Weltweit wird der Typ-2-Diabetes zu einem immer größer werdenden Problem. Die WHO rechnet in den nächsten 20 Jahren mit einer Verdoppelung auf rund 330 Millionen Erkrankte. Die Behandlung stellt eine große Herausforderung dar, sowohl für die Betroffenen als auch für die Professionellen. Wichtig ist es, die neuen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Diabetes zu kennen. Diese Neuerungen können entscheidend dazu beitragen, den Diabetes in den Griff zu bekommen.
Typ-2-Diabetes wird durch eine angeborene verminderte Empfindlichkeit der Körperzellen gegenüber dem Hormon Insulin verursacht, das den Blutzucker senkt. Um den Blutzuckerspiegel auf Normalniveau zu halten, produziert die Bauchspeicheldrüse mehr Insulin. Eine gewisse Zeitlang gelingt es ihr, einen normalen Blutzuckerspiegel zu bewahren. Die Körperzellen werden jedoch immer unempfindlicher gegenüber dem Insulin, und das System gerät nach und nach aus dem Gleichgewicht. Schließlich sind die Insulin produzierenden Betazellen des Pankreas erschöpft und können die Insulinresistenz nicht mehr ausgleichen. Daher steigen insbesondere nach dem Essen die Blutzuckerwerte des Patienten deutlich an. Zurzeit ist es noch nicht möglich, diesen Krankheitsprozess aufzuhalten.
Typisch ist, dass die Glukosestoffwechselstörung nicht alleine auftritt, sondern von weiteren Gesundheitsproblemen begleitet wird. Dazu zählen vor allem eine stammbetonte Fettleibigkeit, Bluthochdruck und erhöhte Blutfettspiegel. Das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist deutlich erhöht. Besonders gefürchtete Spätkomplikationen sind Herzinfarkt und Schlaganfall (3).
Bewegung und gesunde Ernährung halten fit
Übergewicht und ungesunde Ernährung fördern das Fortschreiten des Typ-2-Diabetes. Achten Sie daher auf das Gewicht des Patienten und ermuntern Sie ihn, dass er sich ausreichend bewegt. Die Ernährung bei Diabetes mellitus entspricht im Wesentlichen einer Vollwertkost, wie sie auch für Gesunde sinnvoll ist. Besonders empfehlenswert sind Vollkornprodukte, da sie stark sättigend wirken, den Blutzucker relativ langsam ansteigen lassen und reich an Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralstoffen sind.
Ist der Patient übergewichtig (zirka 80 Prozent der Erkrankten), sollten Sie ihn dahingehend beraten, dass er nicht zu viele Kalorien zu sich nimmt und sich ausreichend bewegt.
Maßvoller Sport reicht völlig aus. Was darunter zu verstehen ist, richtet sich nach den persönlichen Interessen und der individuellen Fitness – den einen fordert bereits ein kleiner Spaziergang, für den anderen muss es schon Laufen sein. Häufig hilft es auch, Gelegenheiten zur Bewegung im Alltag bewusst zu suchen: Treppen steigen statt Fahrstuhl fahren. Auch Haus- und Gartenarbeit kann Sport bedeuten.
Neue Erkenntnis: Nicht lange mit Tabletten warten
Neben richtiger Ernährung und Bewegung empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Diabetes neuerdings, dem Patienten sogleich orale Antidiabetika – also Tabletten gegen Diabetes – zu geben. Denn nur ganz selten ist eine nichtmedikamentöse Therapie über einen langen Zeitraum erfolgreich. Darüber hinaus verzögern orale Antidiabetika das Fortschreiten der Erkrankung (4).
Was die Therapie erreichen soll, ist von der Internationalen Diabetikervereinigung (IDF) vorgegeben worden (2). Als Erstes sollte der Patient das orale Antidiabetikum Metformin erhalten. Es verringert die Glukoseproduktion in der Leber und senkt so den Blutzuckerspiegel. Wichtig ist der so genannte HbA1c-Wert. HbA1c ist eine Form des roten Blutfarbstoffs (Hämoglobins), an den Glukose gebunden ist. Der HbA1c-Wert spiegelt die Blutzuckerwerte der letzten acht Wochen wider und wird bei Diabetikern alle drei Monate als Maß für den durchschnittlichen Blutzuckerspiegel gemessen. Befindet sich nach drei bis sechs Monaten der HbA1c-Wert immer noch über 6,5 Prozent, sollte der Patient zum Arzt gehen. Er muss dann ein weiteres orales Antidiabetikum erhalten.
Hier gibt es eine reichhaltige Auswahl. Hemmstoffe der Kohlenhydratresorption glätten die Blutzuckerspitzen nach den Mahlzeiten. Hauptvertreter sind Enzymhemmer (beispielsweise Acarbose). Andere orale Antidiabetika sind Sulfonamide, Glitazone, Rimonabant, Exenatide oder Sitagliptin. Über verschiedene Wirkungsmechanismen senken sie alle den Blutzuckerspiegel.
Lässt sich auch damit der HbA1c-Zielwert von 6,5 Prozent nicht erreichen, wird zu einer Metformin-Insulin-Kombinationstherapie geraten.
Meist unumgänglich: Therapie mit Insulin
Über kurz oder lang benötigt jeder Typ-2-Diabetiker Insulin. Eine schwedische Studie, die Typ-2-Diabetiker über einen Zeitraum von sieben Jahren untersuchte, zeigte, dass zum Ende der Studie nahezu jeder zweite Patient auf eine Insulintherapie eingestellt war (1). Im Durchschnitt dauerte es zweieinhalb Jahre, bis Patienten mit Insulin behandelt werden mussten. Ursache war ein Untergang der Insulin produzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse.
Die Wirkungsstärke der oralen Antidiabetika ist im Allgemeinen beschränkt auf eine Senkung von maximal 1–1,5 Prozent HbA1c. Liegt der HbA1c-Wert unter einer Metformin-Mono-therapie bereits über 7,5 Prozent, wird unmittelbar der Einstieg in eine Metformin-Insulin-Kombinationstherapie empfohlen.
Zwei Möglichkeiten bieten sich für den Einstieg an.
Die prandiale Insulintherapie
Bei der prandialen Insulintherapie (prandial: während des Essens) erhält der Patient zum Essen ein kurz wirksames Insulin (beispielsweise Insulinaspartat). Zusätzlich nimmt der Patient weiterhin seine oralen Antidiabetika ein.
Mit der prandialen Insulintherapie bekommt er ein zentrales Problem in den Griff: die gestörte erste schnelle Phase der Insulinausschüttung. Obwohl der Blutzuckerspiegel nach einer Mahlzeit hoch ist, schüttet die Bauchspeicheldrüse eines diabeteskranken Patienten nur langsam und in geringen Mengen Insulin aus. Kurzzeitinsulingaben zu den Mahlzeiten gleichen dies aus. Das Therapieprinzip „Ersetzen, was fehlt" hat in zahlreichen Studien seine Wirksamkeit bewiesen.
Allerdings muss der Patient bereit und imstande sein, sich vor jeder Mahlzeit Insulin zu spritzen.
Die basale Insulintherapie
Diesen Nachteil gibt es bei der basalen Insulintherapie nicht – der Gabe eines Verzögerungsinsulins (Basalinsulins) zur Nacht bei gleichzeitiger Fortführung der Tablettentherapie tagsüber.
Bei Verzögerungsinsulinen ist die Resorptionsgeschwindigkeit verringert, wodurch eine längere Wirkdauer erreicht wird. Die basale Insulintherapie ist ein einfacher Einstieg in die Insulintherapie mit nur einer Injektion täglich. Sie eignet sich besonders dann, wenn Nüchtern-Blutzuckerwerte und HbA1c-Werte hoch sind.
Die Verwendung herkömmlicher Verzögerungsinsuline zur Nacht hat aber einige Nachteile: Die Aufnahme des Insulins verläuft ungleichmäßig mit schwer vorhersehbaren Wirkungsspitzen in der Nacht, die die Gefahr von Unterzuckerungen erhöhen und letztendlich eine ausreichende Kontrolle des Nüchtern-Blutzuckerspiegels erschweren.
Hier bietet ein modernes, lang wirksames Insulin (Detemir) Vorteile: Es bindet sich an Albumin, wodurch es seine Wirkung sehr gleichmäßig entfaltet. Das Risiko für eine Unterzuckerung ist deutlich geringer. Die Wirkdauer ist ähnlich wie bei anderen lang wirksamen Insulinen so ausgelegt, dass eine einmalige tägliche Injektion bei Diabetes Typ 2 ausreicht.
Intensivierte konventionelle Insulintherapie
Da die Krankheit fortschreitet, müssen sowohl die prandiale als auch die basale Insulintherapie in der Regel nach einiger Zeit umgestellt werden – auf die so genannte intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT) mit einem kurz wirksamen Insulin vor dem Essen und einem Verzögerungsinsulin zur Nacht. Vorteilhaft sind die gute Stoffwechsellage und die hohe Flexibilität des Patienten bei Aktivität wie auch beim Essen.
Allerdings muss der Patient vor jeder Mahlzeit seinen Blutzucker messen und entsprechend Insulin spritzen. Dies addiert sich leicht auf zehn Nadelstiche pro Tag.
Die Berechnung der notwendigen Insulindosis und die Korrektur von Blutzuckerschwankungen können nur von gut geschulten Patienten geleistet werden. Oft entwickeln sich erhebliche Barrieren der Patienten gegenüber der aufwendigen Insulintherapie, die letztendlich zu einer schlechten Therapiecompliance führen.
Überwindung von Ängsten
Das Spritzen von Insulin bedeutet oft ein nicht einfach zu überwindendes Hindernis in der Therapie des Typ-2-Diabetes. Der Patient kann dies als Hinweis auf eine Verschlechterung der Erkrankung deuten. Er fürchtet, die Kontrolle zu verlieren sowie Unterzuckerung und Überforderung. Möglicherweise hat er Angst davor, den Insulinpen alleine nicht bedienen und die Dosis nicht einstellen zu können. Er fürchtet, von Hilfsmitteln abhängig zu sein, die er „immer mitschleppen" muss. Diesem Patienten hilft ein langsames Einarbeiten. Eine Behandlungsform, bei der nur eine einmal tägliche Gabe von Insulin ausreicht, erleichtert ebenfalls den Einstieg in die Insulintherapie.
Sie sollten auch die Furcht des Patienten vor einer Gewichtszunahme berücksichtigen. Dieses Problem stellt eine besondere Schwierigkeit dar – der Betroffene hat oft jahrelang gegen sein ansteigendes Gewicht gekämpft, um Kontrolle über seinen Diabetes zu erlangen. Er kann die Veränderung der Behandlung als persönliches Versagen erleben. Nun muss er eine Therapie akzeptieren, von der er gehört hat, sie fördere die Gewichtszunahme. Die Angst ist berechtigt, aber nicht bei allen Insulinen gleich groß. So kann es unter einer Detemir-Therapie sogar zu einer leichten Gewichtsabnahme kommen.
Sie als Pflegender sehen die Entwicklung zumeist aus einer ganz anderen Perspektive: Ein Anstieg des Blutzuckers ist für Sie ein Anlass, sich Sorgen zu machen. Sie denken an gefährliche Komplikationen wie Schlaganfall, Amputation oder Erblindung. Unbedingt wollen Sie den Patienten dazu bewegen, die Behandlung schnellstens auf Insulin umzustellen. Der Erkrankte dagegen, der wiederholt negative Erfahrungen im Zusammenhang mit der Wirksamkeit der Therapie erlebt hat, neigt eher dazu, Veränderungen vermeiden zu wollen. Im schlimmsten Fall kann der Patient die Insulintherapie gänzlich ablehnen. Um einen Teufelskreis zu vermeiden, müssen Sie in dieser Situation unbedingt ruhig und geduldig bleiben und dem Patienten Zeit lassen (5).
Literatur:
(1) Elgzyri, T.: et al. Progression and mortality in type 2 diabetes – The age at diagnosis predicts change in HbA1c over time in patients with newly diagnosed type 2 diabetes. Abstract 73; 42. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 14. bis 17. September 2006, Kopenhagen/Malmö
(2) Global Guideline for Type 2 Diabetes, www.idf.org/home/index.cfm, 2009
(3) Mutschler, E. et al.: Mutschler Arzneimittelwirkungen kompakt. Basiswissen Pharmakologie und Toxikologie. Wiss. Verlagsges. Stuttgart 2005
(4) Scherbaum, W. A., Haak, T.: Medikamentöse antihyperglykämische Therapie des Diabetes mellitus Typ 2, Update der evidenzbasierten Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de, 2009
(5) Woods, S.: Einstieg in die Insulintherapie: Wo sind die Barrieren?, 64. Grünwalder Gespräch, 11. 3. 2008, Grünwald