Die ärztliche Versorgung in Heimen ist immer noch nicht ausreichend gewährleistet. Wie diese gesichert werden kann, hat das Kuratorium Wohnen im Alter (KWA) als gemeinnützige Trägergesellschaft in seinen Einrichtungen mithilfe diverser Modellprojekte erprobt. Der folgende Artikel zieht eine Zwischenbilanz
Fehlende Facharzt-Besuche
Festzuhalten ist, dass Allgemeinmediziner als Hausärzte in der Regel bereit sind, zu ihren Patienten in die Heime zu gehen. Dagegen sind Fachärzte nur selten in den Einrichtungen anzutreffen, vor allen Dingen in ländlichen Regionen. So sind Hausbesuche von Orthopäden, Gynäkologen und Chirurgen in deutschen Heimen die absolute Ausnahme. Dies ist eine Situation, die so nicht hinzunehmen ist.
Auch die zahnärztliche Versorgung ist – abgesehen von einigen bemerkenswerten Modellprojekten – eher als mangelhaft zu bezeichnen. Dieser Misstand wird sogar von einigen Zahnärzten selbst angeprangert, beispielsweise vonseiten des Münchner Zahnarztes Cornelius Haffner, der in der bayerischen Landeshauptstadt zusammen mit Kollegen das Modellprojekt „Teamwerk" der AOK umsetzt Hierbei finden vierteljährliche Besuche der Zahnmediziner in den Heimen statt. Haffner bezeichnete es unlängst in der Münchner Lokalpresse als „Sauerei", was in Pflegeheimen in Sachen Zahngesundheit passiert.
Hausbesuche adäquat vergüten
Es ist daher dringend geboten, dass Haus- und Fachärzte für ihre Hausbesuche eine adäquate Vergütung erhalten. So heißt es bereits in einer Stellungnahme der Diakonie aus dem Jahr 2007 (Diakonie Texte 11.2007): „Der ärztliche Hausbesuch bei pflegebedürftigen Menschen muss budget-unabhängig honoriert werden, damit diese Menschen, die selbst nur schwer zum Arzt kommen können, vom Haus- oder Facharzt aufgesucht werden."
Ohne eine solche Regelung droht der ärztlichen Versorgung in den Heimen der Kollaps.
Der durch Mitarbeiter des Heims begleitete Arztbesuch, der von einigen Heimaufsichten gefordert wird, kann nicht die Lösung sein. Die Heime haben weder die finanziellen noch die personellen Ressourcen dafür. Hinzu kommt: Wer sollte die Entscheidung über die medizinische Behandlung beim Arzt treffen? Der in vielen Fällen begleitende Zivildienstleistende ganz sicher nicht. Außerdem ist diese Leistung (derzeit) auch nicht in den Pflegesätzen enthalten.
Nach einer Umfrage der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin aus dem Jahr 2008 sind beide Seiten, Heimverantwortliche und Mediziner, unzufrieden mit der derzeitig bestehenden Situation. Die Heimleitungen beklagten die schlechte Zusammenarbeit mit den Ärzten und die fehlende Bereitschaft zu Hausbesuchen im Heim. Die Mediziner hingegen bemängelten die fehlende Integration des Arztes in die Heimstrukturen, die mangelhafte Vorbereitung des Arztbesuches und die fehlende Visitenbegleitung, so die Kernaussagen der Umfrageergebnisse.
Einrichtungen können eigene Heimärzte einstellen
Bei aller Kritik muss festgehalten werden, dass langsam mehr Bewegung in die Thematik kommt. Nicht nur die Politik erkennt den Handlungsbedarf, auch die Leistungsträger haben das Problem aufgegriffen. Der neue § 119b SGB V (BT Drucksache 16/7439, S. 97) ermöglicht es stationären Einrichtungen, viel stärker als früher die ärztliche Versorgung mitzugestalten. Heime können demnach einzeln oder gemeinsam Kooperationsverträge mit dafür geeigneten vertragsärztlichen Leistungserbringern schließen. Wenn solche Kooperationsverträge nicht zustande kommen und die ärztliche Versorgung im Heim nicht gesichert ist, kann die Einrichtung eigene Ärzte, so genannte Heimärzte, einstellen.
Der Gesetzgeber hat diese neuen Möglichkeiten geschaffen, um - nach eigenen Worten – die „gelegentlich als unzureichend beschriebene ambulante ärztliche Betreuung von Pflegebedürftigen in Pflegeheimen zu verbessern, Schnittstellenprobleme abzubauen und gleichzeitig der gesetzlichen Krankenversicherung unnötige Transport- und Krankenhauskosten zu ersparen".
Dabei gilt aber nach § 119b SGB V weiterhin das Recht auf freie Arztwahl der Bewohner. Zudem ist der in der Pflegeeinrichtung tätige Arzt […] bei seinen ärztlichen Entscheidungen nicht an Weisungen von Nichtärzten gebunden."
Einzelne Leistungserbringer, Verbände und Kostenträger greifen diese neuen gesetzlichen Möglichkeiten auf und setzen sie in verschiedenen Initiativen um. Die Bundesärztekammer und der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa) vereinbarten beispielsweise Ende 2009, sich gemeinsam für die Umsetzung dieser Eckpunkte bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen einzusetzen.
In München wurde 2009 die über Jahre jeweils befristete Erlaubnis eines angestellten Heimarztes der AWO in eine unbefristete, auf Dauer angelegte Maßnahme überführt. Die AOK als Kostenträger und die AWO wollen so die medizinische Versorgung in einer sehr besonderen Situation sicherstellen.
Am 27. April 2010 haben sich 13 der insgesamt 17 Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland auf ein gemeinsames Rahmenkonzept geeinigt, mit dem die medizinische Versorgung von Menschen in Pflegeheimen künftig nachhaltig verbessert werden soll. Mit dem Abschluss eines Pflegeheimvertrags mit allen Krankenkassen soll auf die Herausforderungen reagiert werden. Grundlage solcher Pflegeheimverträge soll nun das so genannte Rahmenkonzept der Bundesinitiative Pflegeheim sein, das ein Basismodul und darauf aufbauend individuell kombinierbare Zusatzmodule vorsieht. Kern des interdisziplinären Konzepts ist eine strukturell verbesserte Kooperation von niedergelassenen Ärzten untereinander sowie mit den Pflegeverantwortlichen in Heimen. Das von der KVB initiierte bundeseinheitliche Pflegeheimkonzept basiert auf den bereits etablierten Modellprojekten der KV Berlin, der KV Nordrhein und der KV Bayerns. Die KV Bayerns hatte bereits vor Jahren das Konzept der Geriatrischen Praxisverbünde entwickelt und in einigen Regionen etabliert. Dabei übernehmen Haus- und Fachärzte gemeinsam die Betreuung einzelner Heime und stellen über eine besondere Rufbereitschaftsregelung sicher, dass die Patienten während, aber auch außerhalb der Sprechstunden versorgt werden.
Für die Einführung flächendeckender Kooperationsverträge zwischen Pflegeheimen und niedergelassenen Haus- und Fachärzten bei gleichzeitig weiterhin bestehender freier Arztwahl sprach sich die Diakonie Baden Anfang Juni 2010 aus. Dazu gehöre – so die Diakonie - auch eine angemessene Honorierung von Hausärzten, die Patienten in Pflegeheimen versorgen. Ähnlich sieht es der Eigenbetrieb der Landeshauptstadt Stuttgart „Leben & Wohnen (ELW)". Das kürzlich dort erarbeitete Konzept sieht ein Honorar von 350 Euro pro Heimpatient im Quartal vor – das wäre ein Vielfaches von der derzeitigen Vergütung.
Das KWA testet unterschiedliche Modellprojekte
Um eine Lösung für die mangelhafte (fach)ärztliche Versorgung von Heimbewohnern zu finden, praktiziert das KWA in drei seiner Einrichtungen verschiedene Modellprojekte:
1. Im KWA-Parkstift Rosenau in Konstanz bieten Haus- und Fachärzte im Rahmen ihrer Hausbesuche Beratungen und Behandlungen in speziell für sie reservierten Räumlichkeiten des Wohnstiftes an. Das bietet neben anderen Vorteilen auch die Möglichkeit für ein „Vier-Augen-Gespräch" mit den Angehörigen. Die Ärzte werden bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) einen Antrag auf eine so genannte .Zweitpraxis stellen. Zwischen dem Haus und den Ärzten wird ein Kooperationsvertrag geschlossen.
2. Das KWA-Kurstift in Bad Dürrheim vermietet hausintern Räumlichkeiten an ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), das verschiedene Fachrichtungen aufweist. Die Bewohner haben direkten Zugang und können sich bei längeren Wartezeiten auch in ein Café setzen. Ein unkomplizierter Informationsaustausch zwischen MVZ und Haus kann den Pflegeprozess und die ganzheitliche Begleitung der Bewohner optimieren.
3. Das KWA-Luise-Kiesselbach-Haus in München organisiert mit ausgewählten Haus- und Fachärzten ein (derzeit noch informelles) Ärztenetz, um die Bewohner auch medizinisch optimal zu versorgen. Das Haus und die Ärzte haben einen koordinierten und engen Informationsaustausch vereinbart und nehmen unter anderem regelmäßige, vorbereitete und begleitete Visiten vor. Zudem wurden Absprachen zu Bereitschaftszeiten getroffen. Diese drei Vereinbarungen sind die Basis für eine gute Zusammenarbeit zwischen Ärzten und der Pflegeeinrichtung und tragen zum Wohle der Bewohner bei. Zum Modell gehört auch die gezielte Kommunikation mit den Kliniken. Krankenhauseinweisungen und Einsätze von Notärzten konnten im Luise-Kiesselbach-Haus im Vergleich zu anderen Einrichtungen deutlich reduziert werden. Bewohner und Angehörige zeigen sich bei einer Fragebogenerhebung mit der ärztlichen Versorgung sehr zufrieden.
Die Erfolgsfaktoren sind dabei:
Übereinstimmende Zielvorstellungen und Anspruch bezüglich medizinischer und pflegerischer Versorgung
Koordinierter und enger Informationsaustausch (Erreichbarkeit der Ärzte, Vertretungsregelungen, Einsatz verschiedener Kommunikationsmittel, fachliche Kompetenz der Pflegekräfte)
Regelmäßige, vorbereitete und begleitete Visiten, auch durch die Berücksichtigung bei der Dienstplangestaltung im Haus.
Koordination des Informationsaustausches durch das Pflegeteam zwischen den Haus- und Fachärzten
Einbeziehen der Bewohner und/oder der Angehörigen in den Kommunikationsprozess
- Bei Klinikeinweisungen:
- Vorbereitete Dokumente (Überleitungsbogen, Arztbericht des letzen Klinikaufenthaltes, Vollmachten, Patientenverfügungen) werden mitgegeben
- Betreuung während des Klinikaufenthaltes durch Pflegeüberleitungsmitarbeiterin, sofern keine Bezugspersonen vorhanden
- Schnelle Rückverlegung aus der Klinik durch Darstellung des Leistungsspektrums
Dieses Modell im KWA Luise-Kiesselbach-Haus soll in einem Kooperationsvertrag zwischen Haus, Hausärzten und Fachärzten münden, der den Ärzten ein angemessenes Honorar sicherstellt und die Serviceleistungen der Einrichtung sichert. Gleichzeitig wären so die Grundlagen für eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Modells geschaffen.