Ambulante Wohngemeinschaften für demenziell erkrankte Menschen sind ein wichtiger neuer Typ der Versorgung Pflegebedürftiger, der das konventionelle Angebot von stationärer und ambulanter Pflege ergänzt. In den vergangenen Jahren wurden viele dieser modernen Wohnformen neu gegründet – die sich heute konsolidieren müssen. Der folgende Artikel behandelt unter anderem die immer wiederkehrende Frage: „Was ist günstiger: WG oder stationäre Pflege? Dabei wird aber genau geschaut, wer am Ende profitiert.
Wohngemeinschaft auf Grundlage eines Mietvertrages
Das Modell der ambulanten Wohngemeinschaft (WG), das hier zugrunde gelegt wird, geht davon aus, dass der demenziell Erkrankte für ein Zimmer in einer gemeinsamen Wohnung, die die Wohngemeinschaft bildet, einen Mietvertrag mit einem Vermieter abschließt und diesem monatlich die vereinbarte Miete überweist. Die Betreuung inklusive bestimmter hauswirtschaftlicher Verrichtungen (Waschen, Putzen, Zubereitung der Mahlzeiten) sowie Grund- und Behandlungspflege werden von einem Betreiber, häufig von einem ambulanten Pflegedienst, erbracht. Dessen Kosten und ihre Refinanzierung sollen genauer betrachtet werden.
Die präsentierten Zahlen basieren auf der Analyse von Betriebsdaten entsprechender Anbieter aus Nordrhein-Westfalen, die der Autor im Rahmen des Leuchtturmprojekts Demenz (www.kcr-net.de/06_05.html) erhoben hat. Es sind nicht die Daten eines bestimmten Anbieters, sondern es handelt sich um ein konstruiertes Beispiel, das praktisch möglich wäre.
Für das Beispiel gelten als Eckdaten drei WGs mit jeweils acht Mietern. Die zentrale Kostengröße sind die Personalkosten. Folgendes Personal wird eingesetzt:
– Jeweils zwei Betreuungskräfte je WG für den Zeitraum von 6 bis 22 Uhr
– Eine Nachtwache für alle drei WGs von 22 bis 6 Uhr
– 1,5 Vollzeitäquivalente (VK) Pflegefachkräfte je WG
– 1 VK Sozialpädagogin als Leitung.
Gemäß Abbildung 1 ist zunächst das Mengengerüst des Personaleinsatzes bezogen auf die einzelnen Berufsgruppen zu ermitteln. Für die Betreuungskräfte ergeben sich 7,02 VK bei einer zugrunde gelegten 40-Stunden-Woche nach Abzug von 20 Prozent Ausfallzeit für Urlaub, Krankheit usw. Bei gleicher Berechnung sind 1,75 VK für den Nachtdienst notwendig. Bezüglich der Qualifikation des im Nachtdienst eingesetzten Personals ist zu prüfen, ob entsprechende „heimrechtliche" Vorgaben zu berücksichtigen sind. Im Beispiel sind Betreuungskräfte eingesetzt. Bezogen auf den Einsatz der Pflegefachkräfte, die Leistungen der Grund- und Behandlungspflege erbringen, gibt es unterschiedliche Modelle. Hier wird unterstellt, dass die Pflegefachkräfte einsatzbezogen in die WGs kommen, um den häuslichen Charakter zu unterstreichen. Es gibt allerdings auch Modelle, wo Pflegefachkräfte dauerhaft in den WGs anwesend sind.
Personalkosten berechnen
Ist das Mengengerüst bestimmt, können die Personalkosten berechnet werden. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen privaten Anbieter, der eine ortsübliche Bezahlung (Ruhrgebiet) gewährt. Auf die so ermittelten Personalkosten werden zehn Prozent Gemeinkosten aufgeschlagen, um alle anderen anfallenden Kosten abzudecken (Versicherungen, Buchhaltung, Personalabrechnung, Berufsgenossenschaft, Bürobedarf/Ausstattung, Zinsen usw.).
Die Erlöse speisen sich aus unterschiedlichen Quellen (s. Abb. 1). Hier stehen zunächst einmal die Sachleistungen gemäß Pflegeversicherung zur Verfügung. Diese berechnen sich nach der Einstufung der Mieter in die entsprechenden Pflegestufen. Die Abrechnung erfolgt gemäß der ausgeführten Leistungskomplexe. Die Leistungen der Behandlungspflege nach SGB V, die von niedergelassenen Ärzten verordnet wurden, werden ebenfalls abgerechnet, wie es für ambulante Dienste typisch ist. Hier allerdings mit dem Unterschied, dass nur 80 Prozent des Entgelts berechnet werden, da die Anfahrt entfällt. Eine weitere Leistung des SGB XI, die Betreuungsleistung nach § 45b fließt im Beispiel dem Betreiber zu, es gibt aber auch Fälle, wo sie von der Betreuungspauschale abgezogen wird.
Die bisher berücksichtigten Erlöse bezogen sich auf die Standardleistungen für ambulante Dienste. Bei der Refinanzierung der Betreuungsleistung dagegen gibt es keine Form der Standardisierung der Entgelte. Die diesbezüglichen Regelungen variieren hier sehr stark, da auf lokaler Ebene mit der Kommune oder dem Kreis die unterschiedlichsten Vereinbarungen abgeschlossen werden. Es können jedoch grob zwei Grundtypen von Finanzierungen bestimmt werden: die Gewährung von Pauschalen oder Einzelvergütungen für jeden Mieter auf Grundlage der Bewertung des individuellen Pflege- und Betreuungsbedarfes, der die gewährten Sachleistungen der Pflegeversicherung übersteigt. Ohne hier die Vor- und Nachteile dieser Entgeltformen im Einzelnen zu thematisieren, kann aus einem betriebswirtschaftlichen Fokus vor der individuellen Berechnung nur gewarnt werden. Der Betreiber hat hier keine Kalkulationssicherheit bei den Erlösen, da diese je nach Einzelfall stark schwanken können. Dies stellt ein hohes Risiko dar, da fast ausschließlich fixe Kosten anfallen, die sich auf eine bestimmte Kapazität (Platzzahl) beziehen. Das heißt, es muss unabhängig von der konkreten Pflegebedürftigkeit eine bestimmte Anzahl an Personal vorgehalten werden, damit ständig die Versorgung aufrechterhalten werden kann. Die Pauschale bietet dagegen eine größere Sicherheit, da die Höhe des Entgeltes planbar ist. Hier gibt es die Varianten, ob das Entgelt pauschal für alle gleich oder nach Pflegestufen gestaffelt wird. Im Beispiel orientiere ich mich an letzterem Fall, wie dies die Praxis in der Stadt Gelsenkirchen ist. Werden abschließend Kosten und Erlöse gegenübergestellt, ergibt sich ein positives Ergebnis.
Personalplanung und Vergütung entscheiden über wirtschaftlichen Erfolg
An dieser Stelle soll kurz auf die Stellschrauben des wirtschaftlichen Erfolges eingegangen werden. Grundlegend ist das Personaleinsatzkonzept, das heißt, welches Personal in welcher Quantität und Qualifikation beschäftigt wird. In der Praxis gibt es unterschiedliche Varianten, die abhängig sind von den inhalt
lichen und qualitativen Vorstellungen des Betreibers und/oder des kommunalen Kostenträgers beziehungsweise der Heimaufsicht. Eine weitere wichtige Variable ist die Vergütung. Bei Tarifgebundenheit besteht keine oder geringe Gestaltungsmöglichkeit. Bei tariflich nicht gebundenen Betreibern wird eine ortsübliche Vergütung angesetzt, die auch nicht zu niedrig sein darf, da dies einen Einfluss auf die Qualität des Personals hat und erfahrungsgemäß zu einer hohen Fluktuation führt. Für Betreuungskräfte in diesem Feld bewegen sich die Stundenlöhne im Ruhrgebiet zwischen sieben und neun Euro.
Auch die Anzahl der zu betreuenden Mieter ist eine wichtige Erfolgsgröße, denn mit abnehmender Zahl kann die Anzahl der Betreuungskräfte nicht proportional reduziert werden. Würde im Beispiel die Zahl der Mieter auf sechs beschränkt, müsste mit einem gleich hohen Schlüssel an Betreuungskräften gearbeitet werden. Das bedeutet, die Kosten würden weitgehend konstant bleiben, aber die Erlöse wären niedriger. Auf der anderen Seite kann die Zahl der Mieter nicht beliebig erhöht werden, weil hierdurch der häusliche Charakter der Wohngemeinschaft gefährdet wäre.
Werden mehrere Wohngemeinschaften in einer Immobilie zusammengefasst, können sich be-stimmte Synergieeffekte ergeben, beispielsweise beim Nachtdienst. Andererseits kann bei einer bestimmten Größe auch eine Leitungsstelle finanziert werden. Grundsätzlich ist ein Verordnungsmanagement wie in jedem ambulanten Dienst notwendig, es muss gewährleistet sein, dass die Verordnungen zeitnah verlängert werden.
Wichtige betriebswirtschaftliche Steuerungsgrößen sind die Auslastung und Struktur der Pflegestufen. Wegen des fast ausschließlichen Anteils von Fixkosten ist die Sicherung einer hohen Auslastung die zentrale Steuerungsaufgabe. Ähnliches gilt bei der Zusammensetzung der Pflegestufen, im Beispiel sogar in zweierlei Hinsicht: bezogen auf die Sachleistung und die Betreuungsleistung. Hier muss entsprechendes Management der Pflegestufen gewährleisten, dass die Mieter leistungsadäquat eingestuft sind.
Abschließend ist noch die Frage offen: Wer muss welche Kosten tragen? Hier erfolgt eine rein finanzielle Betrachtung, qualitative und andere Aspekte, die für einen umfassenden Vergleich auch immer berücksichtigt werden müssen, bleiben außen vor. Wie in Abbildung 2 dargestellt, nehmen die Gesamtausgaben der WG in der Pflegestufe 1 eine mittlere Position zwischen den niedrigen und hohen Heimentgelten ein, in der Stufe 2 entsprechen sie der hohen Variante.
Pflegekasse zahlt nur in Höhe der Sachleistungen
Auf jeden Fall rechnet sich die Wohngemeinschaftsform für die Pflegekasse, denn diese beteiligt sich in der Höhe der Sachleistung für den ambulanten Bereich, die niedriger ausfällt als im stationären Bereich. Im Sinne von ambulant vor stationär besteht hier noch Handlungsbedarf.
Was trägt der Mieter?
Der Mieter hat neben den Betreuungskosten auch die Miete sowie eine Umlage für die Lebenshaltung (Lebensmittel, Getränke, Reinigungsmittel) zu zahlen. Sein Eigenanteil nimmt in beiden Pflegestufen eine mittlere Position zwischen den niedrigen und hohen Beträgen des vollstationären Bereichs ein. Die kritische Variable ist hier das Entgelt für die Investitionskosten beziehungsweise ob das jeweilige Bundesland ein Heimwohngeld gewährt. In Nordrhein-Westfalen ist dies der Fall. Es gilt eine Vermögensgrenze von 10000 Euro.
Ist kein oder ein geringes Vermögen vorhanden bzw. ist es auf diesen Betrag zusammengeschmolzen (spent down), vermindert sich der Eigenanteil des Bewohners um die Investitionskosten. In diesem Fall müsste er im stationären Bereich deutlich weniger aufwenden als für das Wohnen in einer WG.
Für den örtlichen Sozialhilfeträger ist die Situation noch differenzierter. Bei der angesetzten Durchschnittsrente würde er für WG-Mieter 666 bzw. 916 Euro zuzahlen. Im stationären Bereich kommen mal mehr, mal weniger Kosten auf ihn zu. Im Falle des spent down des Pflegebedürftigen, aber immer die Investitionskosten als Heimwohngeld.
Bevor ein Pflege-Dienstleister über die Erweiterung seines Angebotes auch im WG-Bereich nachdenkt, ist vorab eine komplexe Analyse notwendig.