Im Mittelalter (500–1500 n. Chr.) vollzogen sich für die Heilkunde weitreichende Veränderungen. Die Gründung der ersten Universitäten zementierte die Trennung von Medizin und Pflege sowie die Unterordnung pflegender Frauen. Großen Einfluss auf die Entwicklung der pflegerischen Versorgung kranker Menschen hatte die Entstehung von Klöstern und Ordensgemeinschaften.
Der Untergang des Römischen Reiches im fünften Jahrhundert hatte zur Folge, dass ein großer Teil des in der Antike gesammelten medizinischen Wissens verloren ging. Es begann eine neue Ära – die des Mittelalters. In die rund 1 000-jährige Epoche zwischen Antike und Neuzeit fallen schreckliche Geschehnisse wie die Ausbreitung der Pest sowie die verheerenden Auswirkungen der Kreuzzüge und des Hundertjährigen Krieges. Da Krankheit, Sterben, Unterdrückung und Gewalt an der Tagesordnung standen, wird das Mittelalter heute oft als dunkle Zeit in Europa bezeichnet. Nicht vergessen werden darf dabei jedoch, dass sich auch wegweisende Entwicklungen vollzogen – etwa das Erblühen der Städte und die Gründung der ersten Universitäten.
Hildegard von Bingen
Hildegard von Bingen (1098–1179) war Benediktinerin, Dichterin und eine bedeutende Universalgelehrte ihrer Zeit. Neben zahlreichen geistlichen Schriften hinterließ sie ein bedeutsames medizinisches Werk. Die Leistung Hildegard von Bingens liegt unter anderem darin, dass sie das damalige Wissen über Krankheiten und Pflanzen aus der griechisch-lateinischen Tradition mit dem der Volksmedizin zusammenbrachte. Zudem verfasste sie Ansichten über die Entstehung von Krankheiten, Körperlichkeit und Sexualität. Eigene medizinische Verfahren entwickelte sie nicht, sondern trug bereits bekannte Behandlungsmethoden aus verschiedenen Quellen ‧zusammen. Die heilkundlichen Schriften Hildegard von Bingens sind ganz davon geprägt, dass Heilung des kranken Menschen allein von der Hinwendung zum Glauben, der allein gute Werke und eine maßvolle Lebensordnung hervorbringe, ausgehen könne.
Kranke wurden in Klöstern gepflegt
Ab 500 n. Chr. entstanden an vielen Orten Europas Klöster, die sich schnell zu Zentren des gesellschaftlichen Lebens entwickelten. Klöster waren damit weitaus mehr als religiöse Orte: Vielmehr waren sie ein fester und wichtiger Bestandteil des gesamten europäischen Feudalsystems. Klöster nahmen Reisende auf, verliehen Geld wie heute Banken und kümmerten sich um Kranke. Hierfür gab es spezielle Pflege- und Behandlungszimmer. Auch die medizinische Ausbildung erfolgte fortan in Klöstern.
Mönche und Nonnen praktizierten Landwirtschaft und Pflanzenzucht. In Klostergärten entwickelten sie Kräuter und Arzneien, die sie an die Menschen weitergaben. Bei der Ausführung heilkundlicher Tätigkeiten wurde oft auf das Wissen der Antike zurückgegriffen. Mönche sammelten medizinische Fakten und übersetzten antike Texte aus dem Griechischen, Lateinischen und Arabischen. Eine wichtige Vertreterin der sogenannten Klostermedizin ist Hildegard von Bingen.
In den folgenden Jahrzehnten wurden vereinzelt Hospitäler gegründet, in denen Arme, Kranke und Hilfsbedürftige gepflegt und behandelt wurden. Mönche und Nonnen waren hier gleichzeitig als Pflegende und Heilkundige tätig. Diese Einrichtungen sind weniger als Krankenhäuser im heutigen Sinne zu verstehen, sondern am ehesten mit Pflegeheimen zu vergleichen. Das älteste und bekannteste Hospital war das Hôtel-Dieu in Paris. Es wurde im Jahr 651 von dem Pariser Bischof Landericus, in unmittelbarer Umgebung der Kathedrale Notre Dame, als bescheidene Herberge gegründet. Das für die damalige Zeit bedeutendste Hospital in Deutschland war das Heilig-Geist-Hospital in Lübeck. Die ärztliche Versorgung spielte in den Hospitälern, wie nahezu im gesamten Mittelalter, eine eher untergeordnete Rolle. Der Grund: Aus den Ärzten und Chirurgen der Antike waren inzwischen Priester- und Mönchsärzte geworden. Da chirurgische Eingriffe mit hohen Risiken verbunden waren, hatte die Kirche ihren Geistlichen sämtliche blutigen Interventionen verboten. Ein durch eine Operation verschuldeter Tod hätte unweigerlich den Entzug des Priesteramtes nach sich gezogen.
KRANKHEITEN IM MITTELALTER
Im Spätmittelalter nahm die Bevölkerungszahl besonders in Städten sprunghaft zu, Wirtschaft und Handel erblühten. Dies hatte folgenschwere Auswirkungen für die Gesundheitsversorgung, deren Aufrechterhaltung immer schwieriger wurde. Gerade in den europäischen Ballungszentren breiteten sich Krankheiten wie Syphilis, Lepra und Pocken rasant aus. Überdurchschnittlich viele Menschen fielen der Pest, dem sogenannten Schwarzen Tod, zum Opfer. Im Mittelalter lauerte der Tod immer und überall. Das Durchschnittsalter betrug etwa 35 Jahre, mit 50 Jahren war man ein alter Greis.
Aus dem Klosterleben entwickelten sich im Laufe der Zeit verschiedene Ordensgemeinschaften, die nach den Gelübden der Armut, Keuschheit und des Gehorsams ein spirituelles Leben in Gemeinschaft führten. Die wichtigsten Orden des Mittelalters waren die Benediktiner, Zisterzienser, Franziskaner und Augustiner. Vor allem die weiblichen Mitglieder widmeten sich der Fürsorge und Pflege kranker, alter und bedürftiger Menschen. Die Behandlung muss als äußerst bescheiden bezeichnet werden. Auf der anderen Seite existierten in einzelnen Orden feste Regeln für die Versorgung kranker Brüder. Das belegen beispielsweise Überlieferungen des Benediktinerordens, die im italienischen Kloster Monte Cassino lebten. In den berühmt gewordenen Regula heißt es: „Um die Kranken soll man vor allem und über alles besorgt sein. Man diene ihnen so, wie wenn man wirklich Christus dienen würde. Er selbst hat ja gesagt, ich war krank, und ihr habt mich besucht, was ihr einem dieser Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan.“
Ritterorden entstanden
Zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert machten sich Heerscharen von Kreuzrittern auf den Weg in den Nahen Osten. Das Ziel: die Heilige Stadt Jerusalem. Die sogenannten Kreuzzüge waren zum einen Pilgerfahrten zu den heiligen Stätten Palästinas, zum anderen dienten sie der Verteidigung des christlichen Glaubens gegen die militärische Unterwerfung und Besiedlung christlicher Gebiete durch arabisch-muslimische Eroberer im Nahen Osten, in Nordafrika, Italien, Spanien und Portugal.
638 stand Jerusalem unter muslimischer Herrschaft. Von christlicher Seite wurde die Eroberung des Heiligen Landes als Rückeroberung und als ein Akt der Verteidigung des Christentums betrachtet. Durch die Unterstützung der Kirche wurden diese religiös motivierten Kriege bekräftigt und angeführt. Die Rückeroberung Jerusalems durch die Kreuzritter gelang im Jahr 1099 – verbunden mit bestialischen Abschlachtungen der Bevölkerung sowie ungezügelten Plünderungen muslimischer und jüdischer Heiligtümer.
Während der Zeit der Kreuzzüge entstanden verschiedene Ritterorden. Der bekannteste war jener der Johanniter. Zu großer Bekanntheit gelangte auch der Malteserorden, der aufgrund einer Abspaltung bestimmter Teile des Johanniterordens entstand, die sich auf der Insel Malta ansiedelten. Eine der wesentlichen Aufgaben der Ritterorden war die Pflege der Pilger ins Heilige Land. Hierbei wirkten teilweise auch Schwesternschaften mit.
Die sogenannten Beginen stellten im Spätmittelalter eine weitere bedeutsame Pflegegemeinschaft dar. Die Bewegung lässt sich erstmals zu Beginn des 13. Jahrhunderts in Flandern nachweisen. Ihre Mitglieder, Frauen wie Männer, führten ein frommes, eheloses Leben in ordensähnlichen Hausgemeinschaften, die Beginenhöfe genannt wurden. Die Beginen kümmerten sich vorrangig um die Fürsorge armer und kranker Menschen. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt lag in der Hauskrankenpflege. Wegen ihrer Unabhängigkeit von der Kirche wurden die Beginen von dieser gebrandmarkt und verfolgt.
Arzttätigkeit war Männern vorbehalten
Im 12. und 13. Jahrhundert entstanden – zuerst in Italien, später in Frankreich – mit den Universitäten eine neue Form von Bildungsstätten. Teilweise gingen sie aus Klosterschulen hervor – wie etwa im Fall der Schule von Salerno, in der sich Männer und Frauen ab 1140 als Ärzte ausbilden lassen konnten. Das Medizinstudium in Salerno, einer malerischen Stadt in Süditalien, dauerte fünf Jahre und schloss mit einem praktischen Jahr ab.
Besonders die Universitäten in Paris, Bologna und Padua gewannen für die Medizin schnell an Bedeutung. Frauen waren zum Medizinstudium anfangs zwar zugelassen, allerdings wurde ihnen die Approbation untersagt. Dies bedeutete, dass die ärztliche Berufsausübung Männern vorbehalten war und Frauen nur noch in der Krankenpflege tätig sein konnten. Ausbildungsverordnungen für die Pflege kranker Menschen wurden gleichzeitig nicht auf den Weg gebracht. Dies zementierte endgültig die Trennung zwischen Medizin und Pflege sowie die strikte Unterordnung pflegender Frauen, was die Gesundheitsversorgung bis in die heutige Zeit in negativer Weise prägt.
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