Schwerhörigkeit im Alter ist ein weitgehend tabuisiertes Thema. Schwerhörige ältere Menschen empfinden sich häufig als Belastung für die Mitmenschen und ziehen sich aus der lautsprachlichen Kommunikation zurück. Besonders im ambulanten Bereich fehlt es den Pflegekräften an Konzepten, wie sie gut mit ihren beeinträchtigten Patienten umgehen können.
Schwerhörigenbund hat Schulungskonzept entwickelt
Für eine hörbehindertengerechte Kommunikation gibt es nur ein völlig unzureichendes Problembewusstsein in der Öffentlichkeit. Das Schulungskonzept des Deutschen Schwerhörigenbundes NRW e. V. für den Umgang mit hörgeschädigten älteren Menschen setzt an dieser Stelle an.
Gemeinsam mit HNO-Ärzten, Hörgeräteakustikern und geriatrischem Fachpersonal wurde ein Schulungskonzept entwickelt, das unter anderem auf folgenden Bausteinen basiert:
– Anatomie des Ohres
– Formen der Schwerhörigkeit
– Schallleitungs- und Schallempfindungsschwerhörigkeit
– Schwerhörigkeit und Gedächtnisleistung
– Umgang mit hörgeschädigten älteren Menschen
– Kommunikationsformen/Kommunikationshilfen
– Welcher ältere Mensch hört wie?
– Allgemeine Verhaltensregeln
–Praktischer Umgang mit Hörgeräten
– Barrierefreie Veranstaltungen.
Der Schwerpunkt des Schulungskonzepts liegt im Bereich der Kommunikation mit älteren Menschen.
Kommunikation zwischen Menschen basiert auf dem Austausch von Informationen zwischen Sender und Empfänger. Eine funktionierende Kommunikation bedarf einer Sprach- und Regelkenntnis. Als eine solche Kompetenz ist die intakte Hörfähigkeit anzusehen (1).
Bei eingeschränkten Hörfähigkeiten bedürfen die Interaktionspartner einer Kommunikationskompetenz, die die Defizite bei den Schwerhörigen erkennt und durch die Anwendung definierter Verhaltensregeln zumindest teilkompensiert beziehungsweise weitgehend ausgleicht.
Die Schwerhörigkeit im Alter hat gravierende Auswirkungen auf die Lebenssituation älterer Menschen. Die Beeinträchtigung der Kommunikation wird in erster Linie durch Schwierigkeiten im Sprachverständnis hervorgerufen. Hintergrund ist eine Abnahme des Diskriminationsmaßes, das die Trennung der Sprache von Nebengeräuschen ermöglicht. Diese Fähigkeit nimmt im Alter ab und lässt das Verstehen für viele ältere Menschen so anstrengend werden.
Hören darf nicht mit Verstehen gleichgesetzt werden
Die verstärkten Anstrengungen zur Sprachwahrnehmung absorbieren Energien, die für die Speicherung, Verarbeitung und Wiedergabe von Gesprächsinhalten nicht mehr zur Verfügung stehen. Insbesondere die vom schwerhörigen älteren Menschen kaum zu beeinflussende Sprechgeschwindigkeit des Kommunikationspartners erschwert die Verarbeitung in besonderem Maße.
Die vorstehend dargelegte Tabuisierung der Schwerhörigkeit und das fehlende Bewusstsein für diese eingeschränkte Sinneswahrnehmung manifestiert sich in einer sehr geringen
Hörgeräteversorgungsquote in Deutschland. Von etwa 14 Millionen hörgeschädigten Menschen besitzen etwa 2,5Millionen ein Hörgerät. Schätzungen zufolge liegt aber aufgrund einer sehr hohen „Nachttischschubladengeräte-Quote" die tatsächliche Nutzung nur bei etwa 1,5Millionen Geräten.
Schwerhörigkeit so lange wie möglich verbergen
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Kenntnis über die Schwerhörigkeit im Alter ein besonderes Gewicht. Ältere Menschen sind bestrebt, die Schwerhörigkeit so lange zu verbergen, bis die Beeinträchtigungen im Alltag zu groß werden. Je länger aber das Hörvermögen älterer Menschen bestimmte Frequenzen nicht mehr wahrnimmt, desto größer sind die Anpassungsschwierigkeiten bei einer Hörgeräteversorgung im hohen Alter.
Hierin liegt auch ein Grund für den Rückzug älterer schwerhöriger Menschen in die soziale Isolation. Der hörbehindertengerechte Umgang auf der Grundlage des Schulungskonzepts des Deutschen Schwerhörigenbundes kann ambulante Pflegekräfte in die Lage versetzen, den Pflegealltag mit älteren Menschen zu erleichtern.
Schwerhörige im Krankenhaus
Als einige der wenigen Akut- und Rehabilitationskliniken bundesweit thematisiert das Krankenhaus St. Barbara in Attendorn seit 1992 die spezielle Situation schwerhöriger Patienten während eines Klinikaufenthaltes. Das 286 Klinikbetten umfassende Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung ist als einzige Tochter der Rhön Klinikum AG mit einer Geriatrischen Abteilung ausgestattet. Den Behandlungsschwerpunkt in der über 50 voll- und zwölf tagesklinischen Betten verfügenden Abteilung bildet die geriatrische, frührehabilitative Komplexbehandlung (GFK).
Das Engagement der Klinik basiert auf den Erfahrungen des multiprofessionellen geriatrischen Teams sowie dem Wissen über die zum Teil gravierenden Auswirkungen einer nicht er- oder bekannten Hörstörung, unter anderem im Bezug auf die Beurteilung der psychischen, physischen und kognitiven Befindlichkeit des Patienten.
Nicht selten steht das nachfolgend aufgezeigte Verhalten des Patienten im Zusammenhang mit der auditiven Wahrnehmungsstörung. Dies entzieht sich häufig der Kenntnis von Pflegefachkräften und Angehörigen.
Fallbeispiel
Frau B., eine 80-jährige Patientin, wird durch den Hausarzt wegen zunehmender Immobilität sowie dem Verdacht einer kognitiven Leistungsminderung zur Mobilisation und Abklärung einer beginnenden demenziellen Erkrankung in die geriatrische Abteilung eingewiesen.
Laut Pflegeüberleitungsbogen (PÜB) des ambulanten Pflegedienstes, der Frau B. seit einer Woche einmal täglich morgens grundpflegerisch versorgt und in den Rollstuhl mobilisiert, zeigt sich die schwerhörige Patientin
– misstrauisch und zunehmend weniger kooperativ
– zeitweise aggressiv
– depressiv verstimmt
– auffällig durch inadäquates, nicht zeitgerechtes Beantworten von Fragen sowie Ignorieren von Handlungsanweisungen.
Die Tochter beschreibt im Rahmen der Pflegeanamnese unter anderem, dass sich Frau B. – bis vor wenigen Monaten eine gesellige, lebensfrohe, freundlich zugewandte ältere Dame – in letzter Zeit zunehmend mehr zurückzieht, sehr schreckhaft und klagend ist, nur ungern das Bett verlässt und gehäuft aggressiv reagiert. Frau B. möchte seit einem Monat ihre Hörgeräte nicht mehr tragen, mit der Folge von Verständigungsproblemen und vermehrten innerfamiliären Konflikten. Einen von der Tochter angestrebten Besuch des HNO-Facharztes weist Frau B. entschieden zurück.
Mit ihrem Einverständnis wird Frau B. zu Beginn ihres klinischen Aufenthaltes HNO-ärztlich konsiliarisch vorgestellt. Die sachgerechte Entfernung eines massiven Cerumenpfropfes des rechten und der Behandlung einer nässenden Gehörgangsläsion des linken Ohres führt zu einer geringfügigen Verbesserung des Sprachverständnisses.
Die Ton- und Sprachaudiometrie ergibt eine Hörminderung in Form einer hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit. Die vorhandenen Hörgeräte werden einer Kontrolle unterzogen, gereinigt, entsprechend dem aktuellen Audiometrieergebnis eingestellt und mit neuen Schallschläuchen versehen.
Der Patientin konnte geholfen werden
Durch die Berücksichtigung ihrer speziellen Kommunikationsbedürfnisse und -wünsche sowie unter konsequenter Anwendung hörbehindertengerechter Kommunikations- und Verhaltensregeln fasste Frau B. in kurzer Zeit Vertrauen zu den Mitarbeitern des Geriatrischen Teams. Sie arbeitet aktiv in den Therapien mit und fordert nach zehn Tagen ihre Hörgeräte ein, die sie anfangs nur bei der ärztlichen Visite und den Therapien, zum Ende des Aufenthaltes aber ganztags nutzt. Sie zeigt sich kooperativ und geordnet, nimmt am alltäglichen Stationsgeschehen Anteil und beantwortet Fragen nahezu immer adäquat und zeitgerecht.
Die, ebenfalls unter Berücksichtigung des Hörstatus, zur Abklärung einer demenziellen Erkrankung vorgenommenen neuropsychologischen Tests ergeben altersentsprechende, nicht pathologische Befunde.
Schulung der Krankenhausmitarbeiter
Nach einem von kompetenten Selbstbetroffenen (Arbeitsgemeinschaft hörgeschädigter Patienten, Hamburg) begutachteten Konzept schult das St. Barbara Krankenhaus im Rahmen der Qualitätssicherung alle im Patientenkontakt stehenden Mitarbeiter. Integriert in das Lernfeld Sinneswahrnehmung ist die Unterrichtseinheit „Der hörgeschädigte Patient im Klinikalltag" seit 1994 fester Bestandteil des Lernzielkataloges der an der Klinik ihre Ausbildung absolvierenden angehenden Kranken- und Gesundheitspfleger. Das Attendorner Unterrichtskonzept ist ein Baustein des Schulungskonzeptes des Deutschen Schwerhörigenbundes.
Eine adäquate Pflege, Behandlungund Betreuung betroffener Patienten setzt zudem die Kenntnis des individuellen Hörstatus voraus. In Gesprächen mit Patienten und Angehörigen stellte sich heraus, dass sich der Besuch eines Facharztes für HNO-Heilkunde oder eines Hörgeräteakustikers für Alterspatienten oftmals problematisch gestaltet und nicht selten mehrere Jahre zurückliegt.
Basierend auf einem, in der geriatrischen Abteilung durchgeführten Pilotprojekt sowie einer Projektstudie (veröffentlicht im DSB-Report, Ausgabe 05/04) wurde 2003 der „Service für besseres Hören, Wege zum sicheren Verstehen" an der Klinik implementiert. Der „Hörservice" beinhaltet die im Fallbeispiel angeführte otoskopische und audiometrische Untersuchung sowie die Beratung und Information rund um das Thema Hören. Er steht allen voll- und teilstationären Patienten der Klinik unentgeltlich zur Verfügung. In Räumlichkeiten der Klinik durchgeführt, sorgen neben der Fachkompetenz des Serviceteams unter anderem die flexible Termingestaltung, abhängig vom Gesundheitszustand des Patienten, kurze Wartezeiten in der Ambulanz sowie bequeme Erreichbarkeit ohne lange Fahrtwege für eine entsprechend gute Frequentierung des Angebotes.
Vor dem Hintergrund, dass zunehmend mehr ältere, schwerhörige Menschen trotz manifester Erkrankungen und erhöhtem Pflegebedarf das vertraute Zuhause einer Versorgung in einer Pflegeeinrichtung vorziehen, werden sowohl die Mitarbeiter ambulanter Pflegedienste als auch Angehörige vermehrt dem Pflegeproblem Schwerhörigkeit und dessen Auswirkungen begegnen.
Werden die Pflegefachkräfte der ambulanten Dienste im richtigen Umgang mit schwerhörigen Patienten geschult, führt dies wie im stationären Bereich unter anderem zu einer Verbesserung der Pflegequalität in Bezug auf die aktivierende Pflege, mit dem Ziel der Erhaltung und Förderung vorhandener Ressourcen.
Nicht selten leiden Angehörige unter der erschwerten Kommunikationssituation ebenso wie die Betroffenen – mit der Folge des beiderseitigen Rückzuges oder eines erhöhten Konfliktpotenziales. Die Aneignung eines hörbehindertengerechten Kommunikationsverhaltens, zum Beispiel im Rahmen der von verschiedenen Institutionen angebotenen „Pflegekurse für Angehörige", ist eine Möglichkeit der Hilfestellung, die bislang kaum Berücksichtigung findet.
Hintergrund
In Deutschland leben etwa 14 Millionen Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung (Sohn, Uni Witten/Herdecke). Hiervon sind 13,5 Millionen schwerhörig. Insbesondere der Anteil älterer schwerhöriger Menschen ist besorgniserregend. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der damit einhergehenden steigenden Lebenserwartung ist ein deutlicher Anstieg schwerhöriger älterer Menschen zu erwarten.
Literatur:
(1) Tesch-Römer, C.: Schwerhörigkeit im Alter. Belastung, Bewältigung, Rehabilation, Median Verlag von Killisch-Horn GmbH 2001.
Verfasser:
Mechthild Decker-Maruska und Bernd Kratz