Nach dem erfolgreichen Abschluss des Projekts ReduFix (2004–2006) zur Reduzierung von Fixierungen nimmt sich das Nachfolgeprojekt ReduFixPraxis (2007–2009) dem Transfer der Wissensstände in die Praxis an. Schulungen von Mitarbeitern sind Kernstück dieses Projektabschnitts. Mit ReduFix-Ambulant (ab 2009–2011) als dritten Teil widmet sich das Projekt der besonderen Situation in der ambulanten Versorgung.
Sturzprophylaxe dient oft als Rechtfertigung für Fixierungen
Sich möglichst uneingeschränkt bewegen zu können, dieser Wunsch begleitet nicht nur die Betroffenen und ihre Angehörigen, sondern beschäftigt auch die in der Altenpflege Tätigen. Um die (Bewegungs-)Freiheit weit möglichst zu erhalten, unternehmen die meisten Verantwortlichen große Anstrengungen. Insbesondere bei sturzgefährdeten Menschen ist die Unterstützung der Mobilität eine anspruchsvolle Aufgabe. Steht man doch bei diesem Bestreben immer im Spannungsfeld von Förderung der Bewegung versus der Vermeidung eines Sturzes beziehungsweise dem Erhalt der körperlichen Unversehrtheit. So bemühen sich beispielsweise Heimbetreiber in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen um Sturzprophylaxe (1), um Etablierung von Betreuungskonzepten für Menschen mit demenzieller Erkrankung und um die architektonische Umsetzung neuer Wohnkonzepte.
Trotz vielfältiger Anstrengungen wird noch zu oft und zu schnell fixiert oder in anderer Art und Weise die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Begründet werden diese „Behandlungsmaßnahmen" oft mit der Aussage: Schutz vor Sturz (2) und Fraktur, zu wenig Personal oder mit Angst vor Haftung bei Stürzen. Ein Großteil der Betroffenen wird also aus einem Sicherheitsgedanken heraus fixiert.
Dabei werden Fixierungsmaßnahmen oft ergriffen, wenn nicht bekannt ist, wie einer drohenden Sturzgefahr, einem Weglaufrisiko oder herausfordernden Verhaltensweisen zu begegnen ist und welche Alternativen zu freiheitsbeschränkenden Maßnahmen (fbM) es überhaupt gibt.
Diese Wissenslücke auszufüllen, nimmt sich das Modell ReduFix Praxis an. Auf der Wissens und Forschungsgrundlage des Vorgängerprojektes ReduFix (siehe Info-Kasten) und dessen erfolgreichem Ausgang wurde ein Schulungskonzept entwickelt, das Interessierten ermöglicht, den neuesten Stand in Forschung und Praxis zu erlangen. Freiheitsentziehende Maßnahmen gelten als umstritten und sind auch aus pflegewissenschaftlicher Sicht nicht mehr zeitgemäß – es gibt weltweit keine einzige Studie, die einen nennenswerten Nutzen einer Fixierung zeigen konnte. Im Gegenteil, die damit verbundenen Risiken und Gefahren sind enorm: Ischämien, Muskelatrophie und damit einhergehend eine noch höhere Sturzgefahr als zuvor, Inkontinenz, die Gefahr der Strangulation und erhöhter Personalaufwand durch Überwachungsvorgaben sind die Folge. Freiheitsentziehende Maßnahmen entsprechen in aller Regel nicht dem ressourcenorientierten Umgang mit den Patienten, Klienten, Kunden und Heimbewohnern. Zudem wird eine Fixierung von den Betroffenen selbst subjektiv als sehr belastend empfunden. Die Rechtslage in Deutschland hält alle Beteiligten dazu an: Freiheitseinschränkende Maßnahmen sind nur als letztes Mittel (3) und auch nur mit besonderer Genehmigung zulässig.
Wissen kann zur Reduzierung von Fixierungen beitragen
Um erfolgreich an der Reduzierung dieser Maßnahmen zu arbeiten, benötigen alle am Entscheidungsprozess Beteiligten das Wissen darüber. Schulungen sind dabei ein effektiver Weg, um komprimiert und teamorientiert einen gemeinsamen Stand zu erlangen und haben sich auch im Projekt ReduFix als eine tragende Säule erwiesen.
Dabei sind im Besonderen folgende Schulungsinhalte als wichtig zu erachten:
Nach einer Einführung in den aktuellen (inter)nationalen Forschungs- und Praxisstand zum Thema freiheitsentziehende Maßnahmen und der Reduzierung wird das Projekt ReduFix (4) vorgestellt. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass es möglich ist, positive Ergebnisse in der Fixierungsminimierung zu erlangen. Ein weiterer Schulungsinhalt ist die Praxisübung zur körpernahen Fixierung (Gurtsystem, Bettgitter). Im Fokus steht die korrekte und fachliche Anwendung derselben. Risiken und die damit verbundenen Sorgfalts und Aufsichtspflichten werden bei der Demonstration praktisch erörtert.
Da die Thematik der freiheitsbeschränkenden Maßnahmen einhergeht mit vielen rechtlichen Bestimmungen, Haftungsmythen – die sich hartnäckig halten – und Genehmigungspflichten, ist es Teil des Schulungsablaufs, die vorherrschenden Unsicherheiten aufzugreifen.
In einem weiteren Schritt wird explizit an dem Entscheidungsfindungs- und Handlungsprozess gearbeitet, der sich an dem Schema der Pflegeplanung orientiert. Dadurch kann es praxisnah gelingen, die Minimierung dieser Maßnahmen erfolgreich in den Pflegealltag einzuflechten. Auf Wunsch der Schulungsteilnehmer kann ein Fallbeispiel aus der Einrichtung diskutiert werden, sodass ein konkretes Ergebnis am Ende des Schulungstages steht.
So könnte ein Fallbeispiel bearbeitet werden
Schritt 1
- Erhebung des Ist-Zustands (Was wurde/wird bereits getan? Wer ist betroffen und belastet – Pflegekräfte, Patienten, Angehörige?)
- Problemanalyse (Was ist das Problem? Wann tritt es auf?)
- Ursachenklärung (Beispiel: Weglauftendenz – Ist das Problem nur das Symptom oder bereits die Ursache? Was steckt wirklich dahinter? Medizinische, pflegerische, gerontopsychiatrische Einschätzung)
Schritt 2
- Betrachtung von Alternativen (Was kennen wir im Bereich pflege- und organisationsgestützte Alternativen, Therapie- und Versorgungskonzepte, Rahmenempfehlungen, Umgebungsanpassung und baulich-architektonische Maßnahmen, Hilfsmittel und technisch-/elektronische Lösungen?
- Was ist vorstellbar? Wer würde als kompetente Beratungsperson infrage kommen, um unser Wissen zu erweitern?
- Risiken der Alternativen
- Rechtsgrundlage bei der Anwendung
Schritt 3
- Entwicklung eines Maßnahmenplans (Was ist Ziel? Was passt zum Betroffenen? Was ist vorhanden? Was müsste angeschafft oder ausgeliehen werden?)
-Treffen der Entscheidung im Sinne des Betroffenen (Fallkonferenz mit Einbezug aller möglichen beteiligten Akteure: Bewohner, Bezugspflegekraft, Leitungskraft der Einrichtung, Therapeuten, Angehörige, rechtliche Betreuer, Hausarzt, Richter. Bei Abwesenheit schriftliche Stellungnahme zur Einschätzung der Situation. Wichtig: Was würde dem Autonomiebedürfnis und dem Bewegungswunsch des Betroffenen entsprechen?)
- Konkrete Vereinbarung treffen (Wir haben die beste Entscheidung getroffen, die den Betroffenen in seinen Grundrechten und seiner Menschenwürde am besten schützt.)
- Jeder an der Entscheidung Beteiligte ist ausreichend informiert und die Entscheidung wird gemeinsam getragen.
Schritt 4
- Umsetzen der Maßnahme (konkrete Anwendung)
- Gegebenenfalls Schaffung einer Rechtsgrundlage (betreuungsrichterliche Genehmigung)
- Dokumentation
Schritt 5
- Beobachtung
- Einschätzung (Ist die Alternative erfolgreich oder die Maßnahme noch angemessen und notwendig? Ist sie in Art und Dauer ausgewogen?)
Am Ende des Schulungstages gibt es jeweils die Möglichkeit, die gewonnenen Erkenntnisse zu resümieren und nächste konkrete Schritte festzulegen, beispielsweise die Erarbeitung eines Prozessablaufs zu freiheitsentziehenden Maßnahmen und deren Reduzierung.
Weitergebildete Fachkräfte haben Einfluss auf die Lebensqualität
Dass gut geschulte Fachkräfte in der Pflege ein Schlüssel zum Erfolg sind, konnte auch durch die MUG IV (5) Studie nachgewiesen werden. Gerontopsychiatrisch weitergebildeteFachkräfte haben einen Einfluss auf die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Einrichtungen – sie erhöhen das Lebensgefühl und das Wohlbefinden in der Einrichtung. Und nicht nur das, die Arbeitsmotivation von in der Pflege Tätigen erhöht sich durch die Eröffnung zu Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Bei der Auswertung der Studienergebnisse von ReduFix trat zu Tage, dass die Akzeptanz der Mitarbeiter/innen für die Anliegen des Projektes sehr groß war und dass die Reduzierung der Betroffenenquote als sehr befriedigend empfunden wurde. Es zeigt sich: Gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten, bringt Freude. Zusätzlich ist die Entlastung durch das „Nicht-mehr-fixieren-Müssen" gerade auch bei den Pflegekräften enorm. Darum gilt es: Sich fortzubilden, ist wie schwimmen gegen den Strom: Wer aufhört, hat schon verloren.
Literatur:
(1) Sturzprävention der AOK: Sturzbedingte Krankenhauseinweisungen um 30% gesunken, Pressemitteilung der AOK Baden-Württemberg 2004
(2) 90% der Pflegekräfte geben diesen Grund als Entscheidung zur Fixierung an Klie/Pfundstein. In: Hoffmann/Klie: Freiheitsentziehende Maßnahmen, 2004
(3) Der Expertenstandard Sturzprophylaxe gibt die Empfehlung, freiheitseinschränkende Maßnahmen einschließlich Bettgitter unbedingt zu vermeiden, DNQP (2006)
(4) Projektteam ReduFix (2007): Alterna-tiven zu Fixierungsmaßnahmen oder: Mit Recht fixiert?
(5) Schneekloth/Wahl (2009): MUG IV Studie – Möglichkeiten und Grenzen selbstständiger Lebensführung in stationären Einrichtungen
Kontakt undweitere Informationen zu Schulungsmöglichkeiten:
www.redufix.de
EMail: info(at)redufix.de