Heftige Auseinandersetzung über die Pflegereform zwischen Regierung und Opposition am Freitagvormittag im Bundestag: „Sie haben keine Vision, wohin sich die Pflege entwickeln könnte", attackierte die pflegepolitische Sprecherin der Grünen die Bundesregierung. Zwar sei es richtig, die Beitragssätze zur Pflegeversicherung zum 1. Januar 2015 um 0,3 Prozentpunkte zu erhöhen. Aber: „Geld ersetzt keine Idee."
Nötig seien „eine Stärkung der ambulanten Strukturen" sowie mehr Gestaltungsspielräume für die Kommunen und die Betroffenen vor Ort. „Da passiert nichts", so Scharfenberg, die vor allem den geplanten Pflegevorsorgefonds kritisierte. Die Bundesregierung will ein Drittel der geplanten Beitragssatzerhöhung nutzen, um bei der Bundesbank einen Vorsorgefonds zu schaffen, der Beitragssatzsteigerungen abfedert, wenn die Babybommer in etwa 20 Jahren pflegebedürftig werden.
Ungewöhnlich scharf reagierte SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach auf die Kritik der Grünen, eigentlich Wunschkoalitionspartner seiner Partei. Scharfenberg kritisiere lediglich pauschal, warf er der Grünen vor. „Ich habe keinen konkreten Gegenentwurf von Ihnen gehört." Zwar sei es richtig, dass mehr Geld allein die Probleme nicht löse. Aber ohne mehr Geld gehe es eben auch nicht. „Wir sind stolz darauf, die größte Reform der Pflegeversicherung seit ihrem Bestehen vortragen zu können", sagte Lauterbach. Der Pflegevorsorgefonds sei aus seiner Sicht durchaus vernünftig.
Hier zeichnet sich allerdings ein Konflikt innerhalb der SPD-Fraktion ab. Die gesundheitspolitische Sprecherin, Hilde Mattheis, kritisiert weiterhin den Pflegevorsorgefonds, auch wenn dieser im Koalitionsvertrag vereinbart ist. „Vorsorgen kann man auch, in dem man in die Zukunft investiert", hatte sie im Vorfeld der Debatte erklärte. Mattheis befürchtet, dass der Fonds angesichts niedriger Zinsen und Inflation real an Wert verliere. Sie hält es für sinnvoller, mit den 1,2 Milliarden Euro pro Jahr 70.000 zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen.
Der langjährige Gesundheitspolitiker Lauterbach verwies auf die Erhöhung sämtlicher Leistungen um 4 Prozent und darüber hinaus gehende Leistungsausweitungen. Bundegesundheitsminister Hermann Gröhe erklärte, dass durch die Reform Pflegebedürftige und ihre Angehörigen künftig Unterstützungsangebote in der Kurzeit-, Verhinderungs-, Tages und Nachtpflege besser in Anspruch nehmen können. Außerdem will die schwarz-rote Koalition erstmals Entlastungsleistungen für die häusliche Pflege einführen und dafür zusätzlich rund 1,4 Milliarden Euro bereitstellen. Damit werde auch die nachbarschaftliche Hilfe in Deutschland gestärkt, heißt es in der Pressemeldung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG).
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) verwies auf den Plan, Stellen für bis zu 20.000 zusätzliche Betreuungskräfte schaffen. Dies schaffe mehr Zeit für die Pflege und werde den Pflegealltag spürbar verbessern. Dafür sollen Mittel von rund einer Milliarde Euro zur Verfügung gestellt werden. Bereits jetzt arbeite das Gesundheitsministerium am zweiten Pflegestärkungsgesetz, mit dem der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsverfahren in der Pflege eingeführt werden solle. „Durch die Aufteilung auf zwei Gesetze können wichtige Leistungsverbesserungen bereits zum 1. Januar 2015 in Kraft treten", heißt es in der Mitteilung. Entsprechend der Empfehlung des Expertenbeirats zur konkreten Ausgestaltung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs laufe seit April 2014 zeitgleich die Erprobung für das neue Begutachtungsverfahren. So werde sichergestellt, dass sich das neue Begutachtungssystem in der Praxis bewähre und die Verbesserungen auch direkt bei den Pflegebedürftigen ankämen.