde heute jedem, der eine Management-Laufbahn einschlagen möchte, zu einem Studium raten. Auf diese Weise erwirbt man umfangreiche Management- und Methoden-Kenntnisse, die für eine leitende Funktion immer wichtiger werden. Allerdings passt ein Studium nicht für jeden, zum Beispiel wenn man kleine Kinder hat oder familiär sehr eingebunden ist. Auch wenn man schon die Funktion der Stationsleitung übernommen hat, ist ein Studium nebenbei nicht immer so einfach zu bewerkstelligen. Dann kann eine berufsbegleitende Weiterbildung passender sein – und ist auch ein guter Einstieg, um das Lernen wieder zu lernen. Ein Studium lässt sich nachholen, wenn man wieder mehr persönliche Freiheiten hat. Auch mit 50 ist das noch möglich.

Wie viel Fortbildung ist für weitergebildete Stationsleitungen erforderlich?

Ich würde jeder Stationsleitung empfehlen, an mindestens ein bis zwei Kongressen pro Jahr teilzunehmen, wenn möglich an einem Management- und einem pflegefachlichen Kongress – das ist aus meiner Sicht ein Muss. Es ist sehr wichtig, sich auf dem Laufenden zu halten, um mitdiskutieren und neue Entwicklungen anstoßen zu können. Zudem sollten Stationsleitungen möglichst einmal pro Jahr an einem ein- bis zweitägigen Führungsseminar teilnehmen. Wünschenswert wäre hier, dass die Stationsleitungen auch ein konkretes Projekt mit „nach Hause nehmen“, das sie dann zu einem späteren Zeitpunkt mit der Teilnehmergruppe reflektieren können. Ich vertrete auch die Auffassung, dass Stationsleitungen zu Qualitätsmanagement-Beauftragten ausgebildet werden sollten.

Das alles kostet Zeit und Geld.

Ja, aber es ist absolut lohnenswert, in die dauerhafte Entwicklung von Führungskräften zu investieren. Das kann allen Kliniken nur empfohlen werden, die effiziente Abläufe und zufriedene Führungskräfte möchten.

Viele Stationsleitungen werden aus dem eigenen Team rekrutiert. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Ich persönlich halte das nicht für sinnvoll. Hat man schon sehr lange in einer Abteilung gearbeitet und wird dann Stationsleitung, sind Konflikte vorprogrammiert. In der neuen Rolle muss ich ja lernen, Kritik zu üben, und das Personen gegenüber, die zuvor Kollegen waren. Das kann leicht zu persönlichen Kränkungen führen. Zudem entwickelt man eine gewisse Betriebsblindheit, wenn man lange in einer Abteilung gearbeitet hat, und es fällt schwer, den Blick auf die Helikopter-Ebene zu richten. Ich würde – auch wenn es Ausnahmen geben mag – eindeutig sagen: Wer sich entscheidet, Stationsleitung zu werden, sollte sich auch dafür entscheiden, die Station zu wechseln.

Ich fasse mal kurz zusammen: Stationsleitungen verdienen nicht gut, die Anforderungen steigen, die persönliche Situation im Team kann schwierig sein. Ist es heute wirklich ein guter Karriereschritt, Stationsleitung zu werden? Oder drastischer formuliert: Gehen uns unter diesen Bedingungen nicht bald die Stationsleitungen aus?

Wenn wir nichts ändern, werden wir Nachwuchsprobleme bekommen. Deshalb ist es heute auch so wichtig, eine aktive Laufbahnplanung und kontinuierliche Weiterentwicklung zu betreiben. Das kann auch bedeuten, einer guten Nachwuchskraft ein Studium zu finanzieren. Zudem sind die Arbeitgeber und Tarifpartner gefordert, eine Vergütungspolitik zu verfolgen, die zeitnah realisiert werden muss. Dennoch halte ich die Position der Stationsleitung für ein attraktives Karrierefeld. Viele wagen dann auch den Schritt in die nächste Führungsebene bis in Spitzenpositionen. Aber die Rahmenbedingungen müssen sich verbessern.

Was sind die drei wichtigsten Dinge, die sich ändern müssen, damit die Position der Stationsleitung wirklich eine attraktive Karriereoption wird?

1. Bessere Bezahlung – es muss eine attraktive Gehaltssteigerung für Stationsleitungen geben. 2. Eine zeitliche und finanzielle Unterstützung beim Management-Studium. Und 3. Eine konkrete individualisierte Laufbahnentwicklung für Mitarbeiter. Dazu gehört auch die Fort- und Weiterbildung von Stationsleitungen, inklusive Coaching-Elementen.

Sie sprachen anfangs schon die oftmals geringe Wertschätzung innerhalb des Krankenhauses an. Was muss sich hier tun?

In der betrieblichen Hierarchie des Krankenhauses muss die Stationsleitung deutlicher verankert sein, um Klarheit bezüglich der Wichtigkeit dieser Position zu schaffen. Sie muss gleichrangig zu anderen Führungskräften wie Oberärzten und Dezernenten stehen, damit hier eine Kommunikation auf Augenhöhe möglich ist. Wenn eine Stationsleitung um ein Gespräch mit einem Oberarzt bittet, beispielsweise wegen der Visitenplanung, ist dies eine Kommunikation auf gleicher Ebene – und das muss beiden Seiten klar sein. Die Stationsleitungen haben heute eine Schlüsselposition, die das Unternehmen stabilisiert. Das muss der Unternehmensführung bewusst sein.

Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Maier.

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