Erbsensuppe sollte die Mitarbeiter der Deutschen Klinik für Diagnostik (DKD) in Wiesbaden mobilisieren. 60 Beschäftigte konnte die Gewerkschaft Verdi damit am vergangenen Mittwoch im Rahmen einer bundesweiten Aktionswoche locken, berichtet sie auf ihrer Internetseite stolz. Mehr als 500 Mitarbeiter hat die DKD nach eigenen Angaben insgesamt. 6,8 Kilometer entfernt in den benachbarten Horst-Schmidt-Kliniken (HSK) „besuchten zahlreiche Beschäftigte und Patienten den Verdi-Stand, der von Montag bis Mittwoch von der Verdi-Betriebsgruppe und dem Betriebsrat betreut wurde", ist auf der Gewerkschafts-Website weiter zu lesen.
DKD und HSK gehören zum Klinikkonzern Rhön. Zusammen mit deutschlandweit 38 weiteren Kliniken sollen die Häuser an den Konkurrenten Helios verkauft werden. Verdi verlangt zusammen mit dem Rhön-Konzernbetriebsrat von Helios den Abschluss eines Standort- und Beschäftigungssicherungsvertrages. Übernahmen und Fusionen sind Herkulesaufgaben für die Kommunikation. Die Helios-Manager müssen diese Herausforderung nun meistern und die angehenden neuen Mitarbeiter vom neuen Dienstherrn überzeugen. Dies dürfte unzählige Sitzungen, Ansprachen und Mailing-Aktionen benötigen.
Aufbegehrende Mitarbeiter wirken dabei immer schlecht. So scheinen die Verdi-Frontleute zunächst eine Stimmung aufgegriffen und zum Protest genutzt zu haben. Wer jedoch hinter die gewerkschaftlichen Kulissen schaut, entdeckt durchaus auch andere Motive der Gewerkschafter: Erstens sind da in der Tat nachvollziehbare Sorgen, dass im Zuge der größten Übernahme in der deutschen Krankenhausgeschichte die Arbeitsbedingungen leiden könnten. Hierzu mischt sich aber – zweitens – eine etwas diffuse Kapitalismuskritik. Und nicht zuletzt spielt auch das gewerkschaftliche Streben nach mehr Macht eine nicht unbedeutende Rolle.
Francesco De Meo, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Helios, wollte die Mitarbeiter in den Rhön-Kliniken von Anfang an beruhigen. Kurz nachdem der Vertrag mit Rhön bekannt geworden war, wandte er sich in einem Brief „an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der von Helios erworbenen Gesellschaften". Darin schreibt De Meo: „Zunächst möchte ich betonen, dass der Wechsel zu Helios keine Auswirkung auf Ihr Beschäftigungsverhältnis hat, weder auf bestehende Arbeitsbedingungen noch auf Ihre bisherigen Aufgabenbereiche." Dem folgt der Hinweis: „In den letzten Verhandlungen hat sich die Verdi-Tarifkommission dafür ausgesprochen, unser Angebot zur Überleitung in das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes abzulehnen und für eine Weiterentwicklung des Konzerntarifvertrages votiert."
Den Worten misstraut der Wiesbadener Gewerkschaftssekretär Andreas König. Helios handle nicht transparent. Das Angebot, den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) zu übernehmen, sollte zu einem „abgespeckten TVöD" führen, sagt König. Da sei es eben besser gewesen, den Konzerntarifvertrag zu behalten. König verweist des weiteren auf die jüngsten Klinikverkäufe in der Region Leipzig. Dort seien die Mitarbeiter überrascht worden. König fürchtet, dass beim Kauf und Verkauf von Kliniken Tarifverträge außer Kraft gesetzt werden. Er beharrt deshalb auf der Verdi-Forderung nach einem Schutzvertrag für alle Helios-Kliniken in Deutschland. „Der Umgang von Helios mit den Beschäftigten ist unklug, da bei einer solchen Übernahme alle Mitarbeiter mitgenommen werden müssten", sagt König.
Helios erklärte auf Anfrage: „Vonseiten Helios ist ein solcher Vertrag derzeit kein Thema." Einen Grund nennt der Konzern nicht, teilt aber auf Anfrage mit, Helios halte sich an bestehende Tarifverträge. „Dies gilt für die aktuell zum Helios Verbund gehörenden Kliniken ebenso wie für die voraussichtlich übergehenden Rhön-Kliniken", so eine Unternehmenssprecherin. Weiter teilt sie mit: „Prinzipiell gilt für Helios, dass Arbeitsbedingungen vor Ort ausgestaltet werden. Dabei ist unser oberstes Ziel, in Zeiten knapper Mittel die Arbeitsabläufe so zu organisieren, dass eine optimale medizinische Versorgung sichergestellt wird und gleichzeitig Mittel für Investitionen erwirtschaftet werden können."
Ursprünglich wollte Helios von Rhön 43 Kliniken und 15 Medizinische Versorgungszentren (MVZ) übernehmen. Doch „wegen ihrer räumlichen Nähe zu Helios-Standorten hat das Bundeskartellamt die Krankenhäuser von Rhön in Boizenburg, Cuxhaven und Waltershausen-Friedrichroda vom Erwerb ausgeschlossen", wie der Helios-Mutterkonzern Fresenius vergangene Woche mitteilte. Diese sollen nun bei Rhön verbleiben. Fresenius-Helios kauft also nur noch 40 Kliniken und 13 MVZ von Rhön. Möglicherweise wird das Kartellamt aber noch weitere Auflagen machen. Abgeschlossen werden muss das Verfahren bis spätestens 23. Februar, es sei denn, Fresenius-Helios stimmt einer Fristverlängerung zu.
Vorab hat das Kartellamt dem Klinikkonzern offenkundig noch weitere Details signalisiert, ohne diese aber öffentlich mitzuteilen. Fresenius-Helios will jedenfalls „aufgrund der Markteinschätzung des Bundeskartellamtes für die Region Leipzig die Kliniken in Borna und Zwenkau" veräußern, da diese in räumlicher Nähe zum Herzzentrum und zum Park-Krankenhaus Leipzig lägen, die Helios von Rhön übernehmen werde. Käufer der Kliniken Borna und Zwenkau sei die HCM SE, „eine Verwaltungsgesellschaft für Beteiligungen im Gesundheitswesen", teilte Fresenius Helios mit. Interessant: Alleiniger Eigentümer der HCM SE ist Rhön-Großaktionär Eugen Münch. Er hatte den Zusammenschluss von Helios und Rhön massiv vorangetrieben, wollte ursprünglich sogar eine Komplettübernahme von Rhön durch Helios, was aber am Widerstand anderer Rhön-Aktionäre scheiterte.
Unklar ist, welche Tarifverträge in den beiden Leipziger Häusern künftig gelten werden und ob die Häuser im geschrumpften neuen Rhön-Konzern verbleiben oder weiterverkauft werden. Bisher ist es eher eine undefinierte Ahnung, die die Gewerkschafter treibt. Was sich konkret für die Beschäftigten verschlechtern könnte, ist unklar. Bei Verdi ist dennoch von einem „Klinik-Monopoly" die Rede.
Die Wortwahl spricht Bände: Die Begriffe Marktwirtschaft und erst Recht Kapitalismus sind für viele Gewerkschafter, insbesondere für die als besonders links geltende Gewerkschaft Verdi, negativ besetzt. „Gesundheit gehört nicht in private Hände", lautet eine politische Auffassung, die vor allem Funktionäre unterschreiben. Der rein private Deal von Rhön und Helios beschert allein schon wegen seiner Größe Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, die Verdi für seine Positionen braucht. „In hohem Maße populistisch" nennt deshalb Thomas Bublitz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Privatkliniken (BDPK), das Vorgehen Verdis.
Die privaten Krankenhäuser generell verteufeln will auch Franz Wagner, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), nicht. „Wie bei allen Trägern, so unterscheiden sich auch bei den privaten Häusern die einzelnen Kliniken sehr", sagt Wagner. Das allgemeine Vorurteil grundsätzlich schlechterer Arbeitsbedingungen für Pflegefachpersonen in privaten Häusern kann er nicht bestätigen. Häufig gebe es aber einen Unterschied in der Gehälterstrategie: Private Kliniken bezahlten in der Regel niedrigere Anfangsgehälter, „dafür sind die Gehälter für spezialisierte Pflegefachpersonen, zum Beispiel OP-Schwestern, höher", sagt Wagner.
Tatsächlich erklärt Verdi nicht, weshalb ausgerechnet medizinische Leistungen in staatlicher Hand sein sollen, was sie – nebenbei bemerkt – im niedergelassenen Bereich auch nicht sind. Es scheint, als sei der Zusammenschluss von Helios mit den 40 Rhön-Kliniken für Verdi Anlass, generell gegen private Strukturen im Gesundheitswesen zu kämpfen. Verdi male das Bild eines „bösen Kapitalgiganten", der nun entstehe, sagt BDPK-Hauptgeschäftsführer Bublitz. „Das Ziel von Verdi ist aus meiner Sicht vor allem, diese Entwicklung zu nutzen, um Mitglieder zu gewinnen und Front gegen private Krankenhausunternehmen zu machen." Mehr Mitglieder bedeuten neben mehr Geld auch mehr Einflussmöglichkeiten. In Wiesbaden sind nach Gewerkschaftsangaben in der DKD 30 bis 35 Prozent der Arbeitnehmer Verdi-Mitglieder, im HSK 20 Prozent. Es gibt also Luft nach oben für den Organisationsgrad.
Dass es der Gewerkschaft nicht zuletzt auch um mehr Einfluss geht, zeigt nicht nur das Aufbegehren im Zuge der Helios-Rhön-Übereinkunft. Auch in kirchlichen Kliniken kämpft Verdi darum, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Derzeit gilt in diesen Häusern eine „absolute Friedenspflicht". Streiks sind nur in Ausnahmefällen möglich. Verdi versucht, dieses Streikverbot juristisch zu beseitigen. Das Ziel dieses Vorstoßes bleibt unklar. Schließlich sind die Arbeitsbedingungen in privaten und kommunalen Häusern, in denen Verdi Streikrecht hat, nicht unbedingt besser als in kirchlichen. Das gilt vor allem für das Pflegepersonal, wie Hermann Reichold, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Tübingen sagt: „In der Dienstgemeinschaft achtet man auf nicht zu große Entgeltunterschiede, so dass Pflegekräfte zwar nicht viel besser, doch Ärzte gegebenenfalls schlechter als im privaten oder kommunalen Sektor bezahlt werden."
Immerhin können Gewerkschafter abgesehen von Streiks auch in kirchlichen Häusern aktiv werden. Eine „aktive Mittagspause" wie zuletzt an der Wiesbadener DKD ist auch dort möglich. Inklusive Erbsensuppe.