Pflegerische Interventionen sollen auf dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkentnisse beruhen. Das fordert der Gesetzgeber und erwarten die Patienten. Doch inwieweit hat Pflegeforschung heute an deutschen Kliniken Fuß gefasst? Eine Arbeitsgruppe des DBfK ist dieser Frage nachgegangen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Pflegeforschung/Qualitätsmanagement des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) wurde im Jahr 2008 gegründet. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe, die sich aus Wissenschaftlern und Qualitätsmanagern aus verschiedenen Settings der Pflege zusammensetzen, verschafften sich zunächst einmal einen Überblick darüber, ob und inwieweit Pflegeforschung rund 20 Jahre nach ihrer Einführung in Deutschland in Kliniken verankert ist. Die Ergebnisse sollten Ausgangsbasis für weitere Anstrengungen der Arbeitsgruppe sein.
Eine erste Online-Recherche zeigte, dass es auf Klinikwebsites kaum Informationen zur Implementierung von Pflegeforschung in Akutkrankenhäusern gibt. Dies war selbst bei Einrichtungen der Fall, die regelmäßig pflegewissenschaftliche Beiträge publizieren. Es fehlten Informationen zu den entsprechenden Personen oder Teams, Projekten und Forschungsergebnissen. Die BAG-Mitglieder leiteten daraus die Hypothese ab, dass Pflegeforschung in deutschen Kliniken noch nicht so verankert ist, wie es dem internationalen Standard entspricht und im eigenen Land gefordert wird.
Kliniken wurden schriftlich befragt
Die BAG entschloss sich zu einer schriftlichen Befragung aller Universitätsklinika und Akutkrankenhäuser mit mehr als 500 Betten, um diesen Sachverhalt zu untersuchen. 147 Häuser wurden angeschrieben und mithilfe eines Fragebogens zum jeweiligen Stand der Institutionalisierung von Pflegeforschung befragt. Von Interesse war der Informationsgewinn hinsichtlich der Existenz von Pflegeforschungsstellen, abgeschlossene und laufende Pflegeforschungsprojekte und die Einbindung der gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis. Von den 147 angeschrieben Einrichtungen schickten 55 den bearbeiteten Fragebogen zurück. Der Rücklauf lag somit bei 38 Prozent.
Stand der Pflegeforschung
33 der 55 Einrichtungen geben an, dass Pflegeforschung an ihrer Klinik nicht strukturell verankert ist. Als Gründe für den Missstand werden vor allem die Kosten, das Fehlen entsprechender Stellen und die nur wenig ausgeprägte Einsicht der Verantwortlichen für die Notwendigkeit genannt. Einige Häuser äußern auch, dass die notwendige Kompetenz zur Implementierung nicht vorhanden ist.
Dort, wo Pflegeforschung betrieben wird, ist sie meist direkt bei der Pflegedirektion angesiedelt, oft als Nebenaufgabe oder in Kombination mit der Geschäftsführung, dem Qualitätsmanagement oder anderen Bereichen (Abb. 1). Eine der befragten Einrichtungen gibt an, dass sich die Pflegedirektion diese Aufgabe mit Praktikanten teilt (wie genau, bleibt ungeklärt). Positivbeispiele sind ein Krankenhaus, das mit dem pflegewissenschaftlichen Fachbereich einer Hochschule kooperiert, und eine Klinik, die über ein eigenes Pflegeforschungsinstitut verfügt.
Pflegeforschungsstellen
Nur 19 der 55 Einrichtungen verfügen über eine Stabstelle für Pflegeforschung. Als Anforderungsprofil für diese Stelle werden, bei einer Enthaltung, Fachhochschul- und Universitätsdiplom (je 3 Nennungen), Universitätsmaster (8 Nennungen) und Promotion (4 Nennungen) angegeben. 15 der 19 Einrichtungen nennen als Schwerpunkt des Abschlusses explizit „Pflegewissenschaft".
Die Arbeitsgruppe interessierte sodann, wie die Stabstelle Pflegeforschung finanziert und eingruppiert wird. Die Ergebnisse veranschaulicht Abbildung 2: Mehr als die Hälfte der Einrichtungen (10 von 19) finanziert die Stelle aus dem Pflegebudget, weitere zwei aus dem Pflegebudget zusammen mit Drittmitteln. Die Kombination aus Drittmittel und Klinikbudget wurde von einer Einrichtung genannt. In drei Häusern werden die Mittel rein aus dem Topf der Klinik zur Verfügung gestellt. Von drei Einrichtungen liegen keine Angaben vor. Fast zwei Drittel der vorhandenen Stabstellen werden also aus dem Pflegebudget teil- oder vollfinanziert.
Bei der Frage der Eingruppierung machen vier der 19 Häuser keine Angaben. Rund ein Drittel der Kliniken richten sich nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes (4 in TVöD Bund, 2 in TVöD Land), eine Einrichtung nach den Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes (AVR). In sieben Häusern erfolgt eine andere Eingruppierung, die ohne weitere Erläuterungen bleibt. Eine Einrichtung handelt das Gehalt frei aus.
Ausgestaltung des Arbeitsplatzes
Ein weiteres Augenmerk lag auf der Ausgestaltung der Stabstelle Pflegeforschung. Bei einer fehlenden Angabe äußern 18 von 19 Einrichtungen, dass der Arbeitsplatz mit Internetzugang ausgestattet ist. Meist steht auch ein Zugang zu Datenbanken (15 Nennungen) und eine eigene Fachbibliothek zur Verfügung (11 Nennungen). Über ein Budget für Forschungsprojekte verfügen dagegen nur zwei der 19 Institutionen. Neun Kliniken geben an, dass weitere Mitarbeiter für diese Aufgabe zur Verfügung stehen.
Pflegeforschungsprojekte in den Kliniken
Des Weiteren wurden die Einrichtungen um Informationen zu laufenden oder abgeschlossenen Forschungsprojekten gebeten. Dazu gehörten die thematischen Inhalte und die Anlässe für die Pflegeforschungsprojekte. Die Kliniken äußern, dass Projekte häufig auf Anregungen aus dem Pflegemanagement (31 Nennungen) und der Pflegepraxis (24 Nennungen) zurückzuführen sind. Oft handelt es sich auch um Qualifizierungsarbeiten (25 Nennungen) und externe Anfragen/Kooperationen (19 Nennungen). Auftragsforschung durch Industrie (4 Nennungen) und erfolgreiche Einwerbung von Drittmitteln (4 Nennungen) wird seltener angegeben. Die verschiedenen Anlässe für Forschungsprojekte veranschaulicht Abbildung 3.
20 Einrichtungen folgten der Bitte der Arbeitsgruppe, ein abgeschlossenes oder noch laufendes Pflegeforschungsprojekt ihres Hauses zu skizzieren. Die übermittelten Projektbeschreibungen umfassen fünf Themenbereiche (Abb. 4). Vier Projekte setzten sich mit der pflegerischen Dokumentation auseinander, bei weiteren vier wurde die Implementierung von Expertenstandards behandelt, sieben Projekte fokussierten die Versorgung der Patienten und deren Erleben, weitere drei Untersuchungen stellten das Personal in den Vordergrund und zwei Projekte behandelten das Pflegesystem Primary Nursing.
Pflegeforschung steht noch am Anfang
Die Antworten machen deutlich, dass eine strukturelle Verankerung (ausgewiesene Stelle, materielle, finanzielle wie personelle Ressourcen) erst in wenigen Kliniken mit über 500 Betten gelungen ist. Einschränkend muss erwähnt werden, dass die Erhebung nur einen kleinen Einblick zum Stand der Pflegeforschung geben kann, auch weil sich die Befragung nur an große Bettenhäuser richtete. Die Hypothese der Arbeitsgruppe scheint aber dennoch bestätigt. Das ist bedenklich, folgt man der Sichtweise von Evers (1997), der klinische Pflegeforschung als Voraussetzung für eine professionellere, wissenschaftlich fundierte Pflegepraxis ausweist. Es besteht somit dringender Handlungsbedarf, wenn die Ziele von Pflegeforschung nach Mayer (2007) – unter anderem Schaffung von Wissensgrundlagen zur Verbesserung der Pflege, Weiterentwicklung des Methodenrepertoires der Pflegeforschung und Professionalisierung der Pflege – breite Anwendung finden sollen.
Die Arbeitsgruppe kritisiert die schlechten Rahmenbedingungen, die die Etablierung von Pflegeforschung hemmen. Aus Sicht der BAG-Mitglieder ist es wichtig, dass Pflegeforschung im klinischen Bereich mehr gefördert wird, um das Potenzial für eine bessere Pflegepraxis zu entwickeln, das angesichts des steigenden Bedarfs an professioneller Pflege und der weitreichenden Umstrukturierungen des Gesundheitswesens notwendig ist (Forum Pflegewissenschaft 2009).
Es wurde deutlich, dass notwendige Rahmenbedingungen von Experten selbst formuliert und eingefordert werden müssen. Es muss klar herausgestellt werden, warum eine institutionalisierte Pflegeforschung erforderlich ist, damit in Zeiten immer knapper werdender Ressourcen bei gleichzeitig immer größer werdenden Herausforderungen die notwendigen Mittel bereit gestellt werden. Hier wäre auch eine nationale Forschungsagenda hilfreich, wie sie für die Schweiz entwickelt und von Imhof et al (2008) vorgestellt wurde (Swiss Research Agenda for Nursing ). Diesbezüglich gibt es in Deutschland seit kurzem Entwicklungen, die begrüßenswert sind. Die Festlegung der gesundheitspolitischen Zielsetzung in Form einer Agenda macht sichtbar, welche Schwerpunkte durch Pflegeforschung bearbeitet werden können und wo inhaltlich ein wichtiger Beitrag im Rahmen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung geleistet werden kann. Sie dürfte für Finanzierungen entscheidend sein.
Aus den übermittelten Projektbeschreibungen wählte die BAG Pflegeforschung/ Qualitätsmanagement zwei Pflegeforschungsprojekte stellvertretend aus. Der Fokus bei der Auswahl lag in der unterschiedlichen Herangehensweise bei der Initiierung des Projektes: Das eine Thema ging von der höheren Managementebene aus (top – down), das andere wurde durch die Pflegenden selbst eingebracht (bottom – up). Für Interessierte werden die zwei exemplarischen Pflegeforschungsprojekte
- Gesunde Ergonomie bei Pflegenden oder ergonomisches Patientenhandling
- Implementierung des Distress-Thermometers zur Erfassung der psycho-sozialen Belastung von Krebspatienten
in einer Übersicht als Handreichung bereit gestellt.
Die BAG Pflegeforschung/Qualitätsmanagement bedankt sich bei allen Einrichtungen, die die Erhebung durch ihre Teilnahme unterstützt haben.
Literatur:
Evers, G. (1997): Geleitwort. In: Orem, D.: Strukturkonzepte der Pflegepraxis. Ullstein Mosby Verlag, Berlin/Wiesbaden
Forum Pflegewissenschaft (Hrsg.) (2009): Memorandum – Für eine Verankerung der Pflegewissenschaft und Pflegeforschung an Medizinischen Fakultäten und Universitätsklinika in Deutschland. Eigenverlag
Imhof, L. et al. (2008): Die Entwicklung einer Agenda für die klinische Pflegeforschung in der Schweiz. In: Pflege, 21: 375-384
Mayer, H. (2007): Pflegeforschung anwenden. Facultas Verlag, Wien
Verfasser:
Prof. Dr. Annegret Horbach, Charlotte Berendonk, Birge von Borstel, Margit Fink-Heitz, Claudia Imbery, Dr. Eva Knipfer, Bernd Meyer, Markus Schaub