• 01.07.2015
  • Praxis
Infusionsmanagement

Mit Standard zu mehr Sicherheit

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 7/2015

   

Die Infusionstherapie ist komplex und fehleranfällig. Komplikationen können im ungünstigsten Fall sogar zum Tod eines Patienten führen. Das Klinikum der Medizinischen Hochschule Hannover hat deshalb vor einigen Jahren ein standardisiertes Infusionsmanagement eingeführt.

Hannah Tönsfeuerborn verdeutlicht das Problem an einem praktischen Beispiel: Mit derselben Spritze zieht sie nacheinander jeweils eine Ampulle Furosemid und Midazolam auf. Sofort verfärben sich die beiden sonst transparenten Flüssigkeiten milchig, nach wenigen Sekunden bilden sich zahllose weiße Kügelchen. „Trübungen, Verfärbungen, Verklumpungen – all das sind sichere Zeichen dafür, dass eine chemisch-physikalische Unverträglichkeit, eine sogenannte Inkompatibilität, stattgefunden hat", sagt die Fachkinderkrankenschwester für pädiatrische Anästhesie und Intensivpflege. Seit 18 Jahren arbeitet sie auf der interdisziplinären Kinderintensivstation des Klinikums der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Seit 2010 existiert hier ein Expertenrat Infusionsmanagement, der sich klinikweit für eine standardisierte und risikoarme Infusionstherapie einsetzt.

Alles auf den Prüfstand gestellt
Ausgangspunkt dieser berufsgruppenübergreifenden Arbeitsgruppe war eine Studie, die vor rund zehn Jahren auf der pädiatrischen Intensivstation die gängige Praxis der Infusionstherapie genau unter die Lupe genommen hat. Die Hannoveraner Wissenschaftler untersuchten, welche Infusionen und Medikamente zu welchem Zeitpunkt über welchen der vorhandenen Zugänge appliziert wurden. Das Ergebnis: 20 Prozent der Patienten erhielten eine Kombination verschiedener Medikamente, die inkompatibel sind.

Dass dies nicht nur Wirkverluste zur Folge haben und zur Partikelbelastung im Infusionssystem führen kann, sondern auch lebensgefährlich für den Patienten werden kann, verdeutlicht Dr. Michael Sasse: „Partikel, die infolge von Inkompatibilitätsreaktionen oder beim Aufbrechen von Glasampullen entstehen und mit der Infusionslösung in den Patienten geschwemmt werden können, erhöhen die Gefahr eines SIRS, eines Systemischen Inflammatorischen Reaktionssyndroms", so der Pädiater, der seit 2001 die Kinderintensivstation der MHH leitet. Dieses sepsisähnliche Krankheitsbild komme gerade auf Intensivstationen häufiger vor als man denke. „SIRS ist sehr unterschätzt, die Hälfte aller Intensivpatienten entwickelt dieses gefährliche Krankheitsbild", konstatiert Sasse. „All das war Anlass für uns, unser komplettes Infusionsregime auf den Prüfstand zu stellen."

Sasse und seinen Kollegen wurde schnell klar, dass ein standardisiertes Verfahren eingeführt und eine Arbeitsgruppe aus verschiedenen Berufsgruppen gegründet werden muss, die sich kontinuierlich mit dem Thema Infusionstherapie beschäftigt. Der sogenannte Expertenrat Infusionsmanagement besteht heute aus 25 Mitarbeitern von 16 Abteilungen der MHH und fungiert als zentraler Ansprechpartner rund um die Infusionstherapie. Die Mitglieder kommen einmal im Monat zusammen, um aktuelle Fragen zu diskutieren und an bestimmten Projekten zu arbeiten. „Wir erarbeiten Standards für Pflege und Medizin, besprechen den Einkauf neuer Medizinprodukte und vereinheitlichen kontinuierlich die Infusionstherapie", fasst Sasse die Aufgaben des Expertenrats zusammen. „Salopp gesagt: Dass jeder das macht, was er für richtig hält, gehört der Vergangenheit an. Jeder Mitarbeiter soll lernen, nach festgelegten Standards zu arbeiten. Nur so lässt sich die Patientensicherheit erhöhen."

Regelmäßig üben
Mit der Bilanz des Expertenrats Infusionsmanagement ist Sasse sehr zufrieden. „Standards haben Komplikationen wie SIRS auf ein Minimum reduziert", so der renommierte Mediziner. „Doch die einheitliche Vorgehensweise muss regelmäßig geübt werden."

Deshalb finden im Klinikum etwa zehnmal im Jahr Infusionsmanagement-Kurse statt, in denen Mitarbeiter verschiedener Berufsgruppen umfassend geschult werden. „Vorrangiges Ziel ist es, die Mitarbeiter zu sensibilisieren", so Sasse. „Damit lässt sich schon viel erreichen." Die Kurse gliedern sich in einen Einführungsvortrag und Aufbaukurse bestehend aus vier verschiedenen Modulen. Beispielsweise wird der Umgang mit der in der Infusionstherapie eingesetzten Hardware geübt, über mögliche Komplikationen informiert und der Umgang mit dem EDV-Programm „Kompatibilität im Katheter (KiK)" trainiert, mit dem komplexe Infusionsregime auf ihre Verträglichkeit hin überprüft werden können.

Hannah Tönsfeuerborn ist ein alter Hase in der pädiatrischen Intensivpflege. Dennoch schätzt auch sie die Sicherheit und Orientierung, die die Standardisierung der Infusionstherapie bietet.

So ist für ihre Abteilung beispielsweise genau festgelegt, welche Infusionen über welche Lumina eines ZVK laufen dürfen – Sedierung wird über das Lumen 1 verabreicht, Katecholamine über das Lumen 2, parenterale Ernährung über das Lumen 3. Über distale Zugänge werden Bolusinjektionen und Kurzinfusionen gegeben, über mediale Zugänge Katecholamine, über proximale Zugänge parenterale Ernährung. Medikamente wie Furosemid, Heparin muss isoliert appliziert werden.

Zudem kommen standardmäßig sogenannte Inline-Filter zum Einsatz, die Partikel aus Infusionslösungen weitgehend herausfiltern und bei Inkompatibilitäten blockieren. „Die Infusionsfilter funktionieren nur, wenn sie nach Standard und Herstellerangaben eingesetzt werden", erläutert Tönsfeuerborn. „Das zwingt uns Pflegende, stringent zu arbeiten. Denn wenn man inkompatible Medikamente simultan verabreicht, stoppt das gesamte Regime." Klar bedeute die standardmäßige Verwendung von Infusionsfiltern Mehraufwand, deswegen sei die neue Regelung anfänglich auf Widerstand gestoßen. Doch das sei Vergangenheit. „Die Mitarbeiter schätzen mittlerweile die Vorteile, die das Infusionsmanagement bietet", sagt Tönsfeuerborn. „Neue Mitarbeiter können sich optimal am Standard orientieren, Pflegende haben ein hohes Maß an Handlungssicherheit und die Gefahren der Infusionstherapie konnten enorm gesenkt werden. Was will man mehr?"

 

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