• 01.01.2014
  • Praxis
Stomaversorgung in der Rehabilitation

Viel mehr als nur "Beutel kleben"

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 1/2014

Stomaversorgung in der Rehabilitation. Für den Stomaträger bedeutet die Stomaanlage eine tief‧greifende Veränderung. Sie wirkt sich auf elementare Alltagsbereiche wie den Beruf, das gesellschaftliche Leben und die Sexualität aus. Die Lebensqualität hängt damit maßgeblich vom Beratungserfolg ab. Denn einem gut informierten und angeleiteten Patienten und seinen Angehörigen fällt es sehr viel leichter, mit der neuen Lebenssituation umzugehen. 

 

Nach dem Aufenthalt in einem Akutkrankenhaus wird der Patient entweder in die häusliche Versorgung entlassen, wo er von HomeCare-Unternehmen, Sanitätshäusern oder anderen Einrichtungen betreut wird, oder in eine onkologische Rehabilitation. Dort kann – sofern Stomatherapeuten vorhanden sind – auf die speziellen Bedürfnisse der Stomaträger eingegangen werden.
In der BRK Schlossbergklinik Oberstaufen, einer onkologischen Fachklinik mit Akut- und Rehabereich, werden im Jahr über 400 Stomapatienten behandelt (Ileo-, Colo- und Urostomien sowie Fistelungen aller Art). Dies geschieht durch zwei ausgebildete Stomatherapeuten innerhalb eines interdisziplinären Teams.

In der Akutklinik fehlt häufig Zeit für Beratung

Akutpatienten sind oft noch geschockt von der Diagnose Krebs. Fragen zur weiteren Behandlung, zu Möglichkeiten der Bewältigung sowie die Angst vor Pflegebedürftigkeit, Schmerzen und Tod beschäftigen den Betroffenen. Die Notwendigkeit eines künstlichen Darm- oder Blasenausgangs wird von vielen als zusätzliche Hiobsbotschaft empfunden. Durch die zum Teil kurze Liegedauer sind nur wenige Versorgungswechsel in der Akutklinik möglich, das heißt, es bleibt wenig Zeit zum Anlernen der Selbstversorgung des Stomas.
Gleichzeitig fehlt häufig noch der Bezug zum Stoma. Es kann vorkommen, dass Patienten bei Antritt der Reha noch nicht den Mut hatten, ihr Stoma anzusehen. Daher ist es verständlich, dass der Patient noch nicht in der Lage ist zu erkennen, ob das Stoma und die parastomale Haut unauffällig sind oder ob bereits eine Komplikation vorhanden ist. Vor der Operation beziehungsweise nach Anlage des künstlichen Ausgangs bekommen die Patienten sehr viele Informationen. Nicht alle können diese aufnehmen und verarbeiten, da der Schock der Diagnose und der Stomaanlage bisweilen zu tief sitzt.

Das Stoma akzeptieren lernen

Die onkologische Rehabilitation dient der Behandlung von Gesundheits- und Funktionsstörungen. Ziel ist es, die Gesundheit, Aktivität und berufliche Leistungsfähigkeit des Patienten wieder herzustellen. Durch gezielte Therapiemaßnahmen für Körper und Seele sowie im sozialen Bereich soll die Lebensqualität verbessert werden.
Für die Stomaversorgung ergeben sich daraus folgende Implikationen: Große Aufmerksamkeit ist dem veränderten Körperbild zu widmen. Vor der Operation war der Körper unversehrt. Nun befinden sich Narben, manchmal Wundheilungsstörungen am Körper. Die Ausscheidungen, die zuvor diskret und kaum einsehbar den Körper verlassen haben, werden nun sicht- und riechbar in einem „Säckchen“ am Bauch aufgefangen und gesammelt. Ekel kann eine Folge davon sein, ebenso die Angst, dass die Mitmenschen es sehen, hören oder riechen können.
Der größte „GAU“ ist die Angst vor Geruch, Ablösen und Unterwanderungen in Öffentlichkeit, Familie oder Freundeskreis. Es ist essentiell, auf die Ängste der Betroffenen einzugehen, sie ernst zu nehmen und Verständnis dafür zu entwickeln. Stomapflege bedeutet viel mehr als nur „Beutel kleben“. Die Psyche dieser Patienten ist sehr sensibel.

Komplikationen rechtzeitig erkennen

Das frühe Erkennen von Komplikationen ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Rehabilitation. Je früher eine Komplikation identifiziert wird, desto weniger ausgeprägt wird sie. Oft genügen schon kleine Veränderungen der Stomaversorgung, um die Komplikation zu behandeln.
Das Stoma kann sich innerhalb der ersten sechs Monate verkleinern. Besonders in den ersten Wochen ist dieser Vorgang durch Rückgang des am Anfang bestehenden Stomaödems und durch Narbeneinzug zu beobachten. Daher muss in dieser Zeit das Stoma besonders beobachtet und gegebenenfalls die Stomaversorgung angepasst werden.
Die Anforderungen an die Versorgung ändern sich auch dahingehend, dass der Patient aktiver wird und wieder am sozialen Leben teilnimmt. Hat eine Versorgung im Liegen und Gehen noch ohne Probleme gehalten, kann sich dies bei vermehrter Bewegung und Schweißbildung schnell ändern. Hier sind Experten gefragt, das für den Stomaträger passende System zu finden: Es sollte den Patienten weder in seinen Bewegungen einschränken noch durch Ablösen undicht werden. Diskretion ist eine weitere bedeutende Eigenschaft – weder Gerüche, Geräusche noch Abzeichnen auf der Kleidung sollten auf das Stoma hinweisen. Dank der vielen verschiedenen modernen Stomaversorgungen kann diesen Bedingungen in den meisten Fällen Rechnung getragen werden.
Erkennen, wann fachliche Hilfe notwendig ist, ist eine weitere Kompetenz, die sich der Patient aneignen muss. Nur wenn er weiß, wie ein komplikationsloses Stoma aussieht, kann er einschätzen, wann er sich an einen Arzt oder Stomatherapeuten wenden muss. Ebenso muss der Stomapatient dazu angehalten werden, seine Ausscheidung zu beobachten und bei Bedarf zu regulieren. Hat der Patient dies gelernt, können Komplikationen oft schon im Anfangsstadium behandelt und behoben werden.
Eine Erhebung unter Stomapatienten der Schlossbergklinik im Zeitraum von Januar 2013 bis Mai 2013 hat ergeben, welche das Stoma betreffenden Faktoren aus Patientensicht für seine Rehabilitation vorrangig sind (Abb. 1).

Trainingsprogramm hilft, das Stoma selbst zu versorgen

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, wurde an der BRK Schlossbergklinik Oberstaufen ein spezielles Trainingsprogramm entwickelt. Großes Augenmerk wird dabei auf die Vermittlung der Selbstversorgung des Stomas gelegt. Ziel ist, dass jeder Stomaträger die größtmögliche Selbstständigkeit im Umgang mit seinem Stoma erlernt. Dazu muss auf die jeweiligen körper‧lichen und psychischen Einschränkungen eingegangen werden. So schließt zum Beispiel eine Einschränkung des Sehvermögens oder der Sensibilität der Hände nicht unbedingt die Selbstversorgung aus. Es ist darauf zu achten, dass wenn zum Beispiel nur eine Hand greifen kann, der Versorgungswechsel auch einhändig vorgeführt wird. Motivation, Behutsamkeit und Ermutigung durch den Therapeuten helfen dem Betroffenen dabei, im eigenen Tempo zu lernen und Schritt für Schritt Vertrauen in die Situation zu fassen.
Die moderne Hilfsmittelindustrie bietet Stomaträgern eine große Auswahl. Damit der Patient entscheiden kann, welches für ihn sinnvoll ist, benötigt er eingehende Aufklärung über Wirkung, Nutzen und Nachteile. So kann zum Beispiel ein Fixierstreifen in manchen Fällen das vorzeitige Ablösen verhindern, in anderen Fällen dagegen ist er lediglich ein zusätzlicher Kostenfaktor ohne praktischen Nutzen. Da viele Hilfsmittel von den Kostenträgern nicht übernommen werden, zählt eine profunde Hilfsmittelinformation zu den Aufgaben der Stomatherapeuten. Nur so kann der Patient mitentscheiden, ob er ein bestimmtes Hilfsmittel verwenden oder auf Alternativen zurückgreifen möchte.
Für Patienten mit einem Colostoma gibt es die Möglichkeit der Irrigation. Diese enthebt den Darm nicht seiner Funktion, sondern unterstützt und verstärkt die natürliche Entleerungsfunktion des Dickdarms ohne Gewöhnungseffekt, wie dies zum Beispiel bei regelmäßiger und dauerhafter Einnahme von Abführmitteln der Fall ist. Diese Art der Versorgung ist sehr diskret und erhöht dadurch die Lebensqualität des Betroffenen. Die Irrigation können die Patienten nach ärztlicher Anordnung während des Reha-Aufenthaltes erlernen. Der Darm wird über das Stoma mit Wasser „berieselt“, sodass über die Dehnungsrezeptoren im Darm eine Massenperistaltik ausgelöst wird. Danach ist der Patient 24 bis 48 Stunden ausscheidungsfrei, Darmgase werden reduziert. Aus ärztlicher Sicht kann bereits zwei bis drei Wochen nach der Operation, sobald das Stoma gut eingeheilt ist, mit der Irrigation begonnen werden.
Eine weitere Maßnahme zur Verbesserung der Lebensqualität ist das Training der Sicherheit im Alltag. Damit Vertrauen in die Versorgung gewonnen wird, muss der Patient so viele praktische Erfahrungen wie möglich machen. Die Rehabilitation bietet ein sicheres, geschütztes Umfeld, in dem der Patient verschiedene Situationen ausprobieren kann wie Schwimmen, Gymnastik, Wandern oder der Besuch eines öffentlichen Cafés.

Ziel: größtmögliche Selbstständigkeit

Eine frühe, größtmögliche Selbstständigkeit des Betroffenen ist das Ziel aller Maßnahmen – sowohl im Umgang mit dem Stoma als auch in der korrekten Einschätzung komplikationsrelevanter Veränderungen der stomaumgebenden Haut oder der künstlichen Harn-/Stuhlableitung.
Dafür spielt auch die Überleitung an den Nachversorger eine wichtige Rolle. Bei Entlassung aus der Reha-Klinik muss die weitere Versorgung gesichert sein. Diese umfasst sowohl die rechtzeitige Belieferung mit Stoma-Material als auch die fachliche Unterstützung zu Hause. Um dies sicherzustellen, werden im Rahmen eines Abschlussgespräches ein Entlassungsbrief verfasst sowie eine Übergabe an den weiterbehandelnden Arzt und Nachversorger durchgeführt.

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