• Bildung

Die fünf Lektionen zur Entwicklung emotionaler Kompetenz nach Arnold

Emotionen sind subjektiv. Jeder erlebt sie anders. In jedem wirken sie anders. In jedem hinterlassen sie andere Spuren. Niemand sieht in die Gefühlswelt des anderen hinein. Und so ist nie gewiss, ob mit dem Gesagten, ein „wunder Punkt" beim Gegenüber angesprochen wird. Dies macht Kommunikation häufig missverständlich. Ich sage etwas, was ich positiv aufnehmen würde, und mein Gegenüber hat damit schlechte Erfahrungen gemacht. Sofort springen seine „inneren Alarmglocken" an und das Chaos nimmt seinen Lauf. Ungewollt treten wir bei anderen in „Fettnäpfchen", ohne zu verstehen weshalb.

Arnold (2008, S.139) führt in einem Beispiel Lob und Tadel auf. Jeder verbinde mit diesen Begriffen unterschiedliche Bewertungen, beziehungsweise Gefühle. So sei es möglich, den einen durch Lob in seinem Lernfortschritt zu hemmen, den anderen mit den gleichen Worten geradezu herauszufordern und dadurch zu motivieren. Der nächste wiederum benötige den Tadel zur Motivation und zum Erreichen desselben Zieles.

Gerade dieses Beispiel zeigt deutlich, dass Pädagogen1, sensibilisiert sein sollten für den „Gefühlskörper"2 anderer. Lehrende sollen Lernende „in ihrem Wachstum begleiten und unterstützen" (Arnold 2008, S.139). Um dieser Aufgabe bestmöglich gerecht zu werden, nicht kontraproduktiv zu arbeiten und die Schüler in ihrer Entwicklung zu hindern, sollten alle an der Ausbildung von Menschen beteiligten immer wieder selbst in die Rolle des Lernenden schlüpfen und emotionale Kompetenz „erlernen". Doch ist dies überhaupt möglich? Kann emotionale Kompetenz erlernt werden anhand der von Arnold (2008) formulierten fünf Lektionen?

Was ist emotionale Kompetenz?
Arnold (2008, S.134) umschreibt emotionale Kompetenz mit den Worten von Goleman als die „Fähigkeit, unsere eigenen Gefühle und die anderer zu erkennen, uns selbst zu motivieren und gut mit Emotionen in uns selbst und in unseren Beziehungen umzugehen". Von emotional kompetenten Menschen erwartet Arnold (2008, S.134) ein hohes Maß an Empathie, „und die Fähigkeit, ihr emotionales Können in jeweils spezifischen Kontexten angemessen einzusetzen und mit ihren Gefühlen so umzugehen, dass sie weder sich selbst noch andere überfordern".

Dies erscheint mir gerade für an der Pflege von Menschen beteiligten Personen eine essentielle Voraussetzung zu sein. Um dafür ein Bewusstsein zu schaffen und die Pflegenden in Ausbildung darin zu schulen, sehe ich es als unabdingbar dies zunächst selbst zu erlernen, um es in angebrachter Weise vermitteln zu können. Um ergründen zu können ob eine Entwicklung dieser Kompetenz für Pädagogen möglich ist, werden zunächst die von Arnold (2008) empfohlenen fünf Lektionen ausführlich dargestellt, um die Frage im Anschluss zu diskutieren.

Ausgangslage des Beitrages
In dem Aufsatz „Emotionale Kompetenz für Bildungsverantwortliche, Fünf Lektionen zur Entwicklung der emotionalen Kompetenz" von Arnold (2008), verweist der Autor auf die zunehmende Bedeutung, die diese, für die an der Bildung von Menschen verantwortlichen, gewinnt. Er meint damit den Blick auf die eigenen Emotionen, sowie auf die anderer und weiter noch, den guten Umgang damit. Der Autor weist darauf hin, dass wesentliche Passagen des Artikels wörtlich aus seinen Büchern „Ich lerne, also bin ich" (Heidelberg, 2007) und „Führen mit Gefühl" (Wiesbaden, 2008) übernommen wurden. Theoretisch wird auf Niklas Luhmanns Systemtheorie, sowie die amerikanische Organisationstheorie Peter Senges Bezug genommen. Diese werden im Verlauf der vorliegenden Arbeit nur soweit dargestellt, als das sie für die Beantwortung der Ausgangsfrage von Bedeutung sind. Arnold (2008) stellt fünf Lektionen vor, anhand derer es für Pädagogen möglich sein soll, emotionale Kompetenz zu entwickeln.

Erste Lektion
"Frage stets, wann und wo du das Gefühl, welches dich in einer aktuellen Situation befällt, zum ersten Mal hattest! Erstelle eine innere Sammlung ähnlicher Erlebnisse und erkenne das emotionale Muster, das diese in dir verbindet!" (Arnold 2008, S.136)

Der Autor definiert als Ziel eines ersten Schrittes in der Entwicklung emotionaler Kompetenz, die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen. Nach einer Darstellung Bezug nehmend auf Ciompi (1997) kommt Arnold zu der Folgerung, dass unser subjektives Gefühlserleben auf inneren Programmierungen beruhe, welche wir früh erworben haben und mit welchen wir zur Welt Stellung bezogen haben. Veranschaulichend bringt er das Bild einer Farbpalette ein, mit welcher wir unser Wirklichkeitsbild malen. Unsere Farbvielfalt sei begrenzt, und so können, ja müssen die Farben unserer Palette zum Einsatz gelangen. Wie wir diese Farben einsetzen und ob wir in der Lage sind in einem dunklen Stimmungsbild auch ein, zwei helle oder gar grelle Farbtöne einzubringen, dies hänge ausschließlich von unseren inneren Möglichkeiten ab (vgl. Arnold 2008, S.134).

„Jedes emotionale Bild der Wirklichkeit ist somit etwas ganz Eigenes und Selbsterzeugtes" (ebd., S.134). Daraus zieht Arnold (2008, S.135) den Schluss, dass es selten die Tatschen selbst seien, die uns Schwierigkeiten bereiten, sondern unser Denken und Fühlen, welches durch diese Tatsachen ausgelöst werden. Somit sei was uns bedrängt immer schon in uns, und darum setze auch die Lösung unserer Probleme eine innere Bewegung voraus. Um zu verdeutlichen, wie signifikant diese Erkenntnis ist, beschreibt der Autor ein Beispiel. Wer gelernt habe, den Umgang mit Autorität als Angst auslösende Infragestellung zu erleben, in dem springe dieses Gefühl auch in harmlosen, unbedrohlichen Situationen im Umgang mit Vorgesetzten an. Es handle sich bei Emotionen schließlich und endlich um komplexe Programmierungen, die auch spontan in einer Person entstehen können. Diese bewirken dann, dass sich die Person die Ereignisse eigentlich sucht, welche zu dem aufkommenden Gefühl passen. Oder, dass die Person sich die Situation, in der sie sich gerade befindet so zurechtlegt, das die aufkommende Emotion gerechtfertigt erscheint (vgl. Arnold 2008, S.135). Dieser Umstand sei die „Selbstkonstruktion unserer Freuden und Leiden" (Arnold 2005, S. 119ff, in Arnold 2008, S. 135) und dessen Verstehen sei dringend erforderlich bei der Entwicklung emotionaler Kompetenz. Diese Erkenntnis ist für Arnold von solcher Relevanz, dass er sie als „Schubumkehr" im Weltbild bezeichnet (vgl. Arnold 2008, S.135).
Demnach gäbe es keinen äußeren Umstand, der ursächlich verantwortlich sei für unsere auftretenden Gefühle. „Es könnte alles auch anders sein (und ist es auch!) - und sei dies nur in der Form einer leicht aufgehellten Darstellung bzw. einer leidenschaftsloseren Wahrnehmung des Bedrängenden" (ebd., S.135).

Zusammenfassend reflektiert Arnold (2008, S.135) die bis dahin gewonnen Erkenntnisse über die Emotionen. Er stellt fest, dass wir unsere Interaktionspartner immer missverstehen, deutlicher ausgedrückt immer nur innerhalb unserer eigenen Logik verstehen können. Mit diesem Wissen könne der Kampf um das Rechthaben aufgegeben werden. Mit dem Erlernten umzugehen, also welches Eigene uns im Objektiven begegne, hätte einen flexibleren raumgebenderen Umgang zur Folge und es wäre ein weniger entschiedenes Auftreten nötig.

„Emotionale Bildung zeigt sich vor allem in der Fähigkeit, die Verantwortung für die eigenen Wahrnehmungen und Beurteilungen zu übernehmen und in der täglichen Lebensführung grundsätzlich ohne Schuldvorwürfe auszukommen" (ebd. 2009, S.84).

Ein Mensch, der sich professionell verhalte, wüsste um die Eigenkonstruktionen seiner Reaktionen und Urteile und könne bewusst wahrnehmen, wie sich diese andauernd in die Wahrnehmung drängen um vertraute Sichtweisen zu generieren. Diesen „Thought Stream" ,wie Senge u.a. diesen nennen, welcher unauflösbar mit einem „Feeling-Steam" (sic!) verbunden sei zu beobachten, erschließe sich jedoch nur einem reflexiven Blick (vgl. ebd., S.136).
Diesen Beobachtungsprozess strukturiert der Autor mit dem „Fünf-Finger-Check", durch den es ermöglicht werden soll, auch Alternativen wahrzunehmen:


Abb.1: Ausgewählte Situationen und mögliche emotionale Rekonstellierungen (entnommen aus Arnold 2008, S.136)

Dies leitet direkt zur nächsten Lektion über.

Zweite Lektion
"Wenn dich etwas aufregt, dann durchlaufe den Fünf-Finger-Check! Bedenke den Grundsatz, dass man nur mit gekühltem Herzen besonnen und situations-angemessen reagieren kann!" (Arnold 2008, S.137)

Nach Meinung Arnolds (2008, S.137) ist nur derjenige, der um die Funktion seiner Wahrnehmung weiß in der Lage, sich selbst distanzierter und leidenschaftsloser, möglicherweise sogar amüsiert, zu beobachten. Er geht aber auch davon aus, dass es überwiegend hartnäckige Fälle gibt, die einen hilfreichen Coach benötigen, der bei der eigenen Veränderung hilft. Wir gestalten uns seiner Auffassung nach die Welt so, wie wir sie gerade noch aushalten können. Deshalb würde uns viel mehr Eigenes, als wirklich Neues begegnen. Dieses Eigene in seinen unterschiedlichen Ausdrucksformen zu enttarnen, sei ein wesentliches Ziel eines emotionalen Coachings.

„Die Selbstreflexion hilft uns, die Banalität unserer Ich-Zustände zu verstehen. Dadurch nimmt sie diesen bereits einiges von ihrem bedrängendem Gehalt. Wenn wir verstehen, wie wir gewöhnlich auf bestimmte Lagen reagieren und welches dabei unserer bevorzugten Grundmotive und Ängste sind, dann haben wir uns bereits ein Stück weit von dem Automatismus gelöst, mit dem unsere Deutungs- und Gefühlsprogramme bislang jeweils angesprungen sind, und wir beginnen eine Art Zwischenschritt für eine Stop-and-Think-Schleife einzubauen" (ebd., S. 137).

Emotional kompetent könne nur der sein, der sich darauf einlasse, die Emotionalität der eigenen Weltsichten zu erkennen und zu hinterfragen. Man benötige einen nüchternen und mutigen Blick um sich gewahr zu werden, wie man sich der Welt und damit auch Kollegen, Auszubildenden etc. zuwendet und auch zumutet. Dies führt Arnold zu der Aussage, dass auch das Gegenüber im Besitz seiner eigenen Wahrheit ist, an der es mit Recht festhält und welches wir anerkennen lernen müssen (vgl. ebd., S.137). Diese Kenntnis bildet die Kernaussage der nächsten Lektion.

Dritte Lektion
"Auch die anderen sind im Besitz der Wahrheit: ihrer Wahrheit! Die Wirklichkeit ist nicht nur das, was auf uns einwirkt, sondern vielmehr das, was in und zwischen uns wirkt. Deshalb: Achte darauf, wie andere ihre Gewissheiten handhaben und versuche diese Wirklichkeiten zu teilen, indem du mit ihnen in Beziehung trittst und ihre Weltsicht zu ergründen versuchst!" (Arnold 2008, S.138).

Damit macht der Autor anschaulich, dass das Streiten über die Wirklichkeiten überflüssig ist. Dasselbe Erlebnis werde von jeder Person unterschiedlich wahrgenommen und löse bei jedem unterschiedliche beziehungsweise unterschiedlich intensive Gefühle aus. Dieser aus dieser Einsicht anbahnenden emotionalen Gewandtheit spricht Arnold (2008, S.138) gerade für „pädagogische Professionals" eine hohe Bedeutung zu. Er sieht es als eigentliches Kernanliegen jeglicher Bildungsarbeit, trotz des oftmals geradezu Gefangenseins in den Gewissheiten, diese achtsam zu beobachten und fördernd zu begleiten.

„Die Wirklichkeit ist nicht nur das, was auf uns wirkt" schreibt Arnold (2008, S.138) und geht dazu über festzustellen, dass wer die Welt nur als etwas ihm äußerlich dominantes wahrnehme, kaum in der Lage sein werde, in eine aktiv gestaltende Beziehung zu ihr und zu anderen Menschen zu treten. „(...) sondern vielmehr das, was in und zwischen uns wirkt" (ebd., S.138), und das erfordere die Beendigung des Streites über die Wirklichkeiten. Weiter noch, es bedinge ein Teilen der Wirklichkeit des Gegenübers, auch wenn einem diese fremd, unverständlich und abwegig vorkommt oder einen aufregt oder verletzt. Doch dieses „In-Beziehung-Treten" sei elementar, um in der Bildungsarbeit Resonanz zu entfalten, welche wiederum für eine nachhaltige Wirkung derselben wichtig sei (vgl. ebd., S.138).

Der Autor fordert von Pädagogen und Ausbildern eine Selbstreflexion in besonderem Maße, denn er sieht es als deren Aufgabe, das Gegenüber in seiner Entwicklung und seinem Lernen zu unterstützen und zu begleiten. In keinem Fall dürfe die Machtposition, welche sie durchaus inne haben, ausgenutzt werden, um die eigenen Bedürfnisse, die eigenen Farben der Farbpalette zu benutzen. Denn sonst würden sie, so Arnold, ein Rauschen verbreiten und die kognitiv-emotionalen Muster des anderen blieben ihnen verborgen (vgl. ebd., S.139).

Eine weiteres Argument, weshalb nicht über die Wirklichkeiten gestritten werden könne sei, dass die jeweilige Situation in den jeweils Beteiligten unterschiedlich gespeicherte Pragramme anspringen lassen, nach denen sie dann, für in sie genau der richtigen Art und Weise, reagieren. Die Lösung sei eine „Entdramatisierung" des eigenen Erlebens, sowie eine Relativierung der eigenen Geschichte. Wenn wir unseren eigenen Programme auf die Schliche kommen, können wir anderen Menschen freundlicher begegnen, ihre uns unangenehmen Seiten annehmen und sie selbst mit dem, womit sie uns schmerzen, wertschätzen. Wir könnten gelassener und liebevoller werden (vgl. ebd., S.139).

„Man kann die eigenen Wahrnehmungsfilter nur schwer verändern, man kann nur in dem ständigen Bewusstsein, dass diese uns das Bild unserer Wirklichkeit liefern, denken, fühlen und handeln. Dabei entsteht eine achtsamere Grundhaltung, und man ist auch immer weniger bereit, um die „Wirklichkeit" zu streiten" (ebd., S.140).

Achtsamkeit sei eine der Schlüsselqualifikationen für einen behutsameren Umgang mit eigenen und fremden Gefühlen. Sie soll uns mit befähigen, unsere Denk- und Gefühlsprogramme rechtzeitig zu erkennen, um sie genau beobachten zu können. Wir können nämlich „unsere bevorzugten Weisen, die Welt zu denken und zu fühlen (...) nicht einfach abstreifen" (ebd., S.140).

Es bedarf einer leidenschaftsloseren Wahrnehmung, sowie einer fast experimentell-spielerischen Haltung die eigenen Muster aufzudecken, um sie so auch verändern zu können. Doch gelingt es uns, so seien wir fähig, uns unser Leben mit der Zeit anders vorzustellen und schließlich anders zu leben, als wie bisher in den immer gleichen Farben unserer eingeprägten Denk- und Fühlmuster (vgl. ebd., S.140).

Vierte Lektion
"Die Zukunft kann sich uns nicht zeigen, solange wir diese durch die bewährten Muster unseres bisherigen Lebens scannen! Identifiziere 'bewährte' Sichtweisen und Deutungen und verabschiede dich von ihnen! Die Welt kann auch ganz anders sein, und ist es auch in vielem. Versuche deshalb eine andere - positivere - Erklärung der Welt deines Gegenübers zu zeichnen" (Arnold 2008, S.140).

Am Anfang stehe eine neue Art des Zuhörens, in der wir die „Beurteilungssprache" ablegen. Arnold (2008, S.141) verweist an dieser Stelle auf Peter Senge u.a. die von einer „Voice of Judgement" sprechen,. Wir würden nicht nur in unseren Worten von ihr Gebrauch machen, sondern auch mit ihr zuhören und dies sei zu unterbinden. Solange wir dieses bedeutende Element nicht berücksichtigten, nützen uns auch die bereits erkannten Gewissheiten nichts. Erfahrungen seien an Worte gekoppelt, und wenn wir diese erzählen, kommen all unsere Ängste zum Vorschein und bleiben so immer und immer wieder in unserem Bewusstsein. Die Beurteilungssprache hat damit eine tragende Rolle inne, in unserem Vorhaben die Welt neu zu gestalten. Arnold (2008, S.141) spricht darauf folgend das „suchende Lauschen" an, durch welches es uns möglich sein soll, das Neue in unser Leben zu lassen. Dieses lässt nicht nur zu, dass der andere sich darstellen darf ohne das bereits an einer Antwort gebastelt wird und ohne das das Gesagte mit den eigenen Erfahrungen und Sichtweisen kommentiert wird, es geht noch weiter. Der Autor (2008, S.142) zitiert Thomas Gordon, der als Voraussetzung für jegliche Kommunikation die „Achtung und Akzeptanz unterschiedlicher Einstellungen und Wertvorstellungen" für wesentlich hält, sowie für  „das einfühlsame, nicht-bewertende aktive Zuhören" plädiert.

„(...) das „aktive Zuhören" ist (.) eine ermutigende, nachfragende und ressourcenverstärkende Form der Kommunikation, durch welche das Gegenüber ermuntert wird, sich selbst einer Lösung näher zu bringen" ( Arnold 2008, S.142).

Fünfte Lektion
"Eine emotional kompetente Ausbildung setzt das In-Beziehung-Treten voraus. In Beziehung treten können wir jedoch nur, wenn wir die Beurteilungssprache ('Voice of Judgement') in uns zum Schweigen gebracht haben und stattdessen dem anderen mit Offenheit und Neugier für dessen Welt begegnen. Suche deshalb stets nach 'den guten inneren Gründen' des Gegenübers für sein Verhalten und lege die Defizitbrille ab. Interessiere dich für seine Sicht der Dinge, frage nach und höre ihm zu, ohne blind an deiner eigenen Erklärung der 'Welt' festzuhalten" (Arnold 2008, S.142f).

Der Autor formuliert einige Fragen, die in einer Gesprächs- oder Ausbildungssituation im Blick gehalten werden sollten:
-„Wie erlebt wohl mein Gegenüber diese Situation?
-Was sind die ,Unterschiede und Gemeinsamkeiten in unserer                                                               
  Wahrnehmung' (Senge u.a. 2005)?
- Was wäre ein Erfolg, was ein Misserfolg für mein Gegenüber?
- Ermuntere ich mein Gegenüber durch verbale und nonverbale Signale?" (ebd. 2008, S.142)

Arnold gibt zu Bedenken, dass erst wenn wir uns dem Gegenüber wirklich zuwenden, und seine Bedürfnisse im Blickpunkt stehen, erst dann treten wir wirklich in Beziehung. Dieses würde nur gelingen, wenn ich meiner eigenen Bedürfnisse bewusst bin und verstanden habe, wie diese mir den Blick auf mein Gegenüber immer wieder verstellen. Die teilnehmende Beobachtung diene der wirksamen Beachtung der Kommunikationsbedürfnisse des Gegenübers, sowie einer achtsameren Selbstreflexion im Kommunikationsprozess (vgl. ebd. 2008, S.142).

Überlegungen zu meiner Fragestellung
Das Erlernen einer emotionalen Kompetenz scheint mir nach dieser ausführlichen Darstellung von Arnolds fünf Lektionen zunächst einmal sinnvoll zu sein für alle Pädagogen. Ob diese zu erlernen ist, dessen bin ich mir unklar. Im Text werden keine Voraussetzungen formuliert, die ein Mensch haben sollte um emotional kompetent zu werden. Die fünf Lektionen an sich sind strukturiert aufeinander aufgebaut, eine setzt das Verständnis der darauf folgenden voraus. Sie können nur im Ganzen zu einem Ergebnis, also zu einem emotional kompetenten Menschen führen. Jedoch scheint jeder einzelne Teilschritt auch ein Teilerfolg in die richtige Richtung zu sein. Vielleicht können die fünf Lektionen gar nicht nacheinander klar getrennt voneinander durchlaufen werden, sondern es ist viel mehr ein Gehen, welches immer wieder auch einen Schritt rückwärts beinhaltet, ja sogar fordert. Ein Anhalten, reflektieren und genau hinsehen, hinspüren, ob da nicht doch wieder die bekannten Farben das Bild gestalten, lediglich mit einer anderen Pinselführung. Wird das erkannt, ist es unabdingbar einen Schritt zurück zu gehen, um im Anschluss den Weg nach vorne wieder aufnehmen zu können.

Bereits in der ersten Lektion wird deutlich, dass jeder für „seine Welt" verantwortlich ist, mit allem was dazu gehört. Eingeschlossen Probleme, Hürden, Stolpersteine, die jeder aus seinem Leben kennt. Wer möchte dafür schon gerne selbst verantwortlich sein? Dies als eine Tatsache anzusehen, stellt Menschen vor eine Herausforderung. Arnold (2008, S.135) bezeichnet diese Erkenntnis meiner Meinung nach nicht zu unrecht als "Schubumkehr" im Weltbild. Ich kann mir jedoch gut vorstellen, dass Menschen mit besonders viel (von ihnen als solches empfundenes) Leid in ihrem Leben, bereits an dieser Stelle ihrer emotionalen Entwicklung abbrechen und „dicht machen". Schließlich sind „pädagogische Professionals" „auch nur Menschen" (Arnold 2008, S.138). Die Vorstellung, dass die ganze Welt auch anders sein kann, als wir sie jeweils wahrnehmen, könnte möglicherweise auch Kritiker von der Notwendigkeit eines emotionalen Coachings überzeugen. Grundsätzlich sehe ich es als erstrebenswert an, die fünf Lektionen zu durchlaufen. Es mag sich dem Lernenden eine ganz „neue Welt" auftun, die er nach seinen Vorlieben zu gestalten im Stande ist. Sicher scheint mir jedoch ebenso zu sein, dass dies ein lebenslanger Prozess ist, der nicht nach wenigen Wochen oder Monaten „abgearbeitet" ist und heraus kommt ein Mensch mit dem Prädikat „Emotional Kompetent". Wer sich dem hingegen von vorne herein verschließt, vergibt sich gleichwohl eine Chance, für sich selbst und sein Gegenüber, ein positiveres, freundlicheres Miteinander zu schaffen und sollte möglicherweise noch einmal darüber nachdenken, ob der Beruf des Pädagogen für ihn das Richtige ist.

Eine weitere Feststellung, die ich aus dem Aufsatz schliesse ist die Tatsache, dass es an mir liegt, wie gut ich Lernende in Zukunft in ihrem Lernen unterstützen und begleiten werde. Lege ich die aus dieser Hausarbeit gewonnenen Erkenntnisse in die Schublade und belasse es bei den guten Worten, widerspreche ich mir selbst. Es ist sicherlich ein enormer Reifungsprozess und bedarf einer intensiven Auseinandersetzung des eigenen Weltbildes, sowie den eigenen Vorstellungen und Überzeugungen. Doch ist es nicht unser aller Interesse, sich weiter zu entwickeln? Genau das erwarten wir von Lernenden. Und wenn wir das von ihnen erwarten, dann können, ja müssen wir das auch von uns selbst fordern. Wahrscheinlich kommt es im Prozess immer wieder zum Aufreißen alter „Wunden", für die jeder gerne äußere Umstände oder beteiligte Personen verantwortlich machen möchte. Doch genau an diesen Stellen lernen wir. Es ist jeder selbst verantwortlich für seine Erlebnisse im Leben. Und ich könnte mir vorstellen, dass es nach Widerständen, Wutausbrüchen, ja vielleicht sogar autoaggressivem Verhalten  das ich selbst „Schuld" bin, zu einer Art Heilung kommt, nach der wir eine solche Situation nicht noch einmal erleben müssen. Das Durchbrechen einer Leidensspirale scheint mir wertvoll genug, um sich der Verantwortung zu stellen. Eigentlich ist ja sowieso jeder Mensch für sich selbst verantwortlich und möchte das zu Recht ja auch sein. All die Freuden, die wir uns und anderen angedeihen lassen. Doch dies ist eben nur eine Seite der Medaille.

Es hört sich nach Arnolds (2008) Ausführungen so an, als könnte „unsere Welt" mit emotional kompetenten Menschen wirklich besser werden. Jeder Schüler kennt ein negatives Beispiel für einen Lehrer aus seiner Schulkarriere und die Frage, die sich mir an dieser Stelle stellt ist an jeden einzelnen Pädagogen gerichtet, der sie ganz allein (verantwortlich) für sich beantworten muss: Was für ein Lehrer möchte ich sein?

Ob tatsächlich jeder Pädagoge in der Lage ist, emotional kompetent zu werden? Ich behaupte ja. Es ist klar, das zum Beruf eines Pädagogen, die Beziehung zwischen Lehrendem und Lernendem eine große Rolle spielt und ein Interesse an der Welt des anderen setzte ich voraus. Die Tatsache, das es einzig und allein an mir liegt, wie sich mein Lehrerdasein gestaltet, setze ich nicht als Vorkenntnis für die Ergreifung des Berufes voraus. Doch sobald ich davon höre, sollte ich mich damit auseinandersetzen. Jeder kann seine Welt selbst gestalten. Welch unglaubliche Möglichkeiten liegen in dieser Erkenntnis. Es liegt an jedem Menschen selbst. Jeder kann entscheiden, ob er diesen Weg geht.  Ob ein Mensch es wagt, sich selbst zu beobachten, mit allen Konsequenzen, die daraus für ihn folgen. Allein darauf kommt es an.

Fazit
Für die Beantwortung meiner Frage, ob es möglich ist emotionale Kompetenz zu erlernen, habe ich im Text direkt keine Antwort gefunden. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema, sowie das mehrfach wiederholte Lesen des Textes, um nachvollziehen zu können, was Arnold (2008) meint und worum es ihm geht, haben mich zu den im vorigen Kapitel dargestellten Antworten kommen lassen.

Die Worte des Autors sind zwar weder „schnörkelig" gewählt, noch in besonderem Maße „hochtrabend", doch die Gewichtung die in ihnen ruht, ist auf den ersten Blick leicht zu verkennen. Arnold (2008) setzt sich in diesem Aufsatz mit einem Thema auseinander, welches ich zunächst nicht den Erziehungswissenschaften zugeordnet hätte.
Die Kombination finde ich jedoch äußerst spannend, vor allem auch in Hinblick darauf, wie sich das Lernen eines Auszubildenden wandeln kann, wenn ich als Lehrende meine Wahrnehmung verändere!

Ich verstehe es als einen Appell an (alle Menschen, aber vor allem an) Pädagogen, sich intensiv mit sich auseinander zu setzen, denn das bringt einem nicht nur persönliche Vorteile, sondern auch dem jeweiligen Gegenüber. Interessant wäre die These zu untersuchen, ob emotional kompetente Pädagogen, weniger unter dem Burnout-Syndrom leiden, als solche, denen emotionale Kompetenz ein Fremdwort ist. Dies zu belegen oder zu widerlegen, könnte Gegenstand einer anderen Forschungsarbeit sein.


1 Um den Lesefluss zu gewährleisten wird im Text jeweils lediglich eine Geschlechtsform verwendet. Die jeweils andere ist ausdrücklich mit gemeint.
2 „Wir sind unser emotionales Ich, wir sind somit das, was wir meinen zu sein, d.h. unser Selbstbewusstsein, aber auch das, was wir sein können, d.h. unser Gefühlskörper. Das, was wir zu sein meinen, und das, was wir tatsächlich sein können, d.h. das, was wir wollen und das, was wir aushalten, scheint oft durch einen schier unüberbrückbaren Graben voneinander getrennt zu sein. Und fast alle Probleme, unter denen Menschen leiden, sind letztlich durch diese Unüberbrückbarkeit von Wollen und eigenem Können geprägt. Das Wollen muss überprüft und das Können unseres Gefühlskörpers ins Bewusstsein gehoben werden - dann erst wird eine kohärente Entwicklung möglich. Dies ist das eigentliche Thema einer modernen Pädagogik, die sich als Lebenslauf- und Veränderungswissenschaft versteht" (Arnold 2009, S.15).

 

Literaturverzeichnis
Arnold, Rolf (2008): Emotionale Kompetenz für Bildungsverantwortliche, Fünf Lektionen zur Entwicklung der emotionalen Kompetenz. In: Odgojne Znanosti, Vol.10 No.1(15) June 2008, S.133-146.
hrcak.srce.hr/index.php; download am 10.04.2011, 09.43 Uhr
Arnold, Rolf (2009): Seit wann haben Sie das?, Grundlinien des Emotionalen Konstruktivismus. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag GmbH

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