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Entbürokratisierung

Blaupause für das System

Die Entbürokratisierung in der Altenpflege kommt nach Ansicht des Pflegebeauftragten zügig voran. Er will nun die Dokumentationspflichten der Krankenhäuser verschlanken. Doch das dürfte eine noch größere Herausforderung werden. 

 

„Schwester Juliane schreitet zum bürokratischen Teil ihres Berufes. Jeder Handgriff muss dokumentiert werden", berichtete ZDF-Moderatorin Dunja Hayali in ihrer Reportage aus einem Pflegeheim Ende September, um dann die Altenpflegerin selbst zu Wort kommen zu lassen. Was sie sich denn wünsche? „Noch mehr Anerkennung, weg mit den Akten, mehr Zeit am Bewohner, mehr Personal. Natürlich spielt auch Geld eine große Rolle", spricht die sympathische Schwester Juliane in die Kamera. „Wünsche, die wir ernst nehmen sollten", daraufhin Hayali.

Auf die Frage, wie etwa der Wunsch nach weniger Bürokratie erfüllt werden könne, was Politik leisten könne, verzichtet das ZDF. Ein pflegepolitischer Experte kommt nicht zu Wort, wie im vergangenen Jahr, als Hayalis Kollegin Maybritt Illner über die Pflege im Krankenhaus lieber mit Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery diskutierte als mit einem Vertreter der betroffenen Profession. Fakten und Kompetenz spielen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen offenkundig kaum noch eine Rolle, wichtiger sind Emotionen und Betroffenheit.

40 Prozent der Heime nutzen neues Dokumentationssystem
Dabei hätte es die Berufsgruppe verdient, wirklich ernst genommen zu werden. Das Fernsehen könnte seine Breitenwirkung nutzen, um auf eine Chance für die Pflege aufmerksam zu machen, die laut Aussagen des Pflegebeauftragten der Bundesregierung Karl Josef Laumann (CDU) bereits 40 Prozent der Pflegeheime nutzen – die neue Pflegedokumentation. „Das ist die größte Entbürokratisierung in dieser Wahlperiode. Solch eine Dimension finden Sie in keinem anderen Teil der Wirtschaft", sagte Laumann am gestrigen Montag stolz im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Brigitte Döcker für die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, Bernd Tews vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) und Elisabeth Beikirch, ehemalige Ombudsfrau zur Entbürokratisierung in der Pflege.

Über den Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2013 berichtet Laumann: „Die Leute hatten den Eindruck: Wir dokumentieren für die Prüfdienste." Deshalb habe er 2014 alle Medizinischen Dienste der Krankenkasse (MDK) in den Bundesländern besucht. Es sei gelungen, diese vom Strukturmodell, das Beikirch entwickelt hatte, zu überzeugen. „Damit war die Bahn frei für die Umsetzung. Es ist gelungen, eine neue Denke der Pflegedokumentation in Deutschland zu etablieren", ist der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium überzeugt und appelliert an die noch ausstehenden 60 Prozent der Häuser: „Diejenigen, die noch zurückhaltend sind, sollten nicht zu lange warten."

Folgt man dem CDU-Sozialpolitiker, ist sein Projekt ein Erfolg. Pflegekräfte müssen weniger dokumentieren. Von 30 Prozent weniger Schreibaufwand ist die Rede. Es bleibt mehr Zeit am Bett. Laumann sieht die Reform gar als Blaupause für das Gesundheitssystem. Die Schulen müssten rasch umstellen und die neue Dokumentationsart lehren. Über das künftige Potenzial bei der Entbürokratisierung der Pflege sagt er: „Es wäre hochinteressant, nach der Bundestagswahl den Krankenhaus-Bereich anzuschauen." Bis Jahresende sollen Einrichtungen der Tages- und Kurzzeitpflege bei der Umstellung gefördert werden. Zwischen September und Dezember sollen 40 Tages- und 15 Kurzzeitpflegeeinrichtungen die schlankere Dokumentation probeweise anwenden.

Der politische Ansatz, wie die bisherige Umsetzung der neuen Pflegedokumentation erfolgt sei, könne zum Vorbild werden. „So kann man auch andere Themen der Gesundheitspolitik angehen", sagt Laumann. Die enge Vernetzung der betroffenen Akteure sei eine zentrale Voraussetzung gewesen, auch, dass die Bundesregierung Gelder für die ersten Projekte bereitgestellt.

Erfahrungen aus der Altenpflege in die Krankenhäuser tragen
Doch bei aller Euphorie – und es lässt sich niemand finden, der das Projekt schlechtredet – warnen Experten auch vor zu hohen Erwartungen. Stichwort Lehre: Auf Anfrage von Station24 sagt Carsten Drude, Vorsitzender des Bundesverbandes Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe (BLGS) und Leiter der Katholischen Schule für Gesundheits- und Pflegeberufe Dortmund: „Es ist sicher richtig, dass wir schon in den Schulen die neue Denke der Pflegedokumentation lehren müssen, und dort wo ich das überblicken kann, geschieht das auch. Aber das entbindet uns nicht davon, auch den umfassenden Pflegeplan zu lehren, denn nur so lernen unsere Schüler, den gesamten Prozess einer Pflegeorganisation zu planen."

Drude unterstützt auch die Idee, die Erfahrungen aus der Altenpflege in die Krankenhäuser zu tragen. Doch auch hier ergäben sich durchaus Schwierigkeiten: „Die Menschen bleiben immer kürzer im Krankenhaus." Die neue Pflegedokumentation baue jedoch darauf auf, dass sie sich individuell am Patienten ausrichte. Dokumentiert werden sollen nur noch Unregelmäßigkeiten und Auffälligkeiten, aber nicht mehr das tägliche Waschen oder Anziehen, also mehr oder weniger die Tagesroutine. Doch im Krankenhaus gibt es aufgrund der kurzen Verweildauern kaum Routine in der Pflege, erklärt Drude.

Es bleibt noch viel Arbeit
Vor diesem Hintergrund sei es auch besonders wichtig, dass der Entwurf für das Pflegeberufegesetz in seiner jetzigen Fassung eine Mehrheit in Bundestag und Bundesrat finde: „Das gegenseitige voneinander Lernen und Partizipieren ist ein weiteres Argument für die Zusammenführung der Pflegeausbildungen in Richtung Generalistik", erklärt Drude. Zuletzt bemühte sich Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) um eine Kompromisslinie, die allerdings auf wenig Gegenliebe stieß.

Für die Fachkräfte in der Altenpflege scheint die neue Dokumentation in vielen Einrichtungen positive Veränderungen zu bewirken. Aber klar ist: Es bleibt noch viel Arbeit. Schließlich beteiligen sich 60 Prozent der Einrichtungen noch nicht an dem neuen System.

 

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