Patienten, die auf eine Knochenmarktransplantation angewiesen sind, stehen unter enormer physischer und psychischer Belastung. Sie bedürfen einer sensiblen Begleitung vor, während und nach ihrer akuten Behandlungsphase. Auch die Angehörigen sollten engmaschig miteinbezogen werden. Wie Pflegende diesen Prozess unterstützen können, haben wir uns im Universitätsklinikum Köln angesehen.
Cathrin hätte nicht gedacht, wie schnell ihr bisheriges Leben eine 180-Grad-Wende vollziehen kann. Vor Kurzem feierte die 45-Jährige noch ihren Geburtstag mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern – diesmal im kleinen Kreis, denn sie fühlte sich etwas schlapp, wollte keine große Party feiern, sondern im Kreis ihrer Lieben den Arbeitsstress der vergangenen Tage vergessen. Bei einer routinemäßigen Blutuntersuchung zeigte sich dann, dass sie ernsthaft krank ist. Ihre Diagnose: myeloische Leukämie.
Leukämie – darunter konnte sich Cathrin zunächst nicht viel vorstellen. Sie weiß nur, dass ihre Lage kritisch ist. Was genau in den nächsten Tagen und Wochen auf sie zukommen wird, erklärt ihr Peter Sinnwell in einem ausführlichen Erstgespräch.
Sinnwell ist einer von insgesamt vier sogenannten KMT-Lotsen in der Ambulanz der Knochenmarktransplantations-(KMT-)Station des Universitätsklinikums Köln. Jeder Patient wird für die Dauer seines Aufenthalts von einem solchen Lotsen begleitet. Patienten und auch Angehörige können Sorgen und Fragen direkt mit ihm besprechen. Während des ersten Gesprächs, das meist bis zu 2 Stunden dauert, erfolgt bereits ein Besuch auf der KMT-Station, und auch ein Austausch mit anderen Patienten ist möglich. Der Lotse übernimmt darüber hinaus die Koordination aller weiteren Behandlungsschritte. Einmal wöchentlich werden sich Cathrin und Sinnwell in nächster Zeit sehen.
„Mit den Lotsen und deren individueller pflegerischer Betreuung versuchen wir von Beginn an, die Unsicherheiten und Ängste der Patienten im Umgang mit der Erkrankung und den erforderlichen Behandlungsmaßnahmen zu lindern“, beschreibt Pflegedienstleister Frank Möbus. „Bei einer so komplexen Therapie wie der Knochenmarktransplantation ist uns das sehr wichtig.“
Lotsen kümmern sich um jeden Patienten individuell
Cathrin weiß nun, dass sich in ihrem Knochenmark unreife Blutzellen massiv vermehren und die Reifung von gesunden roten und weißen Blutzellen sowie Blutplättchen stören. In 5 Wochen wird sie deshalb ihre Stammzelltransplantation erhalten. Zuvor kommen auf die Patientin aber noch verschiedene Bluttests und weitere Untersuchungen zu, wie Lungenfunktionsprüfung, Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen. Sämtliche Organe müssen intakt sein. Wegen der zu erwartenden vorübergehenden Abwehrschwäche müssen außerdem mögliche Entzündungen, etwa an den Zähnen oder in den Nasennebenhöhlen, ausgeschlossen werden können. Andernfalls müssen sie erst noch behandelt werden.
Es folgt eine hoch dosierte Chemotherapie, damit ihr gesamtes Knochenmark und im Idealfall auch alle erkrankten Zellen zerstört werden können. Cathrin verliert ihre langen blonden Haare, ihre Immunabwehr ist mittlerweile extrem geschwächt. Nach dieser sogenannten Konditionierung dauert es nicht mehr lang bis zur eigentlichen Stammzelltransplantation, bei der Cathrin gesunde Spender-Stammzellen übertragen bekommt. Bereits am Aufnahmetag auf die KMT-Station wurde ihr ein zentralvenöser Katheter (ZVK) gelegt. Denn schon jetzt benötigt sie viele Medikamente gleichzeitig, die nur so zusammen gegeben werden können. Auch die Transplantation der Stammzellen erfolgt später über diesen ZVK.
Während dieser Zeit muss sich Cathrin an strenge Hygienevorgaben halten. Besonders die Schleimhäute in Mund und Rachenraum sowie der Darm sind eine gefährliche Eintrittspforte für Keime, da sie durch die Chemotherapie geschädigt sind. Cathrin muss sich jeden Tag mit einer speziellen Seife waschen, um hauteigene Keime abzutöten. Ihren Mund muss sie regelmäßig mit einer speziellen Lösung spülen. Ihr Bett wird täglich neu bezogen und desinfiziert. Alle 2 Wochen muss sie ihre Zahnbürste wechseln. Um Pilzinfektionen durch das Einatmen von Pilzsporen zu vermeiden, ist das rund 12 Quadratmeter große Patientenzimmer mit einem speziellen Luftfiltersystem ausgestattet, das mit Überdruck arbeitet. Die Fenster lassen sich nicht öffnen.
Ein bisschen fühlt es sich für Cath- rin wie Einzelhaft an in diesem speziellen Krankenzimmer – obwohl sie durch die breite Fensterfront einen schönen Blick nach draußen auf die Stadt hat und auch durch die verglaste Tür zu ihrem Zimmer immer sieht, wenn in dem kleinen Vorraum wieder die nächste Infusion für sie vorbereitet wird.
Was sie außerdem schmerzt: Aus Sicherheitsgründen ist die Zahl ihrer Besucher auf zwei pro Tag begrenzt. Ihr kleiner Sohn, gerade erst 5 Jahre alt, darf nicht auf die Station kommen.
Die KMT-Station am Uniklinikum Köln
Die KMT-Station des Uniklinikums Köln verfügt über 14 Einbettzimmer. Im Durchschnitt betreut eine Pflegefachperson drei Patienten. Insgesamt sind 20 Vollzeitkräfte in der Pflege tätig. Jährlich werden rund 80 bis 100 Patienten transplantiert. Die Mehrheit von ihnen erhält eine allogene Stammzelltransplantation, bekommt also Stammzellen von einem gesunden Spender. Es ist aber auch die autologe Transplantation von Stammzellen möglich. Hierbei werden patienteneigene, zuvor gesammelte und kryokonservierte Stammzellen verwendet.
Kommunikation ist das A und O
„Nur auf diese Weise kann vermieden werden, dass Erreger von Kinderkrankheiten in das Patientenzimmer gelangen. Für immunsupprimierte Patienten bedeuten sie eine ganz besondere Gefahr“, verdeutlicht Möbus. „Reden – sowohl mit den Patienten als auch mit Kollegen – und aufklären ist ganz entscheidend bei unserer Arbeit“, betont er. Für die Patienten sei es wichtig, jeden Behandlungsschritt und jede Maßnahme, die ein Infektionsrisiko verringern können, zu verstehen. „Nur wenn sie die einzelnen Schritte nachvollziehen können und wissen, warum etwas so sein muss, halten sie sich auch daran. Zeit zu haben für jeden einzelnen Patienten, ist immens wichtig auf unserer Station – und die nehmen wir uns auch.“ Was allerdings zunehmend problematisch werde, sei, einen geeigneten Dolmetscher zu finden. Denn der Anteil ausländischer Patienten steige zwar leicht, aber kontinuierlich.
Genauso wichtig wie der Austausch mit Patienten sei die Kommunikation im interdiziplinären Team mit Psychoonkologen, Seelsorgern und Ärzten, ergänzt Ole Müller, kommissarischer Teamleiter der KMT-Station. „Das geschieht bei uns auf Augenhöhe, alle Beteiligten leisten einen wertvollen Beitrag an der Therapie. Das wird wertgeschätzt und stärkt gleichzeitig die Arbeit im Team.“
Für die nächsten rund 30 Tage sind tägliche Messungen von Blutdruck, Temperatur, Puls und Gewicht, Infusionen und die strikte Einhaltung der Hygienevorschriften Cathrins Alltag, das sterile Zimmer ihr neues Zuhause auf Zeit.
Etwa 2 Tage nach der Konditionierungsphase erfolgt die eigentliche Transplantation. Im Gegensatz zu den im Körper ablaufenden Prozessen ist die Übertragung der Stammzellen relativ unspektakulär. Ähnlich einer Bluttransfusion werden die Stammzellen über den ZVK transfundiert. Sie suchen sich selbstständig den Weg in das Knochenmark, wachsen dort an und nehmen ihre Arbeit auf. Die Spenderzellen greifen etwaige verbliebene bösartige Zellen an und vernichten sie dauerhaft. So kann es gelingen, das Blut komplett von Leukämiezellen zu befreien und den Krebs wirksam zu bekämpfen. Die Transplantation kann bis zu 2 Stunden dauern.
Danach benötigen die neuen Stammzellen rund 10–20 Tage, bis sie voll funktionstüchtig sind. Da während und nach der Chemotherapie das alte Knochenmark die Blutbildung eingestellt hat, fallen die Blutwerte von Cathrin ab und erreichen etwa 6 Tagen nach Transplantation ihren Tiefpunkt. In dieser Phase der Aplasie funktioniert das alte Knochenmark nicht mehr und das neue noch nicht. Cathrins Abwehrkräfte sind am Boden. Ihr Körper ist jetzt besonders anfällig für Lungenentzündungen und andere oft bedrohliche Infektionen. Deshalb bekommt sie keimfreie Nahrung und eine Infektionsprophylaxe mit Medikamenten.
„Bin überrascht, wie viele Menschen einsam sind“
„Dennoch leiden eigentlich alle Patienten in den ersten Tagen nach der Transplantation an Fieber und Schüttelfrost“, weiß Müller. Auch Herzprobleme oder das Auftreten einer Sepsis seien neben übermäßiger Erschöpfung und Müdigkeit häufige Begleiterscheinungen.
Mit einer engmaschigen ärztlichen Kontrolle und Physiotherapie soll Cathrin anschließend wieder auf die Beine kommen. Auch das stationseigene Sportprogramm hilft ihr, wieder fit zu werden. Montags bis freitags treffen sich die Patienten der Station für eine halbe Stunde mit einer Physiotherapeutin zu gemeinsamen gymnastischen Übungen. „Je eher sich die Patienten wieder körperlich bewegen, desto besser“, sagt Müller.
Im Uniklinikum Köln dürfen KMT-Patienten – anders als in den meisten Vergleichsstationen in Deutschland – ihr Zimmer verlassen und sich auf der Station frei bewegen. „Wir haben gute Erfahrungen mit dieser Umkehrisolation gemacht. Dafür muss sich im Gegenzug jeder, der die Station betritt, an genaue Hygienevorschriften halten, in einer Schleuse mit Unterdruck Schutzkleidung und -schuhe anziehen sowie Hände desinfizieren“, verdeutlicht Müller. Außerdem könnten sich so die Patienten untereinander austauschen. „Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Menschen doch einsam sind. Der Austausch mit anderen auf der Station ist für sie eine wichtige Stütze.“
Generell bekämen die Pflegenden viel vom Leben der Patienten mit. „Sie liegen eine lange Zeit bei uns. Da entsteht eine besondere Bindung. Das Verantwortungsgefühl ist noch einmal stärker als etwa auf einer Normalstation, auf der Pflegende die Patienten nur wenige Tage versorgen“, sagt Müller. Aber er gibt auch zu: „Die Auseinandersetzung mit dem Lebenskampf der Patienten, ihr Lebenswille an guten und ihre Frustration an schlechten Tagen, ist auch für uns Pflegende eine Dauerbelastung, mit der nicht jede Pflegefachperson zurechtkommt.“ Wer nicht wirklich mit ganzem Herzen auf der KMT-Station arbeiten wolle, der bleibe auch nicht lange.
Stammzellspender werden
Leukämie kann in sehr unterschiedlichen Formen auftreten. Nach Angaben der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) erhält alle 15 Minuten ein Mensch in Deutschland die Diagnose Blutkrebs. Viele Blutkrebspatienten brauchen einen Stammzellspender, um zu überleben. Nur ein Drittel der Patienten findet innerhalb der Familie einen geeigneten Spender. Der Großteil benötigt einen nicht verwandten Spender.
Die Heilungschance liegt bei 40 bis 80 Prozent und hängt von vielen Faktoren ab, wie der Art der Erkrankung, welche Maßnahmen bereits vor der Transplantation unternommen wurden, wie alt der Spender ist, ob andere Erkrankungen vorliegen oder wie lange die Spendersuche gedauert hat.
Wie lange Betroffene durchschnittlich auf Spenderzellen warten müssen, ist ebenfalls sehr unterschiedlich und abhängig von vielen verschiedenen Kriterien. Die Wartezeit hängt insbesondere von den Gewebemerkmalen des Patienten ab. Es gibt Patienten, für die mehrere passende Spender gefunden werden – andere finden leider keinen geeigneten Spender.
Jeder zehnte Patient in Deutschland findet keinen passenden Spender. Das ist der Grund, weshalb so viele freiwillige Stammzellspender gebraucht werden.
Grundsätzlich kann jeder gesunde Mensch, der zwischen 17 und 55 Jahren alt ist und nicht bereits bei der DKMS oder einer anderen Datei registriert ist, Stammzellspender werden. Sich als Spender zu registrieren, ist einfach: ein „Lebens- retter-Set“ kann direkt über die DKMS angefordert werden. Per Post erhalten Interessierte dann ein Set mit Wattestäbchen. Mit diesen Wattestäbchen wird ein Wangenabstrich vorgenommen. Die Wattestäbchen werden dann zusammen mit den unterschriebenen Unterlagen an die DKMS zurückgeschickt.
Den Weg zurück in den Alltag finden
Dann ist es endlich so weit: Der Stationsarzt überbringt Cathrin die freudige Nachricht, dass sie nach gut 4 Wochen die KMT-Station wieder verlassen und zurück zu ihrer Familie nach Hause kann. Ihr Allgemeinzustand hat sich stabilisiert, die intravenösen Medikamente können abgesetzt werden. Doch in ihren gewohnten Alltag, wie sie ihn vor ihrer Behandlung auf der KMT-Station gewohnt war, kann sie dennoch nicht zurückkehren. Ihr neu gebildetes Knochenmark ist trotz allem noch nicht voll funktionsfähig. Bis das körpereigene Abwehrsystem wieder stabil ist, dauert es etwa ein Jahr. Während dieser Zeit ist Cathrin für Infektionen erheblich anfälliger als andere Menschen, weshalb sie weiterhin strikte Verhaltensweisen befolgen muss. „Was auf der Station Sicherheit gegeben hat, mag zurück zu Hause einfach nur noch lästig erscheinen. Auch hier ist es Aufgabe von uns Pflegenden, Patienten und ihre Angehörigen auf die veränderte Situation vorzubereiten“, beschreibt Müller.
Disziplin ist gefragt
„Patienten müssen zu Hause einige Regeln beachten, die ihnen viel Disziplin und Geduld abverlangen“, weiß Müller. So soll Cathrin in der nächsten Zeit große Menschenansammlungen meiden oder darf nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Aus allen Zimmern müssen Blumentöpfe mit Blumenerde entfernt werden. Auch beim Essen muss sich die 45-Jährige umstellen und ihre keimarme Diät aus der Klinik fortsetzen: Ihr morgendliches Frühstück mit frischer Milch und Müsli ist verboten. Nüsse und Trockenobst muss sie vorerst meiden; wenn Milch, dann darf sie nur abgekochte oder H-Milch. Einen hilfreichen Merksatz hat sie in der Uniklinik gelernt: „Koch’ es, schäl’ es oder vergiss’ es.“
„Wir hier auf der Station versuchen, Patienten auf die Zeit nach ihrem Aufenthalt bei uns so gut es geht vorzubereiten und sie behutsam an ihr neues Leben heranzuführen“, sagt Müller. Dafür gibt es an der Uniklinik Köln KMT-Care-Pflegende, Pflegefachpersonen dieser Station, die die Patienten über 3–4 Monate einmal wöchentlich oder nach Bedarf zu Hause besuchten. „Das gibt den ehemaligen Patienten und ihren Angehörigen die nötige Sicherheit, mit der neuen Situation gut zurechtzukommen. Dieses Angebot ist eine wertvolle Unterstützung für sie, denn am Anfang ist alles noch sehr ungewohnt. Viele Dinge fallen Patienten und ihren Angehörigen schwer, an die sich das gesamte Umfeld erst noch gewöhnen muss“, so Müller.
Umso bedauerlicher fand es Müller deshalb, dass dieser Service im vergangenen Jahr nicht angeboten werden konnte. Das Personal fehlte. „Ab 2019 soll KMT-Care wieder im Einsatz sein“, freut sich der Teamleiter.
Lebenslange Kontrolluntersuchungen nötig
Die Nachsorge in der Ambulanz hält lebenslang an. Anfangs finden die Termine 2–3-mal wöchentlich statt, später pendeln sie sich auf einen 3–6-monatigen Rhythmus ein, um regelmäßig das Blutbild zu bestimmen, den Medikamentenspiegel zu überprüfen und die körperliche Fitness. Vor allem die immunsuppressive Behandlung muss so ausbalanciert werden, dass sich das neue Immunsystem gut entwickeln kann, um Abstoßungsreaktionen zu vermeiden.
Heute, ein gutes Jahr nach ihrer Diagnose, geht es Cathrin wieder gut. Sie freut sich, dass sie ihre Kinder aufwachsen sehen und mit ihrem Mann alt werden kann. Sogar ihren Teilzeitshop im Einzelhandel kann sie wieder aufnehmen.
„Es ist unsere Aufgabe, unsere Patienten durch all diese Höhen und Tiefen während ihrer Behandlung zu begleiten, ihre Fragen zu beantworten und ihre Ängste abzubauen. Wenn uns das gelingt, haben wir einen guten Job gemacht“, resümiert Müller.