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Überlastungsanzeige

Problemstellung
Wohl jede Pflegekraft kennt die Begriffe „Überlastungsanzeige“, „Entlastungsanzeige“ oder „Entlastungsschreiben“. Sie werden meist synonym verwendet und werden daher nachstehend nur noch mit „Überlastungsanzeige“ benannt. Doch was genau steht hinter diesem Begriff? Wann kann von einer Überlastungssituation gesprochen werden, wem dient eine Überlastungsanzeige, welchen Inhalt sollte sie enthalten, wer hat sie wem zu übermitteln und wann darf oder muss sie gestellt werden? Und schließlich: Was können die Beschäftigten unternehmen, wenn der Arbeitgeber nicht oder nicht hinreichend reagiert?

Sinn und Zweck der Überlastungsanzeige
Arbeitsüberlastung birgt die Gefahr von Fehlern mit den sich hieraus ergebenden arbeitsrechtlichen sowie haftungs- und strafrechtlichen Konsequenzen in sich und führt nicht selten zu gesundheitlichen Schäden bei den Arbeitnehmern. Zur Abhilfe der Überforderung kann eine Überlastungsanzeige sinnvoll oder sogar notwendig sein.

Der Begriff „Überlastungsanzeige“
Den Begriff „Überlastungsanzeige“ sucht man in den Stichwortverzeichnissen der einschlägigen Kommentierungen und Lehrbücher für Arbeitsrechtler (1) meist vergebens. Anders sieht es in der Literatur zum Arbeitsrecht in der Pflege aus. Dort taucht der Begriff fast immer auf – wenn auch mit unterschiedlichen Definitionen. Dabei wird teilweise nur auf die unzureichende Personalbesetzung abgestellt. Überlastungen können sich jedoch auch auf anderen Ursachen - im Wesentlichen auf Organisationsmängel - beruhen. Der Sinn und Zweck einer Überlastungsanzeige ergibt sich aus folgender Definition: Eine Überlastungsanzeige informiert den Vorgesetzten bzw. den Arbeitgeber darüber, dass die Einhaltung von Qualitätsstandards unter den gegebenen Arbeitsbedingungen nicht gewährleistet werden kann (2). Dies impliziert das Ziel einer Überlastungsanzeige: den Arbeitgeber zu veranlassen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und als Mitarbeiter weitgehend aus der Verantwortung zu sein.

Überlastungssituation
Aus vorstehender Definition ergibt sich, dass eine Überlastungssituation durchaus nicht erst dann gegeben ist, wenn bereits Mängel in der Versorgung der Bewohner/Patienten oder infolge Überforderung gesundheitliche Probleme beim Personal zu verzeichnen sind. Vielmehr setzt die Überlastungssituation bereits dann ein, wenn diesbezügliche Defizite zu befürchten sind. Zudem empfinden nicht alle Mitarbeiter eine vorliegende Situation gleich belastend. So sind z. B. bezahlte Überstunden für manche Mitarbeiter ein erfreuliches Zubrot, während bei anderen Mitarbeitern jede einzelne Überstunde einen Organisationsaufwand im privaten Bereich (Kinderbetreuung, Gewährleistung der Pflege oder Betreuung eines erkrankten Angehörigen usw.) auslöst, der sich auf Dauer negativ auch auf deren Familienleben auswirkt.

Eine Überlastungssituation ist somit dann gegeben, wenn die eingesetzten Pflegekräfte den gestellten Qualitätsanforderungen nicht mehr gerecht werden können. Dabei muss jeder Beschäftigte die Leistung erbringen, die er bei Anspannung seiner Kräfte erbringen kann, ohne gesundheitlichen Schaden zu nehmen. Eine individuelle Überforderung lässt sich somit nicht nach objektiven Maßstäben bestimmen. Zum arbeitsrechtlich geschuldeten Leistungsmaßstab führt das Bundesarbeitsgericht z. B. in seinem Urteil vom 17.01.2008 aus: „Der Arbeitnehmer muss tun was er soll, und zwar so gut wie er kann“ und weiter „ Er muss unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten“ (3). Sich gänzlich verausgaben in dem Sinne, dass die gesamte Freizeit allein zur Regeneration benötigt wird, oder gar ihre Gesundheit gefährden, müssen die Beschäftigten jedoch nicht.

Wem dient die Überlastungsanzeige?
Doch wem dient die Überlastungsanzeige – dem eigenen Schutz der anzeigenden Mitarbeiter, dem Schutz der Patienten/Bewohner oder gar dem Schutz der Arbeitgeber? Wie nachstehend dargestellt, betrifft es alle drei Personenkreise.

Mitarbeiter
Nicht zuletzt die Überbelastung der Pflegekräfte führt zu einer auffällig hohen Zahl an krankheitsbedingten Fehltagen und einem vorzeitigen Ausstieg aus dem Beruf.

Im August 2012 wurden Zahlen zu den Fehltagen in der Bayerischen Pflegebranche bekannt (4). Danach meldeten sich die Beschäftigen in Pflegeheimen durchschnittlich für 21 Tage arbeitsunfähig, die Arbeitnehmer aller Branchen in Bayern dagegen nur für 15,4 Tage.

In einer Veröffentlichung aus dem Jahre 2009 (5) wird die Verweildauer in den pflegerischen Berufen dargestellt. Danach bleiben Altenpflegefachkräfte durchschnittlich 12,7 Jahre, Altenpflegehilfskräfte durchschnittlich 7,9 Jahre, Hilfskräfte in der Krankenpflege durchschnittlich 7,5 Jahren und ausgebildete Gesundheits- und Krankenpfleger durchschnittlich 13,7 Jahren im jeweiligen Beruf tätig.

Nicht nur angesichts dieser Zahlen muss der Teufelskreis Überforderung durch Unterbesetzung  Erkrankung von Mitarbeitern  noch mehr Stress beim verbliebenen Personal  Kündigung/Stellenwechsel, wenn nicht gar Aufgabe des Berufs - mit der Folge weiteren Personalmangels - durchbrochen werden. Dies kann mit einer Überlastungsanzeige bewirkt werden, womit diese letztlich auch dem gesundheitlichen Schutz der Mitarbeiter dient.

Im Übrigen sind die Beschäftigten auch unter arbeits(schutz)rechtlichen Gesichtspunkten verpflichtet, ihren Arbeitgebern drohende Schäden anzuzeigen. Dies ergibt sich zum einen aus ihrer Treuepflicht, § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. § 611 BGB, zum anderen wird dies aus § 15 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) hergeleitet, wonach die Beschäftigten u. a. verpflichtet sind, nach ihren Möglichkeiten für ihre eigene Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen und auch für die Sicherheit und Gesundheit der Personen, die von ihren Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind (6).

Schließlich kann eine Überlastungsanzeige die Arbeitnehmer davor bewahren, mit Schadensersatz- oder Schmerzensgeldforderungen gemäß §§ 823ff BGB haftungsrechtlich in Anspruch genommen zu werden, etwa dann, wenn aufgrund der Überforderung Körperverletzungen oder andere Schäden bei den Patienten oder Bewohnern eintreten (7).

Patienten/Bewohner
Von einer Überlastungsanzeige können auch  die Patienten und Bewohner profitieren. Nicht zuletzt sie sind es, die unter einer Überbeanspruchung des Pflegepersonals leiden. Sie sind auf die fehlerfreie und ausreichende Pflege angewiesen, die bei einer Überforderung nicht immer gewährleistet werden kann. Zudem kommt bei überlastetem Personal die für den Heilerfolg förderliche und für das Wohlbefinden notwendige Zuwendung zu kurz.

Arbeitgeber/Träger
Dem Arbeitgeber dient die Überlastungsanzeige insbesondere dazu, Gesundheitsgefährdungen der Beschäftigten und Patienten/Bewohner entgegentreten zu können. Nur dann, wenn er Kenntnis von einer Überlastungssituation hat, kann er die erforderlichen Maßnahmen einleiten. Notfalls muss er sein Organisationsverhalten ändern und sich selbst bzw. der Einrichtung, für die er verantwortlich ist, einen Aufnahmestopp verordnen. Wirtschaftliche Gesichtspunkte dürfen dabei keine Rolle spielen.

Letztlich ist es der Träger, der für die Geschäftsführung und die Personalangelegenheiten verantwortlich ist. Mit der Überlastungsanzeige kann er davor bewahrt werden, sich im Hinblick auf arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen ordnungswidrig zu verhalten und/oder zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld herangezogen zu werden

Nach § 618 BGB, §§ 3 und 4 ArbSchG sind Arbeitgeber u. a. verpflichtet, mit einer geeigneten Organisation für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit zu sorgen. Dies beinhaltet, auch arbeitsbedingte psychische Belastungen, soweit sie gefährdend sind, weitmöglich von den Beschäftigten fernzuhalten. Zusätzlich zum objektiv bestehenden Personalmangel können u. a. auch (andere) Defizite in der Organisation sowie ein schlechtes Betriebsklima zu psychischen Belastungen führen. Dies wird nicht nur im Hinblick auf damit verbundenen Kosten für Fehltage teuer; vielmehr können sich die Arbeitgeber auch Schadensersatzforderungen seitens des Personals ausgesetzt sehen. In England wurden Arbeitgeber bereits zu Schadensersatzleistungen wegen Stressbelastung am Arbeitsplatz verurteilt, und zwar in bis zu siebenstelliger Höhe. Nach Einschätzung von Butz ist zu erwarten, dass entsprechende Schadensersatzklagen auch in Deutschland Bedeutung erlangen werden (8).

Soweit bei den Patienten/Bewohnern aufgrund von Organisationsmängeln Schäden eintreten, muss der Träger dafür unter dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens gemäß §§ 823ff BGB geradestehen.

Daher ist es wenig verständlich, wenn noch immer Arbeitgeber anzutreffen sind, die ungehalten auf Überlastungsanzeigen reagieren. Unter den gegebenen Voraussetzungen müssten sie dankbar über jede sachlich gehaltene und rechtzeitig vorgenommene Überlastungsanzeige sein. So stellen auch immer mehr Arbeitgeber im Zusammenwirken mit der Mitarbeitervertretung ihren Beschäftigten Informationsmaterial und Vordrucke zu einer Überlastungsanzeige zur Verfügung (9).

Inhalt der Anzeige
Äußerste Sorgfalt sollte auf den Inhalt der Anzeige verwendet werden. Damit der Arbeitgeber nachvollziehen kann, welche Maßnahmen vordringlich zu ergreifen sind, müssen die bestehenden Fakten detailliert aufgeführt werden. Dabei ist auf eine objektive Zustandsbeschreibung zu achten. Nicht ausreichend - da nicht hinreichend aussagekräftig - ist etwa die Gegenüberstellung der Anzahl der zu versorgenden Patienten/Bewohner mit der Anzahl der zur Verfügung stehenden Pflegekräfte. So macht sich z. B. schon allein der Umstand, dass sich einige der Patienten/Bewohner (wie viele?) nicht selbständig waschen und ggf. ankleiden können im Arbeitsaufwand bemerkbar.

Die nachstehende Auflistung - bezogen auf stationäre Pflegeeinrichtungen - führt beispielhaft die Punkte auf, die eine Überlastungsanzeige – soweit im Einzelfall zutreffend - enthalten sollte. Entsprechend ausführliche Darstellungen gelten  im ambulanten Bereich und im Krankenhaus: Da die Fluktuation der Pflegekräfte insbesondere in stationären Pflegeeinrichtungen vielfach besonders hoch ist und sich auch die Bewohnerstruktur ständig ändert, empfiehlt es sich, neben der aktuellen Ist-Situation die Gegebenheiten der letzten Wochen und – soweit möglich – Monate anschaulich darzustellen.

Auflistung des Inhalts der Überlastungsanzeige am Beispiel der stationären Pflegeeinrichtung
1.    Auf welchen Zeitraum (Datum/Schicht) bzw. welche Zeiträume sich der jeweils konkret geschilderte Sachverhalt bezieht
2.    Zur Mitarbeitersituation
·    wie viele Pflegekräfte in der jeweiligen Schicht zur Verfügung standen
·    welche Qualifikationen die betroffenen Mitarbeiter aufwiesen und welche der genannten Mitarbeiter eingearbeitet werden mussten
3.    Zur Bewohnerstruktur
·    wie viele Bewohner in den jeweiligen Zeiträumen zu pflegen bzw. betreuen waren
·    wie viele dieser Bewohner schwerstpflegebedürftig, schwerpflegebedürftig, erheblich pflegebedürftig oder auch nicht pflegebedürftig waren
·    wie viele der Bewohner bettlägerig oder rollstuhlabhängig waren, regelmäßig zur Toilette geführt werden mussten, inkontinent waren, eine Wundversorgung benötigten und wie vielen Bewohnern das Essen gereicht werden musste
·    wie viele Bewohner aufgrund ihres Verwirrtheit- und Desorientierungsgrads besonderer Zuwendung bedurften
·    wie viele Bewohner von MRSA betroffen waren bzw. wegen besonderer Erkrankungen (z. B. Diabetes) besonderer Achtsamkeit bedurften
4.    Zu pflegerischen Defiziten
·    welche Defizite bereits zu verzeichnen sind
·    welche pflegerischen Tätigkeiten bei welchem Bewohner eingestellt bzw. inwieweit sie reduziert wurden
5.    Zu weiteren Auswirkungen
·    auffallender Krankenstand beim Personal (Aufzählung der Fehltage für einen gewissen Zeitraum)
·    Anzahl der von den einzelnen Pflegekräften bzw. von der anzeigenden Pflegekraft in den letzten zwei Monaten geleisteten und nicht in Freizeit abgegoltenen Überstunden
6.    Zum Personalbedarf
·    viele Pflegekräfte tatsächlich notwendig wären, um ein Mindestmaß an ordnungsgemäßer Pflege zu gewährleisten
7.    Hinweis darauf, dass im Rahmen der vertretbaren Möglichkeiten weiterhin die bestmöglichen Leistungen erbracht werden, die Gewährleistung fehlerfreien Handelns  jedoch nicht mehr gegeben ist
8.    Aufforderung, den Mangel abzustellen
9.    Bitte um Mitteilung, welche Leistungen bis zur Mangelbeseitigung vorrangig zu erbringen sind bzw. welche Leistungen hintan gestellt werden können
10.    Bitte, Anzeige zur Personalakte zu nehmen und in Kopie an die Mitarbeitervertretung weiterzuleiten
11.    Datum, Unterschrift(en).
Soweit (unmittelbare) Vorgesetzte auf die belastende Situation – mit der Aufforderung, dieser abzuhelfen – bereits angesprochen wurden, sollte dies ebenfalls in die Anzeige mit aufgenommen werden, und zwar unter Angabe von Datum und (ungefährer) Uhrzeit.

Wer ist für die Anzeige zuständig?
An sich ist jede Pflegekraft berechtigt, eine Überlastung anzuzeigen. Hierzu sollte er sich zunächst an den direkten Vorgesetzten wenden, damit dieser überprüfen kann, ob er der Überforderung im Rahmen seiner Möglichkeiten – -z. B. durch geänderte Dienstplangestaltung – abhelfen kann. Wie oben ausgeführt, kann sich unter arbeitsschutzrechtlichen Aspekten auch eine Anzeigepflicht der einzelnen Pflegekraft ergeben.

Bei anhaltender personeller Unterbesetzung sehen Weber (10) und Schäfer/Jacobs (11) die Abfassung einer Überlastungsanzeige als Führungsaufgabe an, mit der Folge, dass die Anzeige allein von der Stations- bzw. Wohnbereichsleitung unterschrieben wird. Soweit sich die Führungskräfte jedoch schlichtweg weigern, trotz erkanntem Mangel beim Arbeitgeber Abhilfe zu fordern, bleibt den Pflegekräften keine andere Möglichkeit: sie müssen die Anzeige selbst einreichen. Dabei sollten sie möglichst gemeinsam, ggf. unter Mithilfe des Betriebsrats oder einer anderweitigen Mitarbeitervertretung, agieren, denn – wie es eine Geschäftsstelle für Mitarbeitervertretung so schön ausgedrückt hat (12) – „Ein Streichholz kann man knicken, eine Streichholzschachtel nicht“.

Adressat der Überlastungsanzeige ist die Einrichtungs- bzw. die Klinikleitung. In Ausnahmefällen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, kann es sinnvoll sein, die Anzeige direkt an den Träger zu richten.

Wann sollte die Anzeige erfolgen?
Zu welchem Zeitpunkt die Überlastungsanzeige erfolgen sollte, richtet sich danach, ob es sich um einen kurzfristigen, einen plötzlichen oder einen andauernden Personalmangel handelt.

Kurzfristiger Personalmangel
Bei ausschließlich kurzfristigem unerwarteten Personalmangel – etwa infolge einer hoch ansteckenden Erkrankung – wird die, die Gesundheit des verbleibenden Personals gefährdende Belastung und damit eine Gefährdung der Patienten oder Bewohner nicht so hoch sein, wie bei einer länger andauernden personellen Unterbesetzung. Solange die ordnungsgemäße Versorgung mit den verbleibenden Pflegekräften unter Einsatz von Überstunden gewährleistet werden kann, ist eine Anzeige nicht erforderlich.

Exkurs „Überstunden“
Zu den arbeitsrechtlichen Nebenpflichten der Arbeitnehmer gehört es, Überstunden zu leisten, wenn damit ein drohender Schaden vom Arbeitgeber abgewendet werden kann. Vielfach sind die Beschäftigten bereits im Hinblick auf (tarif-)vertragliche Regelungen zur Leistung von Überstunden verpflichtet.

Bei der Anordnung von Überstunden werden allerdings häufig bestehende Wirksamkeitsvoraussetzungen missachtet, indem z. B. das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG oder die erforderliche Ankündigungsfrist (analog § 12 Abs. 2 TzBfG mindestens vier Tage im Voraus) ignoriert werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts werden Überstunden wegen bestimmter besonderer Umstände zusätzlich geleistet (13). Von besonderen Umständen kann jedoch dann keine Rede mehr sein, wenn eine anhaltende Unterbesetzung besteht. In diese Richtung geht auch der Leitsatz des Verwaltungsgerichts Stuttgart in seiner Entscheidung vom 21.06.2012, wo es heißt: „Die Anordnung von Überstunden ist für vorübergehende Mangelsituationen gedacht und daher nicht geeignet, eine dauernde Personalunterdeckung auszugleichen“ (14). Das Hessische Landessozialgericht stellt auf die Überforderung des Pflegepersonals ab, indem es in seinem Urteil vom 27.01.2011 ausführt: „Überstunden dürfen im Pflege- und Betreuungsbereich nicht ständig anfallen: Sie müssen die Ausnahme bleiben, da andernfalls die Qualität der Pflege wegen einer kontinuierlichen Überforderung des Pflegepersonals leidet“ (15).

Plötzlicher Personalmangel
Ein unvorhergesehener Personalmangel kann z. B. dadurch eintreten, dass von den erforderlichen zwei Nachtwachen eine erkrankt ist, was erst kurz vor oder bei Schichtbeginn bekannt wird. In einem solchen Fall ist es ausreichend, aber auch notwendig, umgehend die Pflegedienstleitung oder den Stationsarzt zu informieren. In diesem Fall dient die Mitteilung primär der haftungsrechtlichen Entlastung des „alleingelassenen“ Mitarbeiters, zumal wenn kurzfristig kein Ersatz für die ausgefallene Kraft besorgt werden kann. Ist niemand erreichbar, kann es unter Umständen sinnvoll und erforderlich sein, sich ausnahmsweise selbst mit Nachfragen bei Kolleginnen oder Kollegen um eine Ersatzkraft zu kümmern, wie es in einigen Pflegeeinrichtungen gehandhabt wird.

Anhaltender Personalmangel
Bei länger andauerndem Personalmangel sollte sowohl im Interesse des Arbeitgebers als auch im eigenen Interesse der Beschäftigten mit einer Überlastungsanzeige nicht zu lange gewartet werden. Bei einem nahezu leergefegten Arbeitsmarkt gelingt es Arbeitgebern nicht immer, zeitnah geeignetes Personal zu finden. So dauert es nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit derzeit durchschnittlich knapp vier Monate, um in der Pflegebranche eine freie Stelle zu besetzen (16).

Untätigkeit des Arbeitgebers
Reagiert der Arbeitgeber auf die Anzeige nicht oder nur unzureichend, sollten die Mitarbeiter anwaltlichen Rat einholen. Es kann dann unter anderem abgestimmt werden, ob es sinnvoll erscheint, sich an die nach dem Arbeitsschutzgesetz zuständige Behörde – Amt für Arbeitsschutz oder Gewerbeaufsichtsamt - zu wenden und ggf. die Heimaufsicht einzuschalten.

Ausblick
Bereits seit Jahren bestehen Bemühungen, den Mitarbeitern in der Pflege zu besseren Arbeitsbedingungen zu verhelfen. Einen weiteren Schritt in diese Richtung ging Hamburg Anfang des Jahres 2012 mit der – unter anderem für stationäre Pflegeeinrichtungen maßgeblichen - Wohn- und Betreuungspersonalverordnung (17) zum Hamburgischen Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz. Dort ist in § 2 Abs. 2 geregelt, dass der Betreiber seine Leitungskräfte zu befähigen hat, geeignete Maßnahmen zur Gesundheitsförderung auszuwählen und umzusetzen, eine beschäftigten- und familienfreundliche Arbeitsorganisation sicherzustellen sowie eine zielgerichtete Personalentwicklung im Rahmen des Personalmanagements zu betreiben. In § 9 dieser Verordnung ist bestimmt, dass Leiharbeiter nur in Ausnahmesituationen beschäftigt werden dürfen, wobei wiederum solche Ausnahmesituationen durch den Aufbau einer festen Gruppe von Vertretungskräften vermieden werden sollen; die Nichtverfügbarkeit von Fachkräfte auf dem freien Arbeitsmarkt wird nach dieser Regelung nur anerkannt, wenn Nachhaltige Bemühungen zur Gewinnung geeigneter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nachgewiesen werden können.

Veröffentlichungen
Zur weitergehenden Information wird auf nachstehende Veröffentlichungen verwiesen:
1.    Buxel, Krankenhäuser: Was Pflegekräfte unzufrieden macht, Dtsch Ärztebl 2011; 108 (17): A 946-8
2.    Barbara/ Reimers/ Piontek, Der flexible Mitarbeiterpool in der Intensivpflege, SP 2010, 1006ff
3.    Fick, Entlastung in der Pflege durch Springerpool, SP 2012, 184f
4.    Altmani/ Schwarzmaier, Fachkräfte finden und halten, SP 2012,696ff
5.    Integration der psychischen Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung, Stand: August 2012 - Download unter www.inqa.de Gute Praxis Publikationen
6.    „Anti-Stress-Verordnung“ Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit: www.igmetall.de/cps/rde/xchg/internet/style.xsl/anti-stress-verordnung-eine-initiative-der-ig-metall-10336.htm


Quellen:
(1) Z.B. Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 12. Auflage 2012; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 14. Auflage 2011
(2) vgl. Weber, 50 Fragen zur sogenannten Überlastungsanzeige in Pflegeeinrichtungen, S. 27, 70, die – anders lautende - Definition dort S. 20 (3) Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.01.2008 – 2 AZR 536/06  
(4) Z.B. www.aerzteblatt.de/nachrichten/51165
(5) Hackmann, Arbeitsmarkt Pflege:   Bestimmung der künftigen Altenpflegekräfte unter Berücksichtigung der Berufsverweildauer,  unter www.bgw-online.de/internet/generator/Inhalt/OnlineInhalt/LinkExtern/Arbeitsmarkt-Pflege-Bestimmung-der-kuenftigen-Altenpflegekraefte.html
(6) Dabei ist streitig, ob hierunter lediglich die anderen Beschäftigten aus dem Betrieb oder z.B. auch Patienten und Bewohner fallen
(7) detaillierte Ausführungen zu möglichen Konsequenzen enthält der Beitrag von Bachstein, Auf unhaltbare Missstände hinweisen, SP 2008, 502ff
(8) Butz in Kollmer/Klindt ArbSchG, 2. Auflage 2011, § 17 RZ 125
(9) Z.B. Uniklinik Köln unter cms.uk-koeln.de/live/content/e8/e551/e574/e1898/e2340/InformationenundVorgehensweise.pdf
(10) Weber, 50 Fragen zur sogenannten Überlastungsanzeige in Pflegeeinrichtungen, S. 64
(11) Schäfer/Jacobs, Praxisleitfaden Stationsleitung, 4. Auflage 2011 S. 287f
(12) Gramm, Erzdiözese Freiburg, Überlastung anzeigen – neue Pflicht und Mittel der Haftungsbegrenzung - www.diag-mav-freiburg.de/gemeinsam/a-z/ueberlastungsanzeige-08-04-21.pdf
(13) Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.04.2007 - AZ 5 AZR 504/06
(14) Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 21.06.2012 – 4 K 2370/11
(15) Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 27.01.2011 - L 8 P 29/08 KL, zur diesbezüglichen Entscheidung des Bundessozialgerichts – Urteil vom 12.09.2012 - B 3 P 5/11 R lag bei Abfassung des Beitrags lediglich eine – insoweit nicht ergiebige - Pressemitteilung vor
(16) News-bibliomed.de vom 09.08.2012
(17) Wohn- und Betreuungspersonalverordnung – WBPersVO vom 14.02.2012

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