Ob der Verbandswechsel bei ZVK, das Legen einer Verweilkanüle oder das Spülen eines Ports: Pflegende auf Intensivstationen führen eine ganze Reihe medizinischer Maßnahmen eigenverantwortlich durch. Was aber, wenn bei dabei Fehler auftreten und der Patient zu Schaden kommt? Wie können sich Pflegende absichern? Jurist Dominik Roßbruch klärt auf.
Herr Roßbruch, das Pflege-Thermometer 2012 zeigt, dass die Übernahme ärztlicher Leistungen wie endotracheales Absaugen und die kurzzeitige Regulierung der Sedierung durch Pflegende auf Intensivstationen Alltag ist. Wie bewerten Sie als Jurist diese Situation?
Aus arbeitsrechtlicher Sicht muss man zwischen Pflegekräften mit Fachweiterbildung Intensiv und Pflegekräften ohne Fachweiterbildung unterscheiden. Zudem kommt es auf die jeweilige Maßnahme an, die durchgeführt wird. Bei fachweitergebildeten Intensivpflegekräften gehört die kurzzeitige Regulierung der Sedierung zum Beispiel zu den grundsätzlich nicht, aber unter fünf Voraussetzungen doch delegierbaren ärztlichen Tätigkeiten.
Welche Voraussetzungen sind das?
Die erste Voraussetzung ist, dass der Patient in die Maßnahme eingewilligt hat. Dies setzt selbstverständlich eine ordnungsgemäße Aufklärung voraus – also die Information, dass eine ärztliche Tätigkeit von nicht ärztlichem Personal durchgeführt wird. Zweitens darf die ärztliche Tätigkeit das persönliche Handeln des Arztes nicht erfordern. Dies ist zum Beispiel bei allen Röntgenkontrastmitteln oder Herzmitteln wie Strophantin oder bei Zytostatika der Fall. Dies gilt auch für das mittlerweile als Standard-„Sedativum" eingesetzte Propofol, da – anders als in der S3-Leitlinie dargestellt – Propofol kein Sedativum, sondern ein Narkotikum ist. Dies kann schon der Packungsbeilage entnommen werden. Drittens muss eine schriftliche ärztliche Anordnung vorliegen. Die vierte Voraussetzung ist, dass die Intensivpflegekraft die Befähigung zur Durchführung besitzt, zum Beispiel durch eine einrichtungsinterne Fortbildung. Die fünfte Voraussetzung ist die Bereitschaft der Intensivpflegekraft, die Tätigkeit zu übernehmen oder deren Verpflichtung dazu, etwa durch eine arbeitsvertragliche Nebenabrede oder durch die Stellenbeschreibung. Bei einer Pflegekraft ohne Fachweiterbildung ist die kurzzeitige Regulierung der Sedierung keine übertragbare ärztliche Tätigkeit. Hier hat die Pflegekraft ein Arbeitsverweigerungsrecht. Endotracheales Absaugen wiederum stellt sowohl für die Pflegekräfte ohne Fachweiterbildung als auch für die fachweitergebildeten Intensivpflegekräfte eine übertragbare ärztliche Tätigkeit dar.
Woher soll eine Pflegekraft – mit oder ohne Fachweiterbildung – aber wissen, welche Maßnahmen übertragbar sind und welche nicht?
Dies könnte der Arbeitgeber, wenn er denn wollte, in einer Verfahrensanweisung oder Checkliste festlegen. Ansonsten bliebe noch die Möglichkeit, die Pflegekräfte in Seminaren zu schulen.
Wer ist haftbar, wenn bei der Durchführung ärztlicher Maßnahmen Fehler auftreten?
Zivilrechtlich ist entscheidend, dass der Fehler auch einen Schaden zur Folge hat, ansonsten besteht kein Anspruch auf Schadensersatz. Die Pflegekräfte haften bei grober Fahrlässigkeit voll. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt.
Können Sie dafür Beispiele nennen?
Wer zum Beispiel beim Desinfizieren die Einwirkzeiten nicht einhält, handelt grob fahrlässig. Wer eine i.m.-Injektion noch nach der Methode „Oberer-Äußerer-Quadrant" und nicht nach Hochstetter, Lanz/Wachsmuth oder der Crista-Methode durchführt, handelt grob fahrlässig. Bei leichter Fahrlässigkeit haftet der Träger voll für seine Arbeitnehmer. Bei mittlerer Fahrlässigkeit findet eine Aufteilung zwischen Träger und Durchführendem statt. Strafrechtlich gilt: Es haftet immer derjenige, der es tut. Aus diesem Grund darf der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts auch nichts Strafbares anordnen.
Wie können sich Pflegekräfte absichern?
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, das haftungsrechtliche Risiko aufzufangen. Entweder durch eine arbeitgeberseitige Haftungsfreistellung, die die grobe Fahrlässigkeit miteinschließt, oder durch eine Berufshaftpflichtversicherung. Dem Arbeitgeber würde ich immer zu Letzterem raten, weil die arbeitgeberseitige Haftungsfreistellung einer Art Freifahrtschein für den Arbeitnehmer gleichkommt. Für den Arbeitnehmer könnte ein moralisches Dilemma entstehen, da er nun auch Haftungsschutz genießt, wenn er grob fahrlässig handelt. Einen Anreiz, sich auch dann noch auf dem neusten Stand des Wissens zu halten, könnte für den ein oder anderen dann möglicherweise nicht mehr gegeben sein. Vor dem Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung müssen drei wesentliche Dinge geprüft werden. Erstens: Besteht bereits eine Berufshaftpflichtversicherung über den Träger? Zweitens: Ist die grobe Fahrlässigkeit inkludiert? Denn einige Versicherer schließen diese ausdrücklich aus. Und drittens: Deckt die Versicherung auch Schäden ab, die im Rahmen der Übernahme von ärztlichen Tätigkeiten entstehen?
Was kann ich als Pflegekraft tun, wenn ich der Meinung bin, dass die Patientensicherheit aufgrund der Personalsituation gefährdet ist?
Natürlich kann die Pflegekraft zum Mittel der Überlastungs- beziehungsweise Gefährdungsanzeige greifen. Allerdings hat diese seit dem sogenannten 88-Betten-Urteil zivilrechtlich keine Relevanz mehr. Durch eine Gefährdungsanzeige entsteht demnach kein zivilrechtlicher Schutz für die Pflegekraft. Ob tatsächlich eine Überlastung oder eine Gefährdung aufgrund von zu wenigem Personal vorlag, entscheidet vor Gericht ein Gutachter. Dieser lässt sich die Patientenakten aus der Schicht kommen, in der der Schaden am Patienten entstanden ist, und ermittelt anhand dessen das konkrete pflegerische Aufkommen, dass in genau dieser Schicht zu erbringen war. Somit wird vor Gericht von einer objektiven Überlastung ausgegangen, wenn der Gutachter zu dem Ergebnis kommt, dass zu wenig Personal vorhanden gewesen ist, um das pflegerische Aufkommen zu erbringen. Zudem wissen Pflegekräfte besser als ich, dass man manchmal mit einer vollen Mannschaft komplett überfordert sein kann, und zu einem anderen Zeitpunkt mit einer halben Besetzung eine relativ ruhige Zeit verlebt – je nachdem, wie viel behandlungspflegerisches Aufkommen tatsächlich zu erbringen ist. Kann vor Gericht der Nachweis zum Beispiel anhand der Dienstpläne geführt werden, dass immer die gleiche Anzahl an Mitarbeitern in dieser Schicht eingesetzt wurden, und der Schadensfall nicht in einer Ausnahmesituation passiert ist – etwa wenn die Hälfte der eingeplanten Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfallen, dann hat der Träger offensichtlich nicht genügend Personal vorgehalten. In einem solchen Fall trifft die Haftung den Träger im Rahmen seines Organisationsverschuldens. Eine Möglichkeit, sich hier zivilrechtlich zu schützen gibt es nicht. Es ist aber auch gar nicht notwendig, denn im Falle einer Überlastung durch Unterbesetzung haftet der Träger. Um dem Träger mitzuteilen, dass man unterbesetzt ist, kann ich mir jedoch bessere Wege der Kommunikation vorstellen, als eine Gefährdungsanzeige.
Herr Roßbruch, vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Interview führte Stephan Lücke.