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Laborwohnung für Demenzkranke

Sensoren gegen das Vergessen

An der Professur Digital- und Schaltungstechnik der Technischen Universität Chemnitz arbeiten Wissenschaftler derzeit an dem mit Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und Geldern des Freistaates Sachsen geförderten Forschungsprojekt "Optimierung der Pflege demenzkranker Menschen durch intelligente Verhaltensanalyse" (OPDEMIVA). Partner der Demenzinitiative sind die Klinikum Chemnitz gGmbH, die Heim gGmbH und die Intenta GmbH. Ein Smart-Sensor-Netzwerk, das aktuell in einer Laborwohnung getestet wird, soll Betroffene und Pflegende im Alltag unterstützen. Station24 sprach mit Diplom-Ingenieur Lars Meinel über Ziele und Herausforderungen des Projekts.

 

Warum haben Sie OPDEMIVA ins Leben gerufen?
Der demografische Wandel schreitet unaufhaltsam voran. Die Pflegebedürftigen werden immer mehr, die Pflegekräfte aber immer weniger. Dabei spielt vor allem die wachsende Gruppe der Menschen mit Demenz eine besondere Rolle. Ein Verbleib in den eigenen vier Wänden wäre sowohl aus sozialer, volkswirtschaftlicher als auch aus medizinischer Sicht sinnvoll. Denn ein Ortswechsel hat erwiesenermaßen negative Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf von Demenzpatienten.

Hinzu kommt, dass zwar die körperliche Konstitution einen Verbleib im eigenen Haus oder der Wohnung  zulässt, die kognitiven Einschränkungen diesen aber verhindern. Ein Assistenzsystem, das diese Einschränkungen teilweise kompensiert, könnte hier Abhilfe schaffen.

Was ist das Herzstück von OPDEMIVA?
Ganz klar das entwickelte kontaktlose Sensorsystem zur Erfassung des individuellen Tagesablaufs des Betroffenen. Das stereoskopische Messprinzip erfasst die Räumlichkeit und die darin lebende Person in 3D. Aus Informationen wie dem Aufenthaltsort, der Körperhaltung und Objekten der Interaktion kann auf die aktuelle Aktivität geschlossen werden. Dabei erfolgt die Verarbeitung sensibler Daten sensorintern. Im praktischen Einsatz verlassen diesen Smart-Sensor nur Daten, die für die Interaktion mit dem Patienten oder Benachrichtigung von Pflegenden erforderlich sind. Auf diese Weise soll vor allem die Privatsphäre der Betroffenen geschützt bleiben!

Inwiefern unterstützt die von Ihnen entwickelte Sensorik Demenzpatienten in ihrem Alltag?
Durch die Aktivitätserfassung kann eine automatische, bedarfsgerechte Assistenzfunktion realisiert werden. Erinnerungen und Aktivierungsmeldungen erfolgen genau dann, wenn diese notwendig und hilfreich sind. Zusätzlich können die gewonnen Daten aber natürlich auch Pflegenden zugänglich gemacht werden – beispielsweise zur besseren Pflegedokumentation oder zur Alarmierung bei Gefährdungen.

Können Sie uns ein konkretes Beispiel geben?
Ein häufiges Problem in der Pflege Alleinlebender ist, eine ausreichende Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme sicherzustellen. Erfasst das System zum Beispiel, dass über einen längeren Zeitraum zu wenig getrunken wurde, gibt es zunächst einen Hinweis an den Bewohner aus. Reagiert der Patient darauf nicht, können Pflegende informiert werden und entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Wer profitiert außer den Betroffenen selbst von OPDEMIVA?
Natürlich die professionell Pflegenden insbesondere durch die automatische, umfassende Pflegedokumentation. Außerdem können auf Basis der gewonnen Daten nützliche Zusatzinformationen gewonnen werden. Das verbessert wiederum die individuelle Pflege: Erfahren die  Pflegenden etwa von einem gestörten Tag-Nacht-Rhythmus der Betroffenen, kann dieser Hinweis das Verständnis für die Situation des Demenzpatienten fördern.

Besondere Chancen sehen wir perspektivisch aber auch für Angehörige, die Betroffene zuhause pflegen wollen. Wenn es uns gelingt, durch die bedarfsgerechte Assistenz den Pflegenden von bestimmten Aufgaben zu entlasten und gleichzeitig eine informelle Teilhabe am Leben des Gepflegten zu ermöglichen, könnte eine Berufstätigkeit mit der Pflege in Einklang gebracht werden.

An der TU Chemnitz haben Sie eine Laborwohnung eingerichtet. Mit welchen Funktionen ist sie genau ausgestattet?
Die Laborwohnung dient zum einen der Untersuchung und Entwicklung der angesprochenen Sensorik zur Erfassung der Aktivitäten des täglichen Lebens. Zum anderen eignet sie sich aber auch als funktionsfähiger Demonstrator. Dazu wurden bestimmte Grundfunktionen der Erkennung definiert, wie die Erfassung von Bewegungsprofilen, der Flüssigkeitsaufnahme sowie von Wach-, Ruhe- und Schlafphasen.

Auch die Häufigkeit der Badbenutzung und das Verlassen der Wohnung oder Empfangen von Gästen kann registriert werden. Darauf basierend haben wir exemplarische Assistenzfunktionen eingerichtet. In Form von Einblendungen auf dem TV-Bildschirm und als Anzeige auf dem Tablet-Computer werden Erinnerungen an bestimmte Handlungen angezeigt und deren Ausführung überprüft. Zusätzlich können Pflegende per Web-Schnittstelle auf vom System protokollierte Daten zugreifen.

Was sind die primären Ergebnisse Ihrer ersten Tests?
Insgesamt stimmen uns unsere ersten Ergebnisse zuversichtlich. Das Ziel weiterer Forschungen muss nun allerdings sein, die entwickelte Technologie so anzupassen und umzusetzen, dass sie den angestrebten praktischen Nutzen erzielt. So muss zum Beispiel ein Display- und Interaktionskonzept entwickelt werden, das an die speziellen Bedürfnisse der Menschen mit Demenz angepasst ist.

Wie empfinden die Probanden selbst die Laborumgebung?
Bisher haben die Probanden mit großem Interesse und Begeisterung an der Versuchsdurchführung teilgenommen. Im persönlichen Gespräch hat sich herausgestellt, dass ihnen die  Nöte und Ängste der Betroffen sehr bewusst sind und sie sich von einer solchen Technik einen großen Nutzen erhoffen. Hinsichtlich der Akzeptanz einer technischen Lösung stand für sie fest:  der perspektivische Nutzen überwiegt gegenüber den Risiken.
 

Herr Meinel, herzlichen Dank für das Gespräch.

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