Besteht zwischen der Pflegepersonalausstattung auf Intensivstationen und dem Auftreten nosokomialer Infektionen ein direkter Zusammenhang? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer neuen Studie, die kürzlich publiziert wurde.
Der Sparzwang vieler Krankenhäuser führt derzeit zu einer zunehmenden Straffung der Pflegepersonalschlüssel – auch im Intensivbereich. Ob dies zu schlechteren Ergebnissen bei den Patienten führt, ist im deutschsprachigen Raum bislang kaum untersucht worden. Somit ist nicht bekannt, welcher Pflegeschlüssel optimal ist und wo eine absolute Untergrenze liegt, deren Unterschreitung zu einer erhöhten Komplikationsrate führt.
Um diese Situation zu ändern und erstmals valide Zahlen für Deutschland zu erheben, wurde im Frühjahr 2008 eine Fragebogenerhebung zur Pflegepersonalsituation auf Intensivstationen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden kürzlich vom Deutschen Referenzzentrum für Surveillance publiziert (1). Der Fragebogen wurde an alle 483 Intensivstationen geschickt, die im Jahr 2007 am Krankenhaus-Infektions-Surverillance-System (KISS) teilnahmen, einem Verfahren zur systematischen Erfassung, Analyse und Bewertung von Infektionsdaten. Dazu zählen Harnwegskatheter-assoziierte Harnwegsinfektionen, Venenkatheter-assoziierte Septikämien und Beatmungs-assoziierte Pneumonien. Auf neurochirurgischen Intensivstationen können darüber hinaus Ventrikeldrainage-assoziierte Meningitiden erfasst werden. Die aus der Fragebogenerhebung gewonnenen Daten wurden mit den KISS-Daten zur Rate nosokomialer Infektionen im Jahr 2007 in Beziehung gesetzt.
Kein Zusammenhang zwischen Personal und Infektionsrate
182 Intensivstationen beantworteten den Fragebogen vollständig und lieferten für das Jahr 2007 Infektionsdaten. Es handelte sich in 45,6 Prozent der Fälle um interdisziplinäre, in 21,4 Prozent um medizinische und in 23,6 Prozent um chirurgische Intensivstationen. 9,3 Prozent der Intensivstationen gehörten anderen Fachdisziplinen an. Etwa die Hälfte der Intensivstationen (48,9 %) gehörte zu einem akademischen Lehrkrankenhaus, 19,2 Prozent zu einer Universitätsklinik und 31,9 Prozent zu anderen Krankenhäusern. Die Belegungsrate betrug im Median 83 Prozent, der Pflegeschlüssel (Verhältnis von Pflegepersonen zu Patienten) lag im Median bei 0,66. Dies bedeutet, dass jeder Patient pro Dienstschicht von 0,66 Pflegekräften betreut wurde. Der Pflegeschlüssel für beatmete Patienten betrug 1,82. Bei dieser Zahl muss allerdings berücksichtigt werden, dass sie aus der Anzahl der auf der Station pro Schicht anwesenden Pflegekräfte, geteilt durch die Anzahl beatmeter Patienten, errechnet wurde. Da die vorhandenen Pflegekräfte jedoch in der Realität auch noch die nicht beatmeten Patienten betreuen mussten, kann man aus dem Schlüssel nicht ableiten, wie viele Pflegekräfte ausschließlich einen Beatmungspatienten betreuten. Die errechneten Pflegeschlüssel wurden mit der Rate nosokomialer Infektionen in Beziehung gesetzt. Ebenso wurden die Zusammenhänge zwischen der Liegedauer der Patienten, der Belegungsrate und der nosokomialen Infektionsrate untersucht.
Ergebnisse der Studie: Eine signifikante Assoziation zwischen dem Pflegeschlüssel pro Patient und der nosokomialen Infektionsrate konnte nicht nachgewiesen werden. Für einzelne Parameter ergab sich jedoch ein signifikanter Zusammenhang (Abb. 1): So kam es bei längerer Liegedauer erwartungsgemäß zu einer Zunahme der Infektionsrate. Weiteres Ergebnis: Je günstiger der Pflegeschlüssel pro Beatmungspatient war, desto geringer war die nosokomiale Infektionsrate. Unerwartet war die Beobachtung, dass eine hohe Belegungsrate (über dem 75 % Perzentil) mit einer signifikanten Abnahme nosokomialer Infektionen einherging. Neben diese drei Faktoren ergaben sich noch signifikante Unterschiede zwischen den verschieden Arten der Intensivstationen.
Die Autoren stellen fest, dass der von ihnen erhobene Befund einer Abnahme nosokomialer Infektionen bei erhöhter Belegungsrate auf den ersten Blick den Ergebnissen anderer publizierter Studien widerspricht. Im Allgemeinen sprechen Literaturdaten dafür, dass bei Überfüllung von Stationen die Übertragungsrate von Infektionserregern ansteigt. Auch über Infektionsausbrüche im Zusammenhang mit einer Überbelegung ist mehrfach berichtet worden. Die Autoren erklären ihren Befund damit, dass möglicherweise sogenannte Kurzlieger für diese Korrelation verantwortlich waren. Wird nämlich ein relevanter Anteil der Patienten nur für wenige Stunden auf der Intensivstation überwacht und der Bettplatz anschließend sofort neu belegt, so kommt es rechnerisch zu einer Belegungsrate von über 100 Prozent. Bei den Kurzliegern kann jedoch keine nosokomiale Infektion erfasst werden, weil sie vor einer möglichen Manifestation verlegt werden. Damit würde es sich bei dieser Beobachtung eher um ein artifizielles, statistisches Phänomen handeln.
Demgegenüber halten die Autoren den Befund, dass der Personalschlüssel – bezogen auf die Anzahl beatmeter Patienten – mit der Infektionsrate korrelierte, für ein valides Ergebnis. Sie vermuten, dass die Zahl der Pflegekräfte – bezogen auf alle Intensivpatienten – möglicherweise kein guter Marker für die Arbeitsbelastung der Pflegekräfte ist. Nicht beatmete Intensivpatienten können in sehr unterschiedlichem Maße pflegebedürftig sein. Ein hämodynamisch stabiler Herzinfarktpatient oder ein postoperativ zu überwachender Patient stellen geringere Ansprüche an die Pflege als ein frisch querschnittsgelähmter Patient nach Polytrauma. Aus diesem Grund könnte die Anzahl der Pflegekräfte bezogen auf die Beatmungspatienten ein sensitiverer Marker für die Arbeitsbelastung sein. Weitere Schlüsse ergeben sich aus der Studie zunächst nicht, da ein Grenzwert in Form eines nicht zu unterschreitenden unteren Schlüssels nicht errechnet werden konnte.
Literatur:
(1) Schwab F et al. Understaffing, overcrowding, inappropriate nurse-ventilated patient ratio: which parameter is the best reflection of deficits? J Hosp Infect 2012;80: 133-139