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Bürgerschaftliches Engagement

Das Verständnis vom bürgerschaftlichen Engagement hat sich mit den Jahren gewandelt. Selbstbewusste und verantwortungsbereite Freiwillige erproben mit ihren Diensten neue Formen des Miteinanders und der sozialen Vernetzungen. Aber sie stehen nicht, wie früher die Ehrenamtlichen, jederzeit abrufbereit zur Verfügung.

Mehr Freiwillige als Ehrenamtliche

„Die Demokratie lebt vom Ehrenamt," meinte Altbundespräsident Theodor Heuss. „Ehrenamtliche", die sich ohne Gegenleistung für Hilfsbedürftige einsetzen, werden weniger, je mehr Glaube und Ideale zu Privatangelegenheiten erklärt werden. In der Regel übernehmen Mitglieder einer Kirche, eines Vereins, einer Hilfsorganisation, einer Partei oder einer Gewerkschaft ein Ehrenamt. Sie dienen damit den Zielen und Wertvorstellungen ihrer Organisation.

Der Trend zur Ökonomisierung entkräftet den selbstlosen Einsatz. Das beendet nicht den Einsatz Hilfswilliger beispielsweise für Hilfs- und Pflegebedürftige. Aber unter den veränderten Voraussetzungen gibt es mehr Freiwillige als Ehrenamtliche. Peter Haupt, Staatssekretär im Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sagte dazu: „Die Verbände sind hier gefordert, sich auch diesen veränderten Vorstellungen und Bedürfnissen zu öffnen, wenn sie weiterhin Aufgaben mit ehrenamtlichem und freiwilligem Engagement erfüllen wollen. Da die Grenzen zu den privaten sozialen Dienstleistungen fließend geworden sind, be-steht die Gefahr, dass die Wohlfahrtsverbände an sozialem Profil verlieren. Die Bundesregierung sieht hier die Aufgabe, die Verbände bei der Suche nach neuen Formen zu unterstützen." (1)

Als ob Goethe geahnt hätte, dass die Zahl derer zunimmt, die an sich denken, wenn sie anderen helfen, sagte er: „Wer nichts für andere tut, tut nichts für sich."

 

Ehrenamt in Zahlen

Der Freiwilligensurvey (survey englisch für Schätzung, Gutachten) wird seit 1999 im Auftrag der Bundesregierung durchgeführt. Es ist die umfassendste und detaillierteste quantitative Un-tersuchung zum bürgerschaftlichen Engagement in Deutschland. (Beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend heißt die Umfrage Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999–2004: Repräsentativerhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement.)

In 2004 haben sich 36 Prozent (1999: 34 %) aller Deutschen im Alter ab 14 Jahren freiwillig in Verbänden, Initiativen oder Projekten engagiert. Weitere 34 Prozent (1999: 32 %) sind öffentlich aktiv in einem Verein oder einer Gruppe tätig, ohne jedoch längerfristig bestimmte freiwillige Aufgaben zu übernehmen. Die öffentliche Einbindung der Bürger und das freiwillige Engage-ment im engeren Sinne sind damit erheblich größer als bislang angenommen. Es hat einen so hohen Stellenwert, dass der Staat ohne freiwilliges Engagement nicht mehr auskommen könnte.

Insgesamt waren 2004 zusätzlich zu den 36 Prozent Freiwilligen weitere 32 Prozent (1999: 26 %) bereit, sich unter Umständen freiwillig zu engagieren, davon zwölf Prozent sogar bestimmt (1999: 10 %).

 

Motive und Erwartungen Freiwilliger

Freiwilligenarbeit kann als ein Engagement unabhängiger Individuen bezeichnet werden, die bei ihrem Einsatz auch Eigeninteressen verfolgen und Forderungen stellen. Das neue bürgerschaftliche Engagement gründet in dem Wunsch nach Selbstentfaltung und Mitverantwortung. „Der Wunsch, Subjekt des eigenen Handelns zu sein, ist heute eine weit verbreitete gesellschaftliche Realität." (2)

 

Welche Motive bewegen die Freiwilligen zu ihrem Einsatz?

 - Sie flüchten aus ihrem Alleinsein, um nicht zu vereinsamen.

- Sie wollen ihre freie Zeit sinnvoll nutzen, dabei Neues erleben.

 - Sich als nützlich zu erweisen, steigert ihr Selbstwertgefühl.

-  Im gemeinsamen Tun suchen sie Kontakte zu ebenso Einsatzbereiten.

-  Sie möchten sich als Helfer Betreuungsbedürftiger bestätigen.

- Besonders Frauen interessieren sich für den Beruf der Pflegenden, da sie unter Umständen früher selbst den Pflegeberuf hätten erlernen wollen.

 - Als selbst älter werdende wollen sie Hochbetagte kennenlernen.

 - Sie unterstützen das Gemeinwohl, von dem sie profitieren.

 

Allerdings verbinden sie auch Erwartungen mit der Übernahme eines Freiwilligendienstes:

 

- Sie wollen einen Ansprechpartner oder Koordinator.

 - Sie wollen mit ihren neuen Aufgaben vertraut gemacht werden.

 - Sie wollen mitverantwortlich den Professionellen zuarbeiten und erwarten dazu eine klare Be-grenzung der jeweiligen Kompetenzen.

 - Sie beanspruchen einen Freiraum für ihre Selbstverwirklichung.

 - Sie wollen zum besseren Verständnis ihres Helfens fortgebildet werden.

 - Der Zeitplan ihrer Einsätze soll mit ihnen abgesprochen werden.

 - Versicherungsfragen sollen mit ihnen geklärt werden.

 - Auslagen sollen erstattet werden oder eine Aufwandsentschädigung gezahlt werden.

 - Sie erwarten eine gebührende Anerkennung ihrer Dienste.

 

Freiwillig oder ehrenamtlich?

Ehrenamtliche oder Freiwillige können nicht in der Grund- oder Behandlungspflege eingesetzt werden. Dazu fehlt ihnen die berufliche Vorbildung. Das ist auch arbeits- und versicherungsrechtlich nicht möglich. Es entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben für die Pflege, dazu ist der Pflegeberuf inzwischen zu sehr professionalisiert. Dennoch gibt es ein abgestuftes System unterschiedlicher Hilfen, und eine begrenzte Integration von Hilfswilligen im Sozial- und Gesundheitsbereich ist durchaus möglich.

Doch die engagierten Freiwilligen müssen akzeptieren, dass ihrer selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Mitwirkung Grenzen gesetzt sind. Diese zu akzeptieren und trotzdem in Solidarität mit den beruflich Tätigen den Pflegebedürftigen beizustehen, kann zu Spannungen führen.

Selbstbewusste und verantwortungsbereite Freiwillige erproben in ihren Diensten neue Formen des Miteinanders und der sozialen Vernetzungen. Sie stehen nicht, wie früher die Ehren-amtlichen, jederzeit abrufbereit einer Gemeindeschwester, einer sozialen Dienstgruppe, einem Krankenhaus oder einem Heim zur Verfügung. Sie bevorzugen, etwa durch einen Aufruf in der Zeitung angesprochen, zeitlich begrenzte, projektbezogene, stadtteil- beziehungsweise kommunalgebundene Aufgaben. „Freiwillig" steht eher für aufgabenbezogene und zeitlich eingegrenzte Formen unentgeltlicher Mitarbeit (3).

Niedrigschwellige Betreuungsangebote unterstützen die Pflege

Zwei Tatsachen tragen zu dem Trend vom Ehrenamt zum Freiwilligeneinsatz bei: die Einsparungen öffentlicher Mittel und die fortschreitende Liberalisierung, wodurch Menschen zunehmend in die Selbst- und Mitverantwortung gestellt werden. Der Einsatz in der Betreuung von Alterspatienten bietet für den Staat keinen Grund, sich noch mehr aus der sozialen Verantwortung zurückzuziehen.

In der Betreuungsarbeit geht es um vermehrte Sozialkontakte. Regelmäßige Besuche steigern erfahrungsgemäß das Selbstwertgefühl selbst von Dementen. Betreuende können sich erzählen lassen, können mit den Bewohnern singen oder spielen, können ihnen vorlesen, Briefe schreiben, Gänge erledigen, sie zum Arzt begleiten, sie mit dem Rollstuhl ausfahren oder sie zu sich einladen. Das von der Robert Bosch-Stiftung geförderte Modellprojekt „Erinnerungspflege mit demenziell Erkrankten" hat gezeigt, dass auch die Erinnerungspflege in einer kleinen Gruppe ein sinnstiftendes Handlungsfeld für bürgerschaftliches Engagement ist. Dasselbe gilt für das Singen in der Gruppe, es hat therapeutischen Wert. Der soziale Dienst eines Heimes wüsste noch andere Aufgaben. Wichtig ist auch ein Nähkreis, der Wäsche ausbessert, Namen einnäht, Gummibänder einzieht, etwas flickt, stopft usw. Zu beglückwünschen sind Heimbewohner, zu denen regelmäßig und möglichst oft ein Seelsorger oder ein Seelsorgerhelfer kommt. Diese können auch Andachten, Bibelstunden und Gottesdienste halten sowie für die Mitarbeiter ansprechbar sein. Solche Ange-bote heben die Atmosphäre im Haus.

 

Aus der Sicht des Trägers

Alles, was zu einem positiven Wohn- und Arbeitsklima beiträgt, fördert den „ideellen Wert" des Hauses. Der kann nicht bilanziert werden. Aber er hebt den Ruf des Hauses. Daran wird den Trägervertretern nicht nur geschäftlich, auch menschlich gelegen sein. Sie sind ja auf ein gutes Image des Hauses bedacht.

Eine Kirchengemeinde, ein Verein, eine Initiative, eine Familie oder eine Bürgervereinigung hat in der Regel Rückhalt bei der bodenständigen Bevölkerung. Hier gibt es Verbindungen zu Ämtern, Persönlichkeiten, Firmen und Geschäften. Da fällt es leichter, die Menschen im Heim in das überschaubare Leben eines Stadtteils oder einer Kommune, einer Kirchengemeinde usw. einzubinden und Hilfswillige zur Betreuung der Heimbewohner zu gewinnen.

 

Es müssen nicht so viele sein wie in dem „Reginenhaus Rhynern" der Anna Luise Altendorf-Stif-tung. Die Leitung des Hauses hatte durch eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit und durch Besuche in Gruppen und Vereinen am Ort mit Gegeneinladung ins Heim viele Helfer angeworben. 150 Freiwillige bemühen sich regelmäßig um etwa 90 Bewohner. Mit umfangreichen Methoden wurden erfolgreich die Helfer in den Alltag der Einrichtung eingebunden, und der Mitgestaltungswille der Freiwilligen wird durch ihre Einbeziehung in die Fortbildung der Hauptberuflichen gefördert.

 

Literatur:

(1) In „Ehrenamt – Im Vorfeld des Inter-nationalen Jahres der Freiwilligen 2001", veröffentlicht in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 80. Jahrgang, 1/2000, Seite 1–5

(2) Bundesministerin Dr. Christine Bergmann, Pressemitteilung des BMFSFJ Nr. 178

(3) Caritas-Korrespondenz 3/1999, Seite 12

 

 

 

 

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