Das deutsche Forschungsministerium fördert seit 2004 insgesamt drei Pflegeforschungsverbünde. Ein Meilenstein für die Pflegewissenschaft: Erstmals erhält die Pflegeforschung in diesem Ausmaß Fördermittel des Bundes und gewinnt damit auch an wissenschaftspolitischer Akzeptanz. Doch noch immer ist viel Überzeugungsarbeit notwendig, damit Pflegeforschung – wie international längst üblich – langfristig in den Fördersystemen verankert wird.
Eine moderne, qualitativ hochwertige Pflege benötigt eine wissenschaftliche Fundierung, und die Pflege muss, wie andere Gesundheitsprofessionen auch, zu einem evidenzbasierten Handeln gelangen – über diese Punkte herrscht mittlerweile Einvernehmen. Auch setzt sich die Erkenntnis langsam durch, dass dazu deutlich mehr in die Pflege und auch in die Pflegeforschung investiert werden muss. Aus diesem Grund fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 2004 bundesweit mit insgesamt 9,3 Millionen Euro mehrere Pflegeforschungsverbünde. Ziel der Förderung ist es, nach dem Aufbau von Pflegestudiengängen nun auch den Ausbau von Pflegeforschung voranzutreiben.
Damit erfolgt ein wichtiger Schritt für die Weiterentwicklung der Pflegewissenschaft. Denn seit die Pflegewissenschaft vor zirka 15 Jahren in Deutschland Einkehr in die Hochschulen hielt, lag die Konzentration zunächst auf der Etablierung von Pflegestudiengängen. Zeitlich versetzt begann auch der Aufbau von Pflegeforschung. Er verlief nicht so spektakulär wie die Studiengangsentwicklung – hier waren binnen fünf Jahren nahezu 50 Studiengänge an Fachhochschulen und Universitäten entstanden.
Doch auch auf dem Gebiet der Pflegeforschung wurden wichtige Fortschritte erreicht. Erinnern wir uns daran, dass noch vor zehn Jahren in Deutschland kaum Pflegeforschung existierte – jedenfalls keine, die für sich in Anspruch nehmen konnte, Forschung aus der Pflege für die Pflege zu sein.
In den vergangenen Jahren ist demgegenüber ein großer Anstieg an Forschungsaktivitäten in der Pflege zu verzeichnen, die die Forschung über Pflege abgelöst haben. Ebenso sind etliche Doktorandenprogramme und Promotionskollegs entstanden. Der Aufbau von Drittmittelforschung, also aus Fremdmitteln geförderte Forschung, kam demgegenüber lange Zeit eher zögerlich voran. Auch dies hat sich inzwischen verändert – nicht zuletzt mit den durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit beachtlichen Mitteln geförderten Pflegeforschungsverbünden.
Dringende Impulse für die Pflegewissenschaft
Für die pflegewissenschaftliche Entwicklung können die Forschungsverbünde als Meilenstein bezeichnet werden, nicht nur, weil der Ausbau von Pflegeforschung durch sie wichtige Impulse erfährt, sondern auch, weil Pflegeforschung erstmals in diesem Ausmaß Fördermittel des Bundes erhält und damit wissenschaftspolitische Akzeptanz gewinnt.
Die Bedeutung dessen wird sichtbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass wissenschaftspolitisch – trotz Existenz der zahlreichen Pflegestudiengänge – lange Zeit umstritten war, ob es überhaupt „lohne", Pflegeforschung mit Fördermitteln zu versehen oder es nicht mit der Einrichtung von Studiengängen getan sei. Immer wieder war daher, um die Verbundförderung zu ermöglichen, wissenschaftspolitische Überzeugungsarbeit zu leisten.
Insgesamt sechs Jahre hat diese gedauert, dann war es so weit: 2004 konnten nach einem mehrstufigen Antragsverfahren zunächst vier Pflegeforschungsverbünde ihre Arbeit aufnehmen. Bereits 2006 erfolgte eine weitere Begutachtung. Drei Verbünde haben auch diese Hürde genommen und werden bis 2010 gefördert.
Heute existieren bundesweit drei Pflegeforschungsverbünde mit insgesamt 22 Projekten, an denen 18 Hochschulen und Forschungsinstitute beteiligt sind. Zu ihnen gehört der
- Pflegeforschungsverbund Nord „Optimierung des Pflegeprozesses" (Sprecher: Prof. Dr. Stefan Görres),
- Pflegeforschungsverbund Mitte-Süd „Evidenzbasierte Pflege chronisch Kranker und Pflegebedürftiger in kommunikativ schwierigen Situationen" (Sprecher: Prof. Dr. Johann Behrens) und
- Pflegeforschungsverbund NRW „Patientenorientierte Konzepte zur Bewältigung chronischer Krankheit" (Sprecherin: Prof. Dr. Doris Schaeffer).
Alle Verbünde zielen auf die aus dem demografischen und epidemiologischen Wandel erwachsenen Konsequenzen für die Pflege und greifen damit zentrale und bislang noch nicht befriedigend gelöste gesellschaftliche Herausforderungen auf.
Allesamt verfolgen sie das Ziel, neue wissenschaftlich fundierte Pflegekonzepte zu entwickeln und zu erproben und wollen damit zur Evidenzbasierung wie auch zur Erweiterung pflegerischen Handelns beitragen.
Aus diesem Grund befassen sich viele der Verbundprojekte mit Herausforderungen, die über das herkömmliche pflegerische Aufgabenspektrum hinausgehen.
Dabei wird ein breites und interessantes Themenspektrum aufgegriffen, in dem Herausforderungen bei demenziellen Erkrankungen und kognitiven Einbußen ebenso zur Sprache kommen wie bei somatischen chronischen Erkrankungen. Das Spektrum reicht hier vom Lebensanfang bis zum Lebensende. Insgesamt aber spielen altersbezogene Probleme eine bedeutsame Rolle, wie Abbildung 1 zeigt.
Im Fokus: Verbesserung der Pflegepraxis
Wichtig zu erwähnen ist, dass die Verbünde und ihre Projekte anwendungsorientierten Charakter haben und zur Verbesserung der Pflegepraxis beitragen wollen. Sie betreiben also keine Elitenforschung, sondern adressieren sich an die Praxis.
Kurz zum aktuellen Entwicklungsstand: Viele Projekte haben sich in der ersten Phase auf die Erarbeitung wichtiger empirischer Grundlagen konzentriert und auf deren Basis neue Pflegekonzepte oder Interventionsstrategien entwickelt, die sie gegenwärtig mit der Praxis erproben. Parallel werden schrittweise erste Ergebnisse festgehalten und auf Kongressen und Tagungen im In- und Ausland präsentiert oder in Veröffentlichungen aufbereitet. So ist soeben auch eine Buchveröffentlichung mit Ergebnissen der ersten Förderphase erschienen (Schaeffer et al. 2008, weitere Veröffentlichungen finden sich auf der Internetseite: www.uni-bielefeld.de/gesundhw/pflegenrw/).
Auch erste Promotionen (Metzing 2007; Haslbeck i.E.) sind bereits aus den Forschungsverbünden hervorgegangen.
Wichtiger Beitrag zum Aufbau klinischer Pflegeforschung
Insgesamt – so lässt sich schon jetzt nach vier Jahren Erfahrung festhalten – ist es mit den Forschungsverbünden gelungen, den Ausbau von Pflegeforschung deutlich voranzubringen und zugleich eine für die Evidenzbasierung der Pflege unverzichtbare Forschungstradition zu etablieren. Denn mit ihrer mehrheitlich klinischen Orientierung tragen die Verbünde entscheidend zum Aufbau klinischer Pflegeforschung bei.
Um den damit erreichten Fortschritt zu unterstreichen, sei daran erinnert, dass Pflegeforschung hierzulande zuvor stark auf Ausbildungs- und Managementfragen konzentriert war und zu befürchten stand, dass es noch Jahrzehnte dauern könnte, bis wir mit dem Aufbau von klinischer Pflegeforschung beginnen würden.
Mit den Forschungsverbünden sind wir hier also unverhofft rasch vorangekommen. Wie erfolgreich das „Projekt klinische Pflegeforschung" schon jetzt ist, zeigt sich unter anderem daran, dass in der Zwischenzeit etliche Professuren für dieses Gebiet ausgeschrieben wurden und damit zugleich die dringend erforderliche Ausdifferenzierung von Pflegewissenschaft angestoßen wird. Auch dies ist eine unbestritten positive Entwicklung.
Und doch darf sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass weitere Schritte erforderlich sind, denn Pflegeforschung darf nicht auf klinische Forschung reduziert werden. Dies käme einer fatalen Engführung gleich. Nicht weniger wichtig ist daher, nun mit gleicher Energie andere wichtige Forschungstraditionen auszubauen, allem anderen voran die pflegerische Versorgungsforschung. Denn in allen Bereichen der pflegerischen Versorgung ist der Problemdruck überaus groß und haben sich die Arbeitsbedingungen, Arbeitsteilungen und Versorgungsprozesse rapide verändert – sei es im Krankenhaussektor, der stationären Langzeitversorgung oder der ambulanten Pflege. Wie dringend es ist, gerade hier die pflegerische Versorgungsforschung auszubauen, wird sich spätestens bei der Umsetzung der Pflegereform einmal neu zeigen.
Doch auch der Ausbau der patientenorientierten Pflegeforschung bedarf mehr Beachtung. So haben die Verbünde einmal neu bestätigt, dass das vorhandene empirische Wissen über die mit chronischer Krankheit einhergehenden Probleme aus Patientensicht hierzulande sehr gering ist. Vor allem über die Spätphasen chronischer Krankheit – die Zeit, in der sich Funktionseinbußen und Pflegebedürftigkeit breitmachen und Gesundheits- und Krankheitseinschränkungenimmer mehr das Leben zu ergreifen beginnen – wissen wir aus Patientensicht erschreckend wenig. Dieses Wissen ist aber notwendig, um nicht unversehens pflegerische Interventionsstrategien zu entwickeln, die an den Problemen und den Bedürfnissen der Patienten vorbeigehen. Dies mag ausreichen, um zu zeigen, dass wir uns mit dem Aufbau klinischer Forschung nicht begnügen dürfen, sondern weitere Pflegeforschungstraditionen wichtig und unverzichtbar sind.
Weiterhin viel Überzeugungsarbeit notwendig
Das setzt allerdings voraus, dass auch künftig Fördermittel für Pflegeforschung existieren und Pflege hinreichend in den Fördersystemen für Forschung vertreten ist. Noch aber ist es beispielsweise nicht hinreichend gelungen, Pflege angemessen in den forschungsbezogenen Gutachtersystemen zu verankern. Dass dies nicht lapidar ist, zeigt sich daran, dass pflegewissenschaftliche Forschungsvorhaben nach wie vor überwiegend professionsfremd begutachtet werden – vielfach von Medizinern, deren Problemverständnis gesundheitlicher Probleme sich von dem der Pflege unterscheidet und deren Skepsis gegenüber Pflegeforschung noch immer erheblich ist.
Zudem haben die meist aus etablierten Wissenschaftsgebieten stammenden fachfremden Gutachter oft wenig Verständnis für die Herausforderungen, die sich neuen Wissenschaftsgebieten stellen.
Auch die finanzielle Absicherung von Pflegeforschung ist mehr als unsicher: Gefördert wird Pflegeforschung derzeit vor allem durch die Robert Bosch Stiftung und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Beide aber verlagern gegenwärtig ihre Förderinteressen. So wird das BMBF nach Auslaufen der Verbünde 2010 keine weiteren Mittel für Pflegeforschung zur Verfügung stellen. Doch sind die auf dem Gebiet der Pflege harrenden Herausforderungen bis dahin allerdings bestenfalls ansatzweise angegangen.
Es wird also weiterhin Überzeugungsarbeit zu leisten sein, damit Pflegeforschung nicht der Abbruch droht und sie stattdessen – wie international längst üblich und in der Medizin selbstverständlich – langfristig in den Fördersystemen verankert wird. Doch nur so wird es gelingen, mit der internationalen Entwicklung in diesem Forschungsgebiet Schritt zu halten und Pflegewissenschaft so weiterzuentwickeln, dass von ihr zukunftsweisende Impulse für das Gesundheitswesen ausgehen.
Die Abbildungen entnehmen Sie bitte dem Printmedium Die Schwester Der Pfleger 12/08.