Das Patientenklassifikationssytem der DRGs wird im Jahre 2003 zur Budgetbemessung und Abrechnung in den Krankenhäusern in Deutschland Einzug finden. Dieses Vergütungssystem für die voll- und teilstationären Krankenhausleistungen hat bereits und wird künftig für die Krankenhäuser zu maßgeblichen Veränderungen führen - auch für die Pflegenden. Das Klinikum Lüdenscheid setzt sich seit über zwei Jahren mit dem Thema DRG auseinander. Jetzt hat dort die Pflege ein Software-Programm entwickelt, mit der pflegerelevante Nebendiagnosen erfasst werden. In einem Pretest auf zwei chirurgischen Pflegestationen wurden von den Pflegenden, unabhängig von der Kodierung der Ärzte, pflegerelevante Nebendiagnosen aus dem ICD 10-Schlüssel kodiert. Die von den Pflegenden kodierten Fälle wurden mit denen der Mediziner verglichen, mit dem Ziel zu prüfen, ob es so zu exakteren Fallabbildungen und möglicherweise unterschiedlichen Erlöshöhen kommt. Software für bessere Kodier- und Doku-Qualität
Das Klinikum Lüdenscheid ist eines von drei Krankenhäusern der Kliniken des Märkischen Kreises GmbH. Es verfügt über 979 Betten in 28 Fachabteilungen und Instituten, es ist Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Bonn und kooperierende Einrichtung der Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke.
Gemeinsam mit dem Arzt für medizinische Datenverarbeitung wurde nachfolgend beschriebene Software entwickelt. Ziel war die Verbesserung der Dokumentations- und Kodierqualität der medizinischen Diagnosen. Dabei sollten die ärztlichen Diagnosen akzeptiert werden und wie Fischer (www.fischer-zim.ch) sagt, anschließend von der Pflege verfeinert werden. Wobei die Dokumentation pflegerischer Leistungen nicht über LEP (Leistungserfassung in der Pflege) oder ähnliche Verfahren erfolgt - wie wohl in den meisten Krankenhäusern Deutschlands - sondern über einen ausführlicheren PPR-Erfassungsbogen.
Die Einführung der DRGs zwingt zur Überwindung von Berufsgruppen-Schranken und zur Nutzung aller vorhandenen Informationen zum Zwecke der möglichst vollständigen Erfassung aller Diagnosen und durchgeführten Prozeduren. Nur so ist eine korrekte Abbildung des Falles im Fallpauschalensystem und damit eine adäquate Vergütung des Aufwandes im Krankenhaus zu erreichen.
Dabei sind der gesundheitliche Zustand des Patienten und die durchgeführten Maßnahmen nicht nur medizinisch zu definieren, sondern es finden auch pflegerelevante Diagnosen und der pflegerische Aufwand Berücksichtigung bei der Falleinstufung (grouping).
Die Kodierung von Diagnosen erfolgt nach dem ICD-10-Katalog, die der Prozeduren nach dem OPS-Katalog (301 Version 2.1). Das Verfahren ist gesetzlich im § 301 SGB V festgelegt und dezidiert in den Allgemeinen und Speziellen Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) beschrieben.
Da die Verschlüsselung von Diagnosen und Prozeduren eine rein ärztliche Aufgabe ist, fließen die von der Pflege erhobenen Befunde, Diagnosen und geleisteten Maßnahmen nur in den seltensten Fällen in die Entlassungskodierung ein.
Dies ist sicherlich zum größten Teil darauf zurückzuführen, dass die von der Pflege gesammelten Informationen dem Arzt schlichtweg unbekannt sind.
Ziel unserer Bemühungen war es deshalb, pflegerelevante Diagnosen im ICD-10 Katalog zu kodieren und diese Schlüssel als Nebendiagnosen in den Groupingprozess mit einzubringen.
Dadurch sollte der Nachweis erbracht werden, dass die Einbeziehung der Pflege bei der Entgeltermittlung zu einer besseren Fallabbildung und damit zu höheren Erlösen im DRG-System führt.
Nach Recherchen im Internet und Durchsicht des ICD-Kataloges konnten wir eine Liste von zunächst 54 ICD-Kodes erstellen (Abb. 1), die sich dadurch auszeichneten, dass sie zum einen pflegerelevanten Diagnosen entsprachen, zum anderen, zumindest im australischen Bewertungssystem, in der Regel zu einer Erhöhung des Schweregrades und damit zu einer höheren Einstufung im DRG-System führen.
Im zweiten Schritt mussten die Vorschriften der DKR so umformuliert werden, dass sie auch im pflegerischen Alltag unmißverständlich anzuwenden sind.
Es wurde ein speziell an die Bedürfnisse der Pflege angepasstes EDV-Programm (Pflege-ICD) entwickelt, das eine zeitsparende und sichere Verschlüsselung pflegerelvanter Diagnosen unter Berücksichtigung der Kodierrichtlinien ermöglicht und die ICD-Kodes in einer Datenbank abspeichert (Abb. 2).
Auf der linken Seite der Programmansicht (Abb. 3) sind im oberen Teil die schon kodierten ärztlichen Diagnosen zu sehen, die von der Pflege nicht verändert werden können, im unteren Teil stehen die bereits von der Pflege kodierten Diagnosen.
Die Liste der zur Verfügung stehenden pflegerelevanten Nebendiagnosen wird dynamisch erzeugt (Abb. 4). Um Doppelkodierung zu vermeiden, werden nur die Diagnosen angeboten, die nicht bereits verschlüsselt wurden. Es können sowohl Diagnosen hinzugefügt, als auch entfernt werden.
Zu jeder Diagnose werden im unteren Fenster die Kodierrichtlinien eingeblendet.
Pilotprojekt Erfassung pflegerelevanter ICDs
Nach Vorstellung dieses Programms und der Genehmigung durch die Geschäftsführung, die Pflegedirektion und den Chefarzt der Chirurgie, wurde eine Testphase auf zwei Stationen der Chirurgie in der Zeit vom 3. Dezember 2001 bis zum 5. Februar 2002 gestartet.
In diesem Zeitraum wurden insgesamt 234 Diagnosen aus der Pflege bei 116 Patienten (von ca. 300 Patienten in dieser Zeit auf beiden Stationen) erfasst. 22 Patienten waren zum Zeitpunkt der Auswertung noch nicht entlassen, so dass bei 94 Patienten insgesamt 372 ärztliche Entlassungsdiagnosen vorlagen (Abb. 5).
Mit dem australischen Grouper der Fa. ID-Diacos wurden alle 116 Fälle zunächst ohne die ICDs aus der Pflege gegroupt. Anschließend wurde der Prozess unter Einbeziehung der ICDs aus der Pflege als Nebendiagnosen wiederholt.
Für die 22 noch nicht entlassenen Patienten ergab sich erwartungsgemäß kein Unterschied im Groupingergebnis, da sie wegen der fehlenden Basis-Informationen allesamt als sogenannte Fehler-DRG gewertet wurden. Dabei führen Nebendiagnosen nicht zu einem anderen Resultat.
Als sogenannte Baserate wurde ein fiktiver Betrag von 1800,- E angesetzt. Es wurden jeder einzelne Fall und das Gesamtkollektiv nach folgenden Kriterien untersucht:
AR-DRG: Australian Refined Diagnosis Related Group, Eingruppierung in eine Fallgruppe.
PCCL: Patient Clinical Complexitiy Level, Schweregrad des Falles (0 bis 4).
CCL: Complication and Comorbidity Level, Schweregrad-Einstufung der Diagnosen
eines Falles (0 bis 4).
Costweight: Relativgewicht des Falles, ergibt als Multiplikator mit der Baserate den Erlös des Falles.
ALOS: Average Length Of Stay, mittlere Liegedauer, die der Kalkulation der Erlöse
zugrunde liegt.
Auswertung der Erfassung pflegerelevanter ICDs
Insgesamt fanden wir folgende Unterschiede im Ergebnis des Groupings (Abb. 6, nächste Seite):
* Bei 50 Patienten veränderten sich weder die DRG noch die PCCL, noch das
Relativgewicht.
Darunter waren allerdings 22 Patienten einer Fehler-DRG zugeordnet:
- 20 Patienten aus den o. g. Gründen (noch nicht entlassen)
- 2 Patienten wegen falscher oder unzulässiger (ärztlicher) Kodierung.
25 Patienten wurden in eine andere AR-DRG eingruppiert, in der Regel von Untergruppe B auf A (also höherwertig).
* Bei l Patienten wurde die PCCL durch eine Fehlkodierung um einen Punkt erniedrigt.
* Bei 65 Patienten erhöhte sich die PCCL (siehe Abb. PCCL-Vergleich).
* Bei 25 Patienten stieg das Relativgewicht an.
* Insgesamt stieg das durchschnittliche Relativgewicht bei dem Patientenkollektiv von 2,53 auf 3,4.
* Die Summe der zulässigen Pflegetage (ALOS) stieg von 731 Tagen auf 877 Tage an.
* Damit wurden 146 zusätzliche bezahlte Pflegetage gewonnen.
* Auf Grundlage der Baserate von 1800;- ¿ ergab sich damit eine Steigerung der Erlöse für das Patientenkollektiv der Testphase von rund 428.000,- ¿ auf etwa 515.000,-¿ (+ 87.000,- ¿).
Wenn man davon ausgeht, dass bei etwa einem Drittel der Patienten der Chirurgie relevante ICDs aus der Pflege anfielen, so kann man den prospektiven Gewinn durch Kodierung in der Pflege allein für diese Abteilung auf etwa 500.000,- ¿ pro Jahr schätzen.
Damit erscheint uns der Beweis erbracht, dass die Einbeziehung der ICDs aus der Pflege betriebswirtschaftlich und in Hinblick auf eine korrekte Abbildung der Leistungsstruktur unseres Hauses Sinn macht.
Allerdings müssen die in der Pflege erfassten Diagnosen dem Arzt bei der Entlassungskodierung auch zur Verfügung stehen, was in unserem Test nicht der Fall war.
Geplant ist eine Einführung des untersuchten Verfahrens im gesamten Unternehmen. Die in der Pflege kodierten ICDs könnten dann dem Arzt bei der Entlassung unter einer neuen Diagnosekategorie zur Übernahme angeboten werden.
Es wird sicherlich erforderlich sein, sowohl die Liste der zur Zeit 54 ICDs, wie auch die Kodierrichtlinien für die Pflege abteilungsspezifischen Bedürfnissen anzupassen. Da derzeit noch keine deutschen Grouper existieren, ist weiterhin davon auszugehen, dass kurzfristig Änderungen der Kataloge und Kodierrichtlinien anfallen werden.
Fazit
In den neuen Strukturen müssen Ärzte und das Pflegepersonal lernen, in Teams zu arbeiten, ergebnisorientiert zu denken, nach Standards zu praktizieren und mit Informationstechnologien umzugehen.
Auch wenn sich die bisherigen Diskussionen über die Einführung der DRGs mehr mit den ärztlichen Dienst beschäftigen, ist dieses Thema auch für den Bereich der Pflege brandaktuell. Die Zukunft der Pflege und damit verbunden die Leistungstransparenz in der Pflege sind wesentlich durch eine effektive und effiziente Zusammenarbeit von Pflege und Medizin zu bewerkstelligen.
Literatur (Auswahl):
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Brigitte Pfeiff: Dringender Handlungsbedarf - EDV im DRG-Zeitalter. Schwester/Pfleger 5/2001
K.Harms, S.Dieffenbach: Krankenhausfinanzierung. Wo liegen die Chancen der pauschalierten Vergütungssysteme für die Pflege? - Schwester/Pfleger 5/2001
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