Integrative oder Komplementär-Medizin - die Begriffe machen deutlich: Es geht nicht mehr um den Gegensatz von alternativer Medizin versus konventionelle Medizin, sondern um eine Zusammenführung verschiedener Fachgebiete. Die integrative oder Komplementär-Medizin erweitert schulmedizinische Verfahren durch naturheilkundliche oder andere alternative Behandlungsmethoden. Im Genesungsprozess wird die ganzheitliche Wahrnehmung der Patienten betont.
Ob traditionelle chinesische Medizin, Entspannungstechniken oder natürliche Arzneimittel - die Richtungen, die hier einbezogen werden, sind sehr unterschiedlich. Das Interesse an den alternativen Verfahren ist groß. Die Berliner Charité zum Beispiel betreibt gemeinsam mit dem Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie seit 2007 das Projekt CHAMP, eine Forschungsambulanz. Hier werden Beratungskonzepte mit integrativer Medizin angeboten. Bei der individuellen Therapie stehen unter anderem Behandlungen mit Akupunktur, Naturheilverfahren und Homöopathie zur Auswahl.
Beispiel anthroposophische Medizin
In der Praxis existieren verschiedene Ausrichtungen der integrativen Therapien. Während das erwähnte Berliner Projekt CHAMP zum Beispiel mit der Abteilung für Naturheilkunde am Immanuel-Krankenhaus zusammenarbeitet, widmet sich das Asklepios Westklinikum Hamburg mit seiner Station 4 seit vielen Jahren der anthroposophisch ergänzten Medizin.
Diagnostische, therapeutische und pflegerische Verfahren der konventionellen inneren Medizin werden durch die anthroposophische Medizin ergänzt. Die Ärzte und die Pflegenden verfügen über ein fundiertes Wissen in dieser Fachrichtung, haben aber auch eine normale medizinische Ausbildung durchlaufen. Behandelt werden Patienten mit verschiedensten akuten inneren Erkrankungen. Auch chronisch Kranke oder Tumorpatienten bekommen auf der Station 4 eine individuell auf sie zugeschnittene Therapie. Die 25-Betten-Station hebt sich durch eine ansprechende Gestaltung von den anderen Stationen des Hauses ab. Die Pflegebetten sind aus Holz, die Wände mit Wischtechnik in freundlichen Farben gestrichen und die Atmosphäre durch Bilder und andere Kunstwerke aufgelockert.
Links:
Internetseite der Abteilung für Integrative Medizin, Klinikum West, Hamburg
Fotostrecke der Abteilung auf flickr
Wer in der Pflege auf der Station 4 arbeiten möchte, muss keine Vorkenntnisse in der anthroposophischen Medizin, schon aber ein Interesse am Hintergrundwissen mitbringen. Die anthroposophische Behandlung stützt sich unter anderem auf eine erweiterte Krankenpflege, auf pflanzliche und mineralische Arzneimittel, künstlerische Therapien (zum Beispiel Malen und Gestalten, Heileurythmie) und biographische Gespräche. Die soziale Entwicklung eines Menschen, sein Charakter und sein Alltagsumfeld sind für die Erstellung der individuellen Therapiekonzepte, bei denen das Pflegepersonal immer mit einbezogen wird, sehr wichtig.
Begründet wurde die anthroposophische Medizin Anfang des letzten Jahrhunderts von Dr. phil. Rudolf Steiner und seiner Mitarbeiterin Dr. med. Ita Wegmann. Ihr wissenschaftlicher Ansatz betont das Zusammenspiel von körperlicher, seelischer und geistiger Verfassung eines Patienten bei der Diagnostik und Therapie.
Weitere Informationen zur anthroposophischen Medizin:
www.anthromed.de
www.vfap.de
Anwendungen, die unter die Haut gehen
Die anthroposophische Pflege stimuliert auf verschiedene Weise die Selbstheilungskräfte. Mit Salben, Cremes, Essenzen, Tinkturen und Ölen werden medizinische Stoffe in verschiedenen Verfahren zur Wirkung gebracht. Zentrale Elemente der anthroposophischen Pflege sind rhythmische Einreibungen, Wickel und Auflagen, die Verwendung von Heilkräutern und Heilsalben sowie Bäder. Eine wichtige Rolle spielt die Krankenbeobachtung durch die Pflegenden. Da sie ständig mit den Patienten im Kontakt sind, wird ihre Einschätzung bei der Erstellung des Therapiekonzeptes immer mit einbezogen.
1. Rhythmische Einreibungen nach Wegmann /Hauschka sind ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Für die Pflegenden, die hier arbeiten möchten, sind Vorkenntnisse nicht unbedingt notwendig. Die Anwendungen werden in Kursen und Weiterbildungsseminaren erlernt. Da ein gesunder Organismus auf einem Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung beruht, sind rhythmische Prozesse, die genau diese Balance berühren, in der anthroposophischen Medizin sehr wichtig.
Die Einreibungen, die mit medizinischen Ölen oder Salben zumeist in spiraligen Bewegungen vorgenommen werden, folgen unterschiedlichen therapeutische Indikationen, wie der Muskelstimulation, der Thrombose- und Dekubitusprophylaxe, der Harmonisierung einzelner Organfunktionen oder zur Beruhigung und Entspannung. Es gibt Einreibungen einzelner Körperteile, zum Beispiel des Nackens, der Füße, der Arme oder des Rückens, aber auch Organeinreibungen, die etwa die Leberfunktion, die Atmung oder die Verdauung unterstützen.
Link:
Beispiel einer Fußeinreibung (Video eines ambulanten Pflegediensts aus München)
Weiterführende Literatur:
Batschko, Eva-Marie u. Dengler, Susanne: Praxisbuch der rhythmischen Massage, Stuttgart, 2011
Fingado, Monika: Rhythmische Einreibungen: Handbuch aus der Ita-Wegmann-Klinik, Dornach, 2008
2. Wickel und Auflagen
sind weitere Komponenten der anthroposophischen Pflege. Sie kommen auf der Station 4 bei den unterschiedlichsten Krankheitsbildern zum Einsatz. Neben dem klassischen fiebersenkenden Wadenwickel, der recht bekannt ist, gibt es noch eine ganze Reihe weiterer kühlender, entzündungshemmender Wickel und Auflagen beispielsweise mit Quark oder Arnica. Beispiele für feuchte, wärmende Wickel sind Bauch- oder Brustwickel. Auch hier werden häufig einzelne Organe stimuliert und Harmonisierungsprozesse gefördert. Ob Nieren-Auflagen mit Ingwer, Leberkompressen mit Schwefelsubstanzen oder Zwiebelauflagen am Ohr, die Anwendungsmöglichkeiten dieser Therapie sind vielfältig. Im Anschluss an eine physiotherapeutische Behandlung kann etwa auch eine Bienenwachsauflage als Wärmeregulierer aufgelegt werden. Die Wärme senkt den Muskeltonus und lindert Schmerzen, der Duft wird als angenehm sommerlich empfunden.
Weiterführende Literatur:
Thüler, Maja: Wohltuende Wickel: Wickel- und Kompressen in der Kranken- und Gesundheitspflege, 2003
Sonn, Annegret: Wickel und Auflagen. Alternative Pflegemethoden erfolgreich anwenden. Stuttgart, 2010
3. Medizinische Bäder oder Hydrotherapie
werden auch von den Pflegenden durchgeführt. Die Zubereitung der Teil- oder Vollbäder erfolgt mit unterschiedlichen mineralischen, pflanzlichen oder auch tierischen Substanzen. Dabei sind die Anwendungsmöglichkeiten vielfältig. Beim Öldispersionsbad, das zum Beispiel als Komponente bei einer Mistel-Therapie eingesetzt werden kann, wirken in feinste Tropfen gelöste Öle. Meersalz-Reibebäder, bei denen mit einem leicht rauen Waschhandschuh über die Haut gestrichen wird, regen die Durchblutung an. Lavendelfußbäder helfen bei Schlafstörungen, Fußbäder mit Senfmehl können Kopfschmerzen lindern und vegetative Erschöpfungszustände werden teilweise durch nährende Mich-Honig-Bäder behandelt.
Downloads und Links zu den anthroposophischen Pflegetherapien:
www.medsektion-goetheanum.org (Pflegebroschüre)
www.vfap.de
www.damid.de
Kliniken mit anthroposophisch orientierten Fachabteilungen in Deutschland:
Übersicht
Weiterbildung:
1. Kursangebot Anthroposophische Medizin, deutschlandweit, www.kursverzeichnis.de
2. Carus-Akademie, Hamburg, www.carus-akademie.de/veranstaltungen.html
3. Programm Victor-Thylmann-Gesellschaft, Hamburg, www.thylmann-gesellschaft.de/doku/12-Programm-1.Hj.pdf
4. Dörte-Krause Institut, Herdecke, www.gemeinschaftskrankenhaus.de/index.php5?page=595&lang=0