Seit 2009 werden stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen jährlich auf ihre Qualität hin überprüft und die Ergebnisse in Form von Pflegenoten veröffentlicht. Deren begrenzte Aussagefähigkeit wird in der Fachwelt häufig kritisiert. Sollte die Systematik gestoppt werden?
Mario Eißing, Geschäftsführer/Heimleiter, Wolf Wohn-, Pflege- und Therapieeinrichtungen, Eschwege: „Geld lieber in Mitarbeiter stecken"
Mit der Einführung der Pflegenoten sollte die Auswahl einer Einrichtung erleichtert und Qualität verbessert werden. Doch was ist geschehen? Schon nach kurzer Zeit lag der Notendurchschnitt bundesweit bei Eins-Komma-irgendwas. Auch nach der Anpassung der Bewertungskriterien im Rahmen der Pflegereform 2014 änderte sich daran nicht viel. Keiner der Kritiker und Befürworter stellte sich aber die Frage, ob die Mehrheit der Pflegeheime und -dienste nicht tatsächlich so gut ist. Vielmehr musste ein Fehler im Bewertungssystem oder eine Manipulation in der Einrichtung vorliegen, so die Meinung vieler.
Warum eigentlich? Warum kann niemand glauben, dass es heute einen großen Anteil von Menschen im Pflegeberuf gibt, die mit Herzblut sowie guten berufsethischen und -fachlichen Grundlagen die bestmögliche Versorgung der ihnen anvertrauten Pflegebedürftigen erbringen? Damit möchte ich nicht sagen, dass es keine „schwarzen Schafe" mehr gibt. Bezeichnend für das unbrauchbare System der Pflegetransparenz ist es, wenn Menschen in Pflegeeinrichtungen zu Tode kommen, die kurz zuvor noch eine 1,0 erreicht haben, aber aufgrund dieser Vorfälle plötzlich umgehend geschlossen werden.
Dennoch: Wir sollten aufhören, zu generalisieren und polemisieren. Stattdessen sollten wir die Zeit und das Geld für diesen Irrsinn – 200 Millionen Euro jährlich – in die Mitarbeiter und den Pflegenachwuchs stecken, damit diese für ihre verantwortungsvollen Aufgaben ausreichend geschult und wertgeschätzt werden können.
Pflegeeinrichtungen haben rein rechnerisch aufgrund des Überangebots an Pflegeplätzen schon lange keine oligopole Stellung mehr. Aus meiner Sicht haben sie dies auch noch nie dazu missbraucht, um Kritiken von Bewohnern, Angehörigen oder Mitarbeitern im Keim zu ersticken. Stattdessen ist doch jeder Führungskraft daran gelegen, Hinweise auf Versäumnisse ernst zu nehmen und umgehend nachzugehen, damit daraus keine Folgeschäden entstehen.
Ja, ich bin für eine Abschaffung der Pflegenoten. Wir sollten lieber auf Basis der kommenden entbürokratisierten Pflegedokumentation in einem vertrauensvollen und konstruktiven Miteinander gemeinsame Wege finden, um den wachsenden Herausforderungen unter sich verschlechternden Rahmenbedingungen gerecht zu werden.
Dies kann gerne auch unangekündigte behördliche Begehungen umfassen. Diese sollten dann aber auch dem Ziel einer Beratung gerecht werden und die erreichte Pflegequalität in Form von geeigneten, ergebnisqualitätsbezogenen Kriterien widerspiegeln – frei von Stigmatisierung und An-den-Pranger-Stellen.
Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des MDS
„Bewertungskriterien weiterentwickeln"
Die anhaltende Kritik an den Pflege-Transparenzberichten im Schulnotensystem ist nachvollziehbar. Die Abschaffung der Pflegenoten ist jedoch der falsche Weg, weil damit die Transparenz für lange Zeit auf Eis gelegt würde. Die Verbraucher erhielten gar keine Informationen mehr und der Prozess der Transparenzkriterien müsste von vorne beginnen.
Ursache für die geringe Aussagekraft des Pflegenotensystems ist der Einfluss der Pflegeanbieter. Der Fehler liegt im System: Denn diejenigen, die kontrolliert werden und über die Transparenz hergestellt werden soll, entscheiden wesentlich darüber mit, wie ihr Zeugnis im Internet auszusehen hat. Die Abschaffung der Pflegenoten würde gerade die belohnen, die mehr Transparenz bislang blockiert haben. Deswegen halte ich es nicht für sinnvoll, die Pflege-Transparenzberichte auszusetzen oder gar abzuschaffen.
Nach unserer Auffassung sollten die Bewertungskriterien gestrafft und systematisch weiterentwickelt werden. Es muss künftig besser abgebildet werden, wie die Versorgungsqualität in den Heimen ganz konkret ist. Aus den Transparenzberichten muss deutlich werden, wie gut eine Einrichtung bei der Medikamentenversorgung, der Dekubitusprophylaxe und der Schmerzerfassung ist. Der Fokus muss auf den zentralen Kriterien der Versorgung liegen.
Mehr Aussagekraft ist zudem nur zu erreichen, wenn der Einfluss der Pflegeanbieter auf die Benotungssystematik zurückgedrängt wird.