Ein Forscherteam aus Gießen beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit den Sterbebedingungen in stationären Einrichtungen in Deutschland. Anfang November trafen sich Experten auf dem 3. Gießener Kongress, um unter anderem Wege für ein „gutes Sterben" zu erörtern. Station24 war dabei und sprach mit dem Gießener Professor und dem Leiter der Gießener Sterbestudien Wolfgang George über Hintergründe, Herausforderungen und Wünsche für die Zukunft.
Herr George, Sie erforschen seit längerem die Sterbebedingungen in Krankenhäusern, Heimen und Hospizen. Was sind für Sie die zentralen Ergebnisse?
Wir haben uns bei unseren Untersuchungen insbesondere auf den stationären Sektor konzentriert. Das heißt Heime, in denen ungefähr 30 Prozent aller Menschen sterben, Hospize, hier sind es etwa 3 Prozent, und Kliniken. Dort sterben die Patienten am häufigsten - nämlich jeder zweite Ältere oder Sterbenskranke.
Allerdings wurden in diesen Einrichtungstypen unterschiedliche Versorgungsstandards erreicht. Generell ist die Betreuung im Hospiz am besten. Denn hier wird der Umgang mit den Sterbenden am kultiviertesten vorgetragen.
Trotzdem können Menschen am Ende ihrer Tage auch in Heimen und Krankenhäusern gut begleitet werden. In diesen Fällen erreichen konfessionelle und kommunale Träger tendenziell etwas bessere Ergebnisse als private. Aber auch die Lage und Größe der Pflegeeinrichtungen ist nicht ohne Bedeutung: Problematisch sind die Sterbebedingungen vor allem in großen Häusern in der Stadt.
Wo sind die Sterbebedingungen in Deutschland am besten. Im Krankenhaus, Heim, Hospiz oder zuhause?
Zu Hause zu sterben, wünschen sich geradezu instinktiv die meisten Menschen. Das sollte auch als Leitziel der Versorgung immer erkennbar sein. Zugleich darf die medizinisch-pflegerische und soziale Realität nicht missachtet werden.
Somit ist klar, dass wir uns dahingehend einsetzen müssen, ein „gutes" Sterben unabhängig vom Sterbeort zu ermöglichen. Für mich ist es nur sehr schwer verständlich, das Krankenhäuser nicht als Orte betrachtet werden sollen, in denen ein würdevolles Sterben möglich ist. Ich halte dies für eine zweckdienliche Polemik.
Sie haben auf dem 3. Gießener Kongress Anfang November über Wege und Projekte für ein „gutes Sterben" in Kliniken und Pflegeheimen diskutiert. Können Sie uns eine kurze Zusammenfassung geben?
Es gibt verschiedene Lösungs- und Vorgehensansätze. Zunächst einmal ist es ganz zentral, dass sich jeder einzelne Helfer darüber klar werden muss, welche Rolle er in der Sterbebegleitung übernehmen will und kann. Das bedeutet, jeder sollte sich der Wirkung seines Modells auf andere bewusst sein.
Zwar ist das Thema Sterbebetreuung – insbesondere auch über die breite Diskussion 2015 in den Medien - in den Köpfen der Bevölkerung angekommen, aber das reicht noch nicht aus. Die Gesellschaft sollte sich bereits in den Schulen mit den Themen Tod und Sterben befassen.
Eine weitere Lösung, das Bewusstsein und die Handlungspraxis für gute Sterbebedingungen in den stationären Einrichtungen zu schärfen, ist sicher das „Deutsche Palliativsiegel". Mit ihm werden Einrichtungen ausgezeichnet, die Sterbende in allen Versorgungsbereichen auf einem sehr hohen Niveau betreuen.
Sterben ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabu-Thema. Wie kann die Forschung dazu beitragen, dass sich diese Einstellung ändert?
Auf jeden Fall ist es ein Thema, das in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht den abendlichen Krimis überlassen werden sollte. In Bezug auf die Verbreitung des Wissens der Thanatologie, also der Wissenschaft von Tod und Sterben, können wir wieder ein Entwicklungsland werden.
Der Verlust des Einflusses der Kirche beziehungsweise deren christlichen Botschaft - zu der auch die kontinuierliche Erinnerung an die eigene Endlichkeit gehört, bleibt nicht ohne Folgen.
Auch die Bundestagsdebatten oder die jüngst in allen Medien berichtete Erkrankung eines deutschen Politikers zeigen deutlich: Erst die eigene ontologische Konfrontation mit dem Sterben führt zu den gesellschaftlich wünschenswerten Erkenntnissen – etwa nach Mäßigung der eigenen Ziele und Ausgleich gegenüber Dritten.
Dabei können sich bereits Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in den Schulen und Hochschulen altersegerecht und angemessen mit Tod und Sterben beispielsweise im Biologie-, Deutsch- oder Religionsunterricht auseinandersetzen. Es geht also darum, die Gesellschaft möglichst früh über das Sterben aufzuklären und es dabei nicht zu verklären. Die Mitarbeiter der Krankenhäuser und Pflegeheime können ein gutes Beispiel sein, wie trotz der hohen Belastungen im Umgang mit den Sterbenden eigenes Lebensglück - eben durch das Wissen um dessen Endlichkeit - erhalten wird.
Was wünschen Sie sich für den Umgang mit dem Tod in unserer Gesellschaft?
Durch unsere älter werdende Bevölkerung und das damit einhergehende gesellschaftliche Leben erhalten wir die Chance , eine stärker oder neu akzentuierte mitmenschlich zugewandte Kultur aufzubauen.
Es geht ausdrücklich nicht allein darum, Sterbende gut zu betreuen, sondern um ein prinzipiell gültiges Menschen- beziehungsweise Patientenverständnis. Wenn sich alles in diese Richtung entwickelt, ist unsere Gesellschaft in einigen Jahren soweit, dass deren Dienstleister, also auch die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, noch stärker individualisierte Angebote bereithalten. Dies gilt auch für die Betreuung Sterbender.
Eine aktuelle Studie hat aber ergeben, dass pflegende Angehörige Angst haben, ihr Familienmitglied am Lebensende zu begleiten. Wie kann dieser Sorge entgegengewirkt werden?
Die Pflegenden in Heimen oder Krankenhäusern spielen hier eine ganz wichtige Rolle. Diese sollten die Angehörigen an die Hand nehmen, diese beraten, aktiv anleiten und ermutigen. Dabei ist das persönliche Modell besonders wichtig.
Wird in dieser Weise vorgegangen, kann die Angst gemeinsam überwunden werden und die Abschiednahme als Teil der Trauer von Patienten, Angehörigen und auch den betroffenen Helfern deutlich besser bewältigt werden. Unseren Studienergebnissen nach besteht in diesem psycho-sozialen Prozess allerdings noch Entwicklungsbedarf. Teilgeschuldet sicherlich der knappen Zeit, aber auch hohen menschlichen und professionellen Anforderungen.
Inwiefern können Pflegende die Sterbebedingungen an ihrem Arbeitsplatz konkret verbessern?
Ein vorrangiges Ziel ist es, die Angehörigen und das soziale Umfeld des Sterbenden noch besser in die Versorgung zu integrieren. Dadurch würden sich auch die Pflegenden selbst entlasten - nicht vor der pflegerischen Arbeit, aber den emotionalen und sozialen Belastungen. Zudem sollten die Pflegenden darauf achten, nicht zu sehr in richtend-bewertende Funktion zu geraten und etwa Angehörige „belehren".
Leider ist eine professionelle Angehörigenintegration bis heute insgesamt ein Stiefkind geblieben – jedoch nicht nur in der Pflege, sondern auch in der medizinischen Handlungswelt oder der Administration.
Für viele Pflegende und Ärzte stellt die Betreuung eines Sterbenskranken eine Ausnahmesituation dar. Was muss Ihren Studien zufolge getan werden, um sie bei dieser Herausforderung nicht allein zu lassen?
Da sprechen Sie etwas ganz Wesentliches an, nämlich die seit Jahrzehnten geforderte aber nur in wenigen Bereichen erreichte Begleitung der Begleiter. Diese Forderung darf nicht in Vergessenheit geraten. Häufig können die Mitarbeiter die verschiedenen Konflikte und Dilemmas kaum aushalten. Das führt in Einzelfällen bis zur Depression oder zur Kündigung. Es ist bewiesen, das Supervision und Schulungen helfen.
Weit größer wiegt aber die Kommunikation und Förderung des geleisteten Einsatzes durch die Kollegen und die Führungs- und Leitungsverantwortlichen. Jedoch erschwert auch hier der Zeit- und Personaldruck das Zustandekommen dieser notwendigen Wertschätzungskultur.
Anfang des Monats hat der Bundestag das neue Palliativ- und Hospizgesetz beschlossen. Reichen die darin vorgesehenen Ansätze Ihrer Meinung nach aus, um Sterbende und Angehörige angemessen zu unterstützen?
Der Bundestag hat ein Gesetzt verabschiedet, das die Ziele der Betreuung Schwerstkranker und Sterbender besser ermöglicht als bisher. Allerdings hätte ich mir etwas mehr finanzielles Engagement und auch einige Akzentuierungen gewünscht.
Wo muss der Gesetzgeber denn noch nachfassen?
Der größte Handlungsdruck - unter anderem durch große personelle Not ausgelöst - besteht unseren Untersuchungen zufolge in den Pflegeheimen. Ihnen hätte stärker und gezielter geholfen werden müssen. So hätte man sie zugleich auch mehr in die Pflicht nehmen können. Und das wäre in einem Gesetzrahmen durchaus balancierbar gewesen. Auch die bestehenden Qualitätsverpflichtungen hätten stärken akzentuiert werden sollen. Kurzum gilt: Jedes Gesetz ist nur so gut, wie es den Gestaltern gelingt, es nutzbar zu machen. Hier ergeben sich sicher zahlreiche Chancen auch für die Einrichtungsbetreiber.
Herr George, herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Johanna Kristen.