An einer oberbayerischen Klinik wurde eine Checkliste erarbeitet, um Sturzrisiken zu erkennen und daraus entsprechende Schutzmaßnahmen abzuleiten. Mit Erfolg: Besonders die Zahl schwerer Verletzungen konnte signifikant gesenkt werden. Künftig muss es darum gehen, sturzrelevante Nebenwirkungen von Medikamenten stärker in den Blick zu nehmen.
Jedes Krankenhaus verfolgt das Ziel, Patienten vor Stürzen und schweren Verletzungen zu schützen. Die Wege hierzu sind jedoch von Haus zu Haus verschieden. Der Qualitätszirkel einer oberbayerischen Klinik entschied sich für eine Checkliste, die – anders als ähnliche Instrumente anderer Einrichtungen – nicht nur die Erfassung eines Sturzrisikos beinhaltet, sondern gleichzeitig ermöglicht, entsprechende Schutz-Maßnahmen einzuleiten.
Allen Mitgliedern des Qualitätszirkels war von Anfang an klar, dass die reine Erfassung des Sturzrisikos bei Aufnahme eines Patienten wenig Sinn machen würde. Sie führt nur dann zu wirklichen Effekten, wenn Sturzrisiken systematisch gescreent und pflegerische Interventionen eingeleitet werden. Sturzrelevante Aspekte sind hierbei der körperliche und kognitive Status des Patienten, die Medikation, das Schuhwerk, die Kleidung, Gehhilfen und sons-tige Hilfsmittel sowie Stolperfallen auf der Station oder im Patientenzimmer.
Checkliste hat sich bewährt
Die Checkliste wurde vor rund zehn Jahren eingeführt. Seitdem wurden Niederflurbetten, Sensormatten, Antirutsch-Socken und Hüftschutzhosen angeschafft. Die Pflegenden werden zudem systematisch geschult. So wird beispielsweise schon bei Aufnahme der Patienten auf ungeeignetes Schuhwerk, Kleidung und pflegerische Hilfsmittel hingewiesen, die für den Betroffenen sinnvoll sein können.
Heute lässt sich festhalten, dass sich die Checkliste aus pflegerischer Sicht bewährt hat. Zwar wurde die Gesamtzahl von Stürzen nur geringfügig beeinflusst, jedoch konnte die Zahl der schweren Verletzungen signifikant reduziert werden. Als schwere Verletzungen werden Knochenbrüche, Schenkelhals-Frakturen oder Schädel-Hirn-Traumata definiert. Dieses Ziel wurde erreicht.
Medikation ist sturzrelevantes Problem
Ein sturzrelevantes Problem, das in der Checkliste enthalten ist, künftig aber einer noch kritischeren Würdigung bedarf, ist die Medikation der Patienten. Es gibt mehrere Medikamentengruppen, die aufgrund ihrer Nebenwirkungen sturzrelevant sind. Hierzu zählen beispielsweise Herz-Kreislaufmittel und Psychopharmaka, aber auch weitere Medikamente.
Studien zufolge kann ein alter Mensch nicht mehr als vier Wirksubstanzen verkraften. Die alltägliche Praxis in der Gerontopsychiatrie ist aber die Gabe von fünf bis zwölf Wirkstoffen. Dass ein alter Mensch oftmals nicht auf herzstärkende Mittel verzichten kann, wird nicht an-gezweifelt. Auch der Einsatz von Diuretika und Antihypertensiva ist nicht infrage zu stellen. Aber es ist nicht nachvollziehbar, dass Patienten mit einem hoch dosierten Antihypertonikum behandelt werden und sie gleichzeitig ein oder zwei Diuretika erhalten, die ebenfalls den Blutdruck senken.
In jedem der vierteljährlichen und jährlichen Berichte zur Sturzstatistik der oberbayerischen Klinik wurde sowohl auf die Vielzahl der Medikamente wie auch auf die erschreckend niedrigen Blutdruck-Werte hingewiesen, die bei vielen Patienten nach einem Sturzereignis gemessen wurden. Dies ist äußerst bedenklich, denn die Kollapsgefahr bei Hypotonie ist allen Fachpersonen hinlänglich bekannt. Es wird nicht in Zweifel gestellt, dass es sicherlich segensreiche psychisch wirksame Substanzen gibt, die im Akutfall bei entsprechender Diag-nosestellung kurzfristig wertvolle Dienste leisten können. Aber die unkritische Langzeit-Anwendung bei alten Menschen ist äußerst problematisch.
Künftiger Forschungsbedarf
Der Zusammenhang zwischen der Medikation von Patienten und der individuellen Sturzgefahr offenbart einen erheblichen künftigen Forschungsbedarf für die Pflegewissenschaft. Solange belastbare Forschungsergebnisse ausbleiben, gilt: Sturzrelevante Nebenwirkungen bestimmter Medikamente, vor allem Psychopharmaka, Antidepressiva, Neuroleptika, Sedativa und Benzodiazepine, müssen von Pflegenden genau beobachtet werden.