Bei Operationen an den Extremitäten muss das Operationsfeld genau eingesehen werden. Die Blutsperre kann hier ein wichtiges Hilfsmittel sein, birgt für den Patienten aber auch Gefahren. Das Anlegen und Überwachen der Blutsperre erfordert deshalb besondere Aufmerksamkeit.
Die Blutsperre ist aus den Operationssälen der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken. Besonders bei Operationen an den Extremitäten in der Orthopädie, Traumatologie und Handchirurgie wird sie regelmäßig angewendet. Die Geschichte des Tourniquet, wie die Blutsperre auch genannt wird, führt zurück bis in die Antike. Heute ist sie deutlich nebenwirkungsärmer und wird kommerziell hergestellt.
Was sind Blutsperre und Blutleere?
■ Blutsperre: Die Blutsperre ist die künstliche Drosselung der Blutzirkulation in einem begrenzten Kreislaufgebiet. Sie wird bei Operationen an den Extremitäten angewandt, und dient der besseren Übersicht im OP-Gebiet und der Einsparung von Transfusionen. Dabei wird - möglichst nah am Körperstamm - um die betroffene Extremität eine aufblasbare Manschette angelegt und mit einem Druck aufgepumpt, der deutlich höher liegt als der arterielle systolische Blutdruck des Patienten.
■ Blutleere: Muss das Operationsfeld besonders genau eingesehen werden, zum Beispiel bei Operationen an den Nerven der Hand, kann sich das in der Extremität befindliche Restblut im Operationsfeld störend bemerkbar machen. In solchen Fällen wird das Blut aus der Extremität vor Schließen der Blutsperre durch Auswickeln, beispielsweise mithilfe einer Esmarch-Binde, entfernt.
Blutsperre: bessere Übersicht im OP-Gebiet
Das Ziel der Blutsperre ist eine bessere Übersicht des Operationsfeldes. Auch der Blutverlust wird so gering gehalten, sodass ein atraumatisches Präparieren möglich ist. Das Anlegen und Überwachen der Blutsperre gehören im Operationssaal zu den pflegerischen Aufgaben. Hier ist große Sorgfalt geboten, da die Aufgabe einige Tücken mit sich bringt. Der „Springer", also der Pflegende, der nicht am sterilen Tisch steht, muss die Blutsperre vor dem Abwaschen und dem Abdecken am Patienten anbringen. „Die Aufgabe bringt eine hohe Verantwortung mit sich", sagt der Operationspfleger Daniel Neuhaus. „Manche Ärzte legen die Blutsperre aus Angst vor schlimmen Folgen sogar lieber selber an."
Sterile Manschette für Notfälle bereithalten
Generell sind Blutsperren unsteril. In Notfällen, wie etwa bei unerwarteten Blutungen und schwierigen Präparationsverhältnissen, ist ein nachfolgendes Anlegen einer Blutsperre manchmal unumgänglich. Hierfür sollte eine sterile Manschette bereitgehalten werden. Auch bei beengten Operationsverhältnissen, beispielsweise am Ellenbogen oder Unterarm, sind sterile Blutsperren von Vorteil.
Zum normalen Anlegen wird eine breite, pneumatische Manschette benötigt. Diese wird vor dem Anlegen mit Synthetikwatte unterpolstert und vor dem Aufpumpen gegen ein Aufspringen gesichert. Dazu können neben dem normalen Verschluss zusätzliche Klebestreifen angebracht werden. Danach wird die Manschette wasserdicht abgeklebt. Der zuführende Druckschlauch sollte so geführt und befestigt werden, dass er nicht unbemerkt abknicken kann. Die Manschette kann mittels einer mechanischen Handpumpe über den Druckschlauch gefüllt und dann abgeklemmt werden. Viele Operationssäle verfügen jedoch über einen Druckluftanschluss in der Wand. Das hat den Vorteil, dass der Druckschlauch sehr lang ist. Ein intraoperatives Manipulieren wird so erleichtert, ohne sich dauernd im sterilen Bereich bewegen zu müssen.
Hoher Druck gewährleistet Unterbrechung der Zirkulation
Um den Druck zu kontrollieren, empfiehlt sich ein geeichtes und regelmäßig überprüftes Steuergerät (Abb. 1, 2). Vor dem Aufpumpen der Manschette kann die zu operierende Extremität zwei Minuten lang hochgelagert werden. So werden ein besserer Rückfluss aus der Extremität und ein blutarmes Operationsgebiet gewährleistet. Der erforderliche Druck, um eine komplette Unterbrechung der Zirkulation zu gewährleisten, liegt bei 70 bis 100 mmHg über dem systolischen Blutdruck des Patienten. Die Manschette sollte so proximal wie möglich an der Extremität angebracht werden. Durch die dickere Konsistenz des Weichteilmantels ist die Gefahr von Druckstellen und Nervenschädigungen geringer.
Es gibt auch vereinzelt Berichte über erfolgreiche Verwendungen der Blutsperre an Unterarmen und Unterschenkeln. Dabei handelt es sich aber nicht um Standardverfahren. Herr Neuhaus von der Operationspflege arbeitet seit acht Jahren im OP. „Ich habe in dieser Zeit noch nie eine Blutsperre am Unterarm oder Unterschenkel erlebt. Die Folgen können viel zu verheerend sein. Das Risiko geht doch keiner ein." An Unterarm und Unterschenkel ist der Weichteilmantel nur gering ausgebildet. Das subkutane Fettgewebe und die Muskeln stellen keinen ausreichenden Schutz gegenüber der Blutsperre dar. Durch den hohen Druck, den die Blutsperre aufbaut, kann es leicht zu einer Schädigung der Nerven und zu Nekrosen kommen.
Blutleere: Wenn das OP-Feld genau eingesehen werden muss
Für manche Operationen reicht eine Blutsperre nicht aus. Bei Eingriffen in der Knieprothetik können selbst kleine Blutungsquellen stören. Hier wird viel gesägt, es werden Knochen und Weichteile präpariert und mit kleinsten Implantat-Teilen umgegangen. Auch in der Handchirurgie, wo Nerven rekonstruiert werden müssen, ist die absolut freie Sicht das Wichtigste. Hier wird die Blutleere angewendet.
Das Anlegen und Unterpolstern der Manschette erfolgt wie beim Tourniquet. Der Unterschied besteht darin, dass nach dem Hochlagern die Extremität mit einer Esmarch-Binde von peripher nach zentral bis zur Manschette ausgewickelt wird.
Bei Fingern und Zehen wird als Blutleere ein einfacher Fingerling, Handschuh oder Penrose-Drain empfohlen. Diese Art der Blutleere kann nicht überwacht werden. Daher sollte sie nicht länger als 25 bis 30 Minuten angewendet werden.
Bei Anwendung ist große Sorgfalt geboten
Die Vorteile der Blutsperre und Blutleere liegen auf der Hand. Der Umgang damit muss sehr gewissenhaft erfolgen. Sonst entstehen Schäden, die auch auf das Pflegepersonal zurückgeführt werden können.
Druckstellen und lokale Verbrennungen vermeiden
Die Manschette muss faltenfrei und gut unterpolstert angelegt werden. Sonst kann es zu Druckstellen kommen. Der Druckschlauch darf nicht unter dem Bein oder Arm des Patienten liegen.
Auch beim Desinfizieren des Operationsgebietes ist Vorsicht geboten. Weder die Watte noch die Manschette sollten nass werden. „Beim Abwaschen des Operationsgebietes desinfiziere ich immer nur bis zirka einen Zentimeter vor der Manschette. So ist man auf der sicheren Seite. Die Manschette bleibt trocken und meine sterilen Tupfer zum Abwaschen steril", erläutert Daniel Neuhaus. Werden die Manschette oder die Watte doch nass, kann es intraoperativ zu lokalen Verbrennungen des Patienten kommen. Dies passiert zum einen durch die Reibung der Nässe des Desinfektionsmittels auf der Haut, zum anderen durch die elektrische Blutstillung, die intraoperativ angewandt wird.
Dauer der Blutsperre/Blutleere genau einhalten
Die Manschette darf nicht mit zu viel Druck aufgepumpt werden. Passiert das, kann es zu Durchblutungsstörungen der Extremität bis hin zu Nekrosen kommen. Auch die Dauer der Blutsperre ist strikt einzuhalten. Beim Erwachsenen beläuft sich die Zeit auf zwei Stunden, bei Kindern auf zweieinhalb Stunden. Stellt sich intraoperativ heraus, dass der Eingriff länger als zwei Stunden dauert, muss die Blutsperre für einen Zeitraum von dreißig Minuten geöffnet werden. In dieser Zeit erfolgt wieder eine Perfusion der Extremität. Nach den dreißig Minuten kann die Blutsperre erneut für eine bis eineinhalb Stunden angelegt werden. In machen Fällen wird die Zeit der Blutsperre durch eine Kühlung der Extremität mit Eis verlängert. Diese Technik erfordert größte Sorgfalt und ist nur in absoluten Ausnahmefällen anzuwenden.
Ausreichend spülen, wenn gebohrt oder gesägt wird
Beim Operieren mit Bohrer oder Säge in Blutsperre ist eine konstante Spülung erforderlich. Durch das fehlende Blut, also die fehlende Flüssigkeit, kommt es ohne Spülung schneller zu Knochenschäden durch Hitze, die beim Bohren oder Sägen entsteht.
Nach dem Öffnen der Blutsperre kann es zu einer vorübergehenden Volumenzunahme der Gliedmaße und somit zu einem subfaszialen Druckanstieg kommen. Dadurch entsteht wiederum eine verminderte Durchblutung des Gewebes. Neuromuskuläre Störungen, Gewebe-und Organschädigungen, also ein Kompartmentsyndrom ist die Folge.
Kontraindikation Thrombose beachten
Ein weiteres allgemeines Risiko der Blutsperre ist die Lungenembolie. Postoperativ wurden schon Fälle mit tödlichem Ausgang beschrieben. Eine Kontraindikation zur Anwendung der Blutsperre besteht, wenn es in der Vorgeschichte des Patienten Thrombosen oder Embolien an der zu operierenden Extremität gegeben hat.
Wichtiges Hilfsmittel mit Risiken
Die pflegerische Kompetenz im Umgang mit der Blutsperre ist hoch. Hier ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Anästhesie unerlässlich.
„In der Regel haben wir die Zeit der Dauer der Blutsperre im Blick. Das Operationsteam sagt uns, wann Beginn der Blutsperre und wie hoch der Druck ist. Wir wiederum informieren das Operationsteam nach einer, eineinhalb Stunden und kurz vor Ablauf der Zeit", sagt Melanie Hundt von der Anästhesie. Gerade für sie sei es wichtig, die genaue Dauer im Blick zu haben, da sie auch auf etwaige thromboembolische Komplikationen vorbereitet sein müsse, so die Anästhesiepflegefachfrau.
Letztlich stellt die Blutsperre im Operationssaal ein wertvolles Hilfsmittel dar. Ihre Anwendung sollte allerdings immer genauestens abgewogen werden, da sie auch Gefahren für den Patienten birgt. Durch sorgfältige Blutstillung, gewebeschonende Präparation und Retransfusion kann die Anwendung der Blutsperre auch umgangen werden.
Treffender als Sanders es schon 1973 formulierte, kann es wohl kaum beschrieben werden: „Dieses Hilfsmittel, obwohl manchmal unbequem und unzuverlässig, gewährleistet die sicherste Form der chirurgischen Ischämie, wenn es richtig gepolstert, bis zu einem bekannten Druck aufgeblasen und von einem interessierten Anästhesisten beobachtet wird".
Literatur über die Verfasserin.