• 01.06.2011
  • Bildung
Pflegeausbildung in Teilzeit

"Man muss Prioritäten setzen"

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 6/2011

Um auch Frauen mit Kindern eine berufliche Qualifizierung in der Pflege zu ermöglichen, startete an der Schule für Gesundheitsberufe des Klinikverbundes Südwest im April 2010 ein besonderes Ausbildungskonzept: die vierjährige Teilzeitausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege. Nach rund einem Jahr Ausbildung berichten die „Teilzeitschülerinnen“ nun erstmals über ihre bisherigen Erfahrungen.

Es ist davon auszugehen, dass der jetzt schon spürbare Mangel an Auszubildenden und Fachkräften in der Pflege in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Die Sicherung des Pflegenachwuchses spielt für Krankenhäuser daher eine immer wichtigere Rolle. Eine Teilzeitausbildung in der Pflege, wie im letzten Jahr an der Schule für Gesundheitsberufe des Klinikverbundes Südwest gestartet, kann einen Beitrag dazu leisten, diese Situation zu verbessern. Denn mit dieser neuen Ausbildungsform wird auch Frauen mit familiären Verpflichtungen die Möglichkeit gegeben, sich für eine Berufstätigkeit in der Krankenpflege zu qualifizieren.

Wie ist die Teilzeitausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege am Klinikverbund Südwest organisiert? Der theoretische Unterricht erfolgt für die Teilzeitschüler ebenso wie für die Vollzeitschüler in Theorieblöcken. Allerdings sind die Unterrichtszeiten auf die Schul- beziehungsweise Betreuungszeiten der Kinder der Auszubildenden angepasst, und der Unterricht findet jeweils von acht bis 13 Uhr statt.

Das für die dreijährige Ausbildung konzipierte modulare Curriculum gilt ebenfalls für die vierjährige Teilzeitausbildung, da die Ausbildungsinhalte unabhängig von der Ausbildungsdauer sind. In der Praxis arbeiten die Teilzeitschülerinnen volle Schichten. Die praktischen Einsatzorte sind in der Teilzeitausbildung genauso organisiert wie in der dreijährigen Ausbildung, damit die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Einsätze sind insgesamt aber länger, da die Wochenarbeitszeit auf 75 Prozent reduziert ist.

Bisherige Erfahrungen sind ermutigend
Ein Jahr „Teilzeit-Ausbildung“ ist nun vorüber – wie lautet das vorläufige Fazit der Auszubildenden und Lehrerenden, die an dieser innovativen Form der Pflegeausbildung beteiligt sind?

Prioritäten setzen
Die wichtigste und von allen Schülerinnen einvernehmlich geteilte Aussage zur Teilzeitausbildung lautet: „Ohne Prioritäten zu setzen, kann man diese Ausbildung nicht durchstehen und erfolgreich absolvieren.“ Dies bezieht sich auf das Lernen im Theorieblock, aber auch auf die Praxisphase. „Wenn ich nach dem Unterricht oder dem Dienst nach Hause komme, läuft in der Familie, bei den Kindern so viel, da muss ich bewusst Prioritäten setzen und mir Freiräume schaffen, damit ich Zeit zum Lernen, aber auch zum Erholen habe“, sagt eine der Schülerinnen.

Teilzeitkonzept hilft bei der Organisation des Familienlebens
Dass der Unterricht nur bis 13 Uhr dauert, empfinden die Schülerinnen als sehr hilfreich, da sich so das Familienleben besser organisieren lässt. Dass die Schülerinnen in den Praxiseinsätzen auf den Stationen jeweils volle Schichten arbeiten, wird als grundsätzlich gut empfunden, da sie so weniger in die Gefahr geraten, als Aushilfskraft angesehen zu werden. Bei der Urlaubsplanung finden die Zeiten der Sommer- und Weihnachtsferien besondere Berücksichtigung, da sich in diesen Zeiträumen ansonsten die Kinderbetreuung nicht immer einfach gestalten ließe. Im Frühjahr 2011 hatten die Schülerinnen erstmals eine sogenannte „Heimlernwoche“ – sie erhielten einen definierten Lernauftrag für ein großes Thema und lernten selbstorganisiert zu Hause. Die Lernergebnisse wurden in der darauffolgenden Woche ausgewertet.

Auszubildenden werden kritisch beäugt
Als Pioniere dieser neuen Ausbildungsform wurden die Schülerinnen mit vielen kritischen und neugierigen Fragen konfrontiert: Warum braucht man überhaupt eine vierjährige Teilzeit-Ausbildung? Wird man trotzdem eine „richtige“ examinierte Pflegekraft? Dürfen die Teilzeitschülerinnen die gleichen Pflegemaßnahmen durchführen wie Vollzeitschüler? Müssen sie das gleiche lernen? „Als Pionier wird man immer kritisch beäugt“, meint eine der Schülerinnen des Teilzeitkurses gelassen. „Wir erklären es eben immer wieder.“ Manche der Teilzeitschülerinnen berichteten auch über Unsicherheiten und Berührungsängste der „jüngeren“ Pflegekräfte im Umgang mit den „älteren“ Auszubildenden, die sie anleiten sollen. Hier ist insbesondere von den Teilzeitschülerinnen immer wieder viel soziale Kompetenz gefragt.

Überdurchschnittlich hohe Leistungsbereitschaft
Was für die Lehrenden immer wieder sehr auffällig war: Die Schülerinnen des Teilzeitkurses absolvieren ihre Ausbildung mit einer überdurchschnittlich hohen Ernsthaftigkeit und haben einen sehr hohen Anspruch an das eigene Leistungsvermögen. Viele begreifen diese Form der Ausbildung als letzte Chance, den Traumberuf Krankenschwester doch noch zu erlernen – trotz Familie und „höherem Alter“. Die Lebenserfahrung, die sie mitbringen, bewirkt häufig, dass sie die Verantwortung, die mit der Ausübung von Pflege verbunden ist, noch bewusster wahrnehmen und sich deshalb manchmal sehr unter Druck setzen. Besonders die Begegnung mit Sterben und Tod belastet sie mehr als vorab von den Lehrenden erwartet wurde. Zudem wünschen sie sich mehr Begleitung und Reflexion nach solchen Erfahrungen. „In dieser Ausbildung bekomme ich viele Impulse, auch für das Private – was ich hier lerne, ist eine Bereicherung für mich“, schildert etwa eine Schülerin ihre persönliche Situation.

Zwischenmenschliche Kontakte haben hohen Stellenwert
Die Ausbildung in der Praxis wird von vielen Schülerinnen als schwierig wahrgenommen: Sie beklagen häufig, dass durch die knappe Besetzung auf den Stationen die Schüler „schnell funktionieren müssen“. Es gebe zudem wenig Zeit für gezielte Anleitung und für Gespräche, wenn etwas nicht so gut gelaufen ist. „Man nimmt viel mit nach Hause, das Abschalten, beispielsweise nach dem Spätdienst, fällt mir schwer“, erzählt eine Schülerin.

Aufgrund der oft als belastend empfundenen Arbeitsbedingungen, hat die Beziehung zu den Kollegen auf Station, zu Lehrkräften und Kurskolleginnen einen hohen Stellenwert. Die Schülerinnen achten sehr auf einen wertschätzenden Umgang im Pflegeteam und mit den Patienten. Sie nehmen wahr, dass in der Praxis oft viel zu wenig Zeit für den einzelnen Patienten bleibt und empfinden schwierige Pflegesituationen als belastend, da sie oft mit hohen Erwartungen an die professionelle Pflege in die Ausbildung gegangen sind.

Die Praxiskonferenzen, an denen alle Schüler einer Klinik einmal im Vierteljahr unter der Leitung einer Lehrkraft und der hauptamtlichen Praxisanleiterin teilnehmen, um ihre Ausbildungssituation zu reflektieren und ausgewählte Fallsituationen zu besprechen, empfinden die Teilzeitschülerinnen als sehr positiv. Man lerne von den Schülern aus unterschiedlichen Kursen und es entstehe ein Netzwerk, sowie persönliche Beziehungen zwischen den Schülern.

Von besonderer Bedeutung ist für die Schülerinnen auch die Begleitung der Kursleitung, die jederzeit als Ansprechpartner bereit steht. „Ich freue mich immer auf jeden Theorieblock, weil ich da die anderen wiedersehe und mich mit ihnen austauschen kann“ – dieser Aussage stimmen alle zu. Gegenseitige Bestärkung ist ebenso wichtig wie das Thema Selbstpflege.

Wie es weitergeht
„Ab wann sind wir denn eigentlich Mittelkurs und ab wann Oberkurs?“ – das ist eine häufig gestellte, aber berechtigte Frage der Teilzeitschülerinnen. Die Lehrkräfte der Bildungseinrichtung haben sich in Abstimmung mit den Schülerinnen dafür entschieden, das zweite und dritte Ausbildungsjahr als Mittelkurs zu deklarieren, um sie nicht zu lange im Anfängerstatus zu halten und ihnen auch nicht zu früh die Verantwortung eines Oberkursschülers zuzumuten. Zwei Jahre im Mittelkurs zu sein – das halten alle für sinnvoll und zielführend.

Zu Beginn und am Ende eines jeden Theorieblocks dienen die erste beziehungsweise die letzte Unterrichtsstunde der Reflexion und dem Theorie-Praxis-Transfer. Das Klassengespräch in der Mitte des Blocks fördert zudem den Austausch und den Zusammenhalt im Kurs. Derzeit wird überlegt, ob der Schulpsychologe in den Theorieblöcken regelmäßig Unterricht zur Supervision übernimmt, damit die Schülerinnen belastende Situationen reflektieren und verarbeiten können.

Mit der Pflegedirektion wurde abgestimmt, dass die Schüler aller Kurse am ersten Einsatztag in einem neuen Bereich um acht Uhr morgens beginnen und von der Stationsleitung begrüßt und auf der Station eingeführt werden. Das gibt den Schülern Sicherheit und ist ein Zeichen von Wertschätzung. Die Schülerinnen wünschen sich, dass sie ihre Ausbildungssituation einmal im Jahr mit der Schulleitung und der Pflegedirektion ausführlich diskutieren können.

„Ich glaube, dass es am wichtigsten ist, dass wir uns selber treu bleiben, um am Ende professionelle Pflegekräfte zu sein“, fasste eine der Teilzeitschülerinnen die Reflexion ihrer Ausbildungssituation am Ende des ersten Ausbildungsjahres zusammen. Und wenn der zweite Teilzeitkurs des Klinikverbund Südwest beginnt, fährt der Nagolder Teilzeitkurs mit seiner Kursleitung nach Böblingen, um den neuen Schülerinnen von den vielen positiven, aber auch weniger angenehmen Erfahrungen in dieser besonderen Ausbildung zu berichten und gleich Kontakte zu knüpfen.


Verfasser:
Marina Schnabel, Schulleitung
Matthias Schu, Standort- und Kursleitung

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