Eine Studie der Universität Zürich hat die Begleitumstände von Agitation in Pflegeheimen analysiert. Unter anderem konnte ein Muster zwischen der Tageszeit und der Häufigkeit des Auftretens von Agitation festgestellt werden. Über die Einzelheiten der Ergebnisse und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, sprachen wir mit der Leiterin der Studie, Dr. Sandra Oppikofer.
Frau Dr. Oppikofer, was sind die zentralen Ergebnisse Ihrer Studie? Die Ergebnisse zeigen, dass Agitation in Situationen auftrat, in denen an Demenz erkrankte Bewohner in Interaktion mit anderen Personen standen. Agitation zeigte sich aber auch in Situationen, in denen Pflegefachpersonen keine direkten Einflüsse oder Reize aus der Umgebung wahrnehmen konnten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es sie nicht gegeben hat. Im Weiteren konnten ein gewisses Muster zwischen der Tageszeit und der Häufigkeit des Auftretens von Agitation festgestellt sowie personenspezifische Verhaltensmuster nachgewiesen werden.
Welche direkten Umstände begleiten Situationen, in denen agitiertes Verhalten auftritt?
Es zeigten sich vor allem zwei Situationsumfelder: Zum einen erfolgte das agitierte Verhalten im Kontext einer direkten oder indirekten Interaktion mit einer anderen Person, hier vor allem mit Pflegepersonal und Mitbewohnern. Zum anderen zeigte sich aber auch, dass das auffällige Verhalten in Situationen erfolgte, in denen die Bewohner allein oder gedanklich in sich zurückgezogen waren. Diese Erkenntnis beruht auf der Beobachtung des Pflegepersonals, dass sich die betroffenen Personen beispielsweise gerade allein in ihrem Zimmer aufhielten als die Agitation beobachtet wurde. In Situationen, in denen keine direkte Interaktion mit einer anderen Person stattgefunden hatte, rührte das agitierte Verhalten vermutlich entweder aus einer früheren Interaktion mit jemandem oder aus einem inneren gedanklichen Zerwürfnis oder sogar aus dem Wunsch heraus, verdeckten Bedürfnissen, etwa nach Aufmerksamkeit, Ausdruck zu verleihen. Gerade in Situationen, in denen die Person allein in ihrem Zimmer war – sei es am Tag oder in der Nacht – trat agitiertes Verhalten ohne direkten sichtbaren Einfluss von außen auf. Hinsichtlich der einzelnen Begleitumstände lässt sich zudem sagen, dass – wie bereits in früheren Untersuchungen festgestellt wurde - insbesondere die morgendliche Pflege am meisten mit agitiertem Verhalten verbunden zu sein scheint.
Ein Zusammenhang zwischen Wochentag und Auftreten von Agitation konnte insofern gesehen werden, als Agitation vor allem in den Tagen von Montag bis Freitag auftrat und am Wochenende nur gering zu beobachten war. Hinsichtlich der Tageszeit konnte festgestellt werden, dass morgens vermehrt Agitation auftrat und mittags sich dieses Verhalten nur wenig zeigte.
Inwiefern gibt es personenspezifische Agitationsmuster?
Bei gewissen Personen zeigten sich regelmäßige Muster über die Zeit und den Wochentag. Bei anderen hingegen waren überhaupt keine Regelmäßigkeiten zu beobachten. In unserer Untersuchung konnten personenbezogene Muster identifiziert werden, die jedoch bei einer weiterführenden Untersuchung im Hinblick auf psychologische Typologien weiter analysiert werden müssen. Bisher gibt es kaum Studien dazu.
Die Studie hat bestätigt, was von Fachleuten unlängst angenommen wurde: Das Verständnis der Begleitumstände des auffälligen Verhaltens ist entscheidend, um die Rahmensituationen oder die Auslöser von agitiertem Verhalten zu verstehen. Erst wenn es gelingt, die Begleitumstände des agitierten Verhaltens richtig zu deuten, können individuell bedeutsame und nachhaltige Pflegeinterventionen zum Tragen kommen. Dazu ist es allerdings notwendig, dass Pflegende dahingehend geschult werden, achtsam zu sein und aufmerksam zu werden, für Vorzeichen von Agitation oder für individuelle Auslöser agitierten Verhaltens. Werden die Einflussfaktoren und Begleitumstände erkannt und richtiggehend interpretiert, kann vielfach herausforderndem und im Speziellen agitiertem Verhalten vorgebeugt werden.
Welche Konsequenzen resultieren speziell für Pflegende?
Auch wenn dies nicht leicht zu bewerkstelligen ist, so ist doch die situationsgerechte Analyse der Begleitumstände von Agitation nicht nur wichtig, um die Muster dieser Verhaltensauffälligkeit aufzuzeigen, sondern sie können für das Pflegepersonal wichtige Handlungsempfehlungen an die Hand geben. Jede Verhaltensäußerung in dieser Form steht somit nicht losgelöst vom vorzufindenden Kontext. Diesen Ergebnissen sollte im Pflegealltag Beachtung geschenkt werden. Durch individuell abgestimmte Interventionen kann Agitation nicht nur besser erkannt werden. Sie können auch dazu führen, dass dieses auffällige Verhalten verringert wird. Die Ergebnisse der Studie verstärken also die Forderung nach individualisierten, dem Kontext sowie der aktuellen Situation Rechnung tragenden Interventionen des Pflegepersonals.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Oppikofer.
Hintergrund der Studie
In zwei Pflegezentren und in einem auf Demenz spezialisierten Krankenhaus wurden während eines Zeitraums von elf Wochen 359 Tagebucheinträge zu agitationsbedingtem Verhalten erfasst. Teilnehmende waren Bewohner, die entweder selbst oder bei nicht gegebener Urteilsfähigkeit über eine gesetzliche Vertretung eine Einverständniserklärung unterzeichnet hatten.