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Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 08. Februar 2010, Az.: 3 Sa 24/08

Umkleidezeiten im Krankenhaus sind grundsätzlich nicht zu vergüten

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat sich in seinem Urteil vom 08. Februar 2010 - 3 Sa 24/08 - mit der Frage befasst, ob und unter welchen Voraussetzungen Zeiten für ein erforderliches Umkleiden und für die erforderliche Desinfektion der Hände im Krankenhaus im Anwendungsbereich des TVöD zu vergüten sind. Nach dem BAT waren diese Zeiten vergütungspflichtig, weil der BAT festlegte, dass die Arbeitszeit an der Arbeitsstelle beginnt und endet. Wenn man sich an der Arbeitsstelle umziehen oder desinfizieren musste, zählten diese Verrichtungen bereits zur Arbeitszeit. Der TVöD regelt Beginn oder Ende der Arbeitszeit jedoch nicht. Mit den Folgen hatte sich das Landesarbeitsgericht zu befassen.

Leitsatz

Nach Inkrafttreten des TVöD im öffentlichen Dienst besteht grundsätzlich keine Vergütungspflicht für Umkleidezeiten als Vor- bzw. Nachbereitungszeit. Etwas anderes gilt für Zeiten der Desinfektion, bei der der Arbeitnehmer bereits besondere Sorgfaltspflichten zu beachten hat.
- Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 08. Februar 2010, Az.: 3
Sa 24/08 –
 

Sachverhalt

Der Kläger, ein Pfleger auf einer Intensivstation, musste und hat bei Dienstantritt jeweils nach Durchschreiten der Tür zur Intensivstation zunächst seine Hände desinfiziert, sich danach in dem sich bereits innerhalb der Intensivstation befindlichen Umkleideraum umgezogen und sodann erneut die Hände desinfiziert. Bei Dienstende hat er beim Betreten des Umkleideraums wiederum seine Hände desinfiziert, sich danach umgezogen und ohne weitere Desinfektion die Intensivstation verlassen. Die Dauer der vor- und Nachbereitungszeiten lag bei etwa 12 Minuten täglich.
Das Arbeitsgericht hatte mit Urteil vom 28.04.2008 sowohl der Zahlungsklage für 12 Minuten arbeitstäglich als auch dem Antrag auf Feststellung, dass die Zeit des Umkleidens (und Desinfektion) zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit gehört, stattgegeben. Es hat zum Umkleiden die Auffassung vertreten, das es alleine einem fremden Bedürfnis diene, weil dem Kläger das Tragen von Schutzkleidung, die er nicht nach Hause mitnehmen dürfe, vorgeschrieben sei. Der Umkleidevorgang sei nach der organisatorischen Gestaltung bei der Beklagten so eng mit der Hauptleistung des Klägers als Krankenpfleger auf der Intensivstation verbunden, dass die für das Umkleiden aufgewandte Zeit als vergütungspflichtige Arbeitszeit anzusehen sei.
Hiergegen hat die Arbeitgeberin Berufung eingelegt.
 

Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg ist dem erstinstanzlichen Urteil zur Vergütung von Umkleidezeiten nicht gefolgt und die Klage insoweit abgewiesen. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts war nur die notwendige Zeit für die Desinfektion der Hände vergütungspflichtig.
Vergütet werden muss nach Ansicht des Gerichts aber nicht nur die reine Desinfektionszeit, sondern die Zeit ab der ersten Desinfektion unmittelbar vor der Arbeit (= Beginn der Arbeitzeit) bis zur abschließenden Desinfektion nach der Arbeit (= Ende der Arbeitzeit). Unerheblich ist, ob in dieser Zeit auch Umkleidezeiten liegen. Sie sind dann ebenfalls zu vergüten, weil die einmal begonnene Arbeitszeit nicht durch Umkleidezeiten unterbrochen wird.
 

Aus den Gründen
 
Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
I.
Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von 155,08 EUR brutto. Soweit der Kläger sich nicht nur umzukleiden, sondern in einem qualifizierten Verfahren seine Hände zu desinfizieren hatte, liegt Arbeitszeit vor, für die er gemäß § 612 Abs. 1 BGB eine Vergütung erwarten konnte.
1. Allerdings kann der Kläger für die Vor- und Nachbereitungszeiten keine Vergütung aus § 611 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag der Parteien verlangen. Weder das Umkleiden noch das Desinfizieren der Hände gehört zu der Hauptleistungspflicht des Klägers. Vielmehr besteht die vergütungspflichtige Hauptleistung des Klägers alleine in der Pflege der Patienten.
2. Der Kläger kann sich auch nicht auf eine tarifvertragliche Regelung über den Beginn der vergütungspflichtigen Arbeitszeit berufen. Unstreitig fand auf das Arbeitsverhältnis der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) in der für den Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände geltenden Fassung sowie seit 01.10.2005 der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD-K) Anwendung. Während in § 15 Abs. 7 BAT der Beginn und das Ende der zu vergütenden Arbeitszeit geregelt wurde, enthält der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes hierzu keine vergleichbare Regelung mehr.
3. Schließlich ergibt sich eine vergütungspflichtige Arbeitszeit für die Umkleidezeiten auch nicht aus der Dienstvereinbarung vom 18.12.1991.
Die bei dem Rechtsvorgänger der Beklagten abgeschlossene Dienstvereinbarung war wegen Verstoßes gegen §§ 73 Abs. 1 Satz 1, 79 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Landespersonalvertretungsgesetz (LPVertrG) rechtswidrig und damit gemäß § 134 BGB nichtig.
Die Regelung der Dienstvereinbarung, nach der alle Mitarbeiter eine Umkleidezeit bis zu sechs Minuten bezahlt erhalten, betrifft eine Frage der Lohngestaltung. Diese unterfiel zwar nach § 79 Abs. 1 Nr. 5 LPVertrG dem Mitbestimmungsrecht des Personalrats, denn sie regelt eine pauschale Erfassung von zu vergütenden Umkleidezeiten. Der Gegenstand der Dienstvereinbarung war aber bereits durch Tarifvertrag geregelt. Nach § 15 in Verbindung mit § 26 BAT erfolgte die tarifliche Vergütung in Zeitlohn. Damit war eine pauschalierte Bemessung einzelner Arbeitsleistungen, beziehungsweise die Vereinbarung einer Höchstdauer für eine Arbeitsleistung ausgeschlossen. Nach § 15 Abs. 7 BAT begann und endete die entgeltpflichtige Arbeitszeit an der Arbeitsstelle, die gemäß der Protokollnotiz der Tarifvertragsparteien vom 24.04.1991 dahingehend definiert worden war, dass sie den Verwaltungs-/Betriebsbereich in dem Gebäude/Gebäudeteil in dem der Angestellte arbeitet umfasst. Damit bestand eine tarifliche Regelung, die abschließend den Beginn und die konkrete Bemessung der Arbeitszeit regelte und keinen Raum für eine Dienstvereinbarung zur Frage, inwieweit Umkleidezeiten als Arbeitszeit anerkannt werden, ließ (vgl. BAG 15.07.1993 - 6 AZR 398/92 - NZA 1994, 137; OVG Niedersachsen 18.12.1996 - 18 L 2761/95 - NdsVBL, 1997, 182).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Regelung von § 22 Abs. 4 TVÜ-VKA. Diese Bestimmung über das Inkraftbleiben bestehender Regelungen zur Anrechnung von Wege- und Umkleidezeiten auf die Arbeitszeit setzt voraus, dass diese Regelung vor der Inkrafttreten des TVöD wirksam bestanden hat. Da die Dienstvereinbarung vom 18.12.1991 aber bereits von Anfang an nichtig war, wird sie von dieser tariflichen Übergangsregelung nicht erfasst.
4. Auch aus dem Grundsatz der betrieblichen Übung kann der Kläger keine Vergütungspflicht der Beklagten für die Vorbereitungs- und Nachbereitungszeiten ableiten.
Im öffentlichen Dienst gilt im Zweifel der Grundsatz des Normvollzuges, nach dem der Arbeitnehmer davon ausgehen muss, dass sein Arbeitgeber nur die Leistungen gewähren will, zu denen er rechtlich verpflichtet ist (BAG 29.09.2004, AP Nr. 67 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Die Begründung einer betrieblichen Übung scheidet aber aus, wenn der Arbeitgeber eine Leistung aufgrund einer anderweitigen vermeintlichen Verpflichtung erbringt (BAG 18.04.2007 - 4 AZR 653/05 - AP Nr. 54 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag).
Zwar hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten auch nach Inkrafttreten des TVöD regelmäßig arbeitstäglich für Umkleidezeiten pauschal 12 Minuten angerechnet. Sie hat damit aber ersichtlich die vermeintlich wirksam abgeschlossene und dann nach § 22 Abs. 4 TVÜ-VKA fortgeltende Dienstvereinbarung erfüllen wollen.
5. Dagegen sind die Voraussetzungen für eine Vergütungspflicht bei Dienstantritt ab dem Beginn der Desinfizierung der Hände und beim Dienstende bis zur Beendigung des Desinfizierungsvorgangs nach § 612 Abs. 1 BGB gegeben.
a) Sowohl der Umkleidevorgang als auch die Handdesinfizierung stellen eine Dienst- bzw. Arbeitsleistung des Klägers im Sinne von § 612 Abs. 1 BGB dar.
Arbeit ist jede Tätigkeit, die der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Umkleiden und Waschen dienen dann einem fremden Bedürfnis, wenn sie nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis erfüllen. Das Ankleiden mit vorgeschriebener Dienstkleidung, die notwendig im Betrieb angelegt werden muss und dort nach Beendigung der Tätigkeit zu verbleiben hat und ohne die der Arbeitnehmer seine Arbeit gar nicht aufnehmen darf, dient nicht gleichermaßen einem eigenen Bedürfnis des Arbeitnehmers, sondern vorwiegend dem fremden Bedürfnis des Arbeitgebers. In solchen Fällen ist daher das Umkleiden selbst, obwohl Vorbereitungshandlung, fremdnützig, nicht erst die anschließende Tätigkeit. Dies gilt in einem solchen Falle auch für das Waschen und Umkleiden nach Beendigung der geschuldeten Tätigkeit (BAG 11.10.2000 - 5 AZR 122/99 - AP Nr. 20 zu § 611 BGB Arbeitszeit).
Der Kläger ist arbeitsvertraglich verpflichtet, während seiner Tätigkeit als Pfleger auf der Intensivstation eine genau vorgeschriebene Schutzkleidung zu tragen, diese nur im Umkleideraum auf der Intensivstation anzulegen, sie nach Tätigkeitsende dort zurückzulassen und beim Betreten der Intensivstation eine hygienische Händedesinfektion durchzuführen. Diese ist - was die Beklagte nicht in Frage gestellt hat - zum Schutze des Klägers auch am Tätigkeitsende vorzunehmen. Umkleiden und Desinfizieren vor und nach der vertraglich geschuldeten Haupttätigkeit sind daher für den Kläger fremdnützig und stellen damit eine Arbeitsleistung im Sinne von § 612 Abs. 1 BGB dar.
b) Soweit die Vorbereitung auf die Hauptleistung bzw. deren Beendigung eine qualifizierte Desinfektion der Hände erfordert, kann der Kläger eine Vergütung erwarten. Dagegen gilt dies nicht für reine Umkleidezeiten.
aa) Die Vergütungserwartung nach § 612 Abs. 1 BGB ist anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung und der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankäme (BAG 11.10.2000, aaO).
bb) Eine objektive Vergütungserwartung für die Zeiten, in denen der Kläger sich für den Dienst lediglich umzieht, besteht allerdings nicht. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes wie dargelegt keine Regelung mehr über den Beginn und das Ende der zu vergütenden Arbeitszeit oder zu den notwendigen Umkleidezeiten gemacht haben. § 22 Abs. 4 TVÜ-VKA zeigt unmissverständlich, dass sich die Tarifvertragsparteien aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 11.10.2000 darüber bewusst waren, dass dies, abgesehen vom Bestehen wirksamer günstigerer Regelungen, zu einer Änderung des Vergütungsanspruchs für die erforderlichen Umkleidezeiten führen wird. Der Wegfall der Regelung des § 15 Abs. 7 BAT durch Inkrafttreten des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes kann daher nur dahingehend verstanden werden, dass die Tarifvertragsparteien grundsätzlich von keiner Vergütungsbedürftigkeit derartiger Vorbereitungshandlungen ausgingen.
Eine gegenteilige Verkehrssitte ergibt sich auch nicht aus der Fremdnützigkeit des Umkleidens. Diese begründet lediglich, dass es sich bereits um eine Arbeitsleistung im Sinne von § 612 BGB handelt, nicht aber, dass für diese Dienstleistung auch eine Vergütung erwartet werden darf.
Ohne hinreichende Aussagekraft für die Vergütungserwartung ist ebenso der Ort des Umkleidens. Dass der Kläger sich in unmittelbarer Nähe zu seinem Arbeitsplatz auf der Intensivstation umzuziehen hat, vermag allenfalls die betriebliche Notwendigkeit zu unterstreichen. Sie stellt aber kein Erschwernis dar, aufgrund dessen ausnahmsweise eine Vergütungserwartung abgeleitet werden könnte.
cc) Eine andere Beurteilung ergibt sich dagegen für die vom Kläger vorzunehmende qualifizierte Desinfizierung der Hände.
Hierbei handelt es sich anders als bei vor und nach der Arbeit erforderlichen Waschzeiten um einen spezifischen Rüstvorgang, bei dem der Kläger über einen im beruflichen Leben stets zu erwartenden Sauberkeitsstandard erheblich hinausgehende qualitative Anforderungen, die ausschließlich dem Fremd- und Eigenschutz vor Infektionen dienen, zu befolgen hat. Eine Nichtbeachtung der vorgegebenen Regeln, wie die Desinfektion im Einzelnen vorzunehmen ist, beispielsweise eine lediglich flüchtige Desinfektion, würde bereits eine erhebliche Verletzung der arbeitsrechtlichen Pflichten des Klägers darstellen. Aufgrund der qualifizierten Vorgaben für die Ausführung dieses Rüstvorgangs, einschließlich der hierfür vorgegebenen Mindestdauer sowie seiner Bedeutung für das Leben und die Gesundheit der Patienten der Beklagten, unterscheidet sich die vom Kläger vorzunehmende Händedesinfektion maßgeblich von einfachen Rüstvorgängen wie einem bloßen Anlegen von Arbeitskleidung sowie einer normalen Reinigung der Hände.
Wird aber wie hier der Rüstvorgang aufgrund seiner Bedeutung für die Hauptleistung mit besonderen Sorgfaltspflichten des Arbeitnehmers verbunden, gebietet es die Verkehrssitte, dass dieser bereits qualifizierten Arbeitsleistung, sofern keine entgegenstehende ausdrückliche Regelung getroffen wurde, eine Vergütung gegenübergestellt wird.
c) Im vorliegenden Fall führt dies zum Beginn der vergütungspflichtigen Arbeit mit der ersten vom Arbeitgeber geforderten Desinfektion der Hände.
Das Vorgehen des Klägers, sofort nach Durchschreiten der Tür der Intensivstation, eine Desinfektion der Hände vorzunehmen, entsprach den Vorgaben der Beklagten in ihrem Hygieneplan. Aus diesem ergibt sich nicht, dass eine Desinfektion erst nach Verlassen des sich innerhalb der Intensivstation befindlichen Umkleidebereichs zu erfolgen hat. Vielmehr spricht sie ausdrücklich davon, dass die Händedesinfektion beim Betreten der Intensivstation vorzunehmen ist.
Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers bezieht sich nicht alleine auf die für die Desinfektion aufzubringende Zeiten. Erfasst werden von der Vergütungspflicht auch Umkleidezeiten, die sich bei Dienstbeginn der Desinfektion anschließen. Es entspricht der Verkehrssitte, dass Umkleide-, Wasch- und sonstige Rüsthandlungen, die zwischen zu vergütenden Arbeitsvorgängen anfallen, bezahlt werden. So zählen Umkleidevorgänge, die während des Pflegedienstes des Klägers auf der Intensivstation anfallen, unstreitig auch bei der Beklagten zu den zu vergütenden Arbeitsleistungen. Der Arbeitnehmer muss nicht damit rechnen, dass jeweils einzelne Vorbereitungshandlungen die zu vergütende Arbeitszeit unterbrechen. Vielmehr darf er erwarten, dass mit dem Beginn einer zu vergütenden Arbeitsleistung, gleichgültig, ob diese der Vorbereitung oder Hauptleistung zuzurechnen ist, insgesamt die zu vergütende Arbeitszeit beginnt. Es steht dem Arbeitgeber frei, den Ablauf der erforderlichen Vorbereitungshandlungen so zu organisieren, dass qualifizierte Vorgänge, für die bereits eine besondere Sorgfalt erforderlich ist, erst am Ende der Vorbereitungszeit anfallen.
Die zu vergütende Tätigkeit des Klägers begann daher mit der Desinfektion der Hände und endete bei Beendigung seiner Tätigkeit auch mit derselben.
6. Die Beklagte hat daher in dem dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Zeitraum die vom Kläger tatsächlich bei Beginn der Tätigkeit für die Händedesinfektion und das Umkleiden sowie bei Beendigung seiner Tätigkeit für die Desinfektion aufgewendete Zeit zusätzlich zu vergüten. Diese betrug arbeitstäglich 4 Minuten und 15 Sekunden.
Hiervon entfallen auf die zweimalige Händedesinfektion des Klägers beim Beginn seiner Tätigkeit insgesamt mindestens 60 Sekunden und auf die Desinfektion am Dienstende 30 Sekunden.
Die Behauptung des Klägers für die Zeit des Umkleidens und der Desinfektion beim Dienstbeginn insgesamt 3 Minuten und 45 Sekunden, für das reine Umkleiden nach Abzug der zu berücksichtigenden Zeiten für die Händedesinfektion also 2 Minuten und 45 Sekunden zu benötigen, ist nach der Überzeugung der Kammer zutreffend. Hierfür bedurfte es trotz Bestreitens der Beklagten keiner Beweisaufnahme. Der Kläger hat im Einzelnen den Ablauf des Umkleidevorgangs geschildert. Diesen Ablauf hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt. Die Feststellung der für diesen Vorgang erforderlichen Zeit bedarf keiner besonderen Sachkunde. Vielmehr genügt die eigene Lebenserfahrung der Mitglieder der Kammer zur Bildung der sicheren Überzeugung, dass der vom Kläger geschilderte Umkleidevorgang bei zügiger Durchführung jedenfalls eine Zeit von 2 Minuten 45 Sekunden erfordert. Hinweise darauf, dass der Kläger sich ungewöhnlich schnell umgekleidet hätte, hat auch die Beklagte nicht vorgetragen.
7. Unter Berücksichtigung der 123 Arbeitstage des Klägers im Zeitraum vom 01.01.2007 bis 31.07.2007 ergibt sich danach eine noch zu vergütende Arbeitszeit von 8,7125 Stunden. Hieraus errechnet sich bei Zugrundelegung des unstreitigen Stundenlohns von 17,80 EUR ein Gesamtbetrag von 155,08 EUR.
II.
Auch der Feststellungsantrag des Klägers ist nur teilweise begründet. Der in der Berufungsverhandlung vom 29.10.2009 modifizierte Klagantrag stellt sich gegenüber dem ursprünglichem Klagantrag als Minus dar. Während die mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil ausgesprochene Feststellung sowohl den Beginn als auch das Ende der vergütungspflichtigen Arbeitszeit betraf, konkretisiert der in der Berufungsverhandlung gestellte Feststellungsantrag nur noch den Beginn der vergütungspflichtigen Arbeitszeit.
Da die vergütungspflichtige Arbeitszeit des Klägers wie oben dargelegt, mit der vorgeschriebenen Desinfizierung seiner Hände beginnt, allein das Umkleiden auf den Beginn aber keine Auswirkungen hat, war die begehrte Feststellung auf die Desinfektion zu begrenzen.
 
Anmerkung
 
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg vertritt die Auffassung, dass es sich bei den notwendigen Umkleidezeiten im Gegensatz zu früher nicht mehr um vergütungspflichtige Zeiten handelt. Die Ursache hierfür liegt in einer Änderung der tariflichen Vorschriften. Während der BAT zuvor festlegte, dass die Arbeitszeit an der Arbeitsstelle beginnt und endet – und damit das Umkleiden an der Arbeitsstelle zur Arbeitzeit zählt -, fehlt es an einer entsprechenden Regelung im TVöD/TV-L. Daraus schließt das Gericht, dass es dann auch keinen Anspruch auf Vergütung für die Umkleidezeit gibt. Auch einen gesetzlichen Anspruch verneint es, weil das Umkleiden keine Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers ist. Zwar handele es sich um eine Tätigkeit, die in einem sehr engen Zusammenhang mit der Arbeitsleistung stehe und damit selber als Arbeitsleistung anzusehen sei. Für diese Arbeitsleistung gäbe es allerdings nur dann eine Vergütung, wenn der Arbeitnehmer diese auch tatsächlich erwarten könne. Dies sah das Gericht beim bloßen Umkleiden, im Gegensatz etwa zu vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen, nicht.
Diese Auffassung ist jedoch zweifelhaft.
Auch wenn im Tarifvertrag keine Regelung mehr zu Beginn und Ende der Arbeitszeit aufgenommen ist, so muss die Arbeitszeit doch irgendwann beginnen. In der Literatur wird hierzu die Meinung vertreten, dass maßgebender Zeitpunkt der sei, an dem der Arbeitnehmer erstmals und letztmals dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Das sei in der Regel das Betreten oder Verlassen des Labors, der Station, des Büros usw. Wenn zuvor zwingend Kleidung anzulegen sei, beginne und ende der Arbeitszeit mit diesen Verrichtungen (so Burger Handkommentar zum TVöD/TV-L, Rz. 6 zu § 6 m. w. N. auch zu anderen Meinungen). Diese Auffassung ist vertretbar, insbesondere wenn man bedenkt, dass auch das Umkleiden nur auf Grund einer Weisung des Arbeitgebers erfolgt und auch ganz überwiegend im Interesse des Arbeitgebers liegt.
Selbst wenn man jedoch diese Ansicht nicht teilt, bleibt die Frage, warum nicht zumindest ein gesetzlicher Anspruch nach § 612 BGB gegeben ist. § 612 BGB gewährt einen Vergütungsanspruch, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.
Voraussetzung ist zunächst, dass es keine vertragliche Abrede über die Vergütung gibt, was vorliegend so war. Darüber hinaus muss es ich um eine Arbeitsleistung handeln. Eine solche wurde vom Gericht sowohl für das Umkleiden als auch die Desinfektion aufgrund der Nähe zur Arbeitsleistung und der Fremdnützigkeit bejaht.
Danach kommt es nur noch darauf an, ob man für derartige Leistungen eine Vergütung erwarten darf. Dies entscheidet sich nach der „objektiven Gesamtlage" des Einzelfalles. Hierzu gehören zum Beispiel Verkehrssitte, Art, Umfang und Dauer der Dienstleistung, die Berufs- und Erwerbsverhältnisse des Dienstleistenden sowie die Beziehungen der Beteiligten zueinander.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg meint, es bestünde für das Umkleiden keine solche objektive Vergütungserwartung, weil die Tarifvertragsparteien die Regelung im BAT, die letztlich zur Vergütung der Umkleidezeiten führte, bewusst nicht in den TVöD übernommen haben. Folgt man dem würde es im Anwendungsbereich von Tarifverträgen quasi niemals Raum für Ansprüche aus § 612 BGB geben, weil für Vergütungen, die die Tarifvertragsparteien nicht festgelegt haben, objektiv keine Vergütungserwartung besteht. Ob die Tarifvertragsparteien wirklich in den Verhandlungen so weitgehende Vorstellungen haben, ist bereits zweifelhaft. Die Tarifvertragsparteien hätten bei einer solchen Sichtweise es zudem in der Hand zu bestimmen, welche Vergütungserwartungen es gibt und welche nicht, vor allem aber, eine Vergütungserwartung wieder abzuschaffen, indem sie schlicht nichts mehr dazu regeln, wie vorliegend geschehen. Das führt zu erheblichen Unsicherheiten. Genau so gut lässt sich dem gegenüber der Fortbestand der Vergütungserwartung rechtfertigen, weil stets Vergütung für Umkleidezeiten in der der Vergangenheit über Jahre gezahlt wurde, deshalb üblich ist, der Verkehrssitte entspricht und somit nicht erneut extra wieder geregelt werden musste.
Noch weniger nachzuvollziehen ist der Vergleich zu den Desinfektionsmaßnahmen. Für sie hat das Gericht die Vergütungserwartung bejaht, weil die Desinfektionsmaßnahmen vom Arbeitgeber genau vorgeschrieben waren, ihr Unterlassen einen Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten darstellt, die Desinfektion für den Schutz der Patienten und die Betroffenen selber sehr wichtig ist und ein höheres Maß an Aufwand und Sorgfalt erfordert.
Dies gilt aber weitgehend auch für das Umkleiden etwa vor Betreten der Intensivstation. Auch dies ist bzw. war im Einzelnen vorgeschrieben und stellt eine arbeitsvertragliche Pflicht des Arbeitnehmers dar. Der zeitliche Aufwand für das Umkleiden (mindestens 3- 5 Minuten) war im entschiedenen Fall deutlich höher, als für die Desinfektion (1,5 Minuten). Zudem dient auch das Umkleiden der Hygiene und damit der Gesundheit der besonders anfälligen Patienten auf der Station. Insoweit ist eine unterschiedliche Behandlung beider Bereiche kaum gerechtfertigt.
Ob es bei dieser Entscheidung bleiben wird, wird man abzuwarten haben. Die Klärung der Rechtsfrage ist von grundsätzlicher Bedeutung. Daher hat das Landesarbeitsgericht auch die Revision zugelassen. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg hält sich allerdings eng an den Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 11. Oktober 2000, (Aktenzeichen 5 AZR 122/99, AP Nr. 20 zu § 611 BGB „Arbeitszeit"). In dieser Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht bereits ausgeführt, dass eine Vergütung für notwendige Umkleidezeiten im Bereich des BAT nur aufgrund der Sonderregelung des § 15 Abs. 7 BAT zu Beginn und Ende der Arbeitszeit erfolge und eine Vergütungserwartung für das erforderliche Umkleiden an der Arbeitstelle nicht bestehe. Insoweit ist zweifelhaft, ob das Bundesarbeitsgericht das zweitinstanzliche Urteil in Bezug auf die Umkleidezeiten abändern wird. Ohne Ergänzung oder Änderung der derzeit geltenden tarifvertraglichen Regelungen wird es hier wohl zu Nachteilen für die Beschäftigten bzw. zu Kosten-/Zeitvorteilen für die Krankenhausträger kommen.

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