Ärzte und Pflegekräfte im Dienst des US-Militärs sollen seit dem 11. September 2011 wiederholt gegen ethische Grundsätze verstoßen haben. Einem unabhängigen Untersuchungsbericht zufolge sollen sie auf Anordnung des Verteidigungsministeriums und der CIA inhaftierte „Terrorverdächtige" zwangsernährt haben und an Verhören und Folter beteiligt gewesen sein. Wir sprachen mit Pflegehistorikerin Anja Peters über ethische Standards, Lehren aus der Vergangenheit und warum die Ausbildung nicht nur Handlungskompetenz vermitteln darf.
Frau Peters, wie wir in dieser Woche erfahren haben, sollen Ärzte und Pflegekräfte des US-Militärs an Verhören und Folter von Terrorverdächtigen beteiligt gewesen sein. Hat Sie diese Meldung schockiert?
Das war absolut schockierend für mich. Natürlich weiß ich, dass es auch in der Pflege Menschen gibt, die sich eines Fehlverhaltens schuldig machen. Wir sind die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen, da bleibt es nicht aus, dass Einzelne auch Verbrechen begehen. Aber dass sich Pflegende in ein System kalkulierten Fehlverhaltens einbinden lassen, das hat mich schon schockiert. Ich hatte gehofft, dass wir als Berufsgruppe lernfähiger sind.
Lernfähiger?
Wir wissen dank der historischen Pflegeforschung, dass Pflegende sich schon früher in inhumane Praktiken haben einbinden lassen – vor allem natürlich während des 2. Weltkrieges im Nationalsozialismus. Das waren Pflegende, die in den Konzentrationslagern dabei waren, das waren Pflegende, die an den Menschenversuchen teilgenommen haben, an den Euthanasie-Programmen, und das waren Pflegende, die an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg teilgenommen haben. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wurde ja 1953 der Ethikkodex des ICN, des International Council of Nurses, für Pflegende verabschiedet. Seitdem ist er mehrmals überprüft und aktualisiert worden und in der jetzt seit 2012 gültigen Fassung auch Bestandteil der Pflegeausbildung. Wir haben ethische Leitlinien, die aufgrund historischer Fehler erarbeitet wurden, die aber in den USA offensichtlich - systematisch – verletzt wurden.
Zeigt das nicht aber gerade, dass es mit einer Leitlinie nicht getan ist?
Gerade in den USA gäbe es ja noch andere Möglichkeiten, denn dort haben wir eine Verkammerung der Pflege. Unethisches Verhalten - und die Richtschnur dafür ist eben der ICN-Kodex - kann geahndet werden. Es wäre jetzt Aufgabe der American Nurses Association und der in den einzelnen US-Bundesstaaten verankerten Pflegeorganisationen, zu handeln - mit der Leitlinie als Grundlage.
Wie könnte das aussehen? Was sollte etwa die ANA tun?
Ich rechne nicht damit, dass sie etwas tut – schon allein, weil die Betroffenen zum US-Militär gehören -, aber ich würde mir wünschen, dass die Kolleginnen und Kollegen erst einmal für eine geraume Zeit ihre Berufszulassung verlieren und Nachschulungen machen müssen. Das wäre das Mindeste auf berufspolitischer Ebene, unabhängig von der juristischen Ebene - von der ich mir aber auch nicht allzu viel erwarte. Auch hier zeigt die Geschichte: Die meisten Täter in den Reihen der Pflege kommen bei systematischen Verstößen ungeschoren oder mit geringen Strafen davon.