• 01.05.2016
  • Management
Reaktionen auf das Pflege-Thermometer 2016

"Anforderungen nehmen zu"

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 5/2016

Was sagen Experten aus der ambulanten Pflege zu den Ergebnissen des Pflege-Thermometers? Ist den skizzierten Entwicklungen zuzustimmen? Wir haben uns umgehört.

 „Aufwand steigt"

Als Intensivpflegedienst arbeiten wir unter besonderen Bedingungen: Die größtenteils beatmeten Patienten werden rund um die Uhr von jeweils einer Pflegefachperson betreut. Aufgrund dieses besonderen Personalschlüssels haben wir einen kontinuierlich hohen Bedarf an Mitarbeitern – für die 24-Stunden-Pflege eines Patienten benötigen wir mehr als fünf Vollzeitstellen. Insofern sind wir, wie alle anderen ambulanten Pflegedienste auch, immer bemüht, neues Personal zu finden. Und das stellt sich häufig problematisch dar.

Auch wir merken, dass der Arbeitsaufwand stetig steigt. Die meisten Angehörigen haben sehr hohe Erwartungen an die Mitarbeiter, die immer stärker als Bindeglieder zwischen der Familie und allen beteiligten Akteuren wie Hausärzte, Therapeuten und Sanitätshäusern angesehen werden. Beratung und psychosoziale Betreuung nehmen heute einen viel stärkeren Stellenwert ein als noch vor ein paar Jahren. All das sind Leistungen, die wir nicht vergütet bekommen – denn wir erhalten Geld nur für die Pflege an sich.

Aus meiner Sicht kristallisiert sich immer mehr heraus, dass die ambulante Intensivpflege dringend einer stärkeren Regulierung bedarf. Aktuell darf im Grunde jeder einen Pflegedienst gründen und Intensivpflege anbieten, ohne dafür über Mitarbeiter mit einer entsprechenden Qualifizierung zu verfügen. Wir brauchen also dringend verbindliche und einheitliche Vorgaben. Dann würde es auch leichter fallen, sogenannte schwarze Schafe unter den Anbietern herauszufischen.

Sven Liebscher ist Geschäftsführer des L&W Intensivpflegedienstes in Gräfelfing im Landkreis München. 120 Mitarbeiter betreuen an zwei Standorten 16 Intensivpatienten

„Immer schwieriger,  Stellen zu besetzen"

Unser Unternehmen expandiert derzeit stark im ambulanten Bereich. Wir betreiben bundesweit 25 Pflegedienste und ich gehe stark davon aus, dass wir diese Zahl jährlich um fünf bis zehn erhöhen werden. Bei steigenden Patientenzahlen wird es jedoch gleichzeitig immer schwieriger, geeignetes Personal zu finden. Dies liegt vor allem daran, dass der ambulante Bereich für viele Pflegende als weniger attraktiv erscheint als Krankenhäuser oder auch Heime. Die Gründe dafür sind vielfältig. In der ambulanten Pflege sind Mitarbeiter häufig stark auf sich alleingestellt; und diese Verantwortung wollen viele nicht tragen. Zudem legen Mitarbeiter immer mehr Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance, und die ist in der ambulanten Pflege häufig schlechter realisierbar als im stationären Bereich. Bei ambulanten Diensten zählt immer noch ein hohes Maß an Flexibilität.

Wir unternehmen alle möglichen Anstrengungen, um neue qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen. Unsere unternehmenseigene Akademie ist wohl der größte Trumpf, den wir im Ärmel haben. Über diese haben unsere Mitarbeiter die Möglichkeit an Fortbildungen teilzunehmen, beispielsweise zur Palliative-Care-Fachkraft. Das ist für viele attraktiv. Zudem entwickeln wir verstärkt flexible Arbeitszeitmodelle, was gerade für junge Mütter interessant ist. In Regionen, in denen wir besonders große Schwierigkeiten bei der Personalsuche haben, finanzieren wir neuen Kollegen sogar den Führerschein. Denn oft bewerben sich bei uns Pflegende, die noch keine Fahrerlaubnis besitzen. Unterm Strich kommt es für uns immer noch günstiger, einen Führerschein zu finanzieren, als dass Touren nicht besetzt werden können. Mitarbeitern, die nicht gerne Auto fahren, bieten wir neuerdings an, E-Bikes zu nutzen. Erst kürzlich haben wir einen ganzen Schwung E-Bikes angeschafft.

Klaus Korn ist Leiter Ambulante Dienste der deutschen Unternehmen der Korian Gruppe, zu der unter anderem das Unternehmen Curanum gehört. Dieses ist bundesweit einer der größten Betreiber ambulanter Dienste

 

„Entbürokratisierung läuft gut an"

Ich bestätige die zentralen Ergebnisse des Pflege-Thermometers, allerdings verwundern mich die Aussagen zur Entbürokratisierung. Von 24.000 stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen haben 8.000 die Implementierung auf den Weg gebracht – Heime und Pflegedienste halten sich hier in etwa die Waage. Insofern kann ich nicht bestätigen, dass die Entbürokratisierung nur schleppend vorangeht. Ebenso erstaunt mich die Einschätzung vieler Pflegedienstbetreiber, dass sie sich keine nennenswerten Entlastungen von der reduzierten Pflegedokumentation versprechen. Unser Betrieb war als einer von bundesweit 30 ambulanten Pflegediensten schon bei der modellhaften Implementierung mit dabei, und ich kann nur sagen: Wir sind mehr als zufrieden.

Früher wurden Berge von Sachen aufgeschrieben, die niemanden interessierten. Das neue Modell hält uns dazu an, zu überlegen, was sinnvoll ist zu dokumentieren und was nicht. Ich kenne übrigens keinen einzigen Pflegedienst, der auf das neue System umgestellt hat und Probleme bei einer MDK-Prüfung bekam – im Gegenteil, die neue Dokumentation wird von einem breiten Konsens aller beteiligten Akteure getragen. Neulich kam eine neu eingestellte Mitarbeiterin zu mir und sagte: „Bei Ihnen wird ja wirklich dokumentiert, was wir tun." Das sagt doch eigentlich alles und ist das beste Lob, das ich mir vorstellen kann.

Thomas Meißner ist einer von zwei Leitern des ambulanten Dienstes „Häusliche Pflege Meißner & Walter GmbH" in Berlin, der mit 80 Mitarbeitern 220 Patienten betreut

 

„Vieles ist besser geworden"

Für uns ist es in den vergangenen Jahren viel leichter geworden, durchgeführte Leistungen zu refinanzieren. Ein gutes Beispiel hierfür sind pflegerische Beratungsbesuche, die früher kaum wirtschaftlich darstellbar waren. Heute werden Bedürfnisse des Kunden gleich beim Erstgespräch mit erfasst und in einem von der Pflege getrennten Beratungsgespräch Punkt für Punkt besprochen. Oft ergibt sich auch erst später ein Beratungsbedarf, der kann dann aber schnell erfüllt werden kann. Unser Unternehmen bildet Mitarbeiter gezielt als Fachberater in der Pflege weiter – alleine am Standort Dorsten haben sich zwei Mitarbeiter entsprechend qualifiziert.

Die Sterbebegleitung ist nach wie vor ein schwieriges Thema – hier stimme ich dem Pflege-Thermometer zu. Dennoch hat sich auch hier die Situation verbessert: Die Zusammenarbeit mit ambulanten Hospizdiensten und Palliativärzten klappt in Dorsten sehr gut. Wir müssen als Pflegedienst nicht alles allein bewältigen, sondern werden sehr gut von den Kranken- und Pflegekassen unterstützt.

Auch beim Punkt lange Anfahrtswege stimme ich den Forschern aus Köln zu: In der Stadt ist das wirtschaftliche Planen einer Versorgungstour relativ einfach, im ländlichen Bereich hingegen eine wirkliche Herausforderung. Die erhöhte Hausbesuchspauschale allein hilft da nicht. Die Wunschzeiten und die entsprechende Pflegeanforderung beim Kunden lassen sich nur schwer oder teils mit erheblichen Einschränkungen des Kunden abbilden.

Swen Schomberg ist seit 2008 Pflegedienstleitung der Bahrenberg-Gruppe, zuständig für den Standort Dorsten im Ruhrgebiet. Mit gut 500 Mitarbeitern, die täglich 1.850 Kunden an 23 Standorten versorgen, ist die Bahrenberg-Gruppe der siebtgrößte Pflegedienstbetreiber in Deutschland

„Regionalität spielt eine große Rolle"

Besonders unterstreichen kann ich die Aussage des Pflege-Thermometers, dass ambulante Dienste bei der Personalsuche auf Regionalität setzen müssen. Das sieht man an unserem Betrieb sehr gut, denn alle unserer Mitarbeiter wohnen in Krefeld. Bewerber, die weiter als zehn bis 15 Kilometer von unserem Standort entfernt wohnen, teile ich von vornherein mit, dass eine Beschäftigung wenig Sinn macht. Meiner Erfahrung nach kommt es bei längeren Anfahrtswegen unweigerlich zu Problemen; allein aufgrund der langen Fahrtzeiten.

Es entspricht auch nicht unbedingt dem Wunsch der Mitarbeiter, lange Fahrwege zur Arbeit zu haben, wenn man in seinem Wohnort einen Arbeitsplatz finden kann. Bei dem Fachkräftemangel in der Pflege ist dies heute auch überhaupt kein Problem. Wir sagen daher ganz klar: Wir suchen Personal im nahen Umfeld. Das gelingt auch, wenn man Mitarbeitern gute Arbeitsbedingungen bietet. Wir haben jedenfalls keine Probleme, Stellen zu besetzen.

Ali Çelik ist Geschäftsführer des ambulanten Pflegedienstes PFLEGE optimal im niederrheinischen Krefeld. Er beschäftigt 30 Mitarbeiter, die 150 Klienten betreuen

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