Ein besonderes Merkmal von Bundesratssitzungen sei „die ruhige Tonart", in der die Aussprachen stattfänden, ist über die „Atmosphäre" von Plenarsitzungen der Länderkammer auf der Internetseite des Bundesrats zu lesen. Mancher Beobachter mag eher das Attribut „langweilig" wählen, wenn er sich eine Debatte dort anhört. Doch am vergangenen Freitag wehte dann doch ein Hauch von Emotionen durch die Länderkammer, als es um die Reform der Pflegeausbildung ging. Der Eindruck bleibe, dass die grüne Gesundheitsminsiter Barbara Steffens aus Nordrhein-Westfalen (NRW) das neue Pflegeberufegesetz stoppen wolle, erklärte die parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz in ihrer Antwortrede auf Steffens. Die Angesprochene hielt es kaum auf ihrem Platz, hatte sie sich doch zuvor in ihrer Rede ausdrücklich für eine Reform ausgesprochen, zugleich aber für die Verschiebung um ein Jahr plädiert.
Auch der Gesundheitsausschuss des Bundesrats hatte ebendies vorgeschlagen, und eine Mehrheit der Bundesländer folgte dieser Empfehlung. Vor dem Hintergrund der noch nicht vorliegenden Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sowie der fehlenden Finanzierungsverordnung könne die neue Ausbildung nicht vor dem 1. Januar 2019 starten, lautete eine Mitteilung. Bisher ist als Starttermin der Jahresbeginn 2018 geplant. Der Bundesrat stelle darüber hinaus fest, dass die Kosten, die mit der Reform für die Haushalte der Länder verbunden sein würden, im Gesetzentwurf der Bundesregierung nur unzureichend spezifiziert und ausgewiesen seien. Er bitte daher die Bundesregierung, im weiteren Gesetzgebungsverfahren gemeinsam mit den Ländern eine nachvollziehbare und vollständige Einschätzung der Kosten der Reform der Pflegeausbildung vorzunehmen.
Vor allem die Grünen haben sich als heftige Gegner einer generalistischen Ausbildung gezeigt, die die bisherigen drei Berufsbilder in der Gesundheits- und Kranken-, Gesundheits- und Kinderkranken- und Altenpflege zu einem gemeinsamen Berufsabschluss vereint. Inwieweit deshalb am Ende eine Mehrheit im von den Grünen maßgeblich mit dominierten Bundesrat stehen wird, ist fraglich. Auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat haben dabei die anstehen Landtagswahlen in drei Bundesländern massiven Einfluss.
In der Pflege sorgt die Verzögerungstaktik des Bundesrats für Entsetzen. Auf Anfrage der Fachportale Station24 und BibliomedManager äußerte Pflegepräsident Andreas Westerfellhaus scharfe Vorwürfe gegen die NRW-Gesundheitsministerin. „Ich teile die Aussage von Frau Widmann-Mauz. Frau Steffens geht es im Kern darum, die Einführung einer generalistischen Pflegeausbildung dauerhaft zu verhindern. Sie führt dazu an den Haaren herbeigezogene Argumente an, die längst widerlegt sind", erklärte Westerfellhaus. Eine weitere Verzögerung des Pflegeberufegesetzes führe zu Verunsicherung von Schulen, Trägern und Auszubildenden. „Die Blockierer der Reform verschärfen damit den Fachkräftemangel in der Pflege, weil junge Leute in dieser Situation erst mal abwarten, bevor sie eine Ausbildung beginnen", so Westerfellhaus weiter. „Deshalb benötigen wir dringend eine rasche Entscheidung und ein Bekenntnis zur Generalistik. Falls die Bundesländer das Pflegeberufegesetz blockieren, werden wir das nicht widerspruchslos hinnehmen", kündigte der Pflegepräsident an.
Zurückhaltender äußerte sich auf Anfrage Sylvia Bühler, Mitglied im Bundesvorstand der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi). Ihre Gewerkschaft fordere seit Jahren eine Reform der Pflegeausbildung mit bis zu zwei gemeinsamen Jahren und eine mindestens einjährige Vertiefung für die speziellen Kenntnisse in der Krankenpflege, Kinderkrankenpflege oder Altenpflege. Überfällig sei auch die Abschaffung des Schulgeldes in der Altenpflege. „Die Ausbildungsgebühren in diesen Mangelberuf sind unverantwortlich und müssen umgehend abgeschafft werden", forderte sie. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht unter anderem auch das vor, was bei allen Beteiligten auf große Zustimmung stößt.
Aus Bühlers Sicht ist es unterm Strich für eine letztendliche Bewertung des Gesetzentwurfs noch zu früh. Sie plädiert dafür, die Eckpunkte für die Verordnung zu den Inhalten der Ausbildung abzuwarten. Diese dürften in Kürze veröffentlich werden. Die Gewerkschafterin zeigt aber indirekt Verständnis für die Stellungnahme des Bundesrats zum Kabinettsentwurf für das Pflegeberufegesetz. Sie sagt: „Solange noch viele Fragen offen sind, geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit, schließlich darf es keine Einbrüche bei den Ausbildungszahlen geben."
Auf kein Verständnis dürfte diese Aussage sowie die Empfehlung des Bundesrats vom Freitag zur Verschiebung der Reform in der Bundesregierung stoßen. Der Pflegebeauftragter Karl-Josef-Laumann hatte in der vergangenen Woche eine eigene Kampagne zur Generalistik gestartet. Insbesondere hatte Laumann Bedenken der Altenpflege, bei so einer Reform benachteiligt zu werden, versucht zu zerstreuen. Aus seiner Sicht gewinne gerade die Altenpflege, sagte er bei einer Pressekonferenz auf Anfrage von Station24.
Die Befürworter der Pflege haben aber einen noch mächtigeren Verbündeten: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) höchstpersönlich. Er hat sich wiederholt als klarer Verfechter der Reform gezeigt. In der Frage der Generalistik muss der arbeitsame Minister erstmals sein politisches Geschick beweisen, Mehrheiten zu organisieren. Seit Beginn seiner Amtszeit vor gut zwei Jahren hat er so viele Gesetze vorgelegt wie wohl kaum ein Kabinettsmitglied vor ihm in einem solchen Zeitraum. Mehrheiten dafür zu finden, war nicht schwer, dank der übergroßen Mehrheit im Bundestag und eines gewissen Geschicks, die Gesetze so zu formulieren, dass sie nur selten der Zustimmung des Bundesrates bedürften.
Letzteres funktioniert bei der Generalistik nicht. In der eigenen Fraktion gelang es ihm bisher, die Kritiker der neuen Pflegeausbildung zu bändigen. Doch Gröhe braucht bald auch eine Mehrheit in der Länderkammer. Er hat vergangenen Freitag erst mal seine Staatssekretärin in die Arena geschickt und offen zum (Gegen-)Angriff blasen lassen. Es war ein erster Vorgeschmack auf die anstehenden Debatten.