In Kiel sind am Mittwochvormittag Gegner der Pflegekammer vor den Landtag gezogen. Laut Polizeiangaben waren rund 500 Menschen den Aufrufen der Gewerkschaft Verdi und des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) gefolgt und protestierten gegen die im Plenarsaal stattfindende erste Lesung des Pflegeberufekammergesetzes. Die Gewerkschaft kritisiert das Regelwerk als Mogelpackung und politischen Offenbarungseid und forderte ein Umdenken und die Suche nach Alternativen. Die Befürworter der Kammer, darunter der Pflegerat Schleswig-Holstein (PRSH), sehen in ihr hingegen einen Garanten für mehr Selbstständigkeit und Mitbestimmung der Pflege.
Der PRSH-Vorsitzende Frank Vilsmeier bezeichnete die Stimmungsmache von Verdi und bpa gegen das Gesetz als skandalös. Er warf beiden vor, die Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen „mit angsterzeugenden und unhaltbaren Argumenten wider besseren Wissens" gegen eine Pflegekammer in Stellung zu bringen. Was die Gewerkschaft und die privaten Pflege-Anbieter – und damit die Arbeitgebervertreter – in ihrem Widerstand eine, sei, „dass sie sich von einer starken Selbstverwaltung der Pflegenden bedroht fühlen". Statt Geld und Personal auf die Verhinderung einer Stärkung der beruflichen Vertretung der Pflege zu verwenden, so Vilsmeier, sollten die Demonstrationsführer lieber für eine Verbesserung des Pflegeberufes und seiner Einkommensverhältnisse kämpfen.
Verdi hingegen bestreitet, dass die Kammer einen echten Nutzen für die Berufsangehörigen bringt. Gerade bei jenen Themen, die am wichtigsten für eine besser Pflege seien, wie eine gesetzliche Personalbemessung, faire Arbeitsbedingungen und höhere Vergütungen, könne eine Kammer nichts bewegen oder bewirken, sagte etwa der Fachbereichsleiter für Pflegeberufe im Verdi-Landesbezirk Nord, Steffen Kühhirt, im Vorfeld der Protestaktion vor dem Kieler Landtag. Stattdessen verdrehe sie demokratische Grundwerte.
Denn die Mitgliedschaft in einer Pflegekammer wäre für alle Berufsangehörigen verpflichtend, ob sie deren Bestehen nun befürworten oder nicht. Dasselbe gelte für das Zahlen der anfallenden Mitgliedsbeiträge von schätzungsweise 120 bis 150 Euro im Jahr. Da ein Austritt nicht möglich wäre, drohe im Falle der Verweigerung eine Pfändung oder sogar die berufliche Aberkennung, was einem Berufsverbot gleiche.
„Was bleiben wird, ist ein nachhaltiges Lohnminus für die Beschäftigten ohne Gegenleistung und ohne demokratische Kontrolle", heißt es in einer Stellungnahme der Gewerkschaft. Denn sie fürchtet, durch die Kammer entstehe ein „Versorgungswerk für politische Funktionäre". Den Verweis von Kammer-Befürwortern auf andere Berufsgruppen mit eigenen, starken Standesvertretungen lässt Verdi dabei nicht gelten. Im Gegensatz zu Ärzten oder Architekten seien Pflegekräfte nun einmal größtenteils abhängig beschäftigt und nicht selbstständig.
Widerspruch erntet die Gewerkschaft hier ausgerechnet von ihrem eigentlichen Partner, der SPD. Denn deren pflegepolitische Sprecherin in der Kieler Landtagsfraktion, Birte Pauls, selbst ausgebildete Krankenschwester und „aus tiefster Überzeugung" pro Kammer, hält gerade das Zusammenspiel von Ärztekammer und Marburger Bund, der Gewerkschaft angestellter und beamteter Ärzte, für ein hervorragendes Beispiel. „Die machen uns doch vor, wie es gehen kann". Kammer und Gewerkschaft hätten völlig unterschiedliche Aufgaben und könnten viel erreichen, wenn sie an einem Strang zögen.
Verdi wiederum kritisiert die Grundlage der Gesetzesinitiative der Landesregierung. Deren Umfrage unter Berufsangehörigen habe lediglich 1.000 Teilnehmer erreicht, von rund 38.000 in der Pflege Beschäftigten insgesamt. Damit sei das Ergebnis, das ohnehin nur knapp pro Kammer ausgefallen wäre, nicht repräsentativ. Der Landespflegerat hingegen betonte heute in seiner Stellungnahme: Die Pflegekammer als künftiges Organ einer starken Selbstverwaltung sei erklärtes Ziel des PRSH sowie auch sämtlicher im Deutschen Pflegerat organisierten Verbände. „Wir wissen, dass eine schweigende Mehrheit der Pflegenden auf die richtige Entscheidung der politisch Verantwortlichen hofft", so Vilsmeier.
Drinnen im Kieler Landtag wird heute Nachmittag über das Gesetz beraten. Gegen 15.40 Uhr soll dann die Abstimmung erfolgen.
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