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Interview

"Wer anschafft, soll auch zahlen"

Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, zu Personalkosten im Krankenhaus, dem Pflegenotstand und gesetzlichen Regelungen zur Finanzierung von Vorgaben des "kleinen Gesetzgebers".

Herr Baum, die Bezahlung ist mager, der Job ist hart: Wie wollen die Krankenhäuser künftig junge Menschen für Pflegeberufe gewinnen, wie ältere halten?

Eine der größten Herausforderungen für das deutsche Gesundheitswesen ist die Bewältigung des Fachkräftemangels in der Pflege wie auch im ärztlichen Bereich. Deshalb ist es wichtig, dass die Krankenhäuser als der größte Ausbilder und Arbeitgeber in diesem Bereich finanziell so ausgestattet werden, dass sie viel Personal aus- und weiterbilden und beschäftigen können. Darüber hinaus gilt es, die Attraktivität der Arbeitsplätze im Krankenhaus zu steigern. Dabei sind alle Instrumente einer modernen mitarbeiterbezogenen Personalpolitik einzusetzen – von der flexiblen Arbeitszeitorganisation bis zur Sicherstellung von Kinderbetreuung. Nicht allen Krankenhäusern und überall in der Bundesrepublik ist es möglich, das gesamte Spektrum anzubieten. Gleichwohl ist festzustellen, dass die Krankenhäuser hier weitaus engagierter sind als viele andere Wirtschaftszweige.

Sind die Krankenhäuser derzeit ausreichend finanziert?

Wir haben eine im Gesetz angelegte systematische Unterfinanzierung der Personalkosten. Die Grundlohnratensteuerung hatte sich von der tatsächlichen Personalkostenentwicklung weitgehend abgekoppelt. Selbst dort, wo der Gesetzgeber Tarifausgleiche vorsieht, wie etwa in der Psychiatrie beziehungsweise gesondert gewährt, wie zum Beispiel im laufenden Jahr, werden Personalkosten nur anteilig refinanziert. So gesehen, sieht das Gesetz in den Personalkosten immer auch Rationalisierungspotential, was in der Praxis längst nicht mehr der Fall ist. Die Zitrone ist hier längst ausgequetscht.
 


Grundlohnrate
Die Grundlohnrate misst die Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung. Bis einschließlich 2012 galt die Grundlohnrate als Obergrenze der Steigerung des Preisniveaus für akutstationäre Krankenhausleistungen.

Orientierungswert
Der Orientierungswert wird jährlich spätestens zum 30. September vom Statistischen Bundesamt festgelegt. Er ergibt sich aus den Personal- und Sachkosten in den Krankenhäusern und soll die Kostenentwicklung in den Krankenhäuser besser wiedergeben.



Um dieses Problem zu adressieren, wurde Anfang 2013 die Grundlohnrate durch den sogenannten Orientierungswert, der die Kostenstrukturen und –entwicklungen in den Krankenhäusern besser berücksichtigen soll, ersetzt. Reicht das?

Es bleibt bei einer Begrenzung des Vergütungszuwachses für die Krankenhäuser. Auf steigende Kosten aus der Entwicklung der Tariflöhne oder gar auf Kostenzuwächse, die sich aus Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen ergeben, wird dabei immer noch zu wenig Rücksicht genommen. Zudem werden weder vom Kostenorientierungswert noch von den jährlich stattfindenden DRG-Kalkulationen qualitative Personalkostenzuwächse erfasst.

Was fordern Sie?

In der nächsten Wahlperiode bis 2017 muss die Politik das Grundsatzproblem der unterfinanzierten Personalkosten in den Krankenhäusern grundsätzlich und nachhaltig wirksam angehen. Mit den jetzt von der Koalition beschlossenen Finanzierungshilfen werden in diesem und im nächsten Jahr Deckungslücken im Umfang von 1 Milliarde Euro gemindert. Das ist wichtig und hilfreich, aber noch keine auf Dauer angelegte solide und kalkulierbare Regelfinanzierung der unabwendbaren Kosten und insbesondere der Personalkosten der Krankenhäuser.

Wo stehen wir angesichts der von Ihnen beschriebenen Entwicklung heute? Stichwort Pflegenotstand.

Der Notstand im Pflegebereich ist regional und je nach Pflegeberufsgruppe unterschiedlich ausgeprägt. In den Krankenhäusern der Großstädte haben wir bereits Pflegenotstand. Große Probleme gibt es bei besonders qualifizierten Kräften, also etwa Intensivpflegekräften oder Kinderintensivpflegekräften. Hier bewegen wir uns sogar auf einen deutschlandweiten Pflegenotstand zu.

Wie viele zusätzliche Pflegekräfte in den deutschen Krankenhäusern sind nötig, um den Pflegenotstand zu beseitigen?

Wir haben zirka 7.000 offene Stellen. Hinzu kommen Stellen, die eigentlich gebraucht, aber nicht bezahlt werden können. Ich gehe nicht so weit wie die Gewerkschaft Verdi, die von 70.000 fehlenden Vollkräften ausgeht.

Wie viel Geld fehlt Ihnen, um die Lücke bei den Personalkosten zu schließen?

In den vergangenen sieben Jahren sind die Personalkosten jedes Jahr im Schnitt doppelt so stark gestiegen wie die Vergütungssätze der Krankenhäuser.

Müssen vielleicht die Ärzte auf einen Teil ihrer üppigen Gehälter verzichten, damit mehr Geld übrig bleibt, um mehr Pflegekräfte einzustellen und um diese auch besser zu bezahlen?

Die deutschen Krankenhäuser geben jedes Jahr 50 Milliarden Euro für ihre 1,1 Millionen Beschäftigten über sämtliche Berufsgruppen hinweg aus. Es hilft niemanden, schon gar nicht der Förderung der Beschäftigung im Gesundheits- und Sozialwesen insgesamt, wenn wir nun darüber diskutieren, wer womöglich zu viel verdient und wer etwas abgeben sollte. Wir brauchen insgesamt mehr Mittel, und die müssen bereitgestellt werden.
 


Diagnosis Related Groups (DRG)

Die Vergütung der allgemeinen Krankenhausleistungen findet in Deutschland über ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem statt. Grundlage hierfür bildet das G-DRG-System (German-Diagnosis Related Groups-System), wodurch jeder stationäre Behandlungsfall mittels einer entsprechenden DRG-Fallpauschale vergütet wird, grundsätzlich also unabhängig von der Frage, wie lange ein Patient im Krankenhaus verbleibt.



Was halten Sie von dem Vorschlag einer gesetzlichen Regelung zur Mindestausstattung von Krankenhäusern mit Pflegepersonal?

Die Vorgabe von Mindestgrößen, sogenannte Personalanhaltszahlen, wäre im gegenwärtigen Vergütungssystem der Krankenhäuser ein Fremdkörper. Im System der Fallpauschalen erhält jede Klinik für jede Leistung einen bundesweit einheitlich kalkulierten Preis. Personalanhaltszahlen hätten zur Folge, dass die Kliniken losgelöst von der Vergütungsstruktur Personal vorhalten müssten. Außerdem wäre der Einsatz des Personals deutschlandweit rigide vorgegeben, ohne dass vor Ort geprüft wird, ob der Bedarf wirklich  besteht. Dabei kann dieser Bedarf sehr unterschiedlich sein, etwa aufgrund der baulichen Gegebenheiten oder des Zusammenwirkens mit Ärzten und anderen Berufen des Gesundheitswesens.

In welches System würde eine Mindestpersonalausstattung passen?

Gesetzlich vorgeschriebene Zahlen zur Personalausstattung würden in ein Selbstkostendeckungssystem passen, wie wir es vor mehr als zehn Jahren hatten. Dabei gilt: Jedes Krankenhaus bekommt seine Kosten eins zu eins refinanziert. Es muss sein Budget dann jedes Jahr mit den Krankenkassen verhandeln. Dieses System gilt heute im Bereich der stationären psychiatrischen Behandlung. In einem solchen Mechanismus sind Personalanhaltszahlen sinnvoll, weil die Kliniken mit den Krankenkassen dann aufgrund dieser gesetzlichen Vorgaben über die Erstattung der Kosten verhandeln können.

Fehlt es den Kliniken heute an Anreizen, für gute Pflege zu sorgen?

Diesen Vorwurf hören wir oft, wir weisen ihn aber entschieden zurück. Die Krankenhäuser sind hochgradig verantwortungsbewusst.

Sie wenden sich also generell dagegen, den Kliniken eine bestimmte Mindestpersonalausstattung vorzuschreiben?

Es kann einzelne Bereiche geben, in denen dies sinnvoll ist. Dann müssen die Kliniken aber auch eine entsprechende gesonderte Vergütung dafür erhalten. Das ist gegenwärtig übrigens in den Bereichen, in denen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), also der sogenannte „kleine Gesetzgeber" des Gesundheitswesens, solche Vorgaben macht, nicht der Fall. Der G-BA beschließt mit den Stimmen der Krankenkassen Vorgaben, die die Kliniken einhalten müssen, ohne dass die zugehörigen Fallpauschalen erhöht werden.

Das ärgert Sie?

Ja natürlich! Wir fordern eine offensive Diskussion über die Finanzierung von Vorgaben des G-BA. Die Fallpauschalen müssen die Kosten der Leistungen decken.

Wer anschafft, soll auch zahlen?

Ja, wer anschafft soll auch zahlen. Wenn der G-BA und die Krankenkassen Vorgaben machen, dann sollen sie auch für die entsprechende Finanzierung sorgen. Das muss gesetzlich klar geregelt werden.

Sie haben im G-BA gerade mit den Krankenkassen und den Patientenvertretern einen Beschluss gefasst: Ab dem Jahr 2017 soll auf Intensivstationen für Frühgeborene das Verhältnis Pfleger zu Frühchen 1:1 betragen. Warum erst 2017?

Wir brauchen eine Übergangszeit. Bei der Versorgung von zirka 60.000 Frühgeburten im Jahr muss die Realität der personellen Versorgungsmöglichkeiten beachtet werden und da gibt es für diesen hochspezialisierten Bereich schlicht nicht ausreichend Personal. Bei Kinderintensivpflegekräften herrscht akuter Personalnotstand. Starre nicht umsetzbare Regeln helfen uns nicht weiter, sie helfen allenfalls klagefreudigen Rechtsanwälten, aber schaden der Versorgung.

Inwiefern?

Die Regel kann dazu führen, dass Kliniken ihre Perinatalzentren schließen müssen, weil sie die nötigen qualifizierten Mitarbeiter nicht finden oder aufgrund der klammen Finanzlage nicht bezahlen können. Regeln ohne Übergangszeiten können der Versorgung schaden. Ich weiß natürlich, dass auf Kostenträgerseite klammheimlich gehofft wird, dass das passiert – aber sie sollten sich nicht täuschen. Objektive Unmöglichkeiten bei der Erfüllung von realitätsfernen Vorgaben treffen die Versorgung auch dort, wo sie schon heute nur knapp ist. Qualitätsvorgaben eignen sich grundsätzlich nicht als Ersatz für Krankenhausplanung.

Malen Sie jetzt nicht besonders schwarz?

Nein! Wir sehen schon heute, dass aufgrund des Mangels an Intensivpflegekräften Operationssäle geschlossen werden müssen.

Das Gespräch führte Stephan Balling. 

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