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Wundreinigung mit Leitungswasser

Herausforderung keimfreie Wunde

Die Wundreinigung in der häuslichen Atmosphäre des Patienten ist eine Alltagsaufgabe in der ambulanten Pflege und bei chronischen Wunden. Hierbei stellt sich die Frage, ob eine Wundreinigung mit Leitungswasser eine geeignete Methode ist. Der folgende Artikel stellt verschiedene Aspekte der Wundversorgung in der häuslichen Atmosphäre vor, um Pflegende in ihrer Arbeit zu unterstützen. Erkenntnisse der Pflegewissenschaft und Fragen der Kommunikation mit dem Patienten greifen dabei ineinander.

Ziel der Wundreinigung generell ist die Reinigung einer Wunde. Bei frischen traumatischen Wunden steht dabei primär die Entfernung von eingedrungenen Fremdkörpern wie Dreck, Splitter, Ruß oder ähnlichem im Vordergrund. Bei chronischen Wunden gilt es, den Wundgrund und die Wundumgebung von avitalem Gewebe, Nekrosen, Resten von Verbandstoffen, Belägen oder Zelldetritus zu befreien, die während der langen Heilungsphase immer wieder auftreten. Dies ist notwendig, um den Wundgrund beurteilen zu können und die heilungshemmende Wirkung des avitalen Gewebes und der Beläge zu reduzieren.

Im Verlauf der Wundheilung ändert sich die Indikation und Intensität der notwendigen Wundreinigung. In der Reinigungsphase, oder genauer Exsudationsphase, rekonstruiert sich die Wunde. Der Körper stößt nicht zu erhaltende Gewebeanteile ab und schafft klare Grenzlinien. Durch Inflammation und vermehrte Exsudation werden abgestorbene Gewebeanteile abgestoßen und müssen aus dem Wundbereich entfernt werden. In dieser Phase kommt der Wundreinigung die größte Bedeutung zu. Die Form der  Wundreinigung reicht vom chirurgischen Debridement, um die Autolyse abgestorbene Gewebeanteile nicht abzuwarten, bis zum Ausspülen von abgestorbenen Gewebeanteilen und Pues aus zerklüfteten Wundeanteilen, die rein mechanisch nicht zu erreichen sind. In der Granulations- und Proliferationsphase ist der Bedarf der Wundreinigung schon deutlich geringer, da der Körper selbst nur noch frisches Gewebe produziert. Nur in den obersten Gewebeschichten kommt es durch Austrocknung und Abschilferung von Zellen oder durch Keimwachstum zu Zelldedritus und Bildung eines Biofilms, der entfernt werden muss. Mit Übergang in die Epithelisierungsphase wird die Wundoberfläche immer glatter, sodass bei fehlender Infektion und geeigneter Wundauflage eine Wundreinigung immer seltener notwendig wird. 

Ziel ist die Keimreduktion
Ziel jeglicher Wundreinigung ist die Keimreduktion. Daher sollte eine Keimverschleppung in die Wunde unbedingt vermieden werden. Die aktuelle „Leitlinie zur Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronische venöse Insuffizienz" schreibt dazu: „Die Wundreinigung erfolgt entsprechend den allgemein anerkannten Verfahren der Hygiene unter keimarmen Bedingungen mit sterilen Instrumenten und sterilem Material unter Beachtung der ,Non-Touch-Technik‘." 

Nun ist Trinkwasser beziehungsweise das deutsche Leitungswasser zwar von hoher Qualität, aber eben nicht steril. In sterilen Operationsbereichen darf es nicht eingesetzt werden und es gibt einen heftigen Disput, ob es denn im Bereich der Behandlung chronischer Wunden eingesetzt werden darf oder nicht. Dieser Disput wurde erneut angeregt durch die bereits erwähnte Leitlinie zur Lokaltherapie chronischer Wunden. So schreibt diese Leitlinie unter Wundreinigung, Punkt 6.6.3: „Im Sinne der Empfehlungen dieser Leitlinie zu einer gemeinsamen Entscheidungsfindung, sollen Patienten vor dem (Wund-)Kontakt mit Leitungswasser über mögliche Vorteile (Lebensqualität, Kosten) und Nachteile (Kontamination mit Krankheitserregern) sowie über einen fehlenden nachgewiesenen Unterschied gegenüber NaCl-Lösung 0,9 Prozent hinsichtlich der Endpunkte dieser Leitlinie aufgeklärt und nach ihren persönlichen Präferenzen gefragt werden." Der persönlichen Präferenz des Patienten ist nach Meinung der Autoren mit Akzeptanz zu begegnen, denn nur in der Begegnung „von Person zur Person" ist ein „echter Kontakt" möglich.

Zur Bedeutung von Beziehungen für die Motivation und den Erfolg einer Beratung sind aus unserer Sicht Erkenntnisse der Neurobiologie und Psychologie hilfreich. Es zeigt sich hier, dass eine aktiv gemachte Erfahrung und eine Verknüpfung von Sachinhalten mit Gefühlen für die Verankerung und Speicherung von Informationen im Gehirn besonders wichtig sind. So bilden Beziehungserfahrungen und die dadurch ausgelösten Gefühle die Basis, auf dem Lernen aufbauen kann. Der Mensch ist grundlegend auf Beziehungen ausgerichtet. Die Erfahrungen, die er in Beziehungen macht, wirken sich auf die Strukturen seines Gehirns und auf sein Erleben und Verhalten aus. Sie haben starken Einfluss auf sein Wohlbefinden, seine Motivation und sein Belohnungssystem. Wir brauchen Beachtung, Zuwendung, Wertschätzung, Mitgefühl, Hilfe und Ermutigung von anderen Menschen, um positive Gefühle zu empfinden. Positive Gefühle, die in Beziehungen hervorgerufen werden, führen zu einer verstärkten Motivationsaktivierung und Aufmerksamkeit, mit der wir neue Dinge aufnehmen und verarbeiten können. Daher ist es in Lernprozessen nie nur ausschließlich wichtig, was an Informationen und Inhalten ausgetauscht oder vermittelt wird, sondern auch, wie dies geschieht. Denn die Beziehungsebene und damit verbundene positive Gefühle sind es, die über die Verarbeitung von Information auf der Sachebene entscheiden.

So nehmen wir beispielsweise Inhalte, Ratschläge und Anmerkungen eher von Menschen an, die wir mögen, die uns empathisch begegnen, als von denen, die wir nicht mögen oder zu denen wir neutral stehen. Der Beziehungsförderung und -gestaltung, sowie der emotionalen Beteiligung sollte dementsprechend in Lernprozessen große Beachtung zukommen, um ein effektives und einprägsames Lernen zu ermöglichen (1).

Auf die Gesprächsführung achten
Faktoren, die eine gelingende Gesprächsführung ermöglichen, brauchen Raum und Zeit, können also nicht „zwischen Tür und Angel" durchgeführt werden. Aus Sicht der Autoren sollte eine sorgfältige Vorbereitung in einem ungestörten Rahmen eine konstruktive Gesprächsatmosspähre schaffen. Das Wissen um personzentrierte Gesprächsführung hilft achtsam mit dem Klienten ins Gespräch zu kommen.

Das Wesentliche an Wahrnehmungen, Gefühlen und Gedanken ist ihr qualitativer Charakter; dieser kann nur subjektiv erfahren werden. Physische Phänomene sind dagegen objektiv, sie sind von verschiedenen Perspektiven aus zu erfassen. Alles, was nur von einer bestimmten Erfahrungsperspektive (der ersten Person) zugänglich ist, kann per Definitionem nicht objektiv (interindividuell) erfasst werden (3).


Leitungswasser und seine Verwendbarkeit: Wo liegt das Problem?
Es gibt zwei Punkte, die die Anwendung von Leitungswasser in der Wundreinigung kritisch hinterfragen lassen:

  1. Die Qualität des deutschen Leitungswassers ist gut. Dafür wird durch eine Vielzahl von gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen gesorgt. Diese theoretische Qualität hat aber mit dem Wasser, das im Einzelfall in der Wohnung der Patienten oder in Krankenhäusern und Pflegeheimen aus der Leitung kommt, nichts zu tun. Die Qualität dieses Wassers hängt von den lokalen Gegebenheiten ab:

 

  • Allein dadurch, dass das Wasser bei ungenutzter Zapfstelle mehrere Tage in der Leitung steht, erhöht die Keimzahl. Dies insbesondere bei geheizten Wohnungen oder im Sommer bei wärmerer Umgebungstemperatur.
  • Jedes ungenutzte Rohr in einem Rohrleitungssystem kann zur Einschwemmung von Keimen in das zirkulierende Wasser führen.
  • Wenn in der Literatur von Wasseranwendung zur Wundreinigung gesprochen wird, dann wird von Ausduschen oder Abduschen, also fließendem Wasser, gesprochen. Es wird nicht davon gesprochen, Wasser in einem unsterilen Gefäß aufzufangen und über die Wunde zu gießen bzw. die Wunde damit abzutupfen.
  • Ein weiteres Problem ist die Keimbesiedlung des Zapfhahns durch Spritzwasser aus dem Ausguss. Gibt es für öffentliche Einrichtungen Vorschriften, Abwasser und Reinwasser örtlich zu trennen, liegen diese für den privaten Wohnraum nicht vor. In einem Mehrpersonenhaushalt gibt es keine Wasserstelle, die nur zur Entnahme von Frischwasser dient. Das Wasser wird in der Regel in der Küche, im Bad oder der Dusche entnommen. An allen Orten liegt auch Abwasser vor.
  • Wasserfilter reinigen zwar das durch sie durchlaufende Wasser, schützen aber nicht vor der Kontamination des Duschkopfs und des darauf angebrachten Filters. Gerade ein Duschkopf, der von verschiedenen Bewohnern einer Lebensgemeinschaft in die Hand genommen wird, wird auch von verschiedenen Menschen besiedelt. 

2. Chronische Wunden zeichnen sich durch eine fehlende oder deutlich verzögerte Heilung aus. Die klassischen Reparatur- und Abwehrmechanismen sind gestört. Es gilt also auch das Risiko des Patienten vor einer Infektion durch kontaminiertes Wasser abzuschätzen:

  • Aus der klinischen Erfahrung macht Ausduschen von Wunden gerade bei größeren Dekubiti mit sekundärer Verschmutzung Sinn. Anders sind große Verunreinigungen mit Stuhl aus der Wunde kaum zu entfernen.
  • Kleine oberflächliche Wunden ohne Nischen, freiliegende Sehnen und Muskeln sind dabei sicher weniger infektgefährdet, benötigen aber auch selten eine Reinigung mit Wasser.
  • Patienten mit einer gestörten Immunabwehr, einem Diabetes und einer arteriellen Minderperfusion sind infektgefährdet. Hier ist jede Einschleppung von Keimen kontraproduktiv.  

Empfehlungen
Die Diskussion um die Anwendung von Wasser zur Reinigung von chronischen Wunden wird sicher noch länger fortgesetzt. Auch wenn sich viele Wundspezialisten inhaltlich einig sind, dass Leitungswasser nicht in chronische Wunden gehört, spielen im Alltag ökonomische Aspekte eine große Rolle. Da es keinen Grundsatzentscheid gegen die Anwendung gibt und die Widersprüche zwischen der aktuellen Leitlinie und der Empfehlung des Robert-Koch Instituts (4) fortbestehen, muss eine für den Alltag brauchbare Lösung gefunden werden. Die Autoren geben dazu folgende Empfehlungen ab:

 

  1. Je sauberer die Wunde, desto weniger ist die Anwendung von Leitungswasser sinnvoll. Raten Sie davon ab, auch wenn der Patienten es als angenehm und reinigend empfindet.
  2. Je exsudativer und zerklüfteter die Wunde ist, desto eher macht gelegentliches Ausduschen Sinn. Das Ausduschen ist nur als reinigend zu betrachten und nicht selbst als wundheilungsfördernd. Es ist nur dann anzuwenden, wenn die Wunde anders nicht zu reinigen ist.
  3. Räumlichkeiten in der die Anwendung des Wassers sollten betrachtet werden. Handelt es sich um einen Altbau, stehen andere Wohnungen im Haus leer oder wird nur wenig Wasser insgesamt benutzt, weil der alleinstehenden ältere Mensch Wasser spart, ist das Risiko für eine erhöhte Keimzahl im frisch gezapftem Leitungswasser hoch.
  4. Wird die Wasserentnahmestelle nicht nur zur Entnahme von Frischwasser benutzt, sondern auch als Abguss oder zur allgemeinen Körperhygiene von anderen, ist von einer Besiedlung des Duschkopfes auszugehen.
  5. Die Anwendung eines Wasserfilters macht nur Sinn, wenn diese Wasserentnahmestelle nur zur Wundreinigung benutzt wird. In anderen Fällen ist anzunehmen, dass auch der Wasserfilter selbst von außen keimbesiedelt ist.
  6. Das Infektrisiko des Patienten und seiner Wunde sollte betrachtet werden. Handelt es sich um eine Wunde, die für Infektionen empfänglich ist (u. a. freiliegende Sehnen und Muskeln) oder um einen immunsuppremierten Patienten (u. a. Diabetiker, Tumorpatient), ist die Anwendung von Leitungswasser zu vermeiden.
  7. Die Therapieverantwortung und somit auch die Verantwortung für die Wundreinigung liegen beim behandelnden Arzt. Die Anwendung von Leitungswasser sollte sich konkret angesehen und etwaige Bedenken dem Arzt mitgeteilt werden. Pflegende können sich weigern, die Pflege und die Wundversorgung des Patienten generell zu übernehmen, wenn der Patient dadurch nicht gefährdet wird. Den Arzt können Pflegende indes nicht zwingen, andere Spüllösungen zur Verfügung zu stellen. Die Anweisung zum Ausduschen der Wunde sollten sich Pflegende deshalb schriftlich geben lassen, um sich abzusichern.


(1) Leitlinie zur Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronische venöse Insuffizienz, Internet: www. AWMF.de

(2) Vgl. zur Bedeutung von Emotionen und Beziehungen in Lernprozessen z.B. Spitzer, Manfred (2002): Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Göttingen.

(3)  Vgl. Dr. med. Dipl. Psych. Andrea Gräfin von Hohenthal: Magisterarbeit Neurowissenschaft und schulisches Lernen:
Gibt es aus der Sicht der Neurowissenschaften neue, für das schulische Lernen relevante Erkenntnisse oder werden die Erkenntnisse der Lernpsychologie lediglich bestätigt?

(4) Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut.Infektionsprävention in Heimen. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2005.

 

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