Allgemein herrscht die Ansicht vor, dass Pneumonien, die im Altenpflegeheim erworben wurden, häufiger durch methicillin-resistente Staphylococcus-aureus-Stämme (MRSA) oder Gram-negative Erreger hervorgerufen werden. Nicht zuletzt aufgrund dieses andersartigen Erregerspektrums, so die Vermutung, nehmen die Pneumonien einen schwereren klinischen Verlauf. Ob dieser Zusammenhang tatsächlich besteht, untersuchten kürzlich Prof. Santiago Ewig in einer ersten deutschen Studie dieser Art.
Die CAPNetz-Pneumoniestudie ist eine aus Bundesmitteln geförderte deutschlandweite Studie, an der 15 klinische Zentren und zahlreiche Hausärzte teilnehmen. Die Abkürzung „CAP“ steht für „community-acquired pneumonia“ (ambulant erworbene Pneumonie), der Zusatz „Netz“ soll verdeutlichen, dass die Studie als multizentrische Studie in Form eines Netzwerks durchgeführt wird. Ziel der Studie ist es, aktuelle Daten zur Häufigkeit von außerhalb des Krankenhauses erworbenen Pneumonien zu erheben. In der Studie werden zu jedem Patienten demographische, klinische, mikrobiologische und therapeutische Parameter erfasst. Patienten mit Pneumonieverdacht werden in die Studie aufgenommen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
· Alter ≥18 Jahre
· Außerhalb der Klinik neu aufgetretenes pulmonales Infiltrat im Thoraxröntgenbild
· Klinische Atemwegssymptome (Husten, Fieber, eitriges Sputum, positiver Auskultationsbefund).
Die Pneumoniediagnose muss nachfolgend durch weitere diagnostische Schritte gesichert werden. Ausschlusskriterien sind eine vorbestehende Immunsuppression, eine aktive Tuberkulose oder Hinweise für eine nosokomiale Entstehung der Pneumonie (Krankenhausaufenthalt innerhalb der letzten 4 Wochen vor Aufnahme). Die mikrobiologische Diagnostik umfasst Proben von Sputum oder anderen Atemwegsmaterialien (bronchoalveoläre Lavage, Trachealsekret), ggf, Blutkulturen und serologische Diagnostik auf Atemwegserreger. Die Legionella-Diagnostik erfolgt mittels Antigennachweis im Urin und Serologie. Eine Antibiotikaempfindlichkeitsprüfung der angezüchteten Erreger wird in der CAPNETZ-Studie nicht verbindlich gefordert.
Professor Santiago Ewig, Leiter des Deutschen Thoraxzentrums Ruhr, und Mitarbeiter nutzten jetzt die in der CAPNetz-Studie gesammelten Daten, um die Pneumonieverläufe von Patienten jenseits des 65. Lebensjahres auszuwerten. Dabei ging es ihnen um die Frage, ob Patienten, die aus einem Altenpflegeheim in die Klinik eingeliefert werden, ein anderes Erregerspektrum aufweisen als Patienten, die aus dem häuslichen Umfeld aufgenommen werden. Zugleich wollten sie feststellen, ob der klinische Verlauf bei diesen Patienten schwerer und die Mortalität höher ist.
Für die Beurteilung der klinischen Erkrankungsschwere wurde der CRB-65 score herangezogen (Tabelle 1).
Ergebnisse der Auswertung
Aus dem Zeitraum 2002-2009 konnten insgesamt 3087 Patienten (≥ 65 Jahre) in die Auswertung aufgenommen werden. Es handelte sich um 2569 Patienten, die aus ihrer häuslichen Umgebung, und 518 Patienten, die aus einem Altenpflegeheim aufgenommen wurden. Bei den Patienten aus dem Altenpflegeheim handelte es sich signifikant häufiger um Frauen. Große Unterschiede fanden sich auch im Hinblick auf Körpergewicht, Rauchgewohnheiten und eine vorangegangene Pneumokokken-Impfung (Tabelle 2). Die Auswertung der Grundkrankheiten ergab, dass bei Patienten aus dem Altenheim häufiger chronische Gefäßerkrankungen vorlagen: 66,1 Prozent der aus dem Altenheim gebrachten Patienten hatten eine zerebrovaskuläre Erkrankung im Vergleich zu lediglich 15,2 Prozent der aus dem häuslichen Milieu aufgenommenen Patienten (p<0,001). Ein Diabetes mellitus lag zwar ebenfalls häufiger vor, fand sich aber auch bei 28,3 % der aus dem häuslichen Milieu stammenden Patienten (Tabelle 2).
Da alle Patienten 65 Jahre und älter waren, konnten im CRB-65-Score Punktzahlen zwischen 1 und 4 vergeben werden. Bei den aus dem Altenpflegeheim aufgenommenen Patienten war der CRB-65-Score deutlich höher: 26,7 Prozent hatten eine Punktzahl von 3 oder 4 Punkten, verglichen mit nur 7,7 % der Patienten aus dem häuslichen Umfeld (p<0,001, Tabelle 1). Die Mortalität innerhalb 30 Tagen war um das knapp 4-fache, innerhalb 160 Tagen um das etwa dreifache erhöht (Tabelle 1).
Auslösende Erreger nicht eindeutig identifiziert
Wenig ergiebig war die Betrachtung der auslösenden Erreger. Nur bei einem Viertel der Patienten erbrachte die weiterführende Diagnostik überhaupt einen eindeutig als auslösendes Agens zu betrachtenden Pneumonie-Erreger. Dabei handelte es sich in einem Drittel der Fälle um Pneumokokken, in je etwa zwölf Prozent der Fälle um Legionellen und Enterobakteriazeen und in drei Prozent der Fälle um Pseudomonas aeruginosa. Bei allen genannten Erregern bestanden keine signifikanten Unterschiede zwischen Patienten aus dem Altenpflegeheim und solchen aus dem häuslichen Umfeld. Der einzig signifikante Unterschied bestand beim Nachweis von S. aureus. Dieser Keim konnte bei 10,3 der Patienten mit positivem Erregernachweis aus dem Altenpflegeheim, aber nur bei 2,5 Prozent der Patienten aus dem häuslichen Umfeld nachgewiesen werden (p<0,001). Nur bei 2 dieser Stämme handelte es sich um methicillin-resistente S. aureus (MRSA). Die Autoren geben nicht an, in welcher Gruppe diese vorkamen. Influenzaviren als mögliche Ursache wurden bei 7,7 Prozent (Patienten aus Altenpflegeheim) versus 8,2 Prozent (Patienten aus dem häuslichen Umfeld) nachgewiesen. Dieser Unterschied war wiederum nicht signifikant.
Hinsichtlich der eingesetzten Antibiotika fanden sich dagegen auffällige Unterschiede. Patienten aus dem Altenheim erhielten signifikant seltener eine Kombinationstherapie aus mehreren Antibiotika (22,8 Prozent versus 41,8 Prozent bei Patienten aus dem häuslichen Umfeld, p=0,023). Makrolide und Fluorchinolone wurden bei ihnen signifikant seltener eingesetzt (p<0,001 bzw. 0,033), während ß-Laktame und speziell Penicilline signifikant häufiger verordnet wurden (p=0,003 bzw. 0,03).
Schlussfolgerung der Autoren
Patienten, die mit einer Pneumonie aus dem Altenpflegeheim in die Klinik aufgenommen werden, sind deutlich älter und leiden signifikant häufiger an Grund- und Begleiterkrankungen als Patienten mit Pneumonie aus dem häuslichen Umfeld. Da sich bis auf S. aureus keine dramatischen Unterschiede im Erregerspektrum nachweisen lassen, vermuten die Autoren, dass die deutlich höhere Mortalität dieser Patienten eher auf einer Therapiezurückhaltung der behandelnden Ärzte beruht. Zusätzlich könnten auch die zahlreichen Begleiterkrankungen dieser Patienten für die schlechtere Prognose verantwortlich sein.
Kommentar des korrespondierenden Referenten
Die Studie zeigt, dass bei Patienten aus dem Altenpflegeheim im Grunde keine anderen Pneumonieerreger vorkommen als auch sonst bei älteren Menschen. Trotzdem waren die Patienten aus dem Altenpflegeheim deutlich kränker, erhielten seltener eine antibiotische Kombinationstherapie, und hatten eine knapp vierfach erhöhte Mortalität in den ersten 30 Tagen. Die Autoren vermuten zu recht, dass für diese auffallend höhere Mortalität im wesentlichen zwei Gründe in Frage kommen: Zum einen könnten die zahlreichen Vor- und Begleiterkrankungen die immunologische Abwehr dieser Patienten beeinträchtigt haben. Zum anderen war offensichtlich, dass die Patienten wesentlich zurückhaltender antibiotisch therapiert wurden. Sie erhielten seltener Flurochinolon-Antibiotika und wurden seltener mit einer Kombination mehrerer Antibiotika therapiert. Der Prozentsatz der Patienten, die auf die Intensivstation aufgenommen und maschinell beatmet wurden, war mit 4,8 und 5,0 % in beiden Gruppen gleich, obwohl die höhere Erkrankungsschwere bei den aus dem Altenpflegeheim stammenden Patienten vermutlich eine häufigere Beatmungstherapie erforderlich gemacht hätte. Ganz offensichtlich wurden die Patienten aus dem Altenpflegeheim bewusst zurückhaltender therapiert. Die Ursache hierfür könnten vorliegende Patientenverfügungen, Absprachen mit den Angehörigen zur Einstellung der Therapie, oder eine ungünstige Einschätzung der Gesamtprognose gewesen sein. Fazit der Studie ist somit, dass die höhere Mortalität der im Altenheim entstehenden Pneumonien nicht auf Besonderheiten des Erregerspektrums beruht.
Ein Nebenergebnis der Studie sollte allerdings Beachtung finden: Während 17,1 Prozent der Patienten aus dem häuslichen Umfeld in den vergangenen fünf Jahren eine Pneumokokken-Impfung erhalten hatten, war dies nur bei 9,3 Prozent der Patienten aus dem Altenpflegeheim der Fall. Diese einfache Präventionsmaßnahme sollte daher in Altenpflegeheimen unbedingt stärker beworben und umgesetzt werden. Eine Pneumokokken-Impfung wird seitens der STIKO (Ständige Impfkommission beim Robert-Koch-Institut) für alle Personen >60 Jahre empfohlen. Sie sollte in fünfjährigen Abständen wiederholt werden, wenn Risikofaktoren wie z. B. ein Diabetes mellitus oder Herz- und Gefäßkrankheiten vorliegen. Dies dürfte bei weitaus mehr als 9,3 Prozent der Altenheimbewohner der Fall sein.
Quelle:
Ewig S et al.: Nursing-home-acquired pneumonia in Germany: an 8-year prospective multicenter study. Thorax 2011;doi:10.1136 (online-Ausgabe)