Wissenschaftler und Mediziner in Europa erforschen seit Jahrzehnten, wie sich künstliche Haut in Laboren züchten lässt. Das Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) hat jetzt ein Sprühverfahren entwickelt, mit dem sich zumindest die oberste Hautschicht schnell reproduzieren lässt. Die ukb-Ärzte sind auch beim Projekt „Euroskin" dabei: Gemeinsam mit Forschern aus der Schweiz und den Niederlanden entwickeln sie Verfahren, um endlich auch einen mehrschichtigen Hautersatz herstellen zu können.
Die Mittzwanzigerin zählt zu den typischen Sommerpatienten im Brandverletztenzentrum des ukb, das als eines der größten und modernen Verbrennungszentren Europas gilt. Die junge Frau wollte nur den Grill zum Gartenfest anzünden. Die Spiritusflasche in ihrer Hand aber schien die Flammen geradezu anzuziehen. Jetzt liegt sie mit großflächigen Verbrennungen im Gesicht und an den Händen im ukb. Zum Glück – denn hier haben Bernd Hartmann, Chefarzt am Zentrum für Schwerbrandverletzte mit Plastischer Chirurgie (BVZ), und sein Team die „Haut aus der Sprühdose" entwickelt. Das neue Verfahren sorgt dafür, dass zweitgradige Verbrennungswunden narbenfrei ausheilen können. Mehr als zehn Jahre hat Hartmann erforscht, wie künstlicher Hautersatz hergestellt und angewendet werden kann. Jetzt hat die „Haut aus der Sprühdose" die Serienreife erreicht.
Entnahme und Aufsprühen in einem Schritt
Die menschliche Haut ist vielmehr als eine bloße Hülle. Unser größtes Organ schützt uns nicht nur vor Kälte und Hitze, sondern auch vor Viren. Viele kleine Verletzungen der Haut heilen wie von selbst. Kritisch aber wird es, wenn große Flächen und mehrere Schichten der Haut zerstört sind. Biologen und Mediziner forschen seit den 1970er Jahren, ob und wie sich Haut künstlich züchten lässt. Alle Verfahren zur Hautzüchtung nutzen die verbliebene gesunde Haut des Patienten, um zusätzliche Haut zu entwickeln. Dazu entnehmen die Ärzte dem betroffenen Patienten zunächst ein etwa Briefmarken großes Stückchen Haut. Die ausgelösten Zellen werden in der Regel in Laboren kultiviert und vermehren sich dort im Laufe einiger Tage. Die Haut aus der Sprühdose, wie sie jetzt am ukb entwickelt wurde, kürzt diesen Prozess ab: Ärzte entnehmen dem Patienten zuerst ein Stück gesunde Haut. Die Zellen werden enzymatisch ausgelöst, kommen in eine Elektrolyt-Lösung und werden ein bis zwei Stunden später im hochsterilen Operationssaal wieder aufgesprüht. „Wir nennen es ein ,einzeitiges Verfahren‘, da die Hautzellen in ein- und derselben Operation entnommen und wieder aufgesprüht werden", sagt Chefarzt Bernd Hartmann. „Letztlich intensivieren wir mit dieser Methode nur den Heilungsprozess. Die entscheidende Zellvermehrung findet direkt im Wundbett statt."
Das Verfahren nutzt Mechanismen der Wundheilung
Das ukb-Verfahren – von der Entnahme bis zum Auftragen mithilfe einer Sprühpistole – ist inzwi-schen weitgehend standardisiert. Der besondere Erfolg aber ist: „Unser Hautzellsprühung sorgt fast immer für gute bis sehr gut heilende Wunden und verhindert, dass sich Narben bilden", freut sich Hartmann. Die Spezialisten nutzen dabei körpereigene Mechanismen und überlisten diese gera-dezu: „Die zusätzlichen körpereigenen Hautzellen beschleunigen die Wundheilung. Dieser Vorgang wiederum stoppt den Prozess der Vernarbung." Die Hautzellsprühung kann vor allem Betroffenen mit schlecht heilenden, zweitgradigen Verbrennungswunden an Gesicht, Händen, Dekolleté und Brustkorb sowie Kindern helfen, dass schwere Unfälle nicht zwangsläufig deutliche sichtbare Zeichen am Körper hinterlassen. Die junge Patientin am ukb unterzog sich etwa zehn Tage nach dem Unfall dem vielversprechenden Verfahren. Die Ärzte entnahmen in einer Operation zunächst ihre Hautzellen, um sie in einer Suspension anzureichern und sprühten die Lösung wenige Stunden später wieder auf.
Das überregionale Traumazentrum, das Axel Ekkernkamp als Ärztlicher Direktor des ukb leitet, plant aktuell, die großen deutschen Verbrennungszentren mit der erforderlichen Technik zur Hautzellsprühtransplantationen auszustatten und in der Anwendung zu schulen. Kooperationspart-ner ist dabei das Deutsche Institut für Zell- und Gewebeersatz (DIZG) in Berlin. Es besitzt als einzige Einrichtung in Deutschland die rechtliche Erlaubnis, Ersatzhaut aus körpereigenem Gewebe herzustellen. Die Hautzellsprühung besticht durch ihre Einfachheit – und doch bleiben zahlreiche Probleme des künstlichen Hautersatz weiterhin ungelöst. Das liegt buchstäblich in der Natur der Sache, im komplexen, dreischichtigen Aufbau der Haut. Gerade die unteren Schichten sind für den menschlichen Organismus überaus wichtig, da sie beispielsweise Lymph- und Blutgefäße oder auch die Zellen des Immunsystems beherbergen. Die Hautzellsprühung reicht bei tiefen Brandwunden nicht aus.
„Euroskin" will mehrschichtigen Hautersatz herstellen
Wie lässt sich schnell ein mehrschichtiger Hautersatz gewinnen? Hier im Dienste der Unfallopfer weiter zu kommen, ist die Aufgabe, die mit dem Projekt „Euroskin" verbunden werden. Hartmann ist daran beteiligt, um gemeinsam mit Kollegen aus der Schweiz und den Niederlanden einen mehr-schichtigen Hautersatz zu entwickeln. Koordinator ist Ernst Reichmann von der Universität Zürich. Er erforscht die Grundlagen der Hautzüchtung und hat bereits einen Prototypen entwickelt, mit dem sich Haut im Labor herstellen lässt. Esther Middelkoop vom Medical Center der Universität Amster-dam ist eine Expertin für die Wundheilung der Haut, und die Patienten von Bernd Hartmann am ukb dürften als erste Patienten in Deutschland von den neuen Verfahren profitieren. Das Projekt ist auf fünf Jahre angelegt. Schließlich sind viele regulatorische Hürden zu nehmen. Rechtlich wird die Kunsthaut in Europa den pharmakologischen Wirkstoffen gleichgesetzt. Wer das Gewebe außerhalb des Körpers züchten will, muss dafür das Zulassungsverfahren gemäß dem Arzneimittelgesetz durchlaufen. Eine zentrale Aufgabe von Claudia Preis, Mitarbeiterin bei Gabo:mi – Gesellschaft für Ablauforganisation in München und bei Euroskin für die Projektkoordinatorin zuständig, ist es daher, die verschiedenen nationalen Vorgaben mit der zeitlichen Planung der Forschungsschritte abzustimmen und die Kommunikation zwischen den Partner am Laufen zu halten.