• 20.12.2023
  • Forschung
Befragung von Pflegeexpert:innen

Was machen APN in Deutschland?

Im Rahmen des Projekts ENROLE-acute wurde die Entwicklung von Advanced Practice Nursing in Deutschland untersucht.

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 1/2024

Seite 40

Im Rahmen des Projekts ENROLE-acute wurde die Entwicklung von Advanced Practice Nursing in Deutschland untersucht. Dazu wurden 84 Pflegeexpert:innen zu ihrem Tätigkeitsbereich befragt. Dabei zeigte sich, dass sich die Rollenentwicklung dem internationalen Standard annähert. Doch nicht immer stimmt das Aufgabenprofil mit der formalen Qualifikation überein.

Die steigende Zahl von älteren und chronisch kranken Menschen im Krankenhaus erhöht die Komplexität der Versorgung und erfordert von Pflegefachpersonen erweiterte Kompetenzen. Immer mehr Einrichtungen setzen deshalb Advanced Practice Nurses (APN) ein. Dies sind akademisch qualifizierte Pflegefachpersonen auf Masterniveau, die über spezialisiertes Wissen, klinische Fertigkeiten und Kompetenzen zu komplexen Entscheidungsfindungen verfügen [1]. Bisherige Studien zur Wirksamkeit von APN zeigen positive Ergebnisse, zum Beispiel im Hinblick auf eine bes­sere Lebensqualität oder den funktionellen Status der Patient:innen [2].

In Ländern wie Australien, Kanada oder den Niederlanden sind APN bereits in der Regelversorgung etabliert. Es existieren Bildungsprogramme und geschützte Titel, die die Durchführung erweiterter Maßnahmen ermöglichen, zum Beispiel die Anordnung von Laboruntersuchungen oder bildgebenden Verfahren. Andere Länder befinden sich in einer frühen Entwicklungsphase, wobei Pflegefachpersonen vielfach bereits auf Bachelorniveau als Pflegeexpert:innen arbeiten, was die Einführung von Advanced Practice Nursing erleichtert. Deutschland zählt zu den Ländern, die noch am Beginn der Einführung von Advanced Practice Nursing stehen. Die Akademisierung des Pflegeberufs ist hierzulande vergleichsweise spät gestartet, was sich in ak­tuellen Zahlen zum Anteil von nur etwa 3 % akademisch qualifizierter Pflegefachpersonen widerspiegelt [3]. Demnach arbeiten Pflege­expert:innen bislang vorwiegend in Krankenhäusern, selten in der Langzeitpflege. Rollenprofile von Pflegeexpert:innen sind uneinheitlich und als Insellösungen entstanden.

Status quo zur erweiterten Pflegepraxis

Im Rahmen des Projekts ENROLE-acute (Laufzeit 2021 bis 2024) wird eine Pflege­expert:innenrolle zur personzentrierten Versorgung von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen im Krankenhaus entwickelt, eingeführt und evaluiert.

Zur Entwicklung dieser Rolle sollte ein Überblick der Aktivitäten von bereits tätigen akademisch qualifizierten Pflegeexpert:innen in Deutschland erstellt werden, um ein bes­seres Verständnis des aktuellen Stands von Ad­vanced Practice Nursing in Deutschland zu erhalten [4]. Dazu wurde im Jahr 2022 eine schriftliche Befragung von Pflegeexpert:innen in Deutschland durchgeführt. Teilnehmen konnten Pflegefachpersonen, die in einem Akutkrankenhaus in Deutschland arbeiten, dort eine erweiterte Rolle mit direktem Kontakt zu Patient:innen übernehmen und über einen akademischen Abschluss (mindestens Bachelor) verfügen. Eine erweiterte Rolle zeichnete sich durch Aktivitäten aus, die a) in der Regel nicht durch eine Pflegefachperson ausgeführt werden, b) in der Vergangenheit durch eine andere Profession ausgeführt wurden, c) neue Technologien beinhalten oder d) ein höheres Maß an eigenständigem Urteilsvermögen erfordern.

Um potenzielle Pflegeexpert:innen für die Befragung zu gewinnen, wurde Kontakt zu allen Universitätskliniken und bekannten Krankenhäusern, die Advanced Practice Nursing eingeführt haben, aufgenommen. Außerdem wurden relevante Netzwerke und soziale Medien genutzt. Der papierbasierte Fragebogen beinhaltete sechs Bereiche und baute auf bereits bestehenden Instrumenten auf. Die Studie wurde von der Ethikkommission der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP) begutachtet und erhielt ein positives Ethikvotum zur Durchführung.

Insgesamt konnten 108 Pflegeexpert:innen identifiziert werden, von denen 84 (78 %) an der Befragung teilnahmen. Die Teilnehmer:innen arbeiten in mindestens 38 verschiedenen Krankenhäusern. Das durchschnittliche Alter der Befragten beträgt 42 Jahre und etwa 80 % sind weiblich. Zwei Drittel verfügen über einen Masterabschluss oder sind höher qualifiziert. Im Mittel sind die Befragten seit 18 Jahren als Pflegefachperson und seit fünf Jahren als Pflegeexpert:in tätig. Mehr als die Hälfte (57 %) hat neben der Rolle als Pflegeexpert:innen eine weitere Funktion am Arbeitsplatz inne, wobei der Großteil als Pflegefachperson parallel in der Patient:innen­versorgung tätig ist.

Die Aktivitäten der Pflegeexpert:innen wurden in fünf Bereichen des APN-Kompetenzmodells von Hamric und Hanson [5] abgefragt: direkte klinische Praxis, Coaching und Beratung, Führung, Konsultation und Forschung.

Direkte klinische Praxis. Die direkte klinische Praxis stellt die zentrale Kompetenz von APN dar und prägt die Ausübung der anderen Kompetenzen. APN sind dafür ausgebildet, Menschen in komplexen Situationen der Gesundheitsversorgung zu unterstützen. Im Vergleich zu einer erfahrenen Pflegefachperson, die vereinzelt Aktivitäten auf einem erweiterten Niveau zeigt, wird von APN erwartet, dass ihre Praxis kontinuierlich auf einem fortgeschrittenen Niveau ist [5].

In der direkten klinischen Praxis existieren erhebliche Unterschiede in der Häufigkeit der durchgeführten Aktivitäten (Abb. 1). Dabei sind Aktivitäten in der direkten Versorgung in der Rolle als Pflegeexpert:in am häufigsten vertreten. Hinsichtlich der Durchführung von Assessments ist zu erkennen, dass ein körper­liches Assessment seltener durchgeführt wird als andere Assessments. Gleiches zeigt sich bei der Anordnung von Interventionen: Anordnungen, die hierzulande traditionell in den medizinischen Bereich fallen, erfolgen tendenziell seltener als Anordnungen zu pflegerischen oder nichtpharmakologischen Interventionen.

Coaching und Beratung. Beratung bedeutet, Hilfe, Anleitung oder Unterstützung bereitzustellen, und stützt sich auf die Pflegefachperson als Expert:in. Bei der Beratung dienen APN als Wissensquelle für Patient:innen. Coaching ist definiert als eine Partnerschaft mit Patient:innen in einem gedankenanregenden und kreativen Prozess, der dazu inspiriert, das persönliche und berufliche Potenzial zu maximieren. Es fokussiert die von Patient:innen festgelegten Ziele und hilft, die eigenen Fähigkeiten zu verstehen und zu nutzen, um Ziele zu erreichen. Daneben zählen hierzu auch Beratungstätigkeiten für Pflegefachpersonen [5].

Insgesamt zeigt sich, dass die Befragten sowohl für Patient:innen und Angehörige als auch für Pflegefachpersonen sehr häufig Aktivitäten im Bereich Coaching und Beratung durchführen (Abb. 2). Während verschiedene Beratungsaktivitäten bei Patient:innen und Angehörigen gleich häufig durchgeführt werden, zeigen sich kleinere Unterschiede in der Beratung von Pflegefachpersonen. So unterstützen Pflegeexpert:innen Pflegefachpersonen seltener beim Erstellen von Pflegeplänen.

APN in der hausarztnahen Versorgung

In Rheinland-Pfalz erprobt das Projekt FAMOUS den Einsatz von Advanced Practice Nurses in der hausarztnahen Versorgung. Welche ersten Ergebnisse nach drei Jahren Laufzeit vorliegen.

Führung. Versorgung findet in komplexen Systemen statt, die Führung benötigen, um gut funktionieren zu können. Leitungspersonen müssen in der Lage sein, den Veränderungs- bedarf zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen zu implementieren. APN übernehmen hier verschiedene Funktionen:

  • Klinische Führung legt den Fokus auf die Bedarfe und Bedürfnisse der Patient:innen und versteht die Führungskompetenz der APN in der Einführung von Strategien zur Verbesserung der Patient:innenversorgung. Dies umfasst beispielsweise die Koordination verschiedener Konsile von komplexen Fällen oder als Rollenvorbild und Motivator:in im Team zu agieren.
  • Systemische Führung nimmt die organisationale Ebene in den Fokus und erfordert einen Gesamtüberblick über die Prozesse. Beispielsweise leiten APN Teamsitzungen oder Fallbesprechungen und initiieren Praxisprojekte [5].

Im Vergleich zu den anderen Kompetenz­bereichen werden Führungstätigkeiten tendenziell seltener übernommen. Dabei wird klinische Führung häufiger eingenommen als systemische Führung (Abb. 3).

Konsultation. Unter Konsultation wird das Einholen einer Expert:inneneinschätzung verstanden, um die Versorgung zu verbessern. Hierbei können APN Konsile anfragen oder selbst durchführen [5]. Die Befragten führen häufiger Konsultationen selbst durch, als dass sie diese anfragen (Abb. 4).

Forschung. Forschungsaktivitäten umfassen den Einbezug von Forschungsergebnissen in der Praxis sowie das Begleiten und Durchführen von Forschungsprojekten [5].

Forschungsaktivitäten, die sich auf die Übertragung von Forschungsergebnissen auf die direkte Patient:innenversorgung fokussieren, werden häufiger berichtet als Aktivitäten, die sich auf die Durchführung und Publikation von Forschungsprojekten beziehen (Abb. 5).

Masterstudiengänge für Advanced Practice Nursing ausbauen

Die Mehrheit der Befragten verfügt über einen Masterabschluss. Das deutet darauf hin, dass sich Advanced Practice Nursing in Deutschland dem internationalen Standard annähert. Darüber hinaus wird deutlich, dass die Befragten ihre klinische Expertise durch langjährige Berufserfahrung von durchschnittlich 18 Jahren entwickelt haben. Die durchschnittliche Tätigkeit als Pflegeexpert:in von fünf Jahren lässt vermuten, dass die Befragten eine bereits etablierte Rolle innerhalb des interprofessionellen Teams einnehmen. Die Ergebnisse bezüglich der durchgeführten Ak­tivitäten zeigen, dass die Teilnehmenden einen großen Anteil ihrer täglichen Arbeit mit direktem Patient:innenkontakt verbringen. Dieses Ergebnis ist wünschenswert, da die direkte klinische Praxis nach Hamric und Hanson die Kernkompetenz von APN darstellt und somit zusätzliche Expertise in die direkte Patient:innenversorgung integriert wird.

Aktivitäten, die in Deutschland in der Regel in ärztlicher Hand liegen, wie beispielsweise körperliche Untersuchungen oder die Verschreibung von Medikamenten, werden nur von wenigen Befragten durchgeführt. Dies zeigt, dass einzelne Pflegeexpert:innen offensichtlich individuelle Vereinbarungen mit dem interprofessionellen Team getroffen haben, um diese Tätigkeiten übernehmen zu können. Außerdem übernimmt etwa die Hälfte der Befragten eine Tätigkeit in der direkten Patient:innenversorgung ohne zusätzliche Aufgaben. Das zeigt, dass Pflegeexpert:innen zum Teil Tätigkeiten ausüben, die nicht mit ihrer formalen Qualifikation übereinstimmen.

Insofern erscheint es als wichtig, Be­dingungen zu schaffen, die es den Pflege­expert:innen in Deutschland ermöglichen, ihre originären Aufgaben vollumfänglich zu erfüllen. Dazu bedarf es politischer Unterstützung, zum Beispiel indem das An­gebot an Masterstudiengängen im Bereich des Advanced Practice Nursing ausgebaut wird, entsprechende Stellen in der Praxis finanziert und gesetz­liche Regelungen zur Ausübung heilkundlicher Aufgaben getroffen werden.

Hinweise: ENROLE-acute wird gefördert durch das Bundes­ministerium für Bildung und Forschung (01GY2005). Verena von der Lühe erhält ein Promotionsstipendium der HBG-Stiftung.

 

[1] International Council of Nurses (2020). Guidelines on Advanced Practice Nursing. Im Internet: www.icn.ch/system/files/documents/2020-04/ICN_APN%20Report_ EN_WEB.pdf; Zugriff: 11.12.2023

[2] Chavez KS, Dwyer AA, Ramelet AS. International practice settings, interventions and outcomes of nurse practitioners in geriatric care: A scoping review. International Journal of Nursing Studies 2018, 78: 61–75

[3] Wissenschaftsrat. HQGplus-Studie zu Hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitssystem – Update | Quantitative und qualitative Erhebungen der Situation in Studium, Lehre, Forschung und Versorgung (Studienbericht). Im Internet: www.wissenschaftsrat.de/download/ 2022/9541-22.html; Zugriff: 11.12.2023

[4] von der Lühe V, Roos M, Adams A, Scholten N, Köpke S, Dichter MN. Evolution of advanced practice nursing in acute care in Germany: A cross-sectional study of nurses’ scope of practice. Int Nurs Rev 2023 Nov 15. doi: 10.1111/inr.12907

[5] Tracy MF, O‘Grady ET, Phillips SJ. Hamric & Hanson‘s Advanced Practice Nursing: An Integrative Approach, 6. Aufl., Elsevier Health Sciences; 2019

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