Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) und der Gesundheitsfonds werden von einigen Experten im Gesundheitswesen als „bürokratische Monster" bezeichnet. Wie bei allen Neuerungen gibt es Fürsprecher und Widersacher. Fakt ist: Beide Projekte sind auf dem Vormarsch. Und mehr als das: Der Gesundheitsfonds ist beschlossene Sache und kommt zum 1. Januar 2009. Auch das „Mammut-Projekt eGK" ist auf Kurs und wird demnächst erneut die Flexibilität der beteiligten Akteure im Gesundheitswesen fordern. Und das sind in erster Linie die Leistungserbringer im Gesundheitswesen.
Gesundheitsfonds bringt Veränderungen
Das Gesundheitswesen befindet sich im Wandel. An vielen Faktoren wird dies ganz besonders deutlich. Immer mehr Krankenkassen fusionieren – auch bereichsübergreifend. Eine Ersatzkasse kann nunmehr auch mit einer BKK fusionieren. Vor zwei Jahren waren noch rund 260 gesetzliche Krankenkassen auf dem Markt – aktuell sind es nur noch 217. Innovative Krankenkassen setzen heute auf Wachstum und Kooperation. Möglicherweise um den Verlust von wechselwilligen Mitgliedern zu egalisieren oder als eine weitere Option der Existenzsicherung. Stagnation in den Mitgliederzahlen könnte künftig als Erfolg bewertet werden. Man rüstet sich mehr denn je für den Wettbewerb, der künftig insbesondere durch den Gesundheitsfonds verstärkt kommen soll.
Das bislang erste und offensichtlichste Auswahlkriterium bei der Wahl einer Krankenkasse jedenfalls zieht erst einmal ab 2009 nicht mehr. Die Höhe des Beitragssatzes spielt dann zunächst eine untergeordnete Rolle. Jetzt steht das Preis-Leistungsverhältnis im Vordergrund.
Denn ab Januar 2009 gilt für alle gesetzlichen Krankenkassen ein einheitlicher Beitragssatz von 15,5 Prozent. Der paritätische Beitragssatz, also jener Satz, der jeweils zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen wird, beträgt dann 14,6 Prozent. Nach wie vor zahlt der Versicherte künftig einen Anteil von 0,9 Prozent seines Bruttoeinkommens selbst. (Bundesweit liegt der durchschnittliche Beitragssatz aller gesetzlichen Krankenkassen heute bei 14,9 Pro
zent.) Im Gegenzug soll der Beitrag der Arbeitslosenversicherung von derzeit 3,3 Prozent auf 2,8 Prozent gesenkt werden.
Ein Schätzerkreis von Gesundheitsexperten hatte Anfang Oktober die Höhe des Einheitsbeitrages definiert und der Bundesregierung zur Entscheidung vorgelegt. Die Regierung bestätigte diesen Vorschlag schließlich am 29. Oktober 2008. Ab dem nächsten Jahr werden alle Beiträge der Gesetzlichen Krankenversicherung in einem Fonds gesammelt und bedarfsweise an die Krankenkassen verteilt. Die Verteilung richtet sich dabei nach dem Bedarf der Versicherten. Der bisherige Risikostrukturausgleich (RSA) wird daher ab 2009 durch den neuen, so genannten morbiditätsorientierten RSA (Morbi-RSA) abgelöst, der konkret die Diagnosen und Arzneimittelverordnungen der Versicherten einer Krankenkasse berücksichtigt. Der Morbi-RSA bildet demnach die Grundlage für die Verteilung der Gelder.
Echter Wettbewerb auch unter Krankenkassen
Die Zeit der werblichen Kommunikation über einen vermeintlich günstigen Beitragssatz ist damit (zunächst) beendet. Künftig gilt für Krankenkassen, die wesentlichen Vorteile und die Leistungsfähigkeit darzustellen. Klar ist dabei, dass die Leistungen aus dem gesetzlichen Leistungskatalog für alle Krankenkassen bindend sind. Jene Leistungen, die eben nicht in diesem Katalog stehen, sind jetzt gefragt und machen den Wettbewerb unter den Krankenkassen aus. Wie sind der Service und die persönliche Beratung der Krankenkasse? Welche Wahltarife werden angeboten? Ist die Krankenkasse stets gut erreichbar? Welche Zusatzleistungen erhalte ich als Mitglied? Derartigen Fragen beziehungsweise den Antworten wird künftig eine neue Bedeutung beigemessen. In diesem Zusammenhang stehen heute schon die Präventionsmaßnahmen im Fokus der Versicherten (und der Marketingabteilungen der Krankenkassen). Rückenschule, Nordic Walking oder Ernährungsberatung werden offensiv als Kurse angeboten und durch die Krankenkassen bezuschusst. Die Möglichkeit hierzu gibt es schon seit einigen Jahren.
Man darf gespannt sein, wie die Krankenkassen diese neue Marktsituation angehen werden und welche Synergien, positiver und negativer Art, die Einführung des Gesundheitsfonds mit sich bringen wird. Denn die Krankenkassen können von ihren Versicherten auch einen Zusatzbeitrag verlangen. Dieser Zusatzbeitrag darf ein Prozent des Bruttoeinkommens des Versicherten betragen. Ein zukünftiger Werbeslogan einer Krankenkasse könnte daher künftig lauten: „Zusatzbeitrag – bei uns nicht!" Für die Bundesregierung ist die Erhebung eines Zusatzbeitrages jedenfalls ein klares Indiz schlechten Wirtschaftens. Daher weist sie in diesen Fällen auf das bestehende Sonderkündigungsrecht hin.
Die Ziele des Gesundheitsfonds sind klar: Der Fonds schafft einheitliche Beitragsstrukturen für gleiche Leistungen. Dies soll den Wettbewerb unter den Krankenkassen beleben, aber vor allem ihre Anzahl senken. Ulla Schmidt forderte die AOKen sogar schon auf, sich langfristig zu einer Bundes-AOK zusammenzuschließen. Experten sehen langfristig eine stark schrumpfende Kassenlandschaft. Möglich, dass in Zukunft nur noch 50 Kassen existieren werden. Fest steht: Es kommt mehr Geld ins System und aus Versicherten werden plötzlich Kunden. Daneben zählt eine effiziente und bedarfsgerechte Beitragsverteilung an die Krankenkassen wohl zu den wichtigsten Ansprüchen des Gesundheitsfonds.
eGK: Kommunikation verbessern, Risiken mindern
Aktuell etwas im Schatten des Gesundheitsfonds steht derzeit das Projekt der elektronischen Gesundheitskarte (eGK). Für eine standardisierte und effiziente Form der Datenerhebung ist bereits vor einigen Jahren dieses Großprojekt an den Start gegangen. Auslöser war der so genannte „Lipobay-Skandal" vor sieben Jahren. Bestimmte Wechselwirkungen des Cholesterin-Präparats führten bei Einnahme mit anderen Medikamenten zum Tode des Patienten. Schließlich diskutierten Experten darüber, wie man unter strengsten Datenschutzbestimmungen eine höchstmögliche Patientensicherheit in Form einer Medikamentendokumentation gewährleisten kann. Entstanden ist aus diesen Überlegungen heraus die eGK.
Wie in jedem Projekt gibt es Instanzen, die sich federführend mit der Umsetzung, Planung und Koordination der Aufgaben und Ziele der Gesundheitskarte beschäftigen. Zu diesem Zweck wurde im Jahre 2005 die „gematik" – Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH – gegründet. Die Gesellschafter der gematik sind die Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen, sowohl auf Leistungserbringer- als auch auf Kostenträgerseite. Eine der Hauptaufgaben der gematik ist der Aufbau und Betrieb einer Telematikinfrastruktur.
Hierzu zählen beispielsweise die technische Spezifikation der Datenformate und Komponenten sowie die Durchführung von Tests. Das Ziel ist hierbei klar definiert: Eine verbesserte Kommunikation zwischen beispielsweise Arztpraxen, Apotheken, Krankenhäusern oder „sonstigen Leistungserbringern" über standardisierte Schnittstellen. Und das aus sämtlichen verschiedenen Systemen heraus.
Stufenweise Einführung
Eine Einführung der verschiedenen Funktionen der eGK soll in vier Stufen erfolgen. Die Karte wird über Pflichtanwendungen und freiwillige Anwendungen verfügen. Diese sind mit diversen Sicherheitsfunktionen abrufbar. Höchstes Gebot lautet, den „gläsernen Patienten" zu vermeiden. Ein weiteres wesentliches Ziel bei der Umsetzung der eGK ist die Erreichung einer größtmöglichen Patientenautonomie. Der Patient soll letztlich selbst entscheiden, welche zusätzlichen Daten auf seiner Karte vorhanden sein sollen und wer diese Daten schlussendlich einsehen kann.
Zu den Pflichtdaten zählen in der ersten Stufe die Versichertendaten an sich. Diese beinhalten sämtliche Stammdaten des Versicherten sowie den Status der Mitgliedschaft. Weiterhin werden Informationen über zu leistende Zuzahlungen auf der Karte gespeichert. Schließlich ist auch das elektronische Rezept eine Anwendung, die im Standard enthalten ist.
In der ersten Stufe wird die Karte alle relevanten Versichertendaten enthalten. In dieser Phase soll die Karte dann auch europaweit anwendbar sein, zumindest ist dies die Wunschvorstellung der Akteure. Aufgrund der Bedeutung und Komplexität des Themas scheint es aber angebracht zu sein, zunächst eine reibungslose nationale Umsetzung anzustreben, bevor weitere große Schritte vollzogen werden. Auch rein optisch unterscheidet sich die eGK von der bisherigen Krankenversichertenkarte (KV-Karte). Ein zusätzliches Sicherheitskriterium stellt demnach künftig ein Lichtbild des jeweiligen Mitgliedes auf der eGK dar. Insofern trägt man damit auch dem Anspruch des GKV-WSG gemäß § 15 SGB V Rechnung, einem Missbrauch der KV-Karte entgegenzuwirken.
Zukünftig auch elektronische Rezepte
Die zweite Projektstufe sieht die Einführung des elektronischen Rezeptes (eRezept) vor. Ärzte „schreiben" danach die ärztlichen Verordnungen auf die eGK oder auf einem Server. Hierfür erhalten alle zugelassenen Ärzte von den Bundesärztekammern einen Berufsausweis, der sie für diese Tätigkeit gemäß § 291a Abs. 5 SGB V legitimiert. Leistungserbringer, die mit der Erfüllung der ärztlichen Verordnung beauftragt werden, zum Beispiel die sonstigen Leistungserbringer im Gesundheitswesen, benötigen einen Heilberufeausweis. Der Heilberufeausweis befugt die Leistungserbringer dazu, auf die Daten der eGK zuzugreifen und das eRezept auszulesen. Der Ausweis ist auch erforderlich, um Einsicht in etwaige Notfalldaten oder in die elektronische Patientenakte zu nehmen – dies sind die freiwilligen Anwendungen der eGK.
Die freiwilligen Anwendungen kommen in der dritten Stufe zum Tragen und können Angaben zu bestehenden Allergien oder bekannten Überempfindlichkeitsreaktionen sein. Auch Informationen zu der jeweiligen Blutgruppe des Karteninhabers zählen hierzu. Welche Medikamente nimmt der Patient regelmäßig oder aktuell ein oder welche Arzneimittel wurden in der Vergangenheit bereits eingenommen?
Die Antwort hierauf gibt die Medikamentendokumentation als weitere Wahlanwendung auf der eGK. Der Patient entscheidet selbst, ob die Karte diese Daten enthalten soll und wer sie letztlich sehen darf.
Als letzte und vierte Phase wird schlussendlich der Weg zur digitalen Patientenakte geebnet. Sämtliche Arztberichte, Befunde, Operationen oder Eingriffe werden hier gespeichert und bei Bedarf abgerufen. Die eigene Patientenkartei kann somit ein ständiger Begleiter des Versicherten werden.
In verschiedenen Bundesgebieten wird die eGK bereits getestet. In Sachsen beispielsweise wurden über 62000 Testkarten ausgegeben, dort läuft der Test bereits seit Mitte 2007. Wie die Sächsische Zeitung berichtete, sind die Beteiligten dort jedoch skeptisch. Hier fehlt es teilweise noch an den technischen Voraussetzungen bei den Ärzten und Krankenhäusern. Die erforderlichen Lesegeräte fehlen und sollen laut der gematik im Sommer 2009 ausgegeben werden.
Datenschutz versus Fortschritt
Wie dem auch sei: Die eGK wird früher oder später kommen. Die Entscheidung über die Nutzung der freiwilligen Anwendungen wird beim Patienten liegen. Ebenso die Entscheidung darüber, wer diese Informationen lesen darf. Generell gilt, dass ein Zugriff auf die Daten der eGK nur in Verbindung mit einem Berufs- bzw. Heilberufeausweis erfolgen kann. Ein weiteres Sicherheitskriterium ist die Vorschaltung eines PIN-Codes, der nur dem Versicherten inklusive seines Stellvertreters bekannt ist. In der Kombination mit dem Berufs bzw. Heilberufeausweis sind dies wichtige datenschutztechnische Aspekte. Hinzu kommt, dass sämtliche Daten auf der eGK nur in verschlüsselter Form geschrieben werden.
Die eGK ist zweifelsohne ein weiterer technischer Fortschritt. Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Daten, die auf der Karte geschrieben werden müssen, stehen den Versicherten die beschriebenen freiwilligen Anwendungen zur Verfügung. Fraglich ist, inwieweit der Versicherte im Ernstfall selbst dafür verantwortlich gemacht werden kann, wenn wohl wissentlich Informationen über den Gesundheitszustand auf der eGK vorenthalten werden. Ein Szenario, das man heute nicht weiter durchdenken mag.
eGK ist ein Appell an das Gesundheitsbewusstsein
Insbesondere diejenigen Versicherten, die an multimorbiden Krankheiten leiden oder chronisch krank sind, werden vermutlich die Möglichkeiten der freiwilligen Anwendungen eher in Betracht ziehen als der „gesunde" Bürger. Der Wille, als Patient im Rahmen seiner Möglichkeiten damit zu einer lückenlosen und möglichst transparenten Behandlung seiner Erkrankungen beizutragen, könnte sich mit den Optionen der
eGK verfestigen. Ebenso wächst hiermit möglicherweise die Hoffnung auf einen besseren Behandlungs- oder Heilungserfolg.