Anfang März stellte der Berliner Staatssekretär Michael Büge die These auf, dass jeder Dritte der ambulanten Pflegedienste in der Hauptstadt systematisch betrügt und nicht erbrachte Leistungen abrechnet. Die Äußerungen Büges über „mafiöse Strukturen“ sorgten für erheblichen Unmut in der Berliner Pflegedienstlandschaft. Was ist von den Anschuldigungen zu halten?
Den Meldungen von Abrechnungsbetrug in Krankenhäusern folgen nun Berichte aus ambulanten Pflegeeinrichtungen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 3.3.2012 war zu lesen: „Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat sich dafür ausgesprochen, dass Abrechnungsbetrug bei ambulanten Pflegediensten in Zukunft „mit aller Konsequenz verfolgt werden muss“. Das Geld, das in die Taschen der Betrüger wandere, „fehlt uns an anderer Stelle, um Pflegebedürftigen und ihren Familien und Angehörigen zu helfen“, sagte Bahr der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Das Ausmaß des Betrugs auf Bundesebene ist nicht zu beziffern. Allein in Berlin jedoch betrügt nach den Worten von Michael Büge (CDU), Staatssekretär für Soziales im Berliner Senat, ein Drittel der 560 ambulanten Pflegedienste systematisch: „Das sind mafiöse Strukturen.“ Es gehe in Berlin um eine Summe von 100 Millionen Euro im Jahr, die zu Unrecht abgerechnet würde. Die Dienste kassierten für Leistungen, die sie nicht erbracht hätten.“
Ausgehend von regionalen Verdachtsfällen sind Spekulationen über ein bundesweites Ausmaß schnell aufgeworfen. Die Aussagen von Berliner Politikern stellen über die Landesgrenzen von Berlin hinweg eine ganze Branche unter Generalverdacht von Abrechnungsbetrug. Es steht außer Frage, dass alle Pflegedienste, die entsprechend der gesetzlichen und ihrer vertraglichen Reglungen ihre Dienstleistungen erbringen, eine zügige Aufklärung der Vorwürfe wünschen. Auch der DBfK hat sich zu den im März wiederholt aufflammenden Verdächtigungen geäußert. Es besteht kein Zweifel, dass Betrugsvorwürfen nachgegangen werden muss. Betrügerische Pflegedienste haben am Markt keine Berechtigung. Aus regionalen Verdachtsfällen die Aussage jedoch abzuleiten, dass Abrechnungsbetrug in der ambulanten Pflege in Deutschland weit verbreitet sei, ist allerdings eine unzulässige und gefährliche Spekulation, gegen die sich der Verband verwehrt.
Gegen die pauschalen Äußerungen und Verdächtigungen wendete sich in Berlin die Arbeitsgemeinschaft Ambulante Pflege, in der nahezu alle gemeinnützigen und privaten Träger der Pflegedienste und Sozialstationen in Berlin zusammengeschlossen sind, in einem offenen Brief an Senator Czaja. Darin wird bemerkenswerter Weise unter anderem geschildert, dass ein vereinbartes Prüfrecht bei Verdacht auf nicht vertragskonforme Abrechnungen nicht genutzt wird und auch routinemäßige Kontrollen der ordnungsgemäßen Abrechnung nur selten oder gar nicht stattfinden.
Immer wieder setzen sich Politiker, Wissenschaftler und Vertreter verschiedener Organisationen zusammen und diskutieren den demografischen Wandel. Der Fachkräftemangel ist inzwischen in die Bundesministerien vorgedrungenen, wenn auch das nachhaltige politische Handeln bisher ausbleibt. Kampagnen für bürgerschaftliches Engagement oder den pflegerischen Nachwuchs mehren sich. Mit Erfolg? Eher nicht, aber die Presse füllt ihre Seiten mit pflegerischen Skandalberichten oder Betrugsvorwürfen, die die Bevölkerung verunsichern. Die Pflegenden benötigen aber die Vertrauensbasis zum Patienten oder Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Diese sind auf die Beratung und Unterstützung der Pflegenden angewiesen, um sich in dem immer komplexer werdenden Systemen der Kranken- und Pflegeversicherung zurechtzufinden, zum Beispiel bei der Versorgung mit Medikamenten oder Hilfs- und Pflegemitteln, bei der Beantragung von Leistungen, bei der Wahl von Leistungsangeboten, bei der Organisation von individuellen Unterstützungsleistungen oder der Inanspruchnahme von niedrigschwelligen Angeboten.
Es sind die Pflegenden, die mit ihrer aktivierenden Unterstützung und Hilfe zur Selbsthilfe ein Leben mit oder nach einer Erkrankung oder bei Pflegebedürftigkeit ermöglichen. Trotz knapper Ressourcen und kontinuierlich steigender Anforderungen gilt es, individuelle Lösungen und Hilfsangebote für Patienten, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen zu finden.
In Bezug auf die Berliner Verdachtsfälle zeigt sich die Wertschätzung pflegerischer Arbeit sowohl in einem verantwortlichen Umgang mit Äußerungen gegenüber der Presse als auch bei Verdachtsfällen unredlicher Abrechnungen, die Klärungen im Dialog vor Ort herbeizuführen. Um betrügerische Anreize zu vermeiden, empfiehlt es sich, regelmäßig stichprobenhaft die vorhandenen Kontrollmöglichkeiten zum Abrechnungswesen zu nutzen.