Die Krankenhäuser positionieren sich in der Debatte um die Reform der Pflegeausbildung. Sollte Deutschland nicht bald vorankommen, drohen Strafen der Europäischen Kommission.
Kommt sie nun oder kommt sie nicht? In den zurückliegenden Wochen hat sich der Streit über die Frage, ob in Deutschland die bisherigen drei getrennten Ausbildungsgänge in der Gesundheits- und Krankenpflege, der Kinderkrankenpflege und der Altenpflege zu einem einzigen generalistischen Berufsbild zusammengefügt werden sollen, verschärft. Zunächst distanzierte sich öffentlich der pflegepolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Erwin Rüddel, der dann aber alsbald Unterstützung von seinem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Georg Nüsslein bekam. In der Union, so scheint es, kämpft Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe nun gegen die eigene Fraktion, um der Generalistik doch noch zum Durchbruch zu verhelfen.
Dabei eilt die Zeit. Deutschland muss bis zum 18. Januar 2016 die europäische Berufsanerkennungsrichtlinie umsetzen. Zwar ist das Bundeskabinett hier einen ersten Schritt gegangen, indem es Mitte Oktober ein Gesetz auf den Weg gebracht hat zur Einführung des europäischen Berufsausweises, der nach den Worten von Minister Gröhe „die Anerkennung von EU-Diplomen für Gesundheitspersonal" verbessern soll. „Dadurch können Apotheker, Pfleger und Physiotherapeuten leichter dort tätig sein, wo sie gebraucht werden", erklärte der CDU-Mann nach dem Beschluss. Aber damit ist allenfalls ein Teil der Richtlinie umgesetzt. „Deutschland muss laut der EU-Richtlinie den Nachweis erbringen, dass die Ausbildungsinhalte in der Gesundheits- und Krankenpflege vergleichbar sind jenen, die in anderen Ländern im Rahmen eines Studiums erworben werden. Dieser Nachweis steht noch aus", erklärt Carsten Drude, Vorsitzender des Bundesverbandes Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe (BLGS), auf Anfrage von Station24 und BibliomedManager. Die Frist hierfür läuft Anfang nächsten Jahres ab.
Gedacht war, dass Deutschland seiner Verpflichtung im Rahmen des neuen Pflegeberufegesetzes nachkommt. Wenn ohnehin die Ausbildung in den drei Berufen auf neue gemeinsame Füße gestellt wird, so der Gedanke, dann können in diesem Zuge auch die Brüsseler Vorgaben für die Krankenpflege umgesetzt werden. Doch obwohl die federführenden Ministerien für Gesundheit und Familie seit Monaten den Start des Gesetzgebungsverfahrens ankündigen, herrscht noch immer Schweigen. Was wären die Folgen, wenn Deutschland die Frist verpasst? Auf Anfrage erläutert ein Sprecher der EU-Kommission: „Wird EU-Recht nicht fristgerecht umgesetzt, kann die Europäische Kommission Vertragsverletzungsverfahren einleiten." Das Verfahren umfasse dabei mehrere Schritte. Zunächst ersuche Brüssel die Mitgliedstaaten, Rechtskonformität herzustellen. „Wenn die Regierung nicht oder nicht zufriedenstellend antwortet, strengt die Kommission beim Europäischen Gerichtshof ein Verfahren an. Falls ein Mitgliedstaat es versäumt, Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie mitzuteilen, kann die Kommission in dieser Phase beim Gerichtshofs die Auferlegung einer pauschalen Strafzahlung oder eines Zwangsgelds beantragen."
Der zähe Streit über die Generalistik könnte die Bundesrepublik also noch teuer zu stehen kommen. Dabei zeigen sich etwa die Krankenhäuser durchaus offen für die Reform. Anfang September befürwortete die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) in einem Schreiben an die zuständigen Ministerien die Reform hin zu einer generalistischen Pflegeausbildung „unter der Voraussetzung, dass die Qualität der Pflegeausbildung erhalten bleibt und deren Finanzierung gesichert ist". Das Schreiben liegt Station24 und BibliomedManager vor. Man lege aber Wert darauf, dass der Fortbestand der Pflegeschulen an den Krankenhäusern gesichert sei, heißt es darin. Anlass war ein früher Arbeitsentwurf für das Gesetz aus den Ministerien, der im Frühsommer öffentlich geworden war.
Die DKG nannte aber auch einige „problematische inhaltliche Punkte". So bestehen die Krankenhäuser darauf, dass die Ministerien zeitgleich mit einem Referentenentwurf für das neue Gesetz auch einen Entwurf der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung erarbeiten, „um die generalistische Ausbildung angemessen bewerten zu können". Des weiteren wehrt sich die DKG gegen die Gefahr, dass die Krankenhäuser im Rahmen der praktischen Ausbildung zu Rotationsstellen für die Auszubildenden degradiert werden. Nicht umzusetzen sei der vorgesehene Pflichteinsatz aller Pflegeazubis im pädriatischen Bereich von Krankenhäusern. Es sei daher zu prüfen, „inwiefern weitere außerklinische Bereiche für den Pflichteinsatz im pädriatischen Bereich geeignet" seien.
Die DKG plädiert des weiteren dafür, künftig auch eine bundeseinheitlich geregelte Pflegeassistenzausbildung zu schaffen, um auch jungen Kandidaten mit niedrigem Schulabschluss weiter den Weg in die Pflege offen zu halten. Außerdem solle die Probezeit weiter bei sechs Monaten liegen und nicht auf vier verkürzt werden. Bei der akademischen Pflegeausbildung hält die DKG die anvisierten drei Jahre für zu kurz.Die Krankenhäuser äußern sich auch zur Frage der Finanzierung, dem Vernehmen nach bisher ein Kernpunkt des Streits bei der stockenden Gesetzesarbeit. Zunächst fordern sie eine Klarstellung über die in dem Arbeitsentwurf nicht näher definierte „zuständige Stelle", die künftig den Fonds für die Finanzierung der Ausbildung verwalten solle. Bezweifelt wird, dass das bisher genannte Finanzierungsvolumen für die Einführung der Generalistik ausreicht. Die Ministerien gehen von Mehrkosten in Höhe von 300 Millionen Euro aus. Das gesamte Volumen für die Finanzierung der Ausbildung würde damit auf 2,7 Milliarden Euro pro Jahr steigen. Die DKG erwartet dagegen einen „zukünftigen Gesamtbetrag zur Finanzierung der generalistischen Ausbildung in Höhe von mehr als drei Milliarden Euro pro Jahr".
Die Differenz resultiere aus der zu geringen Berücksichtigung künftig kostenerhöhender Faktoren. „Insbesondere der Umfang der zukünftigen Praxisanleitung, eine politische gewollte Erhöhung der Ausbildungsplätze in der Pflege und eine ggf. weitere Anpassung des zukünftigen Anrechnungsschlüssels wirken kostenerhöhend", warnt die DKG in ihrem Schreiben. Auch bei den Bestimmungen zu Art und Herkunft der Mittelaufwendung, also der Finanzierungsquote, besteht aus DKG-Sicht noch „deutlicher Anpassungsbedarf".
Der BLGS zeigt sich trotz der vielen Kritikpunkte optimistisch: „In vielen Bereichen stimme ich der Einschätzung der DKG zu – es sind in der Tat noch einige Aspekte des neuen Pflegeberufegesetzes ungeklärt, aber aus meiner Sicht nicht unlösbar", sagt Drude gegenüber Station24 und BibliomedManager. „Die konkrete Kritik, zum Beispiel an der kurzen Probezeit, teile ich uneingeschränkt." Auf die Problematik, im stationären pädiatrischen Pflegebereich ausreichende Einsatzmöglichkeiten zu finden, habe der BLGS in vielen Gesprächen bereits hingewiesen. „Die Sorge, dass Krankenhäuser zu „Rotationsstellen" für Auszubildende degradiert werden könnten, teile ich allerdings nicht", widerspricht er den DKG-Befürchtungen. Bereits nach geltendem Gesetz hätten die Schüler eine große Anzahl von Fachbereichen zu durchlaufen. „Hier muss die qualitativ hochwertige Ausbildung im Vordergrund stehen und nicht die Verwertbarkeit von Auszubildenden als Arbeitskraft."
Dass auch die Krankenhäuser die Reform im Grundsatz begrüßen, zeigt das neue Polit-Journal der Christlichen Krankenhäuser in Deutschland (CKiD). Dort heißt es zu Beginn: „Die Generalistik erzeugt einen Schub für die Pflegequalität". Der BLGS-Vorsitzende Drude schreibt in einem Gastkommentar: „Gute Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass die Vorteile für alle Arbeitsbereiche und Settings in der Pflege überwiegen und moderne Ausbildungswege attraktiv für Nachwuchskräfte sind. Im Wettbewerb um junge Nachwuchskräfte erwarten die Ausbildungsstätten daher seit Langem mit Spannung die Veröffentlichung und das Inkrafttreten des neuen Pflegeberufegesetzes."
Anette Weinert, Pflegedirektorin am Albertinen-Krankenhaus in Hamburg-Schnelsen, berichtet über die zehnjährige Erfahrung der generalistischen Ausbildung in ihrem Haus. Durch die damals in Hamburg bereits realisierte dreijährige Altenpflegeausbildung hätten gute Ausgangsbedingungen für ein solches Modellprojekt bestanden. „Entscheidender aber war die Überzeugung, dass die generalisierte Pflegeausbildung eine zukunftsorientierte Antwort auf das Zusammenwachsen Europas darstellt. Daran hat sich bis heute nichts geändert." Paradox: Zwischen Berlin und Brüssel könnte die Pflegeausbildung trotzdem für ernste Verstimmungen sorgen.