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Pflegeforschung

"Jeder soll auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Pflegeforschung zugreifen können"

Seit 1. November steht das pflegewissenschaftliche Journal „Klinische Pflegeforschung" frei zugänglich online zur Verfügung. Wir sprachen mit einem der vier Herausgeber, Dr. Stefan Köberich vom Universitäts-Herzzentrum Freiburg-Bad Krozingen, was zu dieser Entscheidung geführt hat und welchen Nutzen Leser davon haben.

 

Warum haben Sie sich entschlossen, eine neue pflegewissenschaftliche Zeitschrift ins Leben zu rufen und sie gleichzeitig für jeden zugänglich im Internet zu veröffentlichen?

Die Idee hat sich zum einen aus den eigenen Erfahrungen im Publikationsprozess und der wissenschaftliche Arbeit heraus entwickelt. Zum anderen hat sie sich aus unserer Auseinandersetzung mit Inhalten der offenen Wissenschaft ergeben. Das Stichwort lautet hier „Open Science". Die Idee, dass Ergebnisse von Studien, die durch die öffentliche Hand finanziert wurden, auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen, fand ich mehr als spannend und nachvollziehbar. Das gab es in der deutschsprachigen Pflegewissenschaft bisher nur eingeschränkt. Vorreiter in diesem Feld ist die „Zeitschrift für Pflegewissenschaft und psychische Gesundheit", die bereits 2007 mit dem Konzept des offenen Zugangs auf den Markt ging, aber leider seit 2010 keine Ausgaben mehr publiziert hat. Wir Herausgeber haben dies als Lücke identifiziert und uns nach einigen Überlegungen dazu entschlossen, den Faden wieder aufzunehmen und mit einem offenen Begutachtungsverfahren zu ergänzen.


Wie viele Ausgaben des Journals sind jährlich geplant?
Wir planen nicht in Ausgaben, sondern in Jahrgängen. Das bedeutet, dass Artikel nach ihrer Annahme direkt veröffentlicht werden können, ohne dass eine neue Ausgabe abgewartet werden muss. Für uns als Herausgeber hat das den Vorteil, dass wir keinen Zeitdruck haben, sondern in aller Ruhe die Autoren im Veröffentlichungsprozess begleiten können. Für den Autor ergibt sich der Vorteil, dass sein Manuskript schnell öffentlich zugänglich ist. Vorteil für den Leser ist, dass er zügig auf aktuelle Informationen aus der Pflegeforschung zugreifen kann. Die unter www.klinische-pflegeforschung.de registrierten Leser erhalten umgehend eine Informationsmail, wenn ein neuer Artikel online zur Verfügung steht, und bleiben damit immer auf dem Laufenden.

Was sind inhaltliche Schwerpunkte Ihres Journals?

Inhaltlich möchten wir uns auf wissenschaftlich generierte Erkenntnisse aus der Begegnung von professionell Pflegenden, Klienten und deren Bezugspersonen konzentrieren. Das klingt sehr zugespitzt, aber es besteht die Möglichkeit, neben Interventionsstudien auch klinisch-orientierte Übersichtsarbeiten und Fallberichte einzureichen. Darüber hinaus möchten wir gerne Forschungsberichte veröffentlichen, die bereits durchgeführte Studien in einem anderen oder durchaus auch wieder im selben Kontext durchgeführt haben, um somit zur Evidenzbasierung der Pflege beizutragen. Das wird unseres Erachtens viel zu wenig berücksichtigt. Häufig werden Manuskripte nach ihrem wissenschaftlichen Innovationspotenzial bewertet. Wird das Innovative an einer Studie nicht gesehen, wird das entsprechend eingereichte Manuskript oft abgelehnt. Aus Sicht der Herausgeber macht das Sinn. Schließlich will sich jede Zeitschrift damit rühmen können, einen neuen Trend gesetzt zu haben. Allerdings betrachten wir das als falsch verstandene Evidenzbasierung. Eine Intervention kann nur dann als erfolgreich bewertet angesehen werden, wenn sie bei wiederholter Evaluation und auch unter Alltagsbedingungen gute oder eben auch weniger gute Ergebnisse zeigt. Das wird allerdings nur selten geprüft.


Ist der Bedarf für solch ein spezifisches Journal überhaupt vorhanden?
Diese Frage haben wir uns in der Vorbereitungsphase auch immer wieder gestellt. Wir haben mit Kollegen gesprochen und versucht, hierauf eine Antwort zu finden. Tatsächlich ist die Gemeinschaft der Pflegeforscher in Deutschland trotz der zunehmenden Akademisierung immer noch recht übersichtlich. Viele Forschende werden allerdings im Rahmen der hochschulinternen Leistungsmittelverteilung geradezu gedrängt, in Zeitschriften zu veröffentlichen, die einen Impact-Faktor aufweisen. Das reduziert die potenziellen Autoren für eine Zeitschrift wie der unseren, die im Übrigen nicht darauf aus sein wird, für die Zuweisung von Impact-Faktoren gelistet zu werden. Wir halten Impact-Faktoren keineswegs für ein geeignetes Kennzeichen der wissenschaftlichen Güte einer Zeitschrift. Darüber hinaus existieren für den deutschsprachigen Raum qualitativ hochwertige pflegewissenschaftliche Zeitschriften. Auch das engt die Auswahl potenzieller Autoren für uns ein.

Wie wollen Sie dann also Leser und potenzielle Autoren überzeugen?

In dem von uns verfolgten Konzept, Artikel und Review-Verfahren öffentlich zugänglich zu machen, sehen wir eine Innovation, die es Pflegewissenschaftlern ermöglicht, ihre Ergebnisse zeitnah, transparent und für jeden zugänglich zu publizieren. Wir denken, dass diese Innovation im deutschsprachigen Raum eine Lücke füllt, die von den bisherigen Print- und Online-Zeitschriften nicht abgedeckt wird. Und: Wir ermuntern den akademischen Nachwuchs, erste Schritte in der wissenschaftlichen Veröffentlichungspraxis mit uns gemeinsam zu gehen. Wir bieten die Extra-Rubriken „Bachelorarbeit" und „Masterarbeit" an. Absolventen von Bachelor- und Masterstudiengängen können ihre Qualifikationsarbeiten im Artikelformat einreichen. Diese durchlaufen dann das Begutachtungsverfahren wie jedes andere Manuskript auch. Wir erhoffen uns dadurch, den Absolventen die Angst vor einer Publikation oder dem Publikationsprozess zu nehmen, besonders weil der Prozess transparent und öffentlich gestaltet ist.

An wen richtet sich das Journal konkret?
Das Konzept von „Klinische Pflegeforschung" verrät ein wenig über die von uns angestrebte Zielgruppe: Einerseits sind es die Akteure im Feld selbst, also professionell Pflegende. Andererseits – und darauf zielt vor allem der offene Zugang der Zeitschrift ab – die Öffentlichkeit, die nicht weiß, wie sie an wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Pflegewissenschaft kommt und wie sie diese zu verstehen hat. Um für diese zweite Zielgruppe das Verständnis zu erleichtern, verlangen wir von den Autoren, dass sie mit dem Manuskript eine laienverständliche Zusammenfassung einreichen. Diese muss so verfasst sein, dass auch meine Nachbarin, die nichts mit Pflege zu tun hat, die Studie, ihre Ergebnisse und ihre Auswirkung versteht. Wir sind gespannt, ob dieses Konzept in der von uns erhofften Weise angenommen wird.

Der Qualitätsanspruch jedes veröffentlichten Manuskripts ist hoch. Sie setzen unter anderem auf einen mehrköpfigen Beirat und ein aufwändiges Peer-Review-Verfahren. Wie finanzieren Sie das?

Ja, wir versuchen tatsächlich unseren Lesern eine gute Qualität anzubieten. Das hat seinen Preis. Aber diesen Preis bezahlen vor allem wir Herausgeber. Die ganze IT-Infrastruktur wird von der Universitätsbibliothek der Universität Freiburg zur Verfügung gestellt. Wir verwenden frei zugängliche Software während des gesamten Publikationsprozesses. Aber die Arbeit selbst leisten wir in unserer Freizeit. Darüber hinaus versuchen wir beispielsweise, Werbung für unsere Zeitschrift mit kleineren Spenden zu finanzieren. Wir denken ebenso darüber nach, mittel- und langfristig unser Projekt mit Crowdfunding zu finanzieren. Auch das wäre ein Novum in diesem Bereich.


Welche Ziele haben Sie sich auf die Fahne geschrieben? Was erhoffen Sie sich, mit dem Journal zu erreichen?
Unsere Ziele sind zunächst sehr bescheiden: Wir möchten als wissenschaftliche Zeitschrift wahrgenommen und akzeptiert werden. Wir sehen uns diesbezüglich im Übrigen nicht als Konkurrenz zu bereits bestehenden Zeitschriften, sondern vielmehr als Ergänzung zum bisherigen Angebot. Wahrgenommen und akzeptiert zu werden bedeutet auch, dass Manuskripte bei uns eingereicht werden. Wir sind gespannt, ob uns das gelingen wird.

Gibt es weitere Ziele?

Durchaus und diese sind weitaus ambitionierter. Wir möchten gerne zur Öffnung der (Pflege-)Wissenschaft beitragen. Offenheit für Jeden ist uns wichtig. Jeder soll auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Pflegeforschung zugreifen können – Stichwort Transparenz. Und jeder Leser soll verstehen und nachvollziehen können, welchen Entwicklungsprozess ein Artikel durch ein Begutachtungsverfahren genommen hat. Das heißt nicht, dass schlechte Artikel zu guten werden. Nein, es bedeutet lediglich zu sehen, welche interessanten und relevanten Perspektiven das Manuskript aufgrund der Expertenbegutachtung gewonnen hat. Im Übrigen werden die Autoren auch dazu aufgerufen, ihre Rohdaten für die Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, um die Ergebnisse nachvollziehen zu können. Das gibt es unseres Wissens nach hierzulande noch nicht für die Pflegewissenschaft. Momentan läuft das alles im Geheimen und nicht nachvollziehbar ab – wir möchten allerdings Nachvollziehbarkeit öffentlich machen. Ein hehres Ziel. Aber wir sind davon überzeugt, damit einen Beitrag für die Bewegung der sogenannten Offenen Wissenschaft in der Pflegewissenschaft leisten zu können.

Dafür alles Gute und herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Köberich.
Das Interview führte Nadine Millich.


Das sind die Herausgeber
  • Dr. Stefan Köberich, Universitäts-Herzzentrum Freiburg-Bad Krozingen
  • Anne Rebafka, MScN, Universitätsklinikum Freiburg
  • Dr. Johanna Feuchtinger, Universitätsklinikum Freiburg, Pflegedirektion, Stabstelle Qualität und Entwicklung in der Pflege (als Co-Herausgeberin)
  • Dr. Antje Koller, Universität Wien, Institut für Pflegewissenschaft (als Co-Herausgeberin)

Klinische Pflegeforschung ist nach eigenen Angaben die erste deutschsprachige Open-Access-Zeitschrift für Pflegeforschung mit einem offenen Peer-Review-Verfahren. Weitere Informationen:
http://www.klinische-pflegeforschung.de/
Twitter: @pflegeforsch
Facebook: www.facebook.com/klinischepflegeforschung

 

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