Eine verständliche Aufklärung ist die Basis, um im Gesundheitswesen selbstbestimmt Entscheidungen treffen zu können. Doch nicht alle Patienten und Angehörige weisen eine ausreichende Gesundheitskompetenz auf. Pflegende könnten hier eine Schlüsselrolle übernehmen und eine verständliche Information und Beratung vorantreiben.
Die kürzlich veröffentlichte Untersuchung zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland (HLS-GER) zeigt: Mehr als der Hälfte der deutschen Bevölkerung (54,3 %) fällt es schwer, mit gesundheitsrelevanten Informationen umzugehen (Schaeffer et al. 2016). Zugleich zeigen sich soziale Unterschiede: Einige Bevölkerungsgruppen weisen eine besonders niedrige Gesundheitskompetenz auf. Dazu gehören Menschen mit geringem Bildungsniveau, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen im höheren Lebensalter oder chronisch Erkrankte. Beispielsweise berichten mehr als zwei Drittel (72,7 %) der Menschen, die an einer chronischen Krankheit leiden, dass sie erhebliche Probleme im Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen haben. Auch ein Großteil der befragten älteren Menschen (65 +) ist vor ähnliche Schwierigkeiten gestellt (Schaeffer et al. 2016).
Informierte Entscheidungen fallen oft schwer
Als Nutzer des Gesundheitssystems werden Menschen mit vielfältigen Entscheidungssituationen konfrontiert. Bereits bei der Auswahl einer bestimmten Versorgungsform oder der „richtigen“ Pflegeeinrichtung, aber auch bei der Abwägung für oder gegen eine Behandlung oder der Frage, wie die Pflege gestaltet werden soll, stehen Entscheidungen an. Sie informiert zu treffen, fällt ihnen und ihren Angehörigen oft schwer – sei es, weil sie mit zahlreichen und oft schwer überschaubaren Informationen konfrontiert sind, sie Schwierigkeiten haben, Informationen einzuordnen und einzuschätzen, sie einer immer größer werdenden Anbieter- und Informationsvielfalt gegenüberstehen oder die Krankheitssituation für sie physisch und psychisch belastend ist. Dies gilt für alle Bereiche der gesundheitlichen Versorgung – das Akutkrankenhaus, die Rehabilitationseinrichtungen, die stationäre Langzeitpflege oder die häusliche Pflege.
Besonders in der häuslichen Pflege spielt darüber hinaus die Gesundheitskompetenz der Angehörigen eine zentrale Rolle. Sie sind in der Regel die wichtigsten Betreuungspersonen, ohne die eine häusliche Pflege kaum gelingen kann. Um die mit einer häuslichen Pflege verbundenen Aufgaben wahrnehmen zu können, benötigen auch sie Gesundheitskompetenz. Sie kann jedoch keineswegs durchgängig vorausgesetzt werden.
Gesundheitskompetenz braucht Förderung
Um die Gesundheitskompetenz zu stärken, braucht es ein mehrgleisiges Vorgehen (s. Abb. 1):
Erstens sind Maßnahmen zur Verbesserung gesundheitsrelevanter Information erforderlich. Dazu gehört unter anderem die Erstellung von leicht verständlichen und verlässlichen Informationen, die qualitätsgesichert sind, stärker auf visuelles Material setzen und sich einfacher Sprache bedienen etc. (Schaeffer et al. 2016).
Wichtig ist ebenso, die persön- liche Gesundheitskompetenz der Nutzer zu stärken. Dazu gehört die systematische Bereitstellung und Vermittlung von Informationen, die Patienten und Angehörige befähigen, selbstbestimmte gesundheitliche Entscheidungen fällen zu können. Lebensweltorientierte Informationsstrategien, die auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten sind und Verbesserung der Kommunikation können den Umgang mit gesundheitsbezogener Information erleichtern.
Erforderlich sind außerdem verhältnisorientierte beziehungsweise strukturelle Interventionen, die darauf zielen, das Gesundheitssystem nutzerfreundlicher und „gesundheitskompetenter“ zu gestalten. Dazu gehört zum Beispiel, die Organisationen und Einrichtungen des Gesundheitswesens und der Pflege so zu verändern, dass sie Patienten und Angehörigen Umgang mit gesundheitsbezogenen Informationen erleichtern und generell den Erwerb von Gesundheitskompetenz fördern. Organisationale Gesundheitskompetenz kann durch Veränderung der Organisationskultur, des Führungsstils, der Gestaltung der Einrichtung und der Personalpolitik erfolgen. Sie umfasst beispielsweise
- eine nutzerfreundliche Umgebungsgestaltung, zum Beispiel durch Patientenleitsysteme,
- die Qualifizierung von Personal, zum Beispiel in Kommunikationstechniken,
- die Integration des Konzepts in Organisationsabläufe, zum Beispiel durch eine Verbesserung des Entlassungsmanagements oder
- die Schaffung kommunikations- und informationsfreundlicher Rahmenbedingungen.
Zugleich ist notwendig, die Gesundheitsprofessionen für das Thema Gesundheitskompetenz zu sensibilisieren und zu zeigen, wie wichtig diese für das Gesundheitsverhalten und den Gesundheitsstatus ist. Ärzte, Pflegende, Physiotherapeuten und andere Gesundheitsberufe sollten in die Lage versetzt werden, frühzeitig spezifische Bedarfe an Information oder Anleitung zu identifizieren und diesen mit individuell angepasster, nutzerfreundlicher Kommunikation und Information zu begegnen.
Pflege kann Schlüsselrolle übernehmen
Die Förderung der Gesundheitskompetenz stellt eine zukünftig wichtige gesellschaftliche Aufgabe dar (WHO 2016). Der Pflege kann dabei – so die internationale Diskussion (Speros 2011) – eine Schlüsselrolle zukommen. Denn einerseits steht sie in intensivem und vertrauensvollem Kontakt zu Patienten, andererseits ist sie in allen Bereichen des Gesundheitssystems präsent, auch und besonders in der Langzeitversorgung. Deshalb ist die Pflege ein wichtiger Partner bei der Förderung der Gesundheitskompetenz.
Pflegende sind schon jetzt wichtige Ansprechpartner und Informationsinstanz im Gesundheitssystem: Sie „übersetzen“ beispielsweise die ärztliche Fachsprache laienverständlich, erläutern Diagnosen, Therapien oder mögliche Eingriffe oder erklären Rechte, Zuständigkeiten oder Informationswege. Ebenfalls sind es die Pflegenden, die den Übergang von Patienten in andere Versorgungsformen an unterschiedlichen Schnittstellen begleiten und Patienten und Angehörige im Umgang mit gesundheitsbezogener Information unterstützen – auch dabei, informierte gesundheitliche Entscheidungen zu treffen.
Als gesundheitskompetente Pflegende könnten sie Pionierfunktionen übernehmen. Ziel ist dabei die gemeinsame Entscheidungsfindung, bei der der Patient als Partner verstanden wird. Durch diese Art der Interaktion kann die Unabhängigkeit und Selbstmanagementfähigkeit des Patienten gesteigert und der kritische Umgang mit Gesundheitsinformationen gefördert werden.
Die nächsten Schritte
Die hohe Bedeutung von Gesundheitskompetenz wird in Deutschland zunehmend erkannt und erhält politisch verstärkt Aufmerksamkeit. Um die Förderung von Gesundheitskompetenz deutschlandweit voranzutreiben, werden derzeit drei konkrete Schritte unternommen: So hat die Universität Bielefeld in Kooperation mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eine Material- und Methodensammlung herausgegeben, die unterschiedliche Professionen beim Umgang mit Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz unterstützen soll (s. Kasten). In der Sammlung werden Methoden zum Erkennen geringer Gesundheitskompetenz, zur Erstellung von Gesundheitsinformationen und zur Verbesserung der Gesprächsführung sowie Verfahren der Organisationsentwicklung vorgestellt. Die Material- und Methodensammlung verschafft auch einen Überblick über international erprobte Gesprächstechniken, die helfen sollen, Menschen zu befähigen, gesundheitsrelevante Informationen besser zu verstehen, zu bewerten und auf ihre persönliche Situation zu übertragen.
Außerdem ist die Gründung einer „Allianz Gesundheitskompetenz“ durch das Bundesministerium für Gesundheit geplant. Diese Allianz soll die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland fördern, indem Information und Kommunikation im Gesundheitswesen verbessert werden, aber auch durch strukturelle Maßnahmen.
Schließlich wird aktuell (mit Förderung durch die Robert Bosch Stiftung) ein Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz erarbeitet. Der Plan wird von einem Expertengremium erstellt und steht unter der Schirmherrschaft von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe. Der Plan enthält Empfehlungen, wie die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland verbessert werden kann, und macht Vorschläge, wie diese Empfehlungen auf politischer, wissenschaftlicher und praktischer Ebene umgesetzt werden können. Der Plan wird nun in einem umfangreichen Konsentierungsverfahren zur Diskussion gestellt und Anfang 2018 auf einer Tagung einer breiten Fachöffentlichkeit vorgestellt.
Gesundheitskompetenz – eine Chance für die Pflege
Die Förderung der Gesundheitskompetenz stellt eine künftig wichtige Aufgabe dar, die für die Pflege große Chancen bietet. Entscheidend wird aber sein, ob die Pflegenden bereit sind, sich intensiver auf diesem Gebiet zu engagieren und ob die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden können, die es der Pflege ermöglichen, eine tragende Rolle bei der Stärkung von Gesundheitskompetenz einzunehmen.
Was ist Gesundheitskompetenz?
Gesundheitskompetenz ist die Übersetzung des englischen Begriffs „Health literacy“ und bezeichnet „das Wissen sowie die Motivation und die Fähigkeiten von Menschen, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag in gesundheitsrelevanten Bereichen Entscheidungen treffen zu können“ (Sørensen et al. 2012: 3).
Beeinflusst werden diese Fähigkeiten durch:
a) die persönlichen Voraussetzungen und Ressourcen jedes Einzelnen, zum Beispiel Wissensstand, persönliche Einstellungen und
b) die strukturellen Bedingungen, zum Beispiel die Komplexität von Informationen.
Ist die Gesundheitskompetenz eingeschränkt, geht dies häufig mit einer schlechteren Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes, ungesundem Verhalten und einer inadäquaten Nutzung des Gesundheitssystems einher (Schaeffer et al. 2016).
Kernmaßnahmen zur Stärkung von Gesundheitskompetenz
(Abb. 1)
- Verbesserung von gesundheitsrelevanter Information
- Stärkung der persönlichen Gesundheitskompetenz
- Verbesserung kommunikativer Kompetenzen der Gesundheitsprofessionen – und -organisationen (Schaeffer et al. 2016)
Download-Tipp
Die Material- und Methodensammlung "Gesundheitskompetenz – verständlich informieren und beraten" stellt 24 international erprobte Materialien und Methoden zusammen, die sich an Abläufen in der Praxis orientieren und sich unterschiedlichen Schwerpunkten widmen.
Neben nötigen Kenntnissen zum Konzept werden Methoden zum Erkennen einer geringen Gesundheitskompetenz, Hinweise zur Erstellung von Gesundheitsinformatio-nen, Strategien zur Verbesserung der Gesprächsführung und Verfahren der Organisationsentwicklung vorgestellt.
Ewers, M.; Schaeffer, D.; Meleis, AI. (2017): „Teach more, do less“ – Förderung von Health Literacy als Aufgabe der Pflege. In: Schaeffer D./Pelikan J.M. (Hrsg.): Health Literacy: Forschungsstand und Perspektiven. Bern: Hogrefe, 237–257
Schaeffer, D.; Vogt, D.; Berens, E-M.; Hurrelmann, K. (2016): Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland – Ergebnisbericht. Bielefeld: Uni Bielefeld
Schmidt-Kaehler, S.; Vogt, D.; Berens, E.-M.; Horn, A.; Schaeffer, D. (2017): Gesundheitskompetenz: Verständlich informieren und beraten. Material- und Methodensammlung zur Verbraucher- und Patientenberatung für Zielgruppen mit geringer Gesundheitskompetenz. Bielefeld: Universität Bielefeld
Sørensen, K./Van den Broucke, S./Fullam, J./Doyle, G./Pelikan, J./Slonska, Z./Brand, H./European Consortium Health Literacy Project (2012): Health literacy and public health: A systematic review and integration of definitions and models, BMC Public Health, 12, 80.
Speros, C.I. (2011): Promotiong Health Literacy: A Nursing Imperative. Nursing Clinics North America 46(3): 321–333.
WHO (2016): Gesundheitskompetenz. Die Fakten. Online verfügbar: aok-bv.de/im peria/md/aokbv/gesundheitskompetenz/who_health_literacy_fakten_deutsch.pdf (Stand: 12. April 2017).
Das Autoren-Team: Dr. Heide Weishaar, Svea Gille, Dr. Eva-Maria Berens, Dominique Vogt, Dr. Annett Horn, Prof. Dr. Doris Schaeffer