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Interview mit Andreas Westerfellhaus

Klinikreform für Pflegerat nur „Mangelhaft"

Im ersten Teil des Sommerinterviews mit Station24 beurteilt Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates, die Pflege- und Krankenhausreform aus Sicht der professionellen Pflege.

Herr Westerfellhaus, welche Note geben Sie der großen Koalition und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) für ihre Pflegepolitik nach der Hälfte der Legislaturperiode?

Es ist sicherlich schwer, die gesundheitspolitische Leistung der Regierungskoalition an einer Note festzumachen. Wenn ich Noten für einzelne Themenbereiche vergeben darf?

Gern, vielleicht beginnen Sie mit der Pflegepolitik, also insbesondere den beiden Pflegestärkungsgesetzen (PSG)?
Für diesen Bereich der Pflegepolitik gebe ich der Regierung die Note zwei bis drei. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat zusammen mit dem Pflegebeauftragten Karl-Josef Laumann dem Thema eine neue Bedeutung verliehen, allerdings bezieht sich das fast ausschließlich auf Leistungssteigerungen im Rahmen des Sozialgesetzbuchs XI (SGB XI). Insbesondere begrüßen wir, dass im Rahmen des PSG II endlich der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt werden soll, Pflegebedürftige künftig also nicht mehr auf Basis ihrer Defizite, sondern ihrer noch vorhandenen Fähigkeiten in verschiedene Pflegegrade statt der bisherigen Pflegestufen eingeordnet werden sollen. Das führt insbesondere zu Verbesserungen für Demenzerkrankte. Es hat lange gedauert, fast ein Jahrzehnt, um zu dieser Reform zu kommen. Ich begrüße sehr, dass sie nun endlich kommt.

Weshalb erhält die schwarz-rote Koalition für die Pflegestärkungsgesetze denn keine Eins von Ihnen?
Die Einschränkung ergibt sich aus Zweifeln an der künftigen Finanzierung des Volumens der Leistungsverbesserungen und der ungeklärten Frage des Fachkräftemangels.

Welche Note erhält die Politik vom Deutschen Pflegerat (DPR) für die Krankenhausreform, die sich derzeit im parlamentarischen Verfahren befindet?
Aus Sicht der Profession der Pflege ist bei dieser Reform eigentlich nur das Pflegestellenförderprogramm zu nennen. Da dies aber hinten und vorne nicht reichen wird, um die desolate Personalsituation in den Kliniken zu verbessern, kann ich keine bessere Note als mangelhaft vergeben.

Weshalb?
Das Pflegestellenförderprogramm verdient seinen Namen nicht. Die Zahlen sind schön gerechnet. Die vorgesehenen 660 Millionen Euro reichen gerade einmal für zwei Stellen je Krankenhaus in Deutschland. Mit einem solch geringen Personalzuwachs lassen sich nicht mal die aufgelaufenen Überstunden abfangen. Es ist auch kein Ansatz zu erkennen, wie sich das DRG-System umgestalten lässt, damit die in den Fallpauschalen für die Pflege vorgesehenen Mittel auch wirklich verpflichtend für die Finanzierung des Personals in der Pflege verwendet werden. 

Was halten Sie von der geplanten Expertenkommission, die dieser Frage nachgehen soll?
Noch ist völlig offen, wer wann mit wem über diese Frage sprechen soll. Es ist schon viel zu viel Zeit vergangen. Das Problem muss endlich angepackt werden.

Wie beurteilen Sie die Forderung der SPD, das Programm auf 1,3 Milliarden Euro zu verdoppeln?
Es fehlen in Deutschland 50.000 Pflegestellen. Um diese zu finanzieren, wären 2,5 Milliarden Euro pro Jahr nötig. Dann hätten wir den Stand des Jahres 2007 wieder erreicht. Was mich ärgert sind Aussagen einiger CDU-Politiker, dass es zu wenig Pflegefachkräfte gibt, die Stellen also ohnehin nicht besetzt werden können und es deshalb keinen Sinn ergibt, mehr Geld bereit zu stellen. Offenkundig haben diese Politiker das Problem nicht erkannt. Oder sie liefern eine Bankrotterklärung.

Was ist an dem Argument falsch?
Die Frage lautet doch, warum es diesen Mangel gibt. Warum verlassen meine Kolleginnen und Kollegen den Beruf? Doch nur, weil es auf den Stationen zu wenig Kolleginnen und Kollegen gibt. Sobald wieder mehr Stellen geschaffen werden, steigt erstens die Bereitschaft zu bleiben, und zweitens kämen dann wohl auch wieder Personen zurück, teils auch aus der Teilzeit, die eine entsprechende Ausbildung haben, aber aufgrund der Arbeitsverdichtung und des in den zurückliegenden Jahren gestiegenen Drucks den Beruf aufgegeben haben.

Wie beurteilen Sie das Kernanliegen der Krankenhausreform, die Klinikplanung und -vergütung an Qualität auszurichten und leer stehende Betten abzubauen?
Ich habe Zweifel, ob Pflegestellen, die im Zuge des Schließens von Häusern wegfallen, wirklich in anderen aufgebaut werden. Vor allem aber ist in der Reform kein übergeordnetes Ziel zu erkennen. Welche Krankenhauslandschaft wollen wir uns als Gesellschaft leisten? Einfach nur zu sagen, es gibt leer stehende Betten und deshalb können wir Klinikstandorte schließen, ist kurzsichtig.

Inwiefern?
Leer stehende Betten verursachen keine Kosten. Es ist aber teuer, medizinische Kapazitäten vorzuhalten. Wir müssen uns fragen, was wir uns da leisten wollen.

Haben wir aus Ihrer Sicht Überkapazitäten?
Fakt ist, dass das angeblich beste Gesundheitssystem der Welt im vergangenen Winter beinahe wegen einer einfachen Grippe-Epidemie zusammengebrochen wäre. Da lagen Patienten unter menschenunwürdigen Bedingungen in Flurbetten. Das ist aber nur die Gegenwart. Wir erleben gerade einen enormen Zustrom von Flüchtlingen. Ist unser Gesundheitssystem darauf eigentlich vorbereitet?  Möglicherweise kommen durch die Menschen, die zu uns flüchten, aber auch durch unsere eigene immer weiter wachsende Reisetätigkeit neue oder bereits für besiegt gehaltene Krankheiten nach Deutschland. Angesichts dieser Unwägbarkeiten warne ich davor, leichtfertig die Kapazitäten in den deutschen Krankenhäusern herunterzufahren.

Wenn Sie den Minister nun persönlich benoten, welche Kopfnote geben Sie ihm?
Alle Reformansätze, die wir bisher sehen, beantworten eine entscheidende Frage nicht: Wie bewältigen wir den sich abzeichnenden gigantischen Fachkräftemangel im Gesundheitswesen? Es ist sicher gut und wichtig, die Leistungen der Sozialversicherungen zu verbessern. Aber jede Reform, egal ob im Krankenhaus, in der ambulanten oder der stationären Pflegeeinrichtung, wird scheitern, wenn nicht zugleich die Frage beantwortet wird: Mit wem wollen wir das künftig alles leisten? Und da sind wir bei der zentralen Frage, nämlich den Rahmenbedingungen für die professionelle Pflege.

Woher soll zusätzliches Personal kommen? Herr Gröhe sagt, wir haben in Deutschland derzeit Rekordausbildungszahlen in der Altenpflege.
Diese Aussage ist absurd. Erstens kann ich diese vermeintlichen Rekordzahlen in keinster Weise nachvollziehen. Zweitens ist doch entscheidend, wer am Ende nach drei Jahren auch einen Abschluss macht und damit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Immer mehr Auszubildende in der Pflege steigen vor ihrem Abschluss aus, weil sie die Belastungen schon während ihrer Lehrzeit nicht aushalten. Ich habe gerade erst ein Beispiel von einer Auszubildenden in der Krankenpflege gehört, die mir berichtet, dass ihre Kolleginnen keine Zeit fanden für praktische Anleitungen und sie teilweise völlig auf sich alleine gestellt war. Das ist eine absolute Überforderung. Mich ärgert es sehr, wenn diese Tatsachen einfach weggewischt werden, indem auf vermeintliche Rekordzahlen in der Pflegeausbildung verwiesen wird. Ich widerspreche ausdrücklich der These von der Rekordausbildung in der Pflege.

Gibt es konkrete Zahlen, anhand derer sich ablesen lässt, wie viele Personen eine Ausbildung beginnen und beenden?
Es gibt leider keine repräsentativen Zahlen über die Ausbildungssituation in der Pflege. Ich höre aber viele Klagen von Ausbildungseinrichtungen in der Gesundheits- und Krankenpflege, dass sie völlig unterausgelastet seien.

Was müsste den geschehen?
Nötig ist eine vor allem eine bessere Datenlage. Es muss erhoben werden, wie viele Personen eine Ausbildung in der Pflege anfangen und wie viele diese beenden.

Wie lassen sich dann mehr Menschen für die Pflege gewinnen?
Zunächst ist festzuhalten, dass unser Beruf nach wie vor sehr attraktiv ist. Aber es schlägt sich zum Teil auch einfach die demografische Entwicklung nieder. Ich komme aus einer Region, die in diesem Jahr 20 Prozent weniger Schulabgänger hat als noch vor zehn Jahren. Das Gesamtpotenzial an jungen Menschen, die eine Ausbildung anfangen können, schrumpft also. Es wäre doch sehr überraschend, wenn sich dies ausgerechnet in der Pflege nicht niederschlagen würde. Es gibt 20 Prozent weniger junge Leute für die Industrie, für die Pflegeausbildung und fürs Medizinstudium.

Das Interview führte Dr. Stephan Balling.

Der zweite Teil des Interviews erscheint in wenigen Tagen auf diesem Portal.

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