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Der Feind meines Feindes…

Der Streit um die Pflegekammer belastet traditionelle Bündnisse und führt zu neuen, nicht reibungsfreien Allianzen. Die Stimmung ist aufgeheizt, die Argumentation mitunter polemisch. Schaden wird das vor allem den Pflegenden selbst: Eine Berufsgruppe wird nicht gestärkt, wenn solange gestritten wird, bis jedes Vertrauen in organisierte Interessensvertretung zerstört ist.

 

Es ist schon eine muntere Gemengelage, die sich dieser Tage in Kiel beobachten ließ. Dort wurde im Landtag über das von der Landesregierung eingebrachte Gesetz zur Einführung einer Pflegekammer beraten. Gleichzeitig hatten vor dem Gebäude die Kammergegner mobilisiert.

Drinnen lobten Sozialdemokraten und Grüne die Kammer als Schritt zu mehr Eigenständigkeit und Professionalisierung für die Pflege. Draußen wetterten Gewerkschafter gegen die Verkehrung demokratischer Grundwerte wie Teilhabe und Solidarität. Ihnen zur Seite standen Arbeitgebervertreter, die damit auch die Forderung nach einer gesetzlichen Personalbemessung, fairen Arbeitsbedingungen und höheren Vergütungen unterstützten. Im Sitzungssaal wiederum argumentierte die CDU quasi wortgleich mit der Gewerkschaft.

Die Debatte um die Pflegekammer - sie wirbelt einiges Durcheinander, nicht nur in Kiel. In mittlerweile 8 Bundesländern wird um die Einführung einer eigenen Standesvertretung für die Pflege gerungen, mal lauter, mal leiser. Das Thema sorgt für Beziehungsstress in eingeschworenen Partnerschaften und schafft neue Konstellationen, die mitunter für verblüfftes bis irritiertes Augenreiben sorgen.

Einig sind sich alle Beteiligten lediglich darin, für die Belange der Pflege zu sprechen. Plötzlich, so scheint es, möchten landauf, landab alle die Berufsgruppe der Pflegenden schützen - vor politischem Kalkül, vor dem Streben nach Macht oder dem Machterhalt und vor den rein eigennützigen Interessen der jeweils anderen. Entsprechend wird auch darum gestritten, wer überhaupt legitim für die Pflege sprechen darf.

Berufsverband? Pflegerat? Gewerkschaft? Trägerverband? Vertreten alle nur ihre Mitglieder, aber nicht die Pflege als Ganzes, lautet die übereinstimmende Kritik aller Beteiligten an die Adresse des jeweils anderen. (Eine legitime Stimme für die „Schicksalsgemeinschaft" der beruflich Pflegenden freilich könnte nur eine Kammer besitzen, aber da beißt sich die Katze in den Schwanz.)

Es sind absolute Positionen, die diese Debatte bestimmen. Deshalb kann es nur ein Ja oder ein Nein zur Pflegekammer geben. Konsens ausgeschlossen. Und weil eine Seite somit zwangsweise verlieren muss, werden die Gräben tiefer, wird die Auseinandersetzung schärfer. Manch einer rüstet rhetorisch auf.

„Alles ist besser für die Pflege als eine Kammer", schrieb sich etwa der FDP-Abgeordnete Heiner Garg in Kiel ins Redemanuskript. Wie „alles" konkret aussehen oder erreicht werden könnte, verschwieg er allerdings genauso wie die übrigen Redner im Landtag.

Die pflegepolitische Sprecherin der SPD, Birte Pauls, wiederum, die sich von Garg vorhalten lassen musste, sich selbst ein Denkmal und eine „Birte-Pauls-Gedächtnis-Kammer" errichten zu wollen, entrüstete sich über die „stereotypen Wiederholungen von Falschinformationen wider besseres Wissen" und das gezielte Schüren von Verunsicherung seitens der Opposition. Ganz so, als gehöre beides nicht zum politischen Handwerk.

Auch außerhalb der politischen Arena aber sind die Fronten inzwischen völlig verhärtet und werden die Argumente schriller.

So sieht Verdi nicht nur die Gehälter der Pflegenden in Gefahr, sondern gleich demokratische Grundwerte ins Gegenteil verkehrt. Von der Zwangsmitgliedschaft und den Zwangsbeiträgen (beides liegt nun einmal in der Natur der Sache) über die Schreckgespenster Lohnverlust, Pfändung und Berufsverbot bis zur fehlenden demokratischen Kontrolle und dem ebenso unkontrollierten Datensammeln (was spätestens seit Edward Snowden immer ein gutes Argument ist) ließ die Gewerkschaft nichts aus.

Den Befürwortern in den Pflegeverbänden schließlich warf sie (mehr in als zwischen den Zeilen) vor, nur auf bequeme Funktionärsposten aus zu sein. Die Reaktion war vorhersehbar.

„Ach, wissen Sie, wenn einem die Argumente ausgehen, wird es eben persönlich", kommentierte der Vorsitzende des Pflegerats Schleswig-Holstein (PRSH), Frank Vilsmeier, den Vorwurf im Interview mit Station24. Schließlich seien die Sachargumente längst widerlegt, jetzt werde es eben mit Angstmachen und Mythenbildung versucht.

Bewusste und wiederholte Falschaussagen durch Verdi und den bpa – diese „neue Allianz gegen die Professionalisierung der Pflege", die für sich genommen schon irritiere - kritisierte auch Burkhardt Zieger, Geschäftsführer des Regionalverbandes Nordwest im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK). So sei es schlicht nicht wahr, dass eine Kammer Berufsanerkennungen entziehen könne. Ein Armutszeugnis sei das und zeige, „um wen es Verdi tatsächlich geht – jedenfalls nicht um die Pflegenden".

Tatsächlich mutet es dann gänzlich bizarr an, wenn Verdi dem bpa zunächst vorwirft, sich ungebeten und unerwünscht selbst zu einer Demonstration der Gewerkschaft eingeladen zu haben, dann aber doch friedlich vereint die Fähnchen geschwungen werden.

Freilich, gegen Versammlungsfreiheit kann auch Verdi nichts tun. Aber es ist zumindest ungeschickt, einer Pflegekammer fehlende Durchschlagskraft in Sachen Arbeitsbedingungen und Gehalt vorzuhalten und gleichzeitig ausgerechnet Seite an Seite mit den Arbeitgebern zu demonstrieren. Das ist so, als würfe Greenpeace dem ADAC vor, nicht genug gegen die Verbreitung spritfressender Limousinen zu tun – in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Verband der Automobilhersteller.

Übrigens gibt es auch innerhalb der Gewerkschaft Stimmen für eine Pflegekammer. So veröffentlichte etwa das Verdi-Pflegenetzwerk an der Medizinischen Hochschule Hannover zum Jahresbeginn ein Positionspapier mit Argumenten für eine Kammer. Darin weisen die Autoren ausdrücklich darauf hin: Die von den Verdi-Gremien beschlossene Haltung spiegelt nicht die Meinung aller Mitglieder wider. Zudem habe sich in internen Befragungen an der MHH eine Mehrheit für eine eigene Standesvertretung ausgesprochen.

Die Grenzlinien in diesem verqueren Lagerkampf verlaufen also alles andere als gerade. In der aufgeheizten Stimmung drohen seriöse Einwände und berechtigte Kritikpunkte unterzugehen – zumal beide Seiten für sich in Anspruch nehmen, für die oft bemühte „schweigende Mehrheit" zu sprechen. PRSH-Chef VIlsmeier warnt nicht ganz unbegründet vor einer Spaltung der Berufsgruppe.

Verbale Abrüstung wäre also angezeigt.

Politiker, für die Streit zur Berufsdefinition gehört, wissen: So heftig eine Auseinandersetzung auch geführt wird und mitunter werden muss - spätestens wenn der Wähler dazu zwingt, muss das Gespräch gesucht und ein Konsens gefunden werden. Das klappt in der Regel auch ganz gut. Die Akteure in der Pflege sollten sich ein Beispiel nehmen, denn der Kampf untereinander schwächt nur die Berufsgruppe als Ganzes.

Anstatt auf dem Ja oder Nein, dem absoluten Entweder-oder zu bestehen, sollte in kritischen Punkten ein Konsens gesucht werden. Das wäre wünschenswerter als einem Diktat von außen Vorschub zu leisten, an dem eine zerstrittene Berufsgruppe (einmal mehr) keine Mitsprache hatte.

 

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