Der 1. Juni 2015 ist der nächste Meilenstein in der Gründungsgeschichte der ersten deutschen Pflegekammer. Dann übernimmt die derzeitige Geschäftsführerin des DBfK Nordost, Anja Kistler, den Geschäftsführerposten in der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz. Station24 sprach mit ihr über Aufgaben und Herausforderungen der neuen Position und ihre Erwartungen an die Selbstverwaltung für professionell Pflegende.
Frau Kistler, wie wird man eigentlich Geschäftsführerin der ersten deutschen Pflegekammer?
In den letzten Jahren ist mir immer klarer geworden, dass wir als Pflegende politisch werden müssen. Bislang haben wir in Deutschland auf das persönliche Engagement einiger weniger gesetzt. So habe ich mich für die Errichtung von Pflegekammern engagiert.
Eine gesetzlich verankerte und damit breit legitimierte Institution gibt uns Power ganz anderer Art. Wer fordert und Erwartungen hat, muss auch mitmachen. Also habe ich mich auf die Stelle beworben, um meine politische Erfahrung aus der DBfK-Arbeit sowie mein Know-how anzubieten.
Sie haben also bald ein historisches Amt inne. Wie gehen Sie damit um? Ist das ein Job wie jeder andere oder gar eine Last?
Da bin ich pragmatisch, wie Pflegende eben sind: Zunächst wartet ein Haufen Arbeit gepaart mit hohem Erfolgsdruck. Es ist nach wie vor Überzeugungsarbeit zu leisten, Transparenz herzustellen und alles zu tun, dass die Kammermitglieder von Beginn an Vertrauen in die eigene Institution gewinnen.
Es sind möglichst schlanke Strukturen aufzubauen, um nicht in die oft kritisierte Bürokratiefalle zu tappen. Das Ziel heißt Arbeitsfähigkeit, denn nur über Inhalte erreichen wir Veränderung. Ja, es ist eine besondere Aufgabe. Ja, zwischenzeitlich bleibt mir die Luft weg vor meiner eigenen Courage …
Was wird Ihre erste Amtshandlung am 1. Juni sein?
Die Geschäftsstelle hat Ihre Arbeit ja schon Anfang dieses Jahres aufgenommen – ich muss also zügig auf den Stand kommen und natürlich das Team kennen lernen. Am ersten Arbeitstag ist Handeln noch nicht angesagt.
Was gehört noch zu Ihren Aufgaben?
Das ist im Heilberufsgesetz grundlegend geregelt: Als Geschäftsführerin habe ich die laufenden Verwaltungsgeschäfte zu führen, auf Weisung des Vorstandes zu handeln und die Beschlüsse des Vorstandes auszuführen. Sie sehen, die Kammerarbeit wird von einem gewählten ehrenamtlichen Vorstand, der aus Pflegenden besteht, vorgegeben.
Wie lange werden Sie im Amt sein?
Als Geschäftsführerin bin ich hauptamtlich tätig und habe erst einmal einen bis Ende 2018 befristeten Arbeitsvertrag. Das ist ein guter Zeithorizont, um zu zeigen, ob oder dass ich die Richtige für die Aufgabe bin. Dem Gründungsausschuss war wichtig, dass auch die Geschäftsführung mit pflegerischem Hintergrund besetzt wird – in den etablierten Kammern ist es nicht unüblich, diese Position fachfremd zu vergeben.
Was haben Sie persönlich als gelernte Krankenschwester für Erwartungen an die Interessenvertretung?
Die Aufgaben von Pflegekammern sind gesetzlich festgelegt. Den Einfluss, den wir über die Pflegekammern erreichen werden, gilt es zu entwickeln. Denn: Die Kammer ist nur so schlagkräftig, wie ihre Mitglieder, die sich einbringen.
Der große Vorteil ist, dass Ressourcen für die inhaltliche Arbeit zur Verfügung stehen, die gezielt und klug eingesetzt werden. Für mich persönlich sind statistische Auswertungen wichtig – Politiker fragen immer nach Zahlen: Berufsverbleib in Jahren, Wechsel in ein anderes Bundesland, Abwandern ins Ausland, Qualifikation, Spezialisierung und Lebensalter.
Meine Erfahrung zeigt, dass Kammern gehört werden. Als Pflegende erwarte ich, dass wir Gesundheits- und Pflegepolitik als wichtiger Player mitgestalten!
Um die Selbstverwaltung für die professionelle Pflege gibt es immer noch hitzige Diskussionen, die die Branche spalten. Sehen Sie sich da auch in der Rolle einer Vermittlerin?
Die Meinungsmache „Contra" erfolgt offensichtlich vorrangig interessensgeleitet und meist populistisch: Verhindern einer starken Berufsgruppe „Pflege", die informiert ist – verhindern von fachlichen Standards – Macht und Einfluss nicht teilen wollend. In der Diskussion geht es leider schon lange nicht mehr um Inhalte. Ich trete aber für Inhalte und deren Umsetzung ein. Hier sehe ich meine Rolle und die Gesprächsebene.
Erleben wir gerade ein berufspolitisches Erwachen unter Pflegenden?
Das wäre gut! Mir sind die Aktivitäten immer noch zu dünn – es gilt für jeden Berufsangehörigen Gesicht zu zeigen und über eine Mitgliedschaft beispielsweise in Berufsverbänden die eigene Vertretung sicher zu stellen. Kammern sind nicht vorrangig berufspolitisch aktiv. Sie stecken den Rahmen für die Berufsausübung und agieren eher gesellschaftspolitisch. Sie wirken damit mittelbar auch auf die Arbeitsbedingungen.
Warum kommt das erst jetzt?
Es kann sich niemand mehr vorstellen, den Pflegeberuf in der direkten Versorgung zu Pflegender bis zur Rente hin auszuüben. Das ist die Hauptkrise in der wir stecken. Schlechte Arbeitsbedingungen gehen mit drei Hauptkonsequenzen Hand in Hand: Berufsausstieg, innere Kündigung, Krankheit … oder eben mit Engagement.
In den USA und Großbritannien gibt es schon länger Pflegekammern. Warum hinken wir in Deutschland so hinterher?
Lange Geschichte – hier der Versuch es kurz zu machen: Wir haben es nicht geschafft, eine eigenständige berufliche Identität zu definieren und gesellschaftlich zu leben und darauf stolz zu sein. Das hat sicherlich unter anderem auch mit unserer Position als nicht-akademisierte Profession im Umfeld akademischer Berufe zu tun.
Was wollten Sie den Kammergegnern schon immer einmal sagen?
Hört endlich auf, Populistisches in Verbindung mit Halbwahrheiten zu verbreiten! Wenn Kammern wirklich so ungeeignet sind, dann setzt eure Energie für die Abschaffung des gesamten Kammerwesens ein!
Wie sind Sie eigentlich zur Berufspolitik gekommen?
Erst im Studium habe ich begonnen, mich mit (Berufs-)Politik intensiver zu beschäftigen: Was hängt wie zusammen? 1996 habe ich auch das erste Mal etwas von Pflegekammern gehört – damals hieß es allerdings noch, dass wir nicht verkammert werden können, da wir eine Semi-Profession seien.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Pflege?
Gesellschaftliche Anerkennung in Form von Geld und guten Arbeitsbedingungen fällt nicht vom Himmel – diese gilt es einzufordern und zu erstreiten! Hierzu brauchen wir Gewerkschaften, Berufsverbände und als dritte Säule in allen Bundesländern auch Pflegekammern. Ich wünsche mir und arbeite dafür, dass Pflegefachpersonen ihre Interessensvertretungen wichtig finden und Mitgliedschaft selbstverständlich ist.
Frau Kistler, herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Johanna Kristen.