Die Ombudsfrau zur Entbürokratisierung der Pflege Elisabeth Beikirch stellte auf der Altenpflege 2014 die Ergebnisse des Praxistests zur Erprobung der vereinfachten Pflegedokumentation vor.
Seit Sommer 2011 ist Elisabeth Beikirch als Ombudsfrau zur Entbürokratisierung der Pflege im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit mit einem bundesweiten Projekt zur Reduzierung des Dokumentationsaufwands in Pflegeeinrichtungen tätig. Ihre Aufgabe ist es, konkrete Anregungen und Vorschläge zur Entbürokratisierung in der Pflege einzuholen, zu sichten und zu bewerten.
Im Juni 2013 hatte Beikirch auftragsgemäß erste Lösungsvorschläge für eine vereinfachte Pflegedokumentation vorgelegt. Grundlage hierfür waren intensive Beratungen mit pflegerischen und juristischen Experten sowie Prüfinstanzen.
Von Oktober 2013 bis Januar 2014 wurde das neue Dokumentationssystem in 25 ambulanten und 25 stationären Pflegeeinrichtungen erprobt. Gesteuert wurde der Praxistest von Beikirch und einem Lenkungsgremium, dem laut Bundesgesundheitsministerium neben dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung „wesentliche Akteure der Pflegebranche" angehören. Die Ergebnisse des Projekts „Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation in der ambulanten und stationären Langzeitpflege" präsentierte die Ombudsfrau im Rahmen eines Managementkongresses auf der Fachmesse ALTENPFLEGE 2014, die Ende März in Hannover stattfand. Der Endbericht sei vom Bundesgesundheitsministerium noch nicht freigegeben. Beikirch rechne damit Mitte April. Danach ginge es an die bundesweite Umsetzung.
„Wegkommen vom Ankreuzen"
Beikirch machte zu Beginn ihres Vortrags deutlich, dass das Thema Pflegedokumentation aufgrund jahrelanger Fehlentwicklung „deutlich aus dem Ruder gelaufen" sei: So verursache die Pflegedokumentation nicht nur immense Kosten von rund 2,7 Milliarden Euro – wobei allein das Ausfüllen der Leistungsnachweise mit rund 1,9 Milliarden Euro zu Buche schlage –, sondern bedeute auch einen erheblichen Zeitfaktor, der für die Pflege der Patienten und Bewohner fehle.
Auf der Grundlage dieser schwierigen Ausgangslage und auf Basis von Expertenberatungen wurden direkte und indirekte Ziele für ein neues Dokumentationssystem definiert:
Direkte Ziele:
- Anerkennung der Fachkompetenz von Pflegefachpersonen
- fachliche Verständigung zu einer Grundstruktur unter Einordnung juristischer Aspekte (keine Musterdokumentation)
- Weiterentwicklung der pflegerischen Qualität
- Rückgewinnung von zeitlichen Ressourcen in der Pflege
- Grundlage für die interne und externe Qualitätssicherung
- Herstellung von Anschlussfähigkeit zu anderen Verfahren (NBA, Begutachtung, Ergebnisqualität, Transparenz)
Indirekte Ziele:
- Aufhebung des Eindrucks, für Prüfinstanzen zu dokumentieren
- Beendigung der Situation einer „angstgetriebenen Pflegedokumentation"
- Vielfalt der Beteiligten in der Versorgung bei der Dokumentation beachten
- Vermittlung von Rationalität im Umgang mit der Risikoeinschätzung
- Rückgewinnung des Stellenwerts der Pflegedokumentation für den beruflichen Alltag
Um diese Ziele erreichen zu können, sei laut Beikirch eine Abkehr von etablierten Pflegemodellen wie das von Roper/Logan/Tierney oder Krohwinkel sowie die Ablösung des generell praktizierten schematischen Ankreuzverfahrens als Prinzip der Pflegedokumentation erforderlich. „Wir müssen wegkommen vom Ankreuzen und uns darauf einlassen, auf einer anderen Ebene zu dokumentieren", sagte die Ombudsfrau in Hannover. „Das stellt einen kompletten Paradigmenwechsel dar, der aber zu bewältigen ist."
Aus fachlicher Sicht sei bei einer verschlankten Dokumentation eine Beschränkung der Aufzeichnungen im Pflegebericht auf Abweichungen in der Regelversorgung sowie eine Begrenzung der Verschriftung des Pflegeprozesses auf vier Schritte notwendig. Somit basiert die Grundstruktur des neuen Systems auf vier Elementen:
- Element 1: „Strukturierte Informationssammlung" (SIS) entlang von fünf Themenfeldern und einem rationalen Verfahren der Risikoeinschätzung zu pflegesensitiver Risiken und Phänomene in einer Matrix
- Element 2: Grundlage für eine entsprechende individuelle Pflege- und Maßnahmenplanung
- Element 3: Voraussetzung für eine veränderte Vorgehensweise mit dem Pflegebericht
- Element 4: Steuerung durch gezielte individuelle Evaluationsdaten
Auf dieser Grundlage wurde im Rahmen des Projekts eine Grundstruktur zum Aufbau einer eigenen Pflegedokumentation erarbeitet. Diese sei laut Beikirch nicht als Musterdokumentation zu verstehen, sondern nur als Grundgerüst, das an einrichtungsspezifische Gegebenheiten angepasst werden müsse. Im Klartext soll die neue Pflegedokumentation aus folgenden Bausteinen bestehen:
- Stammdatenblatt
- Strukturierte Informationssammlung (initial): Gewohnheiten und Hilfebedarf aus Sicht des Pflegebedürftigen, Hilfebedarf und Risikoeinschätzung aus Sicht der Pflegefachkraft, daraus resultierender Aushandlungsprozess
- Ärztliche Anordnungen
- Maßnahmenplanung auf Grundlage des Aushandlungsprozesses (grundpflegerische Regelversorgung, Behandlungspflege, Risikomanagement)
- Pflegebericht im Verlauf: nur Abweichungen von der Regelversorgung und Dokumentation tagesaktueller Ereignisse sowie krankheitsbedingter Vorkommnisse
- Evaluation (anlassbezogen und internes Qualitätsmanagement)
Implementierungsstrategie erforderlich
Die Ombudsfrau gab zu, dass zu Beginn der Praxistests erst einmal Ängste in den rund 50 Pflegeeinrichtungen hätten überwunden werden müssen. Doch der anfänglichen Skepsis sei nach und nach einem Aha-Effekt gewichen. Insgesamt habe sich das neue Dokumentationssystem im Praxistest bewährt. „Vieles musste geübt werden, aber insgesamt hat es gut funktioniert", äußerte Beikirch. „Viele Pflegende äußerten, dass die neue Dokumentation wieder mehr mit ihrem Berufsalltag zu tun habe."
Nötig sei nun eine breit angelegte Implementierungsstrategie und Qualifizierungsoffensive. „Jahrelange Fehlentwicklungen lassen sich nicht ad hoc beseitigen", konstatierte die Ombudsfrau. „Ein Paradigmenwechsel im Grundverständnis einer fach- und sachgerechten Dokumentation erfordert ein Umdenken bei allen Akteuren."