Pflegebedürftigkeit kann von heute auf morgen eintreten. Dies erfordert sowohl von Betroffenen als auch ihren Angehörigen ein hohes Maß an Flexibilität. Der Alltag muss spontan umorganisiert werden, damit Pflegebedürftige etwa nach einem Klinikaufenthalt in eine vorbereitete Pflegesituation nach Hause zurückkehren können. Um Familien bei dieser Herausforderung zu unterstützen, hat die AOK Nordost das Projekt „PfiFf" – Pflege in Familien fördern ins Leben gerufen.
Lässt die häusliche Umgebung und die berufliche Situation der Verwandten eine Pflege des Betroffenen zuhause zu, so stehen sie dennoch vor einer großen Aufgabe. Häufig fehlt das notwendige Fachwissen für eine angemessene Versorgung. Die Initiative „PfiFf" soll hier Abhilfe schaffen und im Idealfall ein geschultes Pflegenetzwerk bestehend aus Familie, Freunden und Nachbarn aufbauen.
Denn: „Pflegenden fällt es schwer, im Pflegealltag einen Kurs an einem fremden Ort zu besuchen. So sind wir auf das Projekt ‘Familiale Pflege‘ der Universität Bielefeld aufmerksam geworden, das den Weg zu den Angehörigen über das Krankenhaus gewählt hat. Diesen Ansatz nutzen wir angepasst an unsere Regionen und haben es als ‘Pflege in Familien fördern‘ ausgebaut", erklärt Katharina Graffmann-Weschke vom Geschäftsbereich Pflegestützpunkte und –beratung der AOK Nordost.
Gute Vorbereitung
Bevor die Familie in Theorie und Praxis ausgebildet wird, wird allerdings das Pflegepersonal in den Krankenhäusern entsprechend geschult: „Die Pflegefachkräfte erhalten durch uns eine dreitägige Schulung sowie jedes Jahr eine Weiterbildung zu ausgewählten Themen. In diesem Jahr zu Ernährung im Alter in der Pflege zu Hause", so Graffmann-Weschke.
Sofern die Pflegekräfte einen Pflegebedarf bei einem Patienten festgestellt haben, nehmen sie Kontakt zu den Angehörigen auf. Sind sie an der Teilnahme am Projekt interessiert, findet ein Erstgespräch statt. Hier geht es zunächst um die Aufteilung der Pflegeaufgaben innerhalb der Familie: Gesunderhaltung des Pflegebedürftigen, Mobilisation, Körperpflege sowie Essen und Trinken.
Danach gibt es für die Familien eine praktische Anleitung am Krankenbett, die sich an deren individuellen Fragen und Bedürfnissen, aber auch an der Einschätzung der Pflegebedürftigkeit durch die Pflegekraft orientiert.
Keiner ist allein
In einem anschließenden Kurs bestehend aus drei dreistündigen Modulen erhalten die Angehörigen praktische Tipps für ihre individuelle häusliche Situation. Beispielsweise werden sie über die sogenannte „aktivierenden Pflege" sowie Möglichkeiten zur Prävention von Zweiterkrankungen und Überforderungen aufgeklärt. Darüber hinaus lernen sie die diversen Pflegemittel kennen.
Die Angehörigen sollen aber vor allem die Erfahrung machen, dass sie mit ihren Fragen, Sorgen und Ängsten nicht allein sind. „Häufig möchten sich die Kursteilnehmer auch weiterhin treffen etwa zu Gesprächsrunden oder in Selbsthilfegruppen, die das Krankenhaus anregen kann", sagt die AOK-Vertreterin.
Nach dem Klinik-Pflegekurs begleiten ausgebildete Kräfte die Angehörigen bei der Pflege ihres Verwandten in den eigenen vier Wänden. Denn trotz gewohnter Umgebung treten häufig Probleme und offene Fragen beispielsweise zu Pflegetechniken und dem richtigen Umgang mit Hilfsmitteln auf. Gemeinsam mit einer Pflegekraft wird dann nach einer passenden Lösung gesucht. Die Familien können diese professionelle Anleitung maximal sechs Mal innerhalb von sechs Monaten in Anspruch nehmen.
Wichtig ist Graffmann-Weschke zufolge, die Pflegeaufgaben in der Familie aufzuteilen. So könne verhindert werden, Einzelpersonen zu überfordern. „Das geschieht schnell – vor allem, wenn noch eigene Kinder im Haus sind oder die Pflege mit der Berufstätigkeit kombiniert werden muss", so Graffmann-Weschke weiter.
Familiale Pflege – ein Zukunftsmodell?
Viele Angehörige müssen Vollzeit arbeiten oder wohnen gar nicht in der Nähe ihrer Verwandten. „Dennoch bestätigen die Zahlen, dass rund 75 Prozent aller Gepflegten zu Hause versorgt werden, davon etwa 20 Prozent mit Unterstützung durch ambulante Pflegedienste", verdeutlicht die AOK-Repräsentantin.
Neben den Diensten und Familien seien es oft auch Freunde und Nachbarn, die sich um Pflegebedürftige kümmerten. „Diese Begleitung zu stärken ist eindeutig ein Zukunftsthema", betont Graffmann-Weschke. Wenn sich viele gemeinsam die Pflege untereinander aufteilten und „nicht einer alleine den Pflegealltag mit allen Höhen und Tiefen bewältigen muss, kann das Alltägliche mehr Raum bekommen".
Das bedeute aber auch, dass Pflege künftig kein Tabuthema mehr sein dürfe, so Graffmann-Weschke. „Angehörige leisten meist stillschweigend ständig Besonderes. Das ist keine Selbstverständlichkeit."